MONTAG NACH LAETARE

Während Baldwin sich zur Frühmesse ins Karmeliterkloster begab, blieb Alheit Wolfram auf den Fersen. Das war an diesem Morgen schwieriger, denn er verließ seine Unterkunft bald. Dennoch war sie sicher, dass er sie nicht entdeckt hatte. Er trug nun einen einfachen braunen Mantel und eine ebensolche Kappe im weißen Haar. Unter dem Arm hatte er ein Bündel, das sein alter, schwarzer Mantel sein mochte. Damit ging er zielstrebig an den Ständen und Läden vorbei, die gerade öffneten. Schließlich bog er in eine enge Gasse ein, die auf einen kleinen Platz führte, eher eine Lücke zwischen den schmalen Häusern. Mehrere Buden, an denen mit Altkleidern gehandelt wurde, drängten sich an den Wänden.

Alheit zögerte, Wolfram dort hinein zu folgen. Er konnte kaum anders als sie zu bemerken. Warum musste er so auf jeden Heller bedacht sein? Konnte er den Mantel nicht einfach einem Bettler schenken? Nein, im Gegenteil, er ging auf ein bieder gekleidetes Paar zu, dem ein Knecht mit einer Kiepe folgte.

Einzeln hätte Alheit wohl keinen der drei wiedererkannt, doch zu dritt riefen sie unangenehme Erinnerungen wach. Henne der Krämer aus Lindenfels begleitete seine geschäftstüchtige Schwester Guda beim Einkauf für das nächste halbe Jahr. Unwillkürlich zog sich Alheit einen Schritt weiter zurück, gerade so, dass sie die vier noch sehen konnte. Während sie die schon reichlich abgetragenen Gewänder am Stand vor ihr zu begutachten schien, beobachtete sie, wie Wolfram sein Bündel öffnete. Das Dunkelrote war wohl seine alte Cotte, aber was blinkte da in seiner Hand? Alheit ging einen Stand weiter, ohne auf das Schimpfen der Händlerin zu achten, die sie ohne Kauf stehen ließ.

Nun hielt Guda das funkelnde Stück in der Hand. Ein Gürtel aus nachgedunkeltem Leder, verziert mit grünen Emailblättern. Die Krämerin nickte und machte offenbar ein Angebot.

Wolfram feilschte nur wenig, und bald steckte das ganze Bündel in der Kiepe von Gudas Knecht.

Alheit atmete tief durch. So gingen ihre wenigen fadenscheinigen Beweise dahin. Aber wäre nicht Guda ein geeignetes Opfer für Roberts Plan? Sie musste deren Herberge in Erfahrung bringen. Die Frage war nur, wie lange sie sich auf diesem engen Platz aufhalten konnte, ohne aufzufallen. Es gab mehrere Möglichkeiten, ihn zu verlassen. Daher durfte sie auf keinen Fall vor Guda und Henne gehen.

Die beiden gehörten natürlich nicht zu einem der großen Geleitzüge aus den Handelsstädten, sondern wohnten in einem Haus, das sich nur zur Messe in einen Gasthof verwandelte. Alheit sah sich die Umgebung an, versuchte, sich die Besonderheiten im Fachwerk, die Umrisse der hohen Bauten zu merken. Da kehrte die kleine Gesellschaft auch schon mit leerer Kiepe zurück.

ťSieh an, das eingebildete Spielweib.Ť Gudas schneidende Stimme ließ Alheit zusammenzucken. ťWas suchst du hier? Die Frankfurter Messe ist zu groß für dich. Hier wird es dir nicht gelingen, Unfrieden zu stiften.Ť Die Krämerin ging vorüber, ohne eine Antwort abzuwarten.

ťDas werden wir noch sehenŤ, zischte Alheit. ťUnd du wirst es als Erste merken.Ť

Anstatt in ihre Herberge zum Apfelbaum zurückzukehren, machte sie sich auf die Suche nach dem Haus zum Lamm, zu Robert. Alheit hatte ein geeignetes Opfer ausgespäht, jetzt war es an der Zeit, genauere Pläne zu schmieden. Doch der Apotheker war noch in seinen eigenen Geschäften unterwegs.

