MONTAG NACH OCULI

Am folgenden Morgen fand sich bei Meister Wolfram ein neuer Schüler ein. Klaus der Küchenjunge kam zurück in den Saal, nachdem er aufgeräumt hatte. Stolz trug er eine Schalmei vor sich her.

ťWas hast du da?Ť, fragte der Meister streng.

ťEine FlöteŤ, antwortete der Junge. ťIch bin jetzt auch ein Spielmann.Ť Er blies kräftig hinein, doch das zerdrückte Rohrblatt gab keinen Ton mehr von sich.

Meister Wolfram riss ihm das Instrument aus der Hand und ohrfeigte ihn. ťHinaus!Ť

ťLass ihn doch hierbleiben!Ť, rief Elbelin. ťEr kann den Juden vertreten.Ť Doch Klaus suchte heulend das Weite.

ťDieser Unverstand!Ť Meister Wolfram betrachtete das misshandelte Rohrblatt kopfschüttelnd. ťWisst ihr, wem das gehört?Ť, fragte er, als er sich wieder beruhigt hatte, und reichte die Schalmei herum.

ťMirŤ, sagte Franz, als die Reihe an ihn kam. ťIch frage mich, wo Klaus sie gefunden hat.Ť

ťHoffentlich ersetzt dir der Wirt den SchadenŤ, meinte Robert.

ťDas könnt ihr beim Essen fragenŤ, mahnte Meister Wolfram. ťLasst uns jetzt an die Arbeit gehen. Wir haben nur noch wenig Zeit und viel zu lernen.Ť

Er spielte ihnen eine höfische Tanzweise vor.

 

Bei der ersten Gelegenheit machte sich Franz auf die Suche nach Alheit. Er fand sie in ihrem Schlafraum. Die Flöte in der Hand, saß sie mit Burkhard am Schlot, und der Wirt versuchte, ihr auf seiner Schalmei den Refrain einer einfachen Estampie nachzuspielen. Er schien erfreut über die Unterbrechung.

Franz hielt Alheit die Schalmei hin: ťHier, schau mal.Ť

ťWo hast du sie her?Ť

ťKlaus hatte sie heute Morgen in der Hand und wollte mit uns spielen.Ť

Burkhard schnaubte. Für eine längere Antwort fehlte ihm die Luft.

Alheit betrachtete die Schalmei genauer. ťFehlt deshalb das Rohrblatt?Ť

Franz nickte. ťWir hätten doch bald ein neues gebraucht. Auf dem Markt

Ť

ťWie ist Klaus an die Schalmei gekommen?Ť, unterbrach ihn Alheit.

ťIch weiß es nicht.Ť

ťDer Bub will immer an meine InstrumenteŤ, mischte sich Burkhard wieder ein. ťIch habe sie schon weggesperrt

Ť

ťDann frage ich ihn eben.Ť Alheit war schon auf dem Weg zur Tür.

ťDas ist besser, als wenn ich frageŤ, meinte der Wirt. ťMir erzählt er doch nur Märchen.Ť

Alheit ging in die Küche.

Neben dem qualmenden Herd saß Klaus mit untergeschlagenen Beinen auf dem Boden und knackte Nüsse. Alheit wollte zu ihm, doch eine der beiden Küchenmägde, die am Tisch Teig kneteten, fing sie gleich an der Tür ab. ťWas willst du hier?Ť

ťMit dem Jungen reden.Ť

ťNichts da, der soll seine Arbeit machen.Ť Die Frau rieb ihre mit Teig umhüllten Finger und wich nicht zur Seite. ťUnd wenn dich jemand bestohlen hat, dann such bei deinesgleichen.Ť

Alheit, die nur Klaus im Auge gehabt hatte, wandte sich ihr zu. ťWie kommst du darauf?Ť

ťDieser kleine Rothaarige, der immer mit seinen Fläschchen hantiert, hat dem Wirt Vorhaltungen gemacht. Klaus hätte irgendeine Flöte gestohlen und zerbrochen, oder so. Und Burkhard soll den Schaden ersetzen.Ť

Alheit nickte. Der Junge, um den es ging, sah nicht von seiner Arbeit auf. Er schien seinen Namen nicht gehört zu haben. ťUnd was sagt Klaus dazu?Ť

ťEr sagt, er hätte die Flöte draußen am Tor gefunden.Ť

ťWo da?Ť, fragte Alheit, als die Küchenmagd Luft holte.

