DONNERSTAG NACH OCULI

Jemand rief ihren Namen, wie aus weiter Ferne. Franz war es nicht. Vielleicht eine Stimme aus der Vergangenheit. Alheit brummte unwillig und drehte sich zur Seite.

Da fasste sie jemand an der Schulter, als ob er das rechte Maß zwischen Wirksamkeit und Grobheit nicht finden könnte. ťAlheit, bitte schau, ob du noch Leben in ihm findest.Ť

›In wem? Warum?‹, wollte sie zugleich fragen, doch sie brachte nur ein weiteres Brummen zustande.

ťWas ist los?Ť, fragte Franz schlaftrunken.

ťElbelinŤ, sagte Gottfrid, die Finger noch immer in Alheits Schulter gekrallt. ťEr regt sich nicht mehr und

Ť

Alheit setzte sich auf und schaute zu dem Deckenbündel neben der Tür. Die Kälte an ihrem Rücken brachte ihr Sinne und Verstand zurück. Es sah in der Tat aus, als ob sich dort seit dem vergangenen Abend nichts mehr gerührt hätte. Das mochte an dem seltsamen Getränk vom vergangenen Abend liegen, das auch Alheit den Schlaf und wirre Träume gebracht hatte. Dennoch steckte ihr die Angst in der Kehle wie ein großer, harter Bissen Brot. Endlich ließ Gottfrid sie los und ging aus dem Weg, damit sie aufstehen konnte. Langsam kam auch Franz zu sich. Die Decke um die Schultern geschlagen, ging Alheit zu Elbelin hinüber.

Der lag noch fest in seinen Mantel gerollt, obwohl bereits Tageslicht in den Raum fiel.

ťHe, wach auf, ElbelinŤ, rief Gottfrid und rüttelte seinen Gefährten, wie er es sicher schon zuvor getan hatte.

Elbelin regte sich nicht, nur eine blonde Locke schwankte vor seiner Stirn hin und her.

Alheit hockte sich neben ihn und schälte ihn aus seiner Decke. Er war steif und kalt, sie fühlte weder Atemhauch noch Herzschlag.

Ohne nachzudenken griff sie in sein Haar, tastete am Hals hinab und zu seiner Brust. Doch sie fühlte kein Blut, keine gebrochenen Knochen, und schüttelte den Kopf.

Inzwischen stand Franz hinter ihr, eine Hand auf ihrer Schulter.

Nein, sie wand sich nicht heraus, sie lehnte sich zurück an seine Beine.

ťWas ist das da neben seinem Kopf?Ť, murmelte Franz.

Alheit sah genauer hin. Ein dunkler Wollfaden hatte sich in einem gespaltenen Strohhalm verfangen. Unwillkürlich fasste sie mit spitzen Fingern danach. Er war dunkler als Elbelins Mantel.

Die Bodenbretter knirschten, als Lene zu ihnen trat. Schnell ließ Alheit den Faden in ihrer Hand verschwinden und zupfte stattdessen etwas Stroh aus Elbelins Haar.

ťWas gibt es?Ť, fragte Lene und beugte sich über den Toten. Aus ihrer Neugier machte sie keinen Hehl.

ťEr ist tot.Ť

ťGeschieht ihm recht.Ť

Alheit blickte verärgert auf.

Franz zuckte ebenfalls zusammen. ťWarum?Ť, fragte er, als hätte er nie von dem angeblichen Diebstahl

gehört.

ťDarumŤ, antwortete Lene und sah ihn herausfordernd an. ťAber vielleicht tut er auch nur soŤ, fuhr sie fort. ťDem trau ich’s zu.Ť

ťDann hol doch unseren gelehrten Apotheker, wenn du mir nicht glaubstŤ, erwiderte Alheit.

Lene kicherte. ťDer wird ihn schon wieder auf die Beine bringen – Lebenswasser, ha!Ť Sie schaute in ihren kleinen Spiegel und schien mit ihrem Gesicht zufrieden, denn sie lief gleich nach draußen. Vielleicht trieb sie auch die Neugier.

ťAber er ist doch tot, nicht wahr?Ť, fragte Gottfrid.

Franz nickte. ťUnd vielleicht

Ť

Alheit stieß ihn unsanft mit dem Ellenbogen an.

Der Junge schüttelte traurig den Kopf. ťWarum nur? Er war doch nicht krank.Ť

Tamas schnürte inzwischen ruhig sein Bündel. Weder achtete er auf die vielen Leute um Elbelins Lager noch auf Lenes Betriebsamkeit.

Lene kehrte mit Robert Piper zurück. ťDa liegt erŤ, sagte sie und stieß Elbelin mit dem Fuß an. Gottfrid schob sie weg.

Der Engländer betrachtete den leblosen Körper und wollte schon nach der Flasche an seinem Gürtel greifen, doch er besann sich. Er ließ sich neben Elbelins Kopf nieder und brachte seine Nase an den Mund des Toten. Als er wieder aufschaute, lag seine Stirn in düsteren Falten. ťDas war nicht nur Whisky. Davon hat er auch recht wenig getrunken.Ť

Alheit horchte auf. ťNicht nur was?Ť

ťUisge beatha, das LebenswasserŤ, erklärte Robert, als müsste das jeder wissen. ťEs riecht nach Gänsefuß, aber der ist doch nicht giftig. Man kann ihn sogar essen.Ť Er fuhr zu Franz herum. ťHattest du nicht etwas zum Einreiben?Ť

ťDoch.Ť Franz ging zu dem Bündel neben seinem Lager und zog eine Tonflasche heraus. ťDas hier hat mir Bruder Benedikt gegeben.Ť

ťKlostermixturenŤ, schnaubte Robert. Mit einer geübten Handbewegung öffnete er das Fläschchen und roch daran. Dann wiegte er bedenklich den Kopf. ťWie viel fehlt?Ť, fragte er.

Franz zuckte die Achseln. ťIch habe das Zeug seit letztem Dienstag. Viel ist nicht mehr übrig.Ť

Robert wog die Flasche in der Hand. ťIch kann nichts sagen. Die Flasche war gut eingepackt?Ť

ťJa.Ť

Robert ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, bis er an Lene hängen blieb. ťIhr schlaft auch hierŤ, stellte er fest.

ťJa, aber ich habe nicht gehört, dass jemand hereingekommen istŤ, antwortete sie schnippisch.

ťElbelin liegt ja auch gleich an der TürŤ, warf Alheit ein.

ťUnd wir waren heute Nacht alle gleich voll von deinem LebenswasserŤ, ergänzte Franz.

ťWir müssen es dem Platzmeister meldenŤ, sagte Gottfrid, der bisher schweigend dagesessen hatte, das Gesicht in den Händen verborgen.

Robert und Alheit schüttelten den Kopf. ťDu hast ihn selbst gehört, als der Bär los warŤ, erinnerte Alheit.

ťWir haben am Hof des Erzbischofs von Trier gespieltŤ, widersprach Gottfrid trotzig. ťIch schreibe Herrn Balduin.Ť

ťOh, schreiben kann es auchŤ, höhnte Lene. ťPass nur auf, dass dir nicht einer den Garaus macht.Ť

Gottfrid sah sie erschrocken an. Offenbar war er auf diesen Gedanken noch nicht gekommen.

ťWenn es nicht das Lebenswasser war, was dann?Ť, fragte Franz dazwischen. Alheit warf ihm einen warnenden Blick zu. Es war nicht gut, vor aller Welt Verdächtigungen auszustreuen.

ťHolzgeist.Ť Robert warf nur das eine Wort als Antwort hin.

Erschrocken schlug Gottfrid das Kreuz. ťWas ist das für ein Geist?Ť

ťOh, ein sehr gefährlicherŤ, antwortete Robert ernst. ťEr wohnt in Flaschen, und wenn er entkommen kann und von einem Körper Besitz ergreift, dann wird derjenige blind, und oft stirbt er kurz darauf.Ť

ťDann muss ihn ein Priester austreibenŤ, rief Gottfrid und sprang auf. ťSonst findet er doch nicht die ewige Ruhe.Ť Mit langen Schritten ging er auf und ab.

ťIch weiß einen, der das für wenige Heller besorgen wird.Ť Diesmal war Roberts Grinsen nicht mehr zu übersehen. ťEuer Pater ist doch noch hier?Ť, wandte er sich an Alheit.

Sie nickte langsam. ťAber ich weiß nicht, wo er wohnt. Bei den Beginen

Ť

Gottfrid schien die beiden gar nicht gehört zu haben. ťIch gehe zu den FranziskanernŤ, verkündete er. ťDort werde ich einen finden, der diesen Geist bannen kann – ehe er noch jemanden von uns in Besitz nimmt.Ť

Robert sah an ihm hinauf. ťGerade du bist in großer Gefahr.Ť

Schon an der Tür, fuhr Gottfrid herum. Sein Gesicht war von Angst verzerrt. Dann raffte er sich auf und lief die Treppe hinunter.

ťWarum glaubst du, dass Gottfrid von diesem Geist Gefahr droht, Robert?Ť, fragte Alheit.

Der zuckte die Schultern. ťDie beiden werden den, der sich hier rächt, wohl gemeinsam geärgert haben.Ť

Alheit schwieg. Ihr fielen mehrere Leute ein, die infrage kamen.

ťMeinst du Israel?Ť, fragte Franz an ihrer Stelle.

Huftritte erklangen vom Hof herauf.

ťWolfram hat sein Pferd geholtŤ, murmelte Franz.

Robert nickte schwer. ťEr hat recht. Wir müssen aufbrechen.Ť

Alheit sah zu ihm auf. ťUnd Elbelin?Ť

ťUm den muss sich Gottfrid kümmern.Ť

ťDer eben aus Angst vor dem Geist davongelaufen ist.Ť

ťDie Welt ist voller unvollkommener Menschen. Dennoch werden die Toten begraben, und die Lebenden leben weiter.Ť Damit wandte Robert sich zur Tür hinaus und ging rasch die Treppe hinunter.

Alheits Hand lag noch immer an Elbelins Wange. Sie konnte sich nicht überwinden aufzustehen. Wieviel durfte sie einem Menschen glauben, der selbst verdächtige Zutaten in Elbelins Essen gegeben hatte? Wer außer Robert konnte ihr in diesen Dingen raten?

ťBurkhardŤ, sagte Franz.