Anscheinend traf das auf die meisten anderen Gäste dieses Hauses ebenfalls zu, denn der Schankraum war fast leer. Eine ältere Magd versuchte zu fegen. Dazwischen lief Gottfrid aufgeregt hin und her, probierte zusammenhanglose Tonfolgen, raufte sich die Haare und überlegte laut, welche Stücke er wohl vortragen sollte. Immerhin hatte er in Erfahrung gebracht, dass er sich nach der Non im Lager des Grafen am Mainufer einfinden sollte zum Pfeiferwettstreit.

Unter dem Fenster zur Straße saß Katherine mit ihrer Mutter und nähte fieberhaft an einem Stück rotem Tuch, das sie mit runden Zaddeln versah.

Als Alheit eintrat, stellte die Magd den Besen in die Ecke und brachte dafür Brot und Wein. Marjorie legte die Näharbeit auf der Stelle beiseite und teilte das Mittagbrot aus. Kurz darauf kehrten die ersten Gäste von ihren Geschäften auf der Messe zurück. Der Raum füllte sich schneller, als Alheit es erwartet hätte. Gerade rechtzeitig stieß Baldwin zu ihnen und erhielt Roberts Anteil.

ťUnd dein Mann?Ť, fragte Alheit.

Sie zuckte die Schultern. ťDer wird in der Stadt etwas finden.Ť

Baldwin bat um den Segen, und sie aßen schweigend. Dann erzählte er von seinem Besuch bei den Schreibern des Erzbischofs: ťDer Bote aus Worms hat mich gut eingeführt. Ich konnte mich zwar mit den beiden Kanzlisten auf Lateinisch unterhalten, aber das hat uns nicht viel weitergebracht. Der Bote hat den Fall geschildert, wie der Platzmeister es ihm aufgetragen hat, der eine Schreiber hat es notiert und glaubt, dass wir bis morgen früh eine Antwort bekommen werden. Anscheinend ist euer besonderer Freund nicht mit dabei, Gottfrid. Von den beiden Schreibern hat keiner den Eindruck gemacht, als könnte er sich überhaupt an eure Namen erinnern.Ť

ťOhŤ, sagte Gottfrid abwesend. Dann merkte er, dass ihn die anderen erwartungsvoll anschauten. ťWie, Walter ist nicht hier?Ť

ťOffenbar nicht.Ť

ťDas ist schlecht. Er hat uns immer geholfen.Ť

Alheit wusste nicht, ob sie die Gleichgültigkeit der Schreiber als schlechtes oder gutes Zeichen werten sollte. Die Ungewissheit nagte an ihr. Gab es keine Möglichkeit, eine für sie günstige Entscheidung zu erzwingen?

ťKannst du nicht etwas schreiben?Ť, fragte sie Baldwin.

Erschrocken riss er die Augen auf. ťKurtrierische Schreiber täuschen? Das wird mir nie gelingen. Einen Mann wie Rudolf Losse

Ť

ťGlaubst du, der Bote aus Worms kann lesen?Ť

ťNein, das nicht.Ť Offenbar überlegte er sich die Sache. ťVielleicht kann ich ihn sogar bereden, dass ich morgen allein zu den Schreibern gehe.Ť

ťHast du alles, was du brauchst?Ť, fragte sie.

Fast erstaunt antwortete Baldwin: ťNein. All mein Werkzeug ist in Worms geblieben.Ť

Sie kramte einige Heller aus ihrem Beutel und schob sie ihm zu. Er nickte.

Marjorie beobachtete die beiden scharf. ťWas hast du vor, Alheit?Ť, fragte sie. ťDu wirst nicht still abwarten, nehme ich an.Ť

Heftig schüttelte Alheit den Kopf. Dabei wusste sie keineswegs genau, was sie tun wollte. Um an Wolframs alten Mantel zu kommen, müsste sie in Gudas Quartier eindringen. Sie zweifelte, ob ihr das gelingen würde. Gern hätte sie diese Aufgabe Robert überlassen. Andererseits schien es ihr zu gewagt, nur auf Baldwins Plan zu vertrauen.

ťNun?Ť Marjorie gab nicht auf.

ťIch werde versuchen, den Mantel und den Gürtel zu beschaffenŤ, verkündete Alheit.