Doch diese redete einfach weiter: ťIch sage, er hat gar keine Flöte gehabt. Die Flausen habt ihr ihm in den Kopf gesetzt. Dabei ist er weiß Gott schon wirr genug.Ť

Alheit schaute von der Frau zu ihrem Knecht – oder war es ihr Sohn? ťJa, so mag es gewesen seinŤ, sagte sie unbestimmt. ťIch danke dir.Ť

Als sie die Küche verließ, saß Franz bereits an seinem Rückzugsplatz nicht weit von der Tür und spielte auf der Laute, etwas, das in Alheits Ohren schnell und schwierig klang. Eine Melodie konnte sie nicht heraushören. Er schaute nicht auf, als Alheit vorüberkam. Nun, sie würde ihn bei seinen Übungen nicht stören. Mit dieser Sache wurde sie auch allein fertig.

Auf der anderen Seite des Hofes öffnete Marjorie ihr schon die Tür zum Kaminzimmer. ťUnd? Was sagt der Junge?Ť

ťNichts, die Küchenmagd redet für ihn. Angeblich hat er die Schalmei am Tor gefunden. Wo genau, weiß man nicht.Ť

ťHauptsache, sie ist wieder da. Jetzt brauchst du nur noch ein neues Rohrblatt.Ť

Alheit nickte. ťHeute Abend gehe ich mit Franz auf den Markt. Der versteht mehr davon als ich.Ť

ťDas musst du ändern. Aber jetzt komm herein. Unser Meister hat noch reichlich Arbeit für uns.Ť

ťUnd nachher kommst du mit in die GaststubeŤ, fügte Katherine hinzu. ťIsrael ist schon wieder nicht da, da können wir dich brauchen.Ť

ťIsrael war am Freitag bei einer BeerdigungŤ, erklärte Alheit. ťWenn das jemand aus seiner Familie war

Ť

ťDas bleibt sich gleichŤ, fand Marjorie. ťEr fehlt, du kannst seinen Platz einnehmen.Ť

ťWeiß Meister Wolfram das schon?Ť

ťEr wird es gleich merken.Ť

Bei der Aussicht, das neue Stück bald der ganzen Gesellschaft vorspielen zu müssen, verloren Alheits Finger jede Treffsicherheit. Immer wieder brachen die drei ab und wiederholten dieselbe Stelle, bis Robert kam und es Zeit war, in die Gaststube zurückzukehren.

Meister Wolfram schaute Alheit finster an, doch sie sagte sich, dass er kaum einmal freundlicher dreinblickte. Er murrte, weil ihn niemand gefragt hatte. Der Rest der Gruppe war jedoch mit Alheits Anwesenheit einverstanden.

 

Nachdem Meister Wolfram seinen Unterricht für diesen Tag beendet hatte, wartete Alheit in der Schlafkammer auf Franz, der noch mit Robert ein neues Stück probierte. Zuerst kamen Elbelin und Gottfrid. Zielstrebig kauerten sie sich vor ihr Lager, mit dem Rücken zum Raum, sodass Alheit nicht sehen konnte, was sie taten. Doch bald richteten sich beide wieder auf und schauten einander betreten an.

Elbelin fingerte noch einmal sämtliche Beutel an seinem Gürtel ab, kniete sich neben sein Lager und untersuchte alle Decken. Immer wieder schüttelte er den Kopf. ťEs hilft nichtsŤ, sagte er schließlich, ťdas Geld ist weg.Ť

ťHeiliger Amandus, was haben wir den Leuten hier denn getan?Ť Elbelin setzte sich auf sein zerwühltes Lager. ťErst der Dudelsack, jetzt das.Ť

Gottfrid nickte. ťWenn man nicht einmal mehr seinen eigenen Gesellen von der Landstraße trauen kann

Ť

ťWas ist geschehen?Ť, fragte Alheit, obwohl sie das Wichtigste bereits gehört hatte.