Sie seufzte. Wer sollte mit dem Wirt reden, wie lange der Tote in seinem Haus bleiben durfte, wenn nicht sie? Wer würde dafür bezahlen? Für die Beerdigung und die Totenmesse?

Anders als Gottfrid, der seine Hoffnung auf seinen bisherigen Herrn zu setzen schien, erwartete Alheit nichts von dieser Seite. Der Erzbischof von Trier, einer der mächtigsten Männer des Reiches, würde für einen fahrenden Sackpfeifer keinen Heller ausgeben.

ťOb Herr Heinrich das Begräbnis ausrichtet?Ť, fragte Franz ins Blaue hinein. Es war unheimlich, wie er auf ihre Gedanken antwortete.

ťEr muss es ohnehin erfahren.Ť Alheit machte Anstalten, sich zu erheben.

Da ging die Tür auf, und Katherine kam herein, dicht gefolgt von ihrer Mutter. Doch sie blieb sogleich stehen, als sie den Toten sah, einen schwachen Klagelaut auf den Lippen.

Marjorie schaute Alheit prüfend an. ťUnd? Woran ist er gestorben?Ť, fragte sie. ťWirklich Holzgeist, wie der Apotheker sagt?Ť

Alheit zuckte zusammen. ťIch habe keine Wunde an ihm gefunden.Ť Sie war in Gedanken schon mehrere Stunden in der Zukunft gewesen.

Katherine hatte sich wieder gefasst und kam langsam näher. Sie setzte sich neben Elbelin, dort, wo vorher ihr Vater gestanden hatte, und nahm seine Hand. Sie sagte etwas in ihrer fremden Sprache. Tränen liefen über ihr Gesicht.

Mit einem Schnauben kam Alheit auf die Füße. ťWir sollten es wohl Herrn Heinrich melden.Ť

ťBleibt ihr noch hier?Ť, fragte Marjorie.

ťBis er begraben istŤ, antwortete Franz.

Alheit nickte.

Tamas lehnte derweil am Kamin, sein Bündel zwischen den Füßen, die Fidel vor der Brust, und beobachtete, was an Elbelins Lager vor sich ging. Wie viel er davon verstand, konnte Alheit nicht sagen. Erst als Katherine wieder aufgestanden war, trat er hinzu und sagte etwas auf Ungarisch. War darin nicht von Mazko die Rede? Alheit schaute ihn misstrauisch an. Tamas beachtete sie nicht. Er schlug das Kreuz und ging hinaus. Lene folgte ihm.

ťFehlt noch WolframŤ, sagte Franz.

ťLass uns hinuntergehenŤ, erwiderte Alheit. Sie tat zwei unsichere Schritte zur Tür und ging mit einem letzten Blick auf Elbelin voran.

Im Hof war die Gesellschaft fast vollzählig versammelt. Robert spannte ein Maultier vor einen kleinen Karren, Marjorie lud mit geübten Griffen und finsterem Gesicht ihr Gepäck auf. Katherine half ihr mit langsamen, abwesenden Bewegungen.

Meister Wolfram verzurrte zwei schwere Kästen auf einem gedrungenen Braunen. Offenbar zeigten sich die Lederriemen widerspenstig, denn er zerrte ungeduldig an ihnen und murmelte ärgerlich vor sich hin. Als Gottfrid zurückkehrte, sah er kaum auf.

ťSie kommen ihn holenŤ, verkündete der Junge atemlos, ťnoch vor der Terz.Ť

ťSo lange können wir noch wartenŤ, entschied Robert.

Tamas und Lene verließen den Hof, als ginge sie alles nichts an.

ťJämmerlicher NarrŤ, schalt Gottfrid hinter ihnen her.

Alheit unterbrach ihn: ťWarst du auch bei Herrn Heinrich?Ť

ťNein, wieso?Ť

ťHast du noch Geld für das Begräbnis?Ť

Meister Wolfram ließ seinen letzten Riemen fahren und schnellte herum. ťWieso Begräbnis? Wer ist gestorben?Ť Der Kasten mit dem Portativ fiel krachend zu Boden. Das Pferd riss erschrocken den Kopf hoch.

Einen Augenblick schauten alle Wolfram ungläubig an. Dann antwortete Robert: ťElbelin ist tot.Ť

ťZu viel getrunken gestern, was?Ť, mutmaßte der Sänger.

Gottfrid schüttelte den Kopf. ťLästerlicher Judenzauber

Ť

Meister Wolfram lachte spöttisch auf. ťWenn ihr nur einen Schuldigen habt

Ť Er stellte den abgestürzten Kasten wieder auf und schaute hinein. Dann nahm das Instrument seine ganze Aufmerksamkeit gefangen.

ťWo steckt Israel überhaupt?Ť, fragte Gottfrid.

ťEr hat sich doch gestern Abend schon verabschiedetŤ, antwortete Robert.

ťNachdem er sich heimlich in Hof und Haus herumgedrückt hat.Ť

Alheit horchte auf. Ja, Israel hätte vielleicht Gelegenheit gehabt, Gift in den Kräuterwein zu mischen. Aber das galt für noch mehr Leute. Andererseits hatten Elbelin und Gottfrid keinen Hehl aus ihrer Abneigung gegen die Juden gemacht und Israel mit allerlei Frechheiten gepeinigt. Er konnte sich gerächt haben. Aber hätte er das nicht schon viel früher getan, gleich am Freitag? Oder

 

Ehe sie etwas sagen oder tun konnte, betrat ein Mönch in grauer Kutte den Hof, jünger und magerer als Baldwin. Hinter ihm kamen zwei Laienknechte mit einer Trage. ťWo ist der Tote?Ť

Gottfrid ging ihnen voran in die Schlafkammer. Katherine wollte ihnen folgen, doch ihre Mutter hielt sie zurück. Die verbliebenen Gefährten warteten schweigend im Hof. Als sich oben die Tür wieder öffnete, bildeten sie eine Gasse für den Toten.

Hinter dem betenden Mönch und der Bahre zogen sie zur Kirche. Katherine ging neben Gottfrid. Als Letzter reihte sich Wolfram ein.

Die Knechte setzten Elbelin vor dem Altar ab, der Mönch sang ein letztes Amen und verschwand durch die Tür, die den Brüdern des Konvents vorbehalten war.

Eine Weile standen alle schweigend vor der Bahre. Dann bekreuzigte sich Gottfrid: ťUnd nun geht es dem nach, der das verbrochen hat.Ť Entschlossen wandte er sich zu den anderen um. ťSeit gestern Abend kann er weit gekommen sein. Weiß einer von euch, wo er gewohnt hat?Ť

Alheit setzte zu einer Antwort an, doch Robert war schneller: ťDas Judenviertel in Worms ist groß, wenn du dort alle befragen willst

Ť

Vielleicht war es besser so.

ťReicht es nicht, wenn wir die Wachen an den Stadttoren fragen?Ť Gottfrid wollte nicht aufgeben.

ťWir?Ť, entgegnete Robert. ťWir werden nach Frankfurt ziehen, wie wir es geplant hatten.Ť

ťDann gehe ich eben allein.Ť

ťBitte sehr, tu das.Ť

Gottfrid lief hinaus auf die Gasse.

Katherine war dem Wortwechsel mit besorgter Miene gefolgt. Nun ließ sie den Kopf hängen und schmiegte sich an ihre Mutter.

Alheit schüttelte den Kopf. Natürlich wollte Gottfrid seinen Freund rächen. Aber sie ahnte, dass er in die falsche Richtung rannte. Ob sie versuchen sollte, Israel zu warnen? Oder jene, die unschuldig in seiner Nähe waren? Sie wusste immerhin einen Namen und ein Haus, wo sie fragen konnte. Aber vielleicht war es besser, all das Herrn Heinrich mitzuteilen. Er müsste wissen, wie der Täter bestraft und der Friede gewahrt werden konnte.

ťWir sollten jetzt auch gehenŤ, schlug Alheit vor und verließ die Kirche. Franz folgte ihr.

Erst jetzt, auf dem kurzen Weg zurück zur Herberge, fiel ihr auf, wie gut dieser Tag zum Wandern wäre, klar, trocken und nicht allzu kalt. Ein Geschenk für all die Spielleute, die sich heute zu neuen Unternehmungen aufmachten. In einem Winkel ihres Herzens bedauerte Alheit, dass sie diesen schönen Reisetag nicht ebenfalls nutzen konnten.

ťWir brechen jetzt auf nach FrankfurtŤ, erklärte Robert, als sie in Burkhards Hof neben dem beladenen Maultierkarren standen. ťLebt wohl, und denkt daran: Trinkt nur gebranntes Wasser, das nachweislich aus Irland kommt.Ť

Franz stöhnte leise. ťOder am besten gar keins.Ť

ťNimm öfter einmal die Flöte zur HandŤ, ermahnte Marjorie Alheit. ťDann siehst du auch nicht mehr so bäurisch aus.Ť

ťDafür hört jeder die SchalmeiŤ, erwiderte Alheit. ťDas kann von Vorteil sein.Ť

Die beiden umarmten sich ein wenig ungelenk.

Alheit machte einen Schritt auf Katherine zu, doch diese wich zurück. ťMach dir keine Sorgen um Gottfrid, KindŤ, riet Alheit. ťWenn er die Tränen wert ist, findet er dich wieder.Ť

Das Mädchen schien sie nicht zu beachten.

Robert trieb das Maultier an, und der Wagen rollte knarrend durch das Tor. Meister Wolframs Brauner wollte hinterher, doch der Sänger hielt ihn mit einiger Mühe zurück. Während das Pferd im Kreis tänzelte, saß er auf. Alheit glaubte in dem einen Sonnenstrahl, der durch die Wolken brach, ein grünes Funkeln zu erblicken. Sie reckte den Hals, um es vielleicht ein zweites Mal zu sehen.

Gleichzeitig gab Franz einen überraschten Laut von sich.

ťWas ist?Ť Der Reiter war in die Gasse eingebogen und aus ihrem Blickfeld verschwunden.

ťDer MantelŤ, sagte Franz. ťDa fehlte ein Stück Pelz am Saum.Ť

ťJa, und?Ť, fragte Alheit unwirsch. ťWolfram ist nicht mehr so gefragt, wie er immer erzählt hat.Ť

ťMmm.Ť Franz setzte mehrmals zum Sprechen an. ťGestern

heute Nacht

Ť, begann er zögerlich. ťAls ich die Treppe hinauf wollte, ist einer an mir vorbei. Ganz schwarz, nur am Rand hat er hell geschimmert.Ť

Alheit starrte ihn mit zusammengekniffenen Augen an. ťHeute Nacht warst du voll wie ein Dutzend FuhrknechteŤ, erwiderte sie, doch es klang ihr selbst lahm in den Ohren.