Die Harfnerin schüttelte den Kopf. ťWas tun wir Frauen nicht alles für unsere Männer. Ich komme mit und warne dich bei Gefahr.Ť

Katherine, die bisher eifrig mit Gottfrid getuschelt hatte, hob den Kopf und schaute die beiden erschrocken an. ťAber das dürft ihr doch nicht.Ť

ťEs tun so viele Leute Dinge, die sie nicht dürfen, selbst KönigeŤ, entgegnete Marjorie.

ťAber was ist aus deinem Lied geworden?Ť, fragte Katherine weiter. ťSollte das nicht unsere Rache werden?Ť

Marjorie blickte sich in der vollen Gaststube um. ťNicht vor so vielen LeutenŤ, erwiderte sie streng. ťUnd du kommst auch mit uns.Ť

Das Mädchen biss sich auf die Lippen. ťWas soll ich dabei?Ť

ťDas Gleiche wie ich. Jetzt komm.Ť

Alheit war nicht wohl bei der Sache. Dennoch führte sie ihre Begleiterinnen zu dem schmalen Haus mit zwei immer weiter vorkragenden Obergeschossen, in dem Guda untergekommen war. Die Tür stand offen, weil stets Gäste ein und aus gingen. Davor saß ein alter Mann, schnitzte Löffel und sprach jeden an, der an ihm vorüber wollte.

ťWie heißt die Frau?Ť, erkundigte sich Marjorie, als sie etwa drei Häuser weitergegangen waren.

ťGuda. Ihr Bruder heißt HenneŤ, antwortete Alheit.

ťWartet dort vorn um die Ecke. Ich frage, ob sie zu Hause sind.Ť

Zielstrebig machte Marjorie kehrt. Alheit wagte nicht, ihr nachzuschauen. Sie bog wie geheißen mit Katherine in die nächste Gasse ein. Dort wurde ihre Geduld auf eine harte Probe gestellt. Offenbar war Marjories Plan nicht aufgegangen. Alheit und Katherine schlenderten die Gasse auf und ab, bogen in weitere Seitengässchen ein und kehrten wieder um. Zum Glück liefen in diesen Tagen viele Fremde in der Stadt herum.

Endlich trafen sie an der vereinbarten Ecke auf die Harfnerin. ťSie sind hierŤ, berichtete sie, ťwir müssen warten, bis sie weggehen.Ť

ťAber das tun wir in einer anderen GasseŤ, verlangte Alheit.

Sie trennten sich und schlugen einen Bogen zurück zu dem Haus, auf das sie es abgesehen hatten. Doch nur Guda und der Knecht traten heraus und gingen davon. Henne blieb bei den neu erworbenen Waren. Alheit hatte das Gefühl, dass die Krämerin ihr böse zulächelte, als sie an der Gasseneinmündung vorbeikam, wo die drei sich verbargen.

Es konnte nicht mehr lange bis zur Non sein.

ťIch gehe jetzt hineinŤ, entschied Alheit. ťMit Henne allein werde ich fertig.Ť Ohne auf Marjories Widerspruch zu hören, ging sie auf das Haus zu.

Sie grüßte den Löffelschnitzer und nannte ihr Begehr.

ťDer kriegt heute aber viel BesuchŤ, erwiderte der Alte. ťGeh nur hinauf, die Frau ist nicht daheim.Ť

Mochte er denken, was er wollte. Alheit eilte mit langen Schritten die Treppe hinauf, wie es bei den krummen Tritten eben möglich war.

Die Gäste waren in diesem Haus nicht besser untergebracht als im Apfelbaum. Auf den Dielenbrettern im obersten Stock war Stroh aufgeschüttet und dann zu einzelnen Lagerstätten mit Decken oder Mänteln zusammengeschoben worden. Wer am warmen Schlot lag, konnte sich glücklich schätzen.

Henne saß neben einem der kleinen, mit einem Pergamentrahmen verschlossenen Fenster und sah in das trübe Licht. Hinter ihm lagerten die bisher eingekauften Waren. Alheit grüßte höflich und setzte sich zu ihm.

ťWas willst du von mir?Ť, fragte er krächzend. Seine Stimme klang wie eingerostet. Er ließ sich nicht anmerken, ob er Alheit erkannte.

ťIch brauche zwei Dinge, die Guda heute Morgen gekauft hat.Ť

ťSo, was denn?Ť Henne schaute noch immer an ihr vorbei.