ťDas Geld für Elbelins Dudelsack ist wegŤ, erklärte Gottfrid.

ťHab ich euch nicht gesagt, ihr sollt darauf achtgeben? Wo war es denn?Ť

Elbelin schaute sie unglücklich an. ťHier unter dem Stroh.Ť

Alheit ging zu ihm hinüber und schob die Matratze beiseite. Darunter griff sie in ein mehr als faustgroßes Loch in einem der Balken. Sie sog scharf die Luft ein. Das musste behoben werden. Doch zunächst gab es Wichtigeres. ťNicht das dümmste Versteck. Trotzdem hat es jemand gefunden.Ť

ťAber wer?Ť, fragte Gottfrid. ťUnd warum?Ť

Alheit dachte als Erstes an Lene. Behauptete sie nicht, von den Jungen bestohlen worden zu sein?

ťJedenfalls muss ich jetzt noch einmal zu Johann Schure und ihm sagen, dass aus unserem Geschäft nichts wirdŤ, stellte Elbelin düster fest.

ťDann gehen wir doch zusammenŤ, schlug Alheit vor.

Die Jungen wechselten einen Blick, doch da lugte Franz zur Tür herein: ťKommst du?Ť

ťLos, auf geht’s!Ť Alheit trieb die beiden vor sich her.

Draußen auf der Gasse fielen die Jungen zurück und trotteten hinter Alheit und Franz her wie unlustige Knechte, denen eine schwere Arbeit bevorstand. Auf die fröhlichen Anrufe von allen Seiten antworteten sie gar nicht oder nur mit Brummen. Alheit juckte es in den Fingern, ihre Flöte herauszuholen und einen Springtanz zu spielen. Doch nur wenige Schritte vor ihnen entdeckte sie den Graukopf des Platzmeisters. So beließ sie es dabei, anstelle ihrer Begleiter die Spielleute zu grüßen, die sie zu kennen glaubte.

Bald erreichten sie den Marktplatz und die Seitengasse, wo die Instrumentenbauer ihre Waren anboten. Der breitschultrige, schwarzbärtige Kerl bei Johann Schure am Stand konnte nur Emich der König sein. Alheit bezweifelte, dass seine Anwesenheit die Verhandlungen erleichtern würde. Er machte keine Anstalten sich zu entfernen, als die vier herankamen.

Elbelin und Gottfrid warteten offenbar darauf, dass Alheit nun nach einem Rohrblatt für die Schalmei fragen würde. Doch sie trat mit Franz zur Seite, sodass die Jungen freie Bahn hatten.

ťIhr kommt zu spätŤ, begrüßte sie Johann Schure. ťEmich hat den Sack schon gekauft.Ť

ťGutŤ, erwiderte Elbelin. ťIch habe nämlich kein Geld. Ich bin bestohlen worden.Ť

Mit gespieltem Erschrecken wich der Händler zurück. Emich dagegen neigte sich näher heran. ťWie das denn? Erzähl!Ť, forderten beide gleichzeitig.

Elbelin teilte ihnen das wenige mit, was er wusste. Die beiden Männer tauschten einen Blick, der Alheit nicht gefiel. Wussten sie am Ende von dem Diebstahl?

ťDas ist natürlich schlimmŤ, stellte Emich fest. ťLasst mich überlegen.Ť Er starrte eine Weile in den Himmel. Was wollte er dort entdecken? Den Dieb etwa? Oder suchte er eine Möglichkeit, als Retter aufzutreten?

Johann Schure übernahm derweil das Reden. ťMan erzählt sich ja allerhand über euch hier in der Stadt. Da mag der eine oder andere wohl neidisch werden.Ť

ťWieso?Ť, fragte Gottfrid, als sei er angegriffen worden.