Franz zuckte die Achseln. ťVielleicht hab ich mich auch geirrt. Jedenfalls ist es mir aufgefallen, dass der helle Schimmer an manchen Stellen unterbrochen war.Ť Er wurde rot und brach ab.

ťWer weiß, was du da gesehen hast.Ť Alheit dachte an ihr eigenes Traumgesicht. Es fiel ihr schwer, Franz davon zu erzählen. Zu unglaubhaft erschien es ihr selbst. Dennoch fragte sie schließlich: ťHast du seinen Gürtel gesehen?Ť

ťGürtel?Ť Franz starrte auf die Tür zur Gaststube, als könne er durch das Holz hindurch noch die ganze Gruppe sitzen sehen. ťIst mir nicht aufgefallen. Warum?Ť

Alheit holte tief Luft. Nun musste sie doch von dem totenköpfigen Fastnachtsnarren erzählen.

Franz hörte ihr zu und nickte dann. ťAlso doch kein Geist?Ť

ťIch weiß es nichtŤ, musste Alheit zugeben.

ťUnd wer wird uns glauben?Ť

ťVersuchen wir es bei Herrn Heinrich.Ť Alheit ging voran, hinaus auf die Gasse. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass Burkhard ihnen nachsah.

Jeder mit seinen Gedanken beschäftigt, folgten sie der Kämmerergasse. Reisefertige Spielleute riefen ihnen von allen Seiten Abschiedsgrüße zu, wollten wissen, warum sie noch nicht zum Aufbruch bereit waren. Alheit hätte sie gern mit einem kurzen Wort abgefertigt, aber Franz blieb immer wieder stehen und erzählte von Elbelins rätselhaftem Tod.

Endlich gelangten sie zum Hof des Herrn von Alzey. Doch der Torwächter ließ sie nicht ein. ťSein Besuch bei euch gestern Abend ist ihm nicht gut bekommen. Der Arzt ist bei ihm. Kommt am Nachmittag wieder.Ť

Alheit und Franz sahen einander an. Wie sollte es jetzt weitergehen?

ťDann gehen wir am besten doch in die JudengasseŤ, schlug Alheit vor.

Franz schüttelte den Kopf. ťEs werden Leute kommen, die ihn sehen wollen. Solange Gottfrid in der Stadt herumläuft

Ť

ťDu musstest es ja auch jedem erzählenŤ, murrte Alheit. ťAber du hast recht, wir sollten das nicht alles Burkhard und den Franziskanern überlassen.Ť War das ein misstrauischer Blick von Franz? Alheit ging darüber hinweg. ťTrotzdem müssen wir Gottfrid daran hindern, Unfrieden zu stiften.Ť

ťNimm Baldwin mitŤ, riet Franz.

Alheit nickte. Der fahrende Schüler hatte nicht nur eine Respekt einflößende Gestalt, sondern wusste auch seinen Pilgerstab geschickt einzusetzen, wenn es zum Handgemenge kam. ťWenn ich ihn dieses Beginenhaus finde

Ť

Sie brauchte nicht so weit zu gehen. Dort, wo sie von der Kämmerergasse abbiegen mussten zum Wilden Mann, kam ihnen Baldwin entgegen, etwas zerrupft und mit einer verweinten Else am Arm.

ťWas ist geschehen?Ť, fragte Alheit.

ťDie Schwestern im Konvent haben Else den Ausflug gestern Abend sehr übel genommenŤ, erklärte Baldwin.

ťO weheŤ, klagte Alheit. ťAber geh mit Franz in den Wilden Mann, Kind. Uns wird etwas einfallen, wie wir dir weiterhelfen. – Und du kommst mit mir, Baldwin.Ť Sie erzählte, was sie vorhatte.

Nachdenklich schüttelte der Priester den Kopf. ťDa werden wir nicht viel ausrichten, wo es auf Ostern zugeht. Aber versuchen müssen wir es.Ť Die beiden machten sich auf den Weg.

 

Gottfrid eilte von einem Stadttor zum nächsten, durch die Straßen, die von allerlei Volk wimmelten. Jeder schien ihm etwas verkaufen zu wollen, eine Auskunft von ihm zu erwarten oder ihn zumindest zur Buße aufzufordern. Unwirsch drängte er sich an allen vorbei, um endlich die Torwächter nach dem Juden Israel zu befragen. Doch keiner wollte ihn gesehen haben.

Erst an der Martinspforte, im nordwestlichen Zipfel der Stadt, schlug der Wächter vor: ťGeh doch grad da hinein in die Schule, da hocken sie und singen.Ť Er deutete in die Judengasse.

Gottfrid trug keine Waffen außer seinem Messer. Einen Augenblick zögerte er. Doch dann schritt er entschlossen in die schmale Gasse hinein.

Hier war sehr viel weniger Leben als im christlichen Teil der Stadt. Er traf niemanden, den er hätte fragen können. Ziellos ging er eine Weile auf und ab und versuchte herauszufinden, ob ihm die Schilder an den Häusern bei der Suche weiterhelfen könnten – ein Stern, ein weißes Pferd, ein Affe

aber kein Spielmann, kein Instrument, nichts, was er mit Israel in Verbindung gebracht hätte. Ja, der Kerl hatte gestern Abend wohl erwähnt, bei wem er wohnte. Aber wer achtete schon auf Judennamen?

Da endlich erblickte Gottfrid einen jungen Mann, den er seinem Gesicht nach für einen Juden hielt. Ähnelte er nicht sogar dem Gesuchten? Oder begann Gottfrid zu sehen, was er sehen wollte?

ťIch suche Israel ben AbrahamŤ, begann er.

ťSchalomŤ, sagte der andere. ťDu bist der, den sie Gottfrid nennen, nicht wahr?Ť

Er lächelte auf eine Art, die Gottfrid einen Schauer über den Rücken jagte. Dennoch antwortete er: ťJa.Ť

Das Lächeln wurde noch breiter und gemeiner. ťDann warte nur ein Weilchen, er wird auch zu dir kommen. Der Herr schlägt die Feinde Israels mit seiner Rechten.Ť

Gottfrid stutzte. Den gleichen Vers hatte ein Bußprediger seinen christlichen Zuhörern zu bedenken gegeben. Aber er wollte mit dem Juden keinen Disput über das Wort Gottes beginnen. ťWo ist er?Ť

ťSuch ihnŤ, erwiderte der Mann. ťDas Judenviertel ist nicht groß. Hier wohnen gerade einmal tausend Menschen.Ť

Das war viel weniger, als die christliche Gemeinde aufbrachte. Dennoch war die Suche eine Herausforderung. Schon die Nachfrage an allen Stadttoren hatte viel Zeit gekostet. Gottfrid verfluchte im Stillen die anderen Spielleute, die ihn allein herumirren ließen. Als er seinen Gesprächspartner noch einmal nach Israels Aufenthalt fragen wollte, war er verschwunden.

ťEr hat viele Freunde hierŤ, erklang seine Stimme hoch über Gottfrid.

Er schaute erschrocken auf. Die schmalen Fachwerkhäuser erschienen ihm wie Riesen, die hungrig auf ihn herabblickten. Ohne auf die Richtung zu achten, bog er in die nächste Gasse ein. Gerade vor seinen Füßen ergoss sich der Inhalt eines Nachttopfs auf die Straße. Er wich aus und eilte weiter, bis ein Mann im schwarzen Mantel und Schläfenlocken seinen Weg kreuzte, so knapp, dass Gottfrid nicht anders konnte, als ihn anzurempeln.

ťFlegel!Ť, rief eine Frau aus einem höher gelegenen Fenster.

ťWas hat er hier zu suchen, der Goi?Ť, fragte ein Mann.

Von irgendwo kam ein Stein geflogen. Oder war es nur ein fauler Apfel?

Gottfrid nahm sich nicht die Zeit nachzudenken, auch seinen scheinbar ruhigen Gang gab er auf. Er rannte kopflos davon.

Hinter ihm zischten Wurfgeschosse durch die Luft, Gelächter und Flüche erklangen.

Mehr durch Zufall erreichte Gottfrid wieder die Martinspforte. Auch der Wächter dort kehrte ihm ein finsteres Gesicht zu. ťWas ist denn da schon wieder los?Ť

Gottfrid blieb aufatmend stehen und sah ihn verständnislos an.

ťDen Juden darf nichts geschehenŤ, fuhr der Wächter fort und rieb die Finger aneinander. ťDie Domherren brauchen das Geld. Dafür müssen wir dann den Kopf hinhalten, gerade jetzt, wo es auf Ostern geht.Ť

ťGottesmörder.Ť Gottfrid spuckte aus.

Dann schlug er eilig den Weg zurück zum Wilden Mann ein. Doch wenn er sich unter Christen in Sicherheit gewähnt hatte, wurde er eines Besseren belehrt. Immer wieder flog etwas dicht an ihm vorbei, hörte er das Wort Goi.

Der Hof der Herberge lag still und leer. Nicht einmal Burkhard stand an der Küchentür, und selbst Klaus war nicht zu sehen. Das kam Gottfrid sehr gelegen.

Schnell raffte er zusammen, was von Elbelin und seinen Habseligkeiten noch herumlag. Nur hinaus aus der Stadt. Wenn er etwas übersah, mochte sich der Wirt daran freuen.

Gottfrid fluchte, da er weder Pferd noch Karren hatte und nun das Gepäck von zwei Männern tragen musste. Er verteilte es an seinem Körper und eilte, so schnell es der Verkehr erlaubte, zum nächsten Stadttor und hinaus zur Rheinfurt.

Bevor er zögernd den ersten Fuß ins Wasser setzte, glaubte Gottfrid noch einmal die Stimme zu hören: ›Er wird dich finden, wo du auch bist.‹

Auf dem Weg ins Judenviertel berichtete Alheit Baldwin ausführlicher, was sich zugetragen hatte. Das brachte auch gleich etwas Ordnung in ihre Gedanken.

Die Frage blieb: Wie konnte ein junger Mensch so plötzlich sterben, ohne dass eine Krankheit oder Wunde an ihm zu entdecken war? Wer konnte die verborgenen Zeichen sicher erkennen, die Gottes oder des Teufels Werk belegten und das eines Menschen ausschlossen? Vielleicht Robert, der schon auf dem Weg nach Frankfurt war. Vielleicht der Wilhelmiten-Pater, der Franz das Mittel für seine Hand gegeben hatte.