ťEinen blauschwarzen Mantel, von dem sich der Pelz löst, und einen Gürtel mit Emailbeschlag.Ť

Er schwieg eine ganze Weile. ťIst gut, schau nach, wo du es findestŤ, sagte er dann. Dabei machte er keine Anstalten, sich vom Fenster abzuwenden.

ťBitte schau zu, wenn ich mich an deinen Waren zu schaffen macheŤ, forderte Alheit ihn auf. ťIch will nicht hinterher als Diebin dastehen.Ť

ťGib mir ein Pfand.Ť

ťIch habe nichts, was ich dir lassen könnte.Ť

ťDann hole ich es mir von Gretel.Ť

Er entsann sich also doch. Alheit nahm ein paar Heller aus ihrem Beutel. Den Rest drückte sie Henne grob in die Hand. ťHier hast du dein Pfand, und Gretel lass in Ruhe.Ť

Mit frischer Wut machte sie sich über den Berg Altkleider her, bis sie Mantel und Gürtel gefunden hatte. Als sie wieder aufschaute, saß Henne ihr zugewandt und grinste schief. ťDafür wird dein Geld wohl reichenŤ, bemerkte er.

ťDas glaube ich auch.Ť Alheit eilte mit den Sachen davon.

Draußen hörte sie die Glocken, die zur Non läuteten, noch deutlicher.

ťIch hab’sŤ, rief sie ihren Gefährtinnen von Weitem zu.

ťDann lass uns eilen. Wir müssen dabei sein, wenn Gottfrid vorspieltŤ, drängte Katherine.

Ihre Mutter sah sie streng an, stimmte aber zu. ťDein Vater wird wohl ebenfalls kommen. Wir nehmen die Instrumente mit.Ť

ťWozu?Ť, fragte Katherine.

ťDamit wir das Lied vom Spielmann als Giftmischer vortragen können.Ť

ťUnd wie geht das?Ť, grollte das Mädchen.

ťIhr müsst nur immer zwei Worte singen, den Rest mache ich schonŤ, erklärte Marjorie.

ťSingen? Da muss ich aber viel üben!Ť, rief Alheit unwillkürlich.

ťEs kommt vor allem auf den Text an.Ť Marjorie sang ihnen die wenigen Worte vor, die sie brauchten.

 

In der Herberge zum Lamm erwartete sie Baldwin. Seine Augen blitzten siegesgewiss. Er hatte seine Absichten wohl ausgeführt. Gottfrid war bereits zum Mainufer aufgebrochen. Nun folgten sie ihm zu viert.

 

Das Lager des Grafen von Geldern war fast so groß wie ein Dorf direkt am Main. Vor einem geräumigen Zelt war die Tafel aufgebaut, an der Graf Rainald und einige seiner Würdenträger saßen, bereit, sich gut zu unterhalten. Davor standen im weiten Kreis Spielleute und Neugierige, die sie hören wollten.

Alheit entdeckte als Ersten Emich den König. Breitspurig stand er weit vorn bei der Tafel des Grafen, hinter ihm zwei weitere hünenhafte Spielleute. Ein Herr mit seinem Gefolge. Es fehlte nur noch, dass die beiden sein Wappen trugen. Mit beifälliger Miene verfolgte er Gottfrids Auftritt, als komme es auf seine Meinung an, nicht auf die des Grafen.

Robert war schwieriger zu entdecken, er machte eine weniger stattliche Figur. Und er winkte so verstohlen, als wolle er gar nicht bemerkt werden. Die Freunde gesellten sich zu ihm.

ťIch habe etwas für WolframŤ, murmelte er und drehte ein wenig die linke Hand. Rot glänzte eine Kreuzfibel auf.

ťDann haben wir ihn von allen SeitenŤ, stellte Alheit zufrieden fest.

 

Mit einem lang ausgezierten Kyrieleis beendete Gottfrid sein Passionslied. Gemessen setzte er die Schalmei ab, als habe ihn der Vortrag keinerlei Anstrengung gekostet. Beifall erklang. Gottfrid verneigte sich zu Graf Rainald hin und zog sich in die Reihen der Spielleute zurück. Katherine machte sich gleich auf den Weg, ihn zu den Gefährten zu holen.