ťIhr seid gut Freund mit den Stiftsherren von St. PaulusŤ, begann Johann seine Aufzählung, ťeuer Platz in Geldern ist euch so gut wie sicher, und eine hübsche Jungfer habt ihr auch immer bei euch.Ť

Unwillkürlich blickte Gottfrid sich um, doch hinter ihm stand nur – Lene.

Wo kam sie jetzt her? Alheit hatte das Gespräch der vier Männer so gespannt verfolgt, dass sie Lene gar nicht hatte kommen sehen.

Emich lachte. ťDie ist nicht gemeint, und die schneidige Schalmeibläserin auch nicht. Aber hört zu, wie ihr zu eurem Dudelsack kommt.Ť Er legte eine bedeutungsvolle Pause ein. ťIhr wollt zu Graf Rainald, habe ich das richtig verstanden?Ť

Elbelin nickte.

ťGut, da seid ihr am rechten Ort. – Ich habe dieses schöne Stück ja nur gekauft, damit es in bessere Hände kommt. Vielleicht für einen meiner Schüler. Aber bei euch ist es wohl ebenso gut aufgehoben. Was meinst du, Johann?Ť

Der schaute starr geradeaus an den Jungen vorbei. ťDu kannst sie ja einmal spielen lassen.Ť

ťDas hatte ich vor.Ť Grinsend reichte Emich Elbelin die Sackpfeife.

Jetzt konnte Alheit sie richtig sehen: Der Balg bestand aus rauem, fast weißem Leder, Spielpfeife und Bordun aus nur wenig dunklerem Holz. Beide liefen am Ende in einem Horn aus. Hatte sie dieses Instrument nicht schon einmal gesehen?

Elbelin begann einen der Tänze, die sie an diesem Tag gelernt hatten. Emich sah ihm erwartungsvoll zu.

ťNa, das ist doch was RechtesŤ, stellte der König zufrieden fest. ťWas haltet ihr davon: Ich überlasse euch das Instrument, und ihr bezahlt mich beim nächsten Reichstag?Ť

Elbelin strahlte. ťDas ist ein guter Gedanke.Ť

ťBist du da nicht zu vertrauensselig?Ť, mischte sich Alheit ein.

Emich lachte. ťNein, keineswegs. Man nennt mich nicht umsonst den König. Wer mich betrügen will

Ť

ťVon Betrug war keine RedeŤ, widersprach Alheit. ťAber wer weiß, wer von uns den nächsten Reichstag noch erlebt?Ť

ťOh, was die welschen Pfeffersäcke können, kann ich schon lange. Die versprechen sich auch, nächstes Jahr in Frankfurt zu zahlen.Ť

ťBis nächstes Jahr wollte ich schon noch am Leben bleibenŤ, nahm Elbelin den Faden wieder auf. ťWenn nicht, muss dich Gottfrid bezahlen, mein Erbe.Ť Er klopfte seinem Freund auf die Schulter.

ťJetzt tut nicht so, als ob ihr kein Geld hättetŤ, fauchte Lene dazwischen. ťIhr nehmt es doch, wo ihr es kriegen könnt.Ť

Emich warf ihr einen finsteren Blick zu. ťBist du das, die schon seit Tagen dieses Gerücht verbreitet? Nimm dich in Acht!Ť

ťVor dir selbst ernanntem König? Pah!Ť Lene spuckte aus und ging mit großen Schritten davon.

Emich warf einen Stein hinter ihr her. ťGemeines Weib!Ť

ťSeid ihr euch einig?Ť, fragte Johann Schure.

ťVon mir aus, jaŤ, antwortete Elbelin.

Mit einem Ruck kehrte Emich in die Gegenwart zurück. ťJa, ja.Ť

ťDann lasst die Instrumente bei mir bis morgen, ich passe euch alles richtig an.Ť

Gottfrid gab dem Händler seine Schalmei, offenbar mit leisem Widerstreben. Johann packte sie sorgfältig ein und wandte sich dann Alheit und Franz zu: ťUnd was kann ich für euch tun?Ť