Baldwin unterbrach sie: ťHast du mit einem der Franziskaner darüber gesprochen?Ť

Alheit schüttelte den Kopf.

ťDann werde ich das tun. Hast du Anzeichen für Teufelswerk gesehen?Ť

Sie erzählte von der dunkel verhüllten Gestalt mit dem Totenschädel. Hatte sie wirklich jemanden neben Elbelins Lager kauern sehen, in der letzten Nacht, als er noch lebte? Jemanden mit grün funkelndem Schmuck? Oder hatte ihr das merkwürdige Getränk des Engländers etwas vorgegaukelt?

ťGerade Tamas und Israel waren nicht gut auf Elbelin zu sprechen. Der Ungar kennt seltsame Bräuche, die vielleicht nicht mit den Lehren der Kirche übereinstimmen. Und was der Jude mit seinen Glaubensgenossen treibt, ist auch nicht geheuer.Ť

ťNun, christliche Kinder schlachten sie wohl nichtŤ, widersprach Baldwin.

ťAber es geht nicht um ein Kind, sondern um einen Mann, der sie bei einem Begräbnis gestört hat.Ť

ťHm, das ist etwas anderes.Ť Nach einer Pause fuhr er fort: ťFällt dir noch jemand ein? Auch gute Christen können auf diesen Irrweg verführt werden.Ť

Alheit dachte sogleich an Werner, den der Neid zerfraß auf das Geschick und das Glück der beiden Jungen. Doch sie schüttelte den Kopf, ehe sie den Namen ausgesprochen hatte. Werner konnte keinen Geist beschwören. Das war keine kleine Gemeinheit wie eine Schalmei stehlen oder böse Gerüchte verbreiten, sondern eine Untat, die Mut und Können erforderte. Beides war bei Werner nicht vorhanden.

ťOder weißt du von einem Toten, dem Elbelin noch etwas schuldig war?Ť

ťHöchstens der Jude, den sie am Freitag beerdigt habenŤ, mutmaßte Alheit, aber das glaubte sie selbst nicht.

Franz bugsierte Else behutsam die Treppe zu ihrer Schlafkammer hinauf, die nun recht verlassen wirkte. Nur sein eigenes Lager und das von Alheit waren noch vorhanden. Schniefend sank Else ins Stroh. Franz vergewisserte sich, dass sie seine Hilfe nicht brauchte, und nahm die Laute wieder aus ihrer Hülle. Er setzte sich mit untergeschlagenen Beinen an den Kamin und begann zu stimmen. Er sang das Abschiedslied, das sie als Letztes von Meister Wolfram gelernt hatten. Dann spielte er all das, was sie in den vergangenen Wochen geübt hatten, und ließ Elbelin im Geiste mitspielen.

Wie lange würde Burkhard sie in seinem Haus dulden? Er wusste, dass die Franziskaner Elbelin am Samstag ein christliches Begräbnis bereiten würden und für sein Seelenheil beteten. Bis dahin würde der Wirt Alheit und ihn wohl gewähren lassen, auch wenn er vorhin recht ungnädig dreingeschaut hatte, als Franz und Else den Hof betraten.

Und was war mit Gottfrid? Die Decken und Instrumente der beiden Jungen waren verschwunden. Diebe hatten sie wohl nicht mitgenommen. Also war Gottfrid hier gewesen und Hals über Kopf abgereist. Aus Angst vor den Juden? Er hatte Elbelins Instrumente mitgenommen, auch den neuen Dudelsack. Mit welchem Recht? Elbelin hatte bestimmt, dass Alheit die Sackpfeife bekommen sollte, wenn er sie nicht mehr brauchte. Das mochte ein Scherz gewesen sein, aber es hätte nicht völlig vergessen werden sollen.

Und konnte er wirklich seinen Freund hier liegenlassen und ungerührt nach Frankfurt ziehen, sich einen neuen Dienst suchen? Vielleicht, wenn Katherine auf demselben Weg war. Oder wollte er seinen früheren Herrn aufsuchen und um Hilfe bitten?

Franz seufzte. Eigentlich wollte auch er neue Gesellen finden, einen hohen Herrn, für den sie auf Reisen gehen konnten. Dennoch blieben Alheit und er, um den jungen Mann, den sie kaum zwei Wochen kannten, auf seinem letzten Weg zu begleiten.

Und um herauszufinden, woran er gestorben war. Da war Franz sicher. Die Gestalt im dunklen, pelzbesetzten Mantel schob sich in seine Gedanken. Stammte von diesem Umhang das Fädchen, das Alheit aus dem Stroh gepflückt hatte? Oder hatte er einen Geist gesehen, wie Alheit vermutete?

Die Tür flog auf und Lene kam herein. Mitten im Schwung blieb sie stehen: ťWo sind denn alle hin?Ť

ťAbgereist nach FrankfurtŤ, erwiderte Franz und unterbrach sein Lautenspiel. ťWarum bist du noch hier?Ť

ťDarum.Ť Lene machte sich am Stroh zu schaffen, wo ihr und Tamas’ Lager gewesen war. ťDer Ungar hat mal wieder die Hälfte liegenlassen.Ť Sie schloss eine Hand zur Faust und steckte etwas in ihre Gürteltasche. Als sie sich wieder erhob, entdeckte sie Else. ťUnd wer ist dieses Weibsstück?Ť

Franz gab ihr Auskunft. Else schien nichts zu hören.

ťNa, dann wünsche ich noch viel Vergnügen mit ihr.Ť Damit verließ Lene den Raum wieder.

Franz sah ihr nachdenklich hinterher. War nicht ihr neuer Gürtel mit emaillierter Bronze beschlagen? Mit kleinen grünen Blättern? Und die dünne Decke auf ihrem Lager war aus schwarzer Wolle gewesen.

Er schlug lauter in die Saiten.

Lene war noch nicht lange gegangen, da rief jemand von draußen: ťDa ist noch einer! Packt ihn!Ť

Franz legte die Laute beiseite und ging den Besuchern entgegen. ťNur langsamŤ, sagte er. ťWas ist denn los?Ť

Auf der kleinen Plattform vor der Tür drängten sich vier Bewaffnete, die das Wappen der Stadt Worms trugen.

ťKomm mitŤ, befahl der, der am weitesten hinten stand, also wohl der Anführer.

ťWarum? Wohin?Ť Franz rührte sich nicht.

ťKomm einfach.Ť

Die zwei, die der Tür am nächsten standen, zerrten ihn nach draußen und stießen ihn die Treppe hinunter. Franz konnte sich gerade noch auf den Beinen halten.

ťDa liegt bloß noch ein Weibsmensch, sonst ist keiner mehr daŤ, meldete oben der Dritte.

ťWorauf wartest du? Schaff sie runterŤ, antwortete der Hauptmann. ťUnd dann vorwärts.Ť

Die zwei ersten hatten Franz schon wieder gepackt und fesselten ihm die Hände.

Burkhard stand stirnrunzelnd im Eingang zur Gaststube und sah zu, wie auch Else die Treppe hinuntergestoßen wurde.

ťSiehst du, Wirt, wir haben doch noch zwei gefunden.Ť Der Hauptmann trat zu ihm. ťUnd jetzt sag noch mal, du weißt nicht, wo die anderen sind.Ť

 

Platzmeister Friedrich zum Rad hatte in den Gassen rund um den Marktplatz reichlich zu tun. Diejenigen Händler, die nur wegen der Spielmannsschule in die Stadt gekommen waren, schlugen ihre Buden ab. Dabei störten sie oft ihre Nachbarn, die noch bleiben wollten, oder richteten gar Schaden an. Ständig gab es irgendwo einen Streit zu schlichten. Doch dann sah er in einiger Entfernung eine Frau im grünen Kleid vorüberhuschen – Lene.

Er behielt sie eine Weile im Auge und bemerkte, dass sie immer engere Kreise um ihn zog. Es wurde ihm schwer, seinem Gegenüber noch so aufmerksam zuzuhören, dass er am Ende die passende Antwort geben und eine ausreichende Gebühr erheben konnte. Endlich gab der Mann zu, mehr eingenommen zu haben, als er Meister Friedrich auf seine erste Frage geantwortet hatte. Mit einem schweren Seufzer trennte er sich von seinen Hellern, und Friedrich konnte zum nächsten fluchenden Händler weiterziehen. Aber erst musste er nach Lene sehen.

In einem Winkel an der Außenmauer des Doms wartete sie auf ihn. Meister Friedrich schaute sie dankbar an. Gut, dass sie noch hier war. Es würde ihr wohl noch einige Tage gelingen, sich vor allzu eifrigen Wächtern zu verbergen und ihm Wissenswertes über allerlei Leute zuzutragen, von denen er sonst nichts erfahren würde.

ťVielen Dank für deine Hinweise, LeneŤ, sagte er laut. ťDer Erzbischof wird uns dankbar sein, wenn wir den Mörder seines Mannes überführen. Ist der Pfeifer schon begraben?Ť

ťNeinŤ, erwiderte Lene. ťAber die Franziskaner haben sich seiner angenommen

Ť

ťIch werde gleich hinschickenŤ, meinte der Platzmeister, ťdamit wir den Mörder an die Bahre seines Opfers führen können.Ť

ťHast du ihn denn?Ť

ťBertel ist unterwegs, das ganze Pack zu holen.Ť

ťDa kommt er wohl zu spätŤ, entgegnete Lene. ťNicht nur der Ungar ist schon nach Frankfurt gezogen.Ť

ťDas schadet nicht, wir werden sie noch auf wormsischem Land abfangen. Die Ritter in städtischen Diensten

Ť

Lene hob warnend die Hand. ťDieser Heinrich von Alzey hat da merkwürdige Vorlieben.Ť

Der Platzmeister sah missgelaunt auf. ťDas habe ich schon bemerkt. Sagtest du nicht auch, er will für das Begräbnis des Fahrenden und die Totenmesse bezahlen?Ť

Lene nickte. ťNur deshalb haben ihn die Franziskaner aufgenommen.Ť

ťIch werde mit dem Guardian sprechenŤ, beschloss der Platzmeister. ťEr wird nicht erfreut sein, aber wenn der Erzbischof dahintersteht

Ť

ťDu wirst das schon richtig in die Wege leiten.Ť Lene hauchte dem Platzmeister einen Kuss auf die Wange und verließ die Nische wieder.