ťNa, dich werden sie wohl kaum noch wegschickenŤ, sagte ein Spielmann mit roter Kappe zu Gottfrid, ťschon gar nicht, wenn deine Hübsche hier mitkommt.Ť

ťDas werde ichŤ, antwortete Katherine lachend, ťwart’s nur ab!Ť

Gottfrid stellte die beiden einander vor, doch Tristams Aufmerksamkeit wurde schnell wieder abgelenkt. ťOh, was kommt denn da?Ť

Meister Wolfram betrat die Runde, frisch und siegesbewusst, wie man es von ihm nicht gewohnt war. An seinem Gürtel klingelten zahlreiche Messingglöckchen. Mit volltönender Stimme stellte er sich vor: ein Meister auf vielen Instrumenten, willkommen an allen Höfen. Es schien, als habe er mit dem alten Gewand die Vergangenheit abgelegt. Werner folgte ihm mit allem Stolz, den er aufbieten konnte, dennoch wirkte er wie auf einem Bußgang.

Alheit bemerkte kaum, dass Robert seinen Platz neben ihr verließ. Schon war er in der Menge verschwunden.

Wolfram hob den Dudelsack und blies Luft hinein, dasselbe Instrument aus hellbraunem Holz und fast weißem Leder, das zuletzt Elbelin gehört hatte.

Mit großen Schritten ging Emich der König auf ihn zu. ťDieb! Galgenvogel! Das ist mein Dudelsack!Ť

Wolfram wandte sich seinem Angreifer zu.

ťGiftmischer!Ť, schrie Gottfrid und sprang ihn von der anderen Seite an.

Katherine wollte ihn halten, bekam jedoch nur den schmalen Streifen an seinem Ärmel zu fassen, der gleich abriss.

Gerade noch wich Gottfrid der langen Bordunpfeife aus, als Wolfram zu ihm herumwirbelte. Er rammte dem Alten die Fäuste in die Seite, glitt aber an der Spielpfeife ab. Wolfram raffte sein Instrument zusammen und hielt es schützend vor sich.

Quiekend fing der Sack Gottfrids Fußtritt auf.

Wolfram rannte durch die Lücke zwischen der Tafel und dem Ring der Zuschauer davon, die Umstehenden machten ihm Platz. Emich und seine Leute beeilten sich, ihm den Weg abzuschneiden, kamen aber zu spät. Gottfrid sprang ihm nach, musste jedoch vor zwei stämmigen Waffenknechten Halt machen. Unter ihren fragenden Blicken fiel die Spannung von Gottfrid ab. Wie verwundert über seinen Ausbruch schaute er dem weißen Schopf nach, der sich rasch zum Main hin entfernte.

ťWas war das?Ť, wollte der eine Wächter wissen.

ťDas

Ť Gottfrid fiel ein, dass er nichts von ihrem Verdacht hätte sagen sollen. ťNichts.Ť

ťSo sah es aber nicht ausŤ, entgegnete der Zweite.

Gottfrid schaute sich Hilfe suchend nach seinen Gefährten um. Doch sie waren weit weg und konnten sich nicht so schnell einen Weg durch die aufgeregte Menge bahnen. Nur Katherine stand neben ihm. ťWir

hatten einen Zusammenstoß mit dem Alten

in Worms

Ť Seine Stimme verklang.

Die beiden Bewaffneten schüttelten den Kopf. ťIch hoffe, du nennst nicht jeden einen Giftmischer, mit dem du dich nicht verstehst.Ť

ťNein, neinŤ, wehrte Gottfrid ab. ťWir haben zusammen getrunken, und am nächsten Morgen

Ť

Katherine ruckte an seinem Arm. Es war gut sichtbar, dass die Wächter ihm nicht glaubten.

ťWir werden uns erkundigenŤ, sagte der eine. Der andere raunte seinem Gefährten etwas zu.

ťFragt Robert PiperŤ, schlug Katherine vor.

ťEuer Vater?Ť, fragte der erste Wächter.

Katherine nickte.

ťEin Gefährte aus WormsŤ, antwortete Gottfrid.

ťWo wohnt er?Ť

ťIm Haus zum Lamm.Ť

ťUnd ihr?Ť

ťWir auchŤ, erwiderte Katherine.

Der eine Wächter nickte. ťAber bleibt hier, bis die Sache aufgeklärt ist.