Meister Friedrich kehrte zum Markt zurück. Doch er brauchte nicht lange zu verhandeln. Ein junger Handwerksknecht brachte ihm die Nachricht, dass Bertel und seine Männer mit zwei Gefangenen im Stadthaus eingetroffen seien, mit einem Mann und einem Mädchen. Der Platzmeister beeilte sich, wieder in seine Schreibstube zu kommen und das Gefeilsche hinter sich zu lassen.

Als er Bertels Gefangene vor sich sah, wuchs sein Unmut schnell wieder. Er konnte sich kaum an die beiden erinnern. Das waren mit Sicherheit die Falschen. ťWo sind die anderen?Ť, fragte er ungehalten.

ťEs waren sonst keine daŤ, erwiderte Bertel, ťnur die zwei.Ť

Seufzend wandte sich der Platzmeister an den Spielmann. ťDann sag du es uns!Ť

Der blickte sich unsicher um. ťWen meint Ihr, Herr?Ť

ťWas alles noch bei Burkhard gehaust hat. Als euer Bär los war, hat doch bald ein Dutzend von euch das große Wort geführt.Ť

Der Gefangene druckste eine Weile herum. ťSie sind abgereist, Herr.Ť

ťRede weiter, Kerl. Wohin? Und wie nennen sie sich alle?Ť

ťDie meisten wohl nach Frankfurt, aber genau weiß ich es nicht von allenŤ, wehrte der Spielmann ab.

ťDann fangen wir doch mit dir an.Ť Erwartungsvoll sah der Platzmeister ihm ins Gesicht.

Er nannte seinen Namen. Franz Wohlgesang. Großsprecherisch wie alle Spielleute. Das Mädchen war eine Schmieds Else aus dem Odenwald. Nicht weiter von Bedeutung, nicht einmal besonders hübsch.

ťIn wessen Dienst steht ihr?Ť

Franz schüttelte den Kopf.

ťAber jemand hat doch für dich hier bezahlt.Ť

ťHerr Heinrich von Alzey.Ť

ťMit seiner merkwürdigen Vorliebe für Fahrende. Weiter.Ť

Franz zählte auf. Robert Piper, unterwegs nach Frankfurt. Tamas der Ungar ohne seinen Bären. Zog er nun zurück in seine Heimat oder nicht? Nun, das würde Lene wissen. Meister Wolfram Lautenschläger schien etwas Besseres zu sein, denn er besaß ein Pferd, wusste aber noch nicht, wohin er von Frankfurt aus reiten sollte. Gottfrid dagegen war offenbar recht sicher, dass er nach Geldern ziehen würde, wenn auch nun allein.

ťFehlt da nicht noch einer?Ť, fragte der Platzmeister. Den hatte er schließlich zusätzlich beobachten lassen.

ťIsrael ben AbrahamŤ, antwortete Franz ganz richtig. ťAber über ihn kann Euch wohl besser seine hiesige Verwandtschaft Auskunft geben.Ť

Baruch ben Jakob würde der Platzmeister noch gesondert vorladen. Es wurde Zeit, zum Kern der Sache zu kommen. ťUnd? Noch einer?Ť

Franz tat, als müsse er überlegen. Erst nach einer Weile kam er auf die Antwort: ťAber Elbelin ist tot, Herr.Ť

ťSo ist es. Weißt du auch, warum?Ť

Wieder druckst der Mann herum. ťGottes Wille

Ť

ťIch glaube eher, es war eines Menschen WilleŤ, unterbrach ihn der Platzmeister, ťvielleicht der deine?Ť

Franz blieb der Mund offen stehen. ťAber warum sollte ich so etwas tun?Ť

ťDas wollte ich von dir hören. Hast du bei deiner Aufzählung nicht noch ein paar vergessen?Ť

Da hatte der Platzmeister wohl das Richtige getroffen. Der Kerl sah nicht nur dumm, sondern auch schuldbewusst drein. Dann nannte er ein paar Frauennamen, die mit denen übereinstimmten, die der Platzmeister von Lene kannte. ťNehmen wir an, die du genannt hast, sind bei ihren Männern. Aber wo ist deine Frau?Ť

Franz zögerte schon wieder. ťSie wollte Israel den Juden aufsuchen.Ť

ťWarum?Ť

Offenbar fiel es dem Kerl immer schwerer, sich herauszuwinden. Er schluckte und redete dann drauflos. Vielleicht hatte er sich ja für die Wahrheit entschieden. ťGottfrid hatte ihn verfolgt, um seinen Freund zu rächen. Aber er ist nicht wiedergekommen.Ť

ťUnd deine Frau würde es allein mit der jüdischen Gemeinde aufnehmen?Ť

ťJa.Ť Diese Antwort kam ohne Zögern.

 

Alheit und Baldwin kehrten nachdenklich von ihrer Verfolgungsjagd zurück. Sie hatten weder Israel noch Gottfrid angetroffen. Im Judenviertel herrschte Ruhe, wenn die beiden auch mit merkwürdigen Blicken bedacht wurden und auf ihre Fragen keine Antwort erhielten. Im Haus mit der Sonne, bei Baruch ben Jakob, blieb ihnen die Tür verschlossen. Der Wächter an der Judenpforte riet ihnen, das Viertel so schnell wie möglich zu verlassen.

ťVor euch war schon mal einer da und hat Unruhe gestiftet.Ť

ťWeißt du, wo er hin ist?Ť

Der Wächter zuckte grinsend die Schultern. ťEilig hatte er es jedenfalls.Ť

Sie machten sich auf den Rückweg.

Im Hof der Herberge war alles still. Nur an der Küchentür stand die Magd, mit der Franz so gern schäkerte, und sah Alheit finster an. Oder schien ihr das nur so? Sie ging vor Baldwin die Treppe hinauf in ihr Quartier. Der Raum war leer. Franz’ Laute lag am Schlot auf dem Boden, die anderen Instrumente steckten in der Kiepe. Das Lager war zerwühlt, die Decken noch vorhanden.

ťDas sieht nicht gut aus.Ť

Baldwin sprach aus, was Alheit dachte. Sie lief schon wieder die Treppe hinab und auf die Küchenmagd zu.

ťWo ist mein Mann?Ť, fragte sie heftiger als nötig.

ťDie Städtischen haben ihn eingestecktŤ, antwortete die Frau schnippisch. ťMehr weiß ich nicht.Ť

ťAber warum?Ť, rief Alheit hinter ihr her, denn sie zog sich eilig in die Küche zurück.

Alheit lief den Hof ab und rief nach Burkhard. Der konnte ihr sicher Genaueres sagen.

Seine Antwort erklang hinter dem Nebengebäude, in dem die Spielleute genächtigt hatten.

Alheit sah hinauf zum Schornstein, und tatsächlich glaubte sie, dort einen Arm in einem grauen Ärmel zu entdecken. Er bewegte sich, ein Kopf erschien.

ťWas ist los, Klaus?Ť, rief Alheit hinauf.

ťDie Ritter waren wieder da.Ť

ťJetzt sind sie weg.Ť

ťSie haben das schöne Mädchen mitgenommen.Ť

ťElse?Ť Alheit schrak auf.

ťWie kommt er auf das Dach?Ť, fragte Baldwin.

Alheit zuckte die Schultern. ťEr hat einen Freund, einen roten Kater, der zeigt ihm den Weg.Ť

Baldwin sah sie an, als zweifle er an ihrem Verstand.

ťKomm wieder herunter, KlausŤ, bat sie. ťIch schenke dir auch meine Flöte.Ť Roberts abfällige Bemerkungen über ihr Instrument klangen ihr noch in den Ohren.

ťWirklich?Ť Einfältig mochte Klaus sein, aber er wusste, was von solchen Versprechungen zu halten war.

ťBei meiner Ehre als SpielweibŤ, erwiderte Alheit ernst.

Der Kopf verschwand vom Schornstein, dann der Arm. Auf der anderen Seite fiel etwas klappernd zu Boden. Zornige Stimmen erklangen, darunter die von Burkhard.

Kurz darauf zog der Wirt den heulenden Jungen hinter sich her in den Hof und schob ihn ohne ein weiteres Wort in die Küche. Dann kam er zu Alheit und Baldwin.

ťVor gut einer Stunde waren drei Leute des Platzmeisters hierŤ, begann er. ťJemand hätte einen Mann des Erzbischofs von Trier umgebracht, und sie sollten den Mörder fangen.Ť

ťUmgebracht?Ť, wiederholte Baldwin misstrauisch.

Burkhard beachtete ihn nicht. ťIch wollte gleich zu Herrn Heinrich, aber da rief der Nachbar, dass der vermaledeite Bub wieder auf dem Dach sitzt, und dann wird mir die Lisbeth narrisch.Ť Er wandte sich an Alheit: ťWie hast du ihn denn dazu gebracht, wieder runterzukommen?Ť

ťIch habe ihm meine Flöte versprochen.Ť Ohne auf Burkhards beginnenden Widerspruch zu achten, fragte sie: ťWie weiß der Platzmeister so schnell, dass Elbelin nicht nur tot ist, sondern auch ermordet wurde?Ť

ťWeiß der Teufel.Ť Burkhard schaute sie nicht an. ťEs war von Zauberei die Rede.Ť

ťHeilige Kümmernis!Ť

Baldwin sog nur hörbar die Luft ein.

Alheit hatte sich gleich wieder gefangen. ťEs ist doch jetzt nach Mittag, oder? Dann lass uns zu Herrn Heinrich gehen.Ť

 

Auch diesmal war es nicht leicht, vorgelassen zu werden. Alheit fiel es schwer, das Reden Baldwin zu überlassen. Selbst der Priester hatte keinen Erfolg. Der Torwächter berief sich noch immer auf die Krankheit seines Herrn. Erst als der Knappe Ewald erschien, der Herrn Heinrich in den Wilden Mann begleitet hatte, und die beiden erkannte, durften sie den Hof betreten.

Heinrich von Alzey empfing seine Besucher in einer finsteren, engen Stube, gegen die sich Burkhards Schankraum großzügig ausnahm. Er saß neben dem Kamin, in dem ein Feuer brannte, die Laute auf dem Schoß. Sein Gesicht war blass, neben ihm stand ein Becher mit einem dampfenden Getränk. ťGott grüße euch. Seid ihr schon auf dem Weg nach Frankfurt?Ť

Alheit schüttelte den Kopf. ťDer Platzmeister hat Franz verhaftet, wegen Zauberei.Ť

ťHeilige Muttergottes, warum das?Ť

So ruhig sie konnten, brachten Alheit und Baldwin die Geschichte vom vergangenen Abend an vor.

ťGott sei seiner Seele gnädig.Ť Der Ritter bekreuzigte sich, als sie bei Elbelins Tod angekommen waren. ťUnd ihr wisst nicht, woran er gestorben ist?Ť

ťVielleicht an einem GiftŤ, erwiderte Alheit. Ärger keimte in ihr auf, weil sie es nicht wagte, von dem Geist zu sprechen.

ťDas ist nicht viel besser als ZaubereiŤ, wandte Herr Heinrich ein.

ťGottfrid verdächtigt den Juden IsraelŤ, fuhr Alheit fort und berichtete von dessen Aufbruch ins Judenviertel.

ťDie Juden geben sich mit vielem ab, was Christen ein Gräuel ist. Aber diesen hat man mir ausdrücklich empfohlen.Ť Herr Heinrich brach ab, als hätte er zu viel gesagt.

ťWer hat ihn empfohlen?Ť, fragte Alheit scharf, ehe sie sich besinnen konnte, mit wem sie sprach.

Doch der Ritter ging darüber hinweg. ťBaruch ben Jakob und der Judenbischof selbst.Ť Er kniff die Augen zusammen. ťIch frage mich, ob sie nicht

Zwei Spielleute sollen vor Kurzem das Begräbnis einer Jüdin gestört haben?Ť

Alheit nickte grimmig. ťDas waren Elbelin und Gottfrid.Ť

Herr Heinrich wiegte den Kopf. ťDie Juden haben einen in ihrer Mitte, der mit allerlei Tränken und Kräutern handelt, einen Joseph. Der kann leicht etwas gebraut haben.Ť

ťIst er auch als Geisterbeschwörer bekannt?Ť, fragte Baldwin, den Kopf schief gelegt.

ťNicht mehr als andere seiner Sippschaft.Ť

ťDann gehen wir doch zu ihm.Ť Alheit wollte auf und davon.

Doch Herr Heinrich hob beruhigend die Hand. ťDas wird Franz vorerst nicht viel helfen.Ť Nachdenklich legte er die Hand ans Kinn. ťIch werde mit Doktor Martin zum Platzmeister gehen und sehen, ob er Franz nicht gegen ein Pfand freilässt. Wenn nicht, will ich wenigstens genau erfahren, wessen man ihn anklagt und warum.Ť

ťUnd Else!Ť, mahnte Alheit.

ťWer ist Else?Ť, fragte der Ritter.

Sie erinnerte ihn an den vergangenen Abend.

ťAch, die. War sie nicht im Gudelmannkonvent im Dienst?Ť

ťMan hat sie hinausgeworfen, als sie spät in der Nacht mit zwei Männern am Arm zurückkehrteŤ, antwortete Baldwin. Leiser fügte er hinzu: ťMich übrigens auch.Ť

ťOh, ach ja. Vielleicht kann ich für dich im Paulusstift etwas erreichen.Ť Herr Heinrich legte die Laute beiseite. ťAber nun geht in die Küche und lasst euch Brot und Wein geben. Ich werde mich mit Doktor Martin beraten.Ť Sein Unwohlsein schien vergessen.

Schweren Herzens entschloss sich Alheit, ihm und seinem Ratgeber zu vertrauen, und folgte Baldwin zur Küche.

Bei Brot und Wein, in der Wärme, wollten ihr die Augen zufallen, doch Baldwin hielt sie wach. ťWer ist dieser Doktor Martin?Ť

ťWohl der Rechtsgelehrte, der Herrn Heinrich zur Seite steht.Ť

Baldwin nickte. ťDen werden wir brauchen. Dennoch müssen wir den wahren Mörder finden.Ť

 

ťIch kenne hier zu wenige LeuteŤ, bedauerte Baldwin auf dem Weg zurück zum Wilden Mann. ťEs ist gefährlich, einfach jemanden zu fragen, ob er sich mit Geisterbeschwörungen auskennt.Ť

ťDann lass uns der Sache mit dem Gift nachgehenŤ, schlug Alheit vor. ťHerr Heinrich und sein Doktor können sicher besser nach einem Zauberer suchen als wir.Ť Sie ging zielstrebig an der Abzweigung zum Wilden Mann vorbei, weiter der Neuen Pforte zu.

ťNein, warte.Ť Baldwin fasste nach ihrem Ärmel. ťDas Spital liegt doch vor der Stadt?Ť

ťJa.Ť Alheit wusste nicht, worauf er hinauswollte.

ťWenn der Platzmeister nach dir sucht

Ť

Sie schrak zusammen und sah sich um. Wenn auch keine Waffenknechte in der Nähe waren – der Bucklige, Lene –, wen mochte der Platzmeister noch bezahlen? Wo konnte sie sich verstecken? Verstecken und dennoch den wahren Mörder suchen?

ťNicht zu BurkhardŤ, murmelte sie. Dann hob sie den Kopf. ťIn die Kirche. Zu St. Lampertus.Ť

ťDie Pfarrkirche bei St. Martin.Ť Baldwin ging ein Licht auf. ťGuter Gedanke. Ich lasse es Herrn Heinrich wissen.Ť

Sie verabschiedeten sich mit einem Händedruck.

Baldwin folgte der Kämmerergasse nach Süden, zur Neuen Pforte hinaus. Er verließ sich darauf, dass er in der Stadt noch unbekannt war und niemand ihn mit dem Toten in Verbindung brachte. Nachdem er das Tor ungehindert passiert hatte, wies ihm ein Türmchen, das kaum die Stadtmauer überragte, den Weg zum Heilig-Geist-Spital. Der ältere Bruder an der Pforte wies ihn gleich zu Bruder Benedikt. Dieser zerrieb in seiner engen, mit allerlei Gerät und Gefäßen angefüllten Werkstatt ein scharf riechendes Kraut und sprach dabei ein Ave Maria ums andere. Erst nach dem dritten Amen schaute er auf und fragte Baldwin nach seinem Begehr.

Dieser schilderte ihm die Notlage seines Freundes, während der Wilhelmit das Kräuterpulver in einen Topf gab, der auf einem kleinen Kohlebecken brodelte.

ťAber das Zeug kann man doch nicht trinken!Ť, rief Bruder Benedikt empört. ťDas habe ich deinem Genossen auch gesagt.Ť

Baldwin nickte. ťIch weiß.Ť Dann berichtete er die Ereignisse der vergangenen Nacht, wie er sie von Alheit gehört hatte.

Das Gesicht des weißen Mönchs wurde immer finsterer. Als Baldwin smit den Worten schloss: ťGenau weiß ich es natürlich nicht, aber das ist mein VerdachtŤ, erwiderte er heftig: ťDa ist dein Genosse aber unvorsichtig gewesen, dass er sich die Flasche hat stehlen lassen.Ť Er holte tief Atem und fuhr dann ruhiger fort: ťEs heißt, dass man von diesen gebrannten Wässern blind werden und sogar sterben kann. Deshalb warne ich alle, die sie von mir bekommen. Ein paar haben wohl doch schon davon getrunken, denn sie sagen, das Zeug schmecke scheußlich. Daran liegt es vielleicht, dass bei meinen Kranken noch nichts Schlimmes vorgefallen ist. Nicht wie bei so manchen Apothekern, die ich nennen könnte.Ť

ťEs sind schon Menschen an diesen Elixieren gestorben?Ť, fragte Baldwin. ťDas muss nichts mit Zauberei oder Geisterbeschwörung zu tun haben?Ť

ťGeisterbeschwörung?Ť, erwiderte der Mönch. ťNun ja, man sagt, beim Destillieren wird der Geist des Krauts freigesetzt

Ť

Baldwin horchte auf. ťIst das dann der Holzgeist?Ť

ťSo nennt man minderwertiges Zeug, wie es hierzulande meist gebrannt wird. Für Einreibungen kann man es tatsächlich verwenden, aber ich tue das nicht mehr, auch wenn es billiger ist. Zu viele unverständige Hohlköpfe trinken es dann doch

Ť Kopfschüttelnd brach der Bruder ab.

ťAber andere Apotheker tun es trotzdem?Ť

ťWie?Ť Bruder Benedikt fuhr aus seinen Gedanken auf. ťOh ja, der Kettenapotheker zum Beispiel. Und was der Jude Joseph in seinem Haus da an der Synagoge treibt, weiß sowieso niemand.Ť

Diesen Namen hatte auch Herr Heinrich genannt. ťEin Jude, der sich auf Kräutergeister versteht

Ť Baldwin brach ab.

ťJaŤ, bestätigte Bruder Benedikt, ťer ist noch gar nicht lange aus Toledo hierher gezogen. Dort brennen sie schon länger Kräutergeist.Ť

Hieß es nicht, dieser Spielmann Israel sei aus Spanien gekommen? Dennoch fragte Baldwin: ťUnd der andere, den du genannt hast?Ť

ťDer Kettenapotheker?Ť Bruder Benedikt zuckte die Achseln. ťDer ist mit einigen Familien im Rat gut befreundet, sonst dürfte er gar nicht mehr verkaufen.Ť

ťWo kann ich ihn finden?Ť, erkundigte sich Baldwin.

ťOh, gleich am Dom, auf der Nordseite.Ť

Baldwin überlegte, ob er einen weiteren Besuch im Judenviertel wagen sollte. Doch die Stimmung war ihm am Vormittag sehr gespannt erschienen. Vielleicht war es besser, würde er mehr erfahren, wenn er einige Zeit verstreichen ließ. So beschloss er, den Apotheker am Dom zu besuchen.

Er bedankte sich bei Bruder Benedikt für die Auskunft und machte sich auf den Weg zurück in die Stadt. Die Torwächter schienen ihn nicht einmal zu bemerken. Er hatte den Dom und die achteckige Johanniskapelle schon halb umrundet, als er auf das Haus zur Kette stieß. Von außen erschien es recht geräumig und in gutem Zustand. Kein Wunder, wenn der Eigentümer auf so gutem Fuß mit dem Rat stand.