Schweigend holte Gottfrid seine Schalmei und ließ sich neben den beiden Nürnbergern nieder, die vor ihm gespielt hatten. Sie gaben sich keine Mühe, ihre Schadenfreude zu verbergen.

 

Alheit hatte gerade begonnen, sich mit ihrem schwarzen Bündel in den Armen nach vorn zu arbeiten, als Wolfram aus dem Kreis stürmte. Sie war zu weit entfernt, um ihn einzuholen. Nicht einmal an Werner kam sie heran. Er war ebenso unauffällig untergetaucht wie vorher Robert.

Die Waffenknechte des Grafen schafften mit Spießen und Stangen schnell wieder Ordnung. Dann rief ein Pfeifer, der bereits den goldenen Löwen des Grafen auf seinem bunten Rock trug, den nächsten Spielmann auf, als ob nichts vorgefallen wäre.

Wenig später kehrten Emich der König und seine Leute von der vergeblichen Verfolgung zurück. Sie versuchten, ebenso wie Alheit, zu Gottfrid vorzudringen, doch bewaffnete Knechte versperrten ihnen den Weg. ťLasst es gut seinŤ, warnte einer. ťBringt nicht noch mehr Unfrieden ins Lager.Ť

Alheit überließ es Emich, Widerworte zu geben. Ihr würde es nicht helfen. Sie musste Wolfram finden. Daher fragte sie einen der Verfolger: ťHabt ihr gesehen, wo er hin ist?Ť

Der eine zuckte die Achseln, der andere vermutete: ťZum Hafen vielleicht.Ť

Es traf Alheit wie ein Schlag. Dort konnte der Gesuchte noch leichter untertauchen als sonst in der Stadt oder gar unbemerkt abreisen. Mit einem Mal erschien ihr der schwarze Mantel unerträglich schwer. Schleppend setzte sie einen Fuß vor den anderen.

Neben ihr erschien Marjorie, wenig später Baldwin.

ťDen Hafen absuchen?Ť, fragte Baldwin ungläubig, als sie die Auskunft des fremden Spielmanns weitergab. ťDa bleibt uns nicht mehr viel Zeit, bis es dunkel wird.Ť Er schritt schneller aus und zog die anderen mit.

Unterwegs gesellte sich Robert zu ihnen, mit finsterem Gesicht. ťWolframs Bündel ist wegŤ, berichtete er. ťIch hatte die Fibel gerade hineingesteckt, als das Geschrei losging. Ich habe mich eine Weile treiben lassen, und danach war alles weg.Ť

ťWolfram wird es mitgenommen habenŤ, vermutete Marjorie.

Alheit schüttelte den Kopf. ťDazu war keine Zeit.Ť

Am Hafen angekommen, wurde ihr erst klar, wie viel sie sich vorgenommen hatten. Auch wenn sie sich aufteilten, konnten sie kaum alle Schiffe, Lagerhäuser und Herbergen durchkämmen. Schnell zeigte sich, dass sie Antwort auf direkte Fragen nur gegen Geld bekamen, und Alheit hatte nichts mehr. Ihr Beutel lag bei Henne. Baldwin versuchte daraufhin, mit Segenssprüchen zu handeln, doch offenbar wussten diejenigen, die sich darauf einließen, am allerwenigsten.

Als die ersten Fackeln angezündet wurden, gaben sie die Suche auf und kehrten in die Stadt zurück wie ein geschlagenes Heer. Immerhin ließ sich Marjorie nun überreden, ihr Lied vom Spielmann als Giftmischer zu singen. Als Grundlage hatte sie die Melodie eines bekannten Trinkliedes gewählt. Doch der Text war ein einziges Kauderwelsch. Alheit stürzte sich auf jeden Vers wie auf einen Feind, an dem sie ihre Wut auslassen konnte.

Marjorie wurde immer kleinlauter. ťDas musst du mir morgen früh noch einmal vorsingenŤ, bat sie, als sie sich vor dem Haus zum Lamm trennten. ťSo viel kann ich mir nicht merken.Ť Leiser fügte sie hinzu: ťIch dachte, ich hätte alles so gesagt, dass man es versteht.Ť

ťVerse schmieden in einer fremden Sprache ist nicht leichtŤ, tröstete Alheit. Sie musste sich selbst immer wieder die Worte vorsagen, die sie im Zorn so leicht gefunden hatte.