Der kleine, dicke Mann, der drinnen am Feuer saß, wirkte mit seinem schwarzen Käppchen, den dunklen Locken und der vorspringenden Nase fast so jüdisch, wie sein noch unbekannter Konkurrent aussehen musste. Er rührte in einem Kupferkessel, der am Rand der Glut stand. Baldwin fragte sich, was er darin zubereiten mochte, ob der leicht muffige Geruch nach Pfeffer und anderen von weither eingekauften Gewürzen zu diesem Gebräu gehörte.

ťEinen Augenblick, ich komme sofort,Ť murmelte der Mann und sah Baldwin mit zusammengekniffenen Augen an. Er rührte noch einige Male, dann schob er den Kessel ein wenig weiter an den Rand der Feuerstelle und erhob sich mühsam von seinem Schemel. Dabei wischte er sich die Hände an seinem Lederschurz ab. ťWas kann ich für dich tun?Ť Er starrte Baldwin angestrengt an, als könnte er ihn nicht richtig erkennen. ťPaterŤ, fügte er schließlich hinzu.

ťGott grüße dich, MeisterŤ, sagte Baldwin. ťIch habe nur eine Frage an dich. Hat in den vergangenen drei, vier Wochen ein Spielmann bei dir Kräutergeist zum Einreiben gekauft?Ť

ťEin Spielmann?Ť, fragte der Apotheker dagegen und schloss die Augen. Er zählte an seinen Fingern ab und murmelte Kräuternamen vor sich hin. ťGichtkraut. Ja, da war einer mit einer schönen Stimme. Ein Sänger des Erzbischofs von Trier.Ť

Baldwin zuckte zusammen. ťWie sah er aus?Ť, unterbrach er den Apotheker. ťBlonde Locken? Cotte und Beinlinge gelb und grün?Ť

Irritiert schüttelte der Kettenapotheker den Kopf. ťNein, ich glaube, das Gewand war eher rot, aber helles Haar hatte er. Eine tiefe, kräftige Stimme. Konnte nicht gleich bezahlen, dann kam er wieder und wollte noch viel mehr haben.Ť Der Apotheker schüttelte den Kopf. ťDas war doch derselbe, oder?Ť, fragte er sich. ťNein, halt, der Erste kam von irgendeinem Grafen. Aber die Stimme

es waren so viele Spielleute in der Stadt, auch bei mir. Lavendel wollten sie haben, gegen Ungeziefer, Liebestränke

Ť Er brach ab. ťAber warum willst du das wissen?Ť

Baldwin ging nicht darauf ein. ťWie groß war er? So wie du?Ť

ťMag sein, oder größer.Ť Der Apotheker hob hilflos die Schultern. ťAber jetzt sag, was geschehen ist.Ť

ťEr wollte das Zeug als Liebestrank verkaufen

Ť

ťOh nein, oh nein, nicht trinken!Ť

ťSiehst du wohl, ich hab’s doch gleich gesagt. Den Kerl werde ich mir vorknöpfen. Danke für die Auskunft!Ť

 

Alheit eilte mit gesenktem Kopf und dicht an den Hauswänden entlang dem Martinsstift und seiner Pfarrkirche zu. Es passte ihr nicht. Sie wollte zu Israel und seinen Glaubensgenossen, Fragen stellen und Antworten erhalten. Was hatte er gesagt, wohin er gehen wollte?

Wohl eher bleiben, als Handelsknecht und vielleicht auch Schwiegersohn bei Baruch ben Jakob. Diese Pläne konnten mit Elbelins Tod nichts zu tun haben. Wenn Israel der Mörder war, dann nur aus Rache. Die Guiterne neben dem Schinken, der Auftritt beim Leichenzug – genügte das, um tödlichen Hass hervorzubringen? Wen hatte man da zu Grabe getragen?

An der Kirchentür schaute sich Alheit noch einmal um, ob ihr keiner gefolgt war. Zumindest bemerkte sie niemanden und trat ein. Vor dem Altar der heiligen Cäcilia, die immerhin als Beschützerin der Spielleute galt, ließ sie sich nieder.

Alheit schloss die Augen und überlegte, wie sie sich die Heilige gewogen machen konnte. In den Geschichten war immer davon die Rede, Spielleute hätten die Muttergottes oder andere Heilige für sich eingenommen, indem sie für sie musizierten. Aber dabei wurden sogleich die Priester und anderen Gläubigen erwähnt, die gegen die Musik protestierten.

Zudem hatte sie kein Instrument bei sich. Nur die Flöte, die sie Klaus versprochen hatte. Schuldbewusst griff sie an ihren Gürtel, tastete weiter zu dem Beutel, in dem noch der Kanten Brot aus der Küche des Herrn von Alzey steckte.

Als sie ihn herausholte, hing etwas Dunkles daran. Im Kerzenlicht kniff Alheit die Augen zusammen. Der Wollfaden, den sie am Morgen neben Elbelins Kopf aus dem Stroh gezupft hatte.

Wer einen Mantel trug, war kein Geist, sondern ein lebendiger Mensch.

Dankbar sah sie zu der Heiligen auf. Ein Mensch würde leichter zu finden sein als ein Geist. Sie musste nur noch ihre Gedanken neu ordnen.

Aber was hatte der Todesbote an Elbelins Lager gesucht? Alheit hatte keine Wunden an dem toten Körper entdeckt, auch keine gebrochenen Knochen. Er hatte dagelegen wie im Schlaf, nicht wie einer, der sich verzweifelt gewehrt hatte. Doch ein Gift? Dazu hätte der Mann im dunklen Mantel seinem Opfer nicht so nahe kommen müssen.

Baldwins Gang zum Spital war wohl vergeblich. Er würde dort nichts Neues erfahren. Aber wohin konnte Alheit sich wenden?

Zunächst musste sie das Fädchen sicher verstauen, bis sie es bei Tageslicht noch einmal betrachten konnte.

Eine Glocke läutete zur Non. Alheit blieb, wo sie war, und ließ sich für eine Weile von den Gesängen am Hochaltar ablenken. Doch es fiel ihr schwer, unter den Priestern und Chorknaben nicht Elbelin herauszuhören. War er nun wohl bei seinem Gevatter im Himmel, der das Geld des Erzbischofs für ihn verwahrt hatte?

Bis es gestohlen wurde aus dem Loch in einem angefaulten Balken. War etwa der Schwarze der Dieb gewesen? Hatte er in dem Versteck noch anderes wertvolles Gut gesucht?

Als ob sie dazugehörte, verließ Alheit mit den wenigen Gläubigen, die dem Stundengebet gefolgt waren, die Kirche und machte sich auf den Weg zu ihrer Herberge. Diesmal aufrecht und in der Mitte der Gasse. Sie musste niemanden auf sich aufmerksam machen, indem sie schlich wie eine Diebin.

 

Kaum hatte Alheit den Hof des Wilden Mannes betreten, schoss ihr Klaus entgegen. ťWo ist meine Flöte?Ť, schluchzte er. Sein Gesicht war rot und geschwollen, wohl nicht nur vom Weinen.

Sie löste das Instrument mit seinem Beutel vom Gürtel und gab es dem Jungen. ťHier, aber gib gut darauf acht.Ť

Misstrauisch lugte er in den Beutel. Was er dort sah, stellte ihn anscheinend zufrieden. Er stieß einen triumphierenden Laut aus und rannte davon.

Der Lärm im Hof hatte Burkhard angelockt. ťDa bist du ja wieder. Haben dich die Städtischen nicht gefunden?Ť

ťWaren sie noch einmal hier?Ť, fragte Alheit dagegen.

ťSie suchen dich. Ich habe eure Instrumente zu meiner Sammlung gestellt und gesagt, du wärst fort.Ť

ťDanke.Ť Alheit nickte abwesend. Was mochte das nun wieder bedeuten? ťWar sonst noch jemand hier?Ť

ťNein. Wartest du auf jemanden?Ť

Sie schüttelte den Kopf. ťIch muss noch einmal in den Schlafraum hinauf.Ť

ťGlaubst du, du findest noch etwas?Ť

ťVielleicht.Ť

Achselzuckend wandte Burkhard sich ab. Alheit ging die Treppe hinauf und ließ sich gleich am Eingang auf die Knie nieder. Das Licht, das durch Tür und Fenster fiel, genügte, um die hohle Stelle zu entdecken. Sie griff hinein und fand – nichts.

Hatte es gar nichts gegeben? Oder war der Unbekannte ihr zuvorgekommen? Ihre Gedanken führten sie nicht weiter. Alheit lehnte sich an den kalten Schlot. Im Geist betrachtete sie noch einmal die Leute, die hier gewohnt hatten, ihre Mäntel und Decken.

Tamas und Lene hatten Schafspelze getragen. Trotz Lenes bösen Geredes und der möglichen Rache wegen des Bären waren die beiden wohl unschuldig an Elbelins Tod.

Elbelins eigene Decke bestand aus ungefärbter schwarzer Wolle, ebenso die Gottfrids. Der Faden, den sie in der Tasche trug, war dunkler und gleichmäßig blauschwarz, nicht verwalkt wie das Tuch, aus dem Franz und sie selbst neue Mäntel bekommen hatten.

Bei jedem, den sie ausschloss, schüttelte sie den Kopf. Die Mäntel von Roberts Familie und Meister Wolfram hatte sie sich nicht so genau angeschaut. Sie lagen ihr nicht als Schlafdecken vor Augen.

Was war mit Israel? Hatte er nicht einen schwarzen Mantel getragen? Doch. Aber er war schon längst gegangen, als Alheit in ihren wirren Träumen die dunkle Gestalt gesehen hatte. Das Tor musste um diese Zeit bereits verriegelt gewesen sein.

Irgendwo über ihr untersuchte Klaus sein neues Instrument und entlockte ihm schauerliche Töne. Nach einiger Zeit entdeckte er, wozu die Grifflöcher gut waren, und versuchte sich an einer wilden Mischung der Melodien, die er in den letzten Wochen gehört hatte.

Es fiel Alheit nicht schwer, dabei an ihre eigenen Mühen zu denken, als sie von Marjorie und Katherine lernen wollte. Nebenbei überlegte sie, wie die Decken der beiden ausgesehen hatten. Doch sie konnte sich nicht erinnern. Dabei wusste sie, dass Robert mindestens einmal etwas Unbekanntes in Elbelins Brei gegeben hatte. Wie oft das wirklich geschehen war und bei wem noch, konnte sie nicht sagen.

Meister Wolfram trug einen dunklen Mantel mit Pelzbesatz. Und in seinem Gepäck steckte ein Fläschchen mit scharf riechender Flüssigkeit, vermutlich zum Einreiben. Aber was hätte ihn dazu treiben können, den Jungen umzubringen? Elbelin hatte den Meister unverhohlen bewundert, vielleicht etwas übertrieben, was jener hätte als Spott auffassen können. Das mochte ein Grund für seine griesgrämigen Antworten gewesen sein, aber für einen heimtückischen Mord? Wieder schüttelte sie den Kopf.

In der Franziskanerkirche läutete es zur Vesper. Alheit beschloss, dorthin zu gehen. Danach würde sie sich zum Hof des Herrn von Alzey aufmachen. Oder gab es noch etwas in Erfahrung zu bringen?

Nichts, was ihr jetzt nützen könnte. Sie musste Baldwin wieder treffen, am Ende hatte er doch Wichtiges erfahren.

 

Baldwin hoffte, dass nun genug Zeit vergangen wäre, dass er sich in der Judengasse wieder sehen lassen konnte. Er suchte das Haus des Joseph nach der Beschreibung, die ihm der Kettenapotheker gegeben hatte, doch dieser Weg führte ihn zum Judenbad. Nach mehreren vergeblichen Versuchen fand er einen Jungen, der ihn für einen Heller vor die richtige Tür brachte.

In der Werkstatt des kräuterkundigen Joseph standen, genau wie in der Kettenapotheke, große und kleine Gefäße, Mörser, Kessel und andere Geräte, die er zur Ausübung seines Handwerks brauchte. Nur konnte Baldwin die Aufschriften nicht entziffern. Das war ihm schon lange nicht mehr widerfahren und bereitete ihm Unbehagen. Darum hatte er Mühe, das freundliche Lächeln des Juden zu erwidern. Seine Frage klang strenger, als er beabsichtigt hatte: ťDu brennst Kräutergeist?Ť

Doch seine Schärfe schien Joseph nicht zu stören ťJa. Womit kann ich dienen?Ť Er griff in ein Regal mit Flaschen hinter sich. ťBaldrian und Hopfen für einen ruhigen Schlaf? Lavendel gegen das Ungeziefer?Ť

ťNichts davonŤ, wehrte Baldwin ab. ťIch suche einen deiner Kunden.Ť

Joseph wandte sich von seinen Flaschen ab. ťWarum? Schuldet er dir Geld?Ť

ťVielleicht ein LebenŤ, knurrte Baldwin. Der Mut sank ihm, als er ausrechnete, wie viel Zeit vergangen war. ťHat in den vergangenen drei Wochen ein fahrender Spielmann bei dir gekauft? Vielleicht Gichtkraut für steife Finger?Ť

Sogleich schüttelte Joseph den Kopf. ťDas wäre Israel ben Abraham, oder? Der hat nichts von mir bekommen.Ť

ťEs könnte auch ein Christ gewesen sein.Ť

Das Kopfschütteln ging weiter. ťDa kommen nicht viele her, nur Leute aus dem Martinsviertel. Die kenne ich aber.Ť Dann sah er unvermittelt auf. ťDoch. Da war ein Kleiner, Rothaariger. Aber der hat kein Gichtkraut bekommen, sondern Mönchspfeffer, getrocknet.Ť

ťMönchspfeffer?Ť Baldwin trat erstaunt zurück.

ťJa, er hat mir noch etwas von seinem Orden der Goliarden erzählt

Ť

ťAh so. Aber das Kraut ist doch nicht giftig, oder?Ť

ťNein, neinŤ, beruhigte Joseph. ťSchlimmstenfalls gibt es einen Hautausschlag.Ť

Baldwin schüttelte den Kopf. ťDavon habe ich bei ihm nichts bemerkt. Dennoch, vielen Dank für deine Hilfe.Ť

Nachdenklich machte er sich auf den Rückweg. Sein Misstrauen hatte sich noch nicht gelegt, doch außer dass Joseph ein Jude war, gab es keinen Grund, ihm nicht zu glauben. Der heilkundige Wilhelmit im Heilig-Geist-Spital schien ihn zumindest als Apotheker zu schätzen.

Andererseits hatten sich Elbelin und sein Freund Gottfrid bei der jüdischen Gemeinde nicht eben beliebt gemacht, nach dem, was Alheit erzählt hatte. Möglicherweise hatte Israel ben Abraham seinen Glaubensgenossen zu einem üblen Streich angestiftet.

Und wer war der kleine Rothaarige? Baldwin konnte sich an einen Gast vom vergangenen Abend erinnern, auf den die Beschreibung zutraf. Er musste Alheit nach ihm fragen.

Doch als er zur Vesper in die Lampertuskirche eintrat, konnte er keine Spur von ihr entdecken. Hastig ging er wieder nach draußen und sah sich um.

ťHerr Pater?Ť, zischte eine Stimme rechts von ihm. Eine Frau mit gelbem Schleier winkte ihm, ihr zu folgen. Verwundert ging er zu ihr hin.

 

Alheit sah die beiden in der Mauernische zwischen zwei großen Höfen stehen, als sie sich Herrn Heinrichs Haus näherte. Lene blickte zu Baldwin auf, die Hand auf seinem Arm, als erwarte sie eine erfreuliche Antwort. Doch er schüttelte den Kopf. Da verzog sie das Gesicht, stampfte mit dem Fuß auf, ließ ihn aber noch nicht los. Er antwortete mit abweisender Miene. Alheit fiel ein Stein vom Herzen. Erst recht, als Lene noch ein heftiges Wort ausstieß und dann kehrtmachte. Nun konnte Alheit unbemerkt den Hof betreten.

Baldwin kam nur wenige Augenblicke nach ihr.

ťWas hat Lene von dir gewollt?Ť, fragte sie ihn auf der Stelle.

ťLene?Ť Er sah sich wie erschrocken um, ob sie noch hinter ihm wäre.

ťDie Hure.Ť Als er noch immer verständnislos dreinschaute, fügte Alheit hinzu: ťDie Frau des Ungarn.Ť

ťAch, sie war das.Ť Baldwin zog den Kopf ein. ťIch habe sie nicht erkannt.Ť

ťAber sie dich, nehme ich an.Ť

Baldwin nickte.

ťDas wird sie dem Platzmeister zutragenŤ, schloss Alheit.

ťWas?Ť

ťDass du gestern bei uns warst, dass du vielleicht der gesuchte Zauberer bist.Ť

ťSie fragte nach einem Liebesamulett.Ť

Sie mussten Worms so schnell wie möglich verlassen, aber das hieße für Alheit, Franz zu verraten.

Hinter ihnen räusperte sich der Knappe Ewald. ťKommt bitte mit zu Herrn Heinrich.Ť

Dieser erwartete sie in der kleinen, finsteren Kammer. Hinter ihm stand der Rechtsgelehrte in seinem schwarzen Mantel und verdunkelte den Raum noch weiter. Der Ritter hatte zunächst keine guten Nachrichten für sie. ťDie Städtischen werden eure Freunde vorerst nicht freigeben.Ť

Alheit zuckte zusammen.

ťPlatzmeister Friedrich hat einen Boten nach Frankfurt zu Erzbischof Balduin geschicktŤ, fuhr der Ritter fort. ťNach dessen Weisung will er sich richten. Das kann länger dauern.Ť

Alheit wurde immer kleiner. Wie lange würden Franz und Else im Gefängnis überleben?

ťDen Stadtrat hat er wohl auch bereits in Kenntnis gesetztŤ, murmelte Doktor Martin, als sei das nur für Herrn Heinrich bestimmt.

Dieser nickte ernst. ťIch kann versuchen, mit dem einen oder anderen Herrn ein Wort zu reden

Ť, der Doktor schnaubte, ť

aber man wirft ihnen Zauberei und Giftmord vor, da werde ich kaum ein offenes Ohr finden.Ť

Alheit hatte nicht recht zugehört. Wenn sie selbst für die Gefangenen sorgte, würde man sie ebenfalls verhaften. Burkhard konnte sie mit dieser Aufgabe nicht beschweren.

ťIch stelle einen Mann zur Bewachung ab, der die beiden auch versorgen wird.Ť Herr Heinrich hob bedauernd die Schultern. ťMehr konnte ich nicht erreichen.Ť

ťDas ist schon sehr vielŤ, begann Baldwin.

ťIch hoffe, man wird es Euch lohnenŤ, ergänzte der Rechtsgelehrte.

ťWie denn?Ť, fauchte Alheit.

ťOh, da wird mir etwas einfallenŤ, lachte Herr Heinrich. Doktor Martin dagegen zog ein säuerliches Gesicht.

Dann berichtete Baldwin, was er in den letzten Stunden erfahren hatte.

Alheit horchte auf, als er den Spielmann beschrieb, der beim Kettenapotheker eingekauft hatte.

ťAber ich fürchte, der Meister Pillendreher sieht nicht mehr vielŤ, schloss Baldwin, und der Rechtsgelehrte nickte eifrig.

Dennoch. Ein rotes Gewand und helles Haar – das mochte Wolfram sein.

ťBei wem soll er im Dienst gewesen sein?Ť, fragte Alheit nach.

ťBeim Erzbischof von TrierŤ, antwortete Baldwin, ťoder vielleicht doch bei einem Grafen. Das wusste der Meister nicht mehr genau.Ť

ťDer Graf von Katzenelnbogen? Wir müssen nach FrankfurtŤ, sagte Alheit leise, wie zu sich selbst.

Baldwin nickte. ťIch fürchte, der Herr Platzmeister wird mich bald ebenfalls verfolgen.Ť

Erschrocken sah Herr Heinrich auf. ťWieso?Ť

Der Priester berichtete von seinem Zusammentreffen mit Lene.

ťDann macht euch sogleich auf den WegŤ, riet Doktor Martin.

Herr Heinrich warf ihm einen fragenden Blick zu. ťDie Tore sind schon geschlossen.Ť

ťDie Martinspforte noch nichtŤ, erwiderte der Gelehrte. Vielleicht kannte er dort die Wächter.

Es würde keine Zeit bleiben, die Instrumente zu holen. Alheit schluckte. Burkhards Sammlung bekam wieder Zuwachs. Und es blieb keine Zeit, Elbelin zu begraben. Das mussten Fremde besorgen.

ťDann gehen wir besser gleichŤ, entschied Baldwin.

Mit ein wenig Mundvorrat versehen, brachen sie auf. Damit mussten sie bis zum folgenden Nachmittag auskommen.