MONTAG NACH INVOCAVIT

Als Alheit und Franz am folgenden Tag durch die Gassen in der Nähe ihrer Herberge zogen, trafen sie auf zahlreiche weitere Spielleute. Einige kamen gerade erst an und suchten ein Quartier. Andere behielten die Stände und Zelte scharf im Auge, die überall aufgebaut wurden, wo sich genügend Platz fand.

Alheit sah sich unter den Händlern um, erkannte aber keinen, auch keinen der drei bunt gekleideten jungen Burschen, die mit ausladenden Handbewegungen und absonderlichen Geräuschen die Bemühungen eines dicken Handwerkers beim Standaufbau begleiteten.

ťBald zehn Dutzend von den Kerlen sollen in den nächsten Wochen hier herumstreunenŤ, beschwerte sich ein Bürger im Vorübergehen. ťDa heißt es, die Wäsche hereinholen und die Mädchen einsperren.Ť

ťDabei dürfen wir nicht einmal unseren Spaß mit ihnen haben, vor lauter FastenŤ, murrte ein zweiter.

ťHast du gehört, bei dem Alten gibt’s schöne Mädchen!Ť, rief einer der drei Burschen. Seine Genossen heulten und pfiffen. ťKommt, wir müssen sehen, wo er wohnt!Ť Sie ließen den fluchenden Handwerker allein aufbauen und folgten dem besorgten Vater.

Franz schüttelte den Kopf. ťDass die jungen Leute aber auch immer auf Unfrieden aus sein müssen.Ť

Alheit warf ihm einen fragenden Blick zu. Zwar konnte sie sich nicht vorstellen, dass Franz jemals über die Stränge geschlagen hatte, doch meist fand er solche Eskapaden nur erheiternd, so als wünschte er sich, doch daran teilzunehmen.

ťIch glaube, so jung war ich nieŤ, fuhr er fort, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Versonnen schaute er einem Mann mit schmutzigbraunem Haar nach, der ein längliches Lederbündel im Arm trug wie ein Kind und am anderen Ende des kleinen Platzes in eine Gasse einbog. ťDas ist doch WernerŤ, sagte er leise. ťMöchte wissen, wo er wohnt. Ein Jammer, dass wir nicht zusammen auftreten dürfen.Ť

Alheit überlegte, wann sie den Namen schon einmal gehört hatte. ťDoch nicht etwa der, der in Nürnberg mit euren gemeinsamen Einnahmen durchgegangen ist?Ť

Franz lächelte, als sei das eine seiner schönsten Erinnerungen. ťEr hat wohl eine Gelegenheit gesehen, nach Prag zu kommen. Dort war ein hübsches Fräulein

Schade. Er konnte singen – so habe ich noch keinen wieder gehört. Und Schalmei hat er auch gespielt, viel besser als ich.Ť

Jedenfalls war dieser Werner kein Reisegenosse, wie ihn Alheit sich wünschte. Sie war sicher, dass sie in den nächsten Wochen noch andere, bessere Spielleute kennenlernen würden, mit denen sie in diesem Sommer reisen konnten. Vielleicht sogar welche, die gute Beziehungen zu dem einen oder anderen Hof hatten. Entschlossen schlug sie die entgegengesetzte Richtung ein.

Wenige Schritte weiter stand ein weißhaariger Alter am Tor einer Herberge zum Schwarzen Bären. Sein Mantel war aus gutem, dunklem Tuch, doch der Pelzbesatz begann sich an einigen Stellen zu lösen.

ťIhr wisst nicht, mit wem ihr redet!Ť, fauchte er jemanden im Hof an.

ťDein Name spielt keine Rolle. Auf deine Finger kommt es an, und die sind zu langsam für uns.Ť

Franz hob den Kopf, als er die Stimme des Unsichtbaren hörte. ťDas ist Emich der König, oder?Ť Er ging näher heran.

ťWie willst du grüner Junge das beurteilen?Ť, widersprach der Alte. ťIch habe schon bei Hof zum Tanz aufgespielt, da hast du noch in die Windeln geschissen!Ť

ťDaran könnte es liegen. Du musst dein Altenteil woanders suchen.Ť

Franz nickte, als habe sich seine Vermutung bestätigt. ťEingebildeter Lackel.Ť

ťWas ist das für einer?Ť, erkundigte sich Alheit leise. Doch sie bekam keine Antwort.

ťMein Altenteil! Ich bin noch lange nicht so weit, ins Stift zu ziehen!Ť Der Mann wich keinen Schritt zurück. Alheit glaubte, über seiner Schulter ein helles Horn zu erkennen.

Der andere lachte. ťSpiel doch in Frankfurt Herrn Rainald von Geldern vor. Man sagt, er sucht gute Sackpfeifer.Ť

ťDarauf kannst du Gift nehmen!Ť

ťLieber einen Wein aus dem Wormsgau.Ť Die Stimme im Hof entfernte sich, das Tor wurde nachdrücklich geschlossen.

Der Alte drehte sich schwungvoll um, sodass das Horn beinahe Alheits Gesicht streifte, und eilte in die neblige Gasse davon.

ťWer war das?Ť, fragte Alheit jetzt lauter, während sie sich auf den Rückweg zum Wilden Mann machten.

ťDen Weißhaarigen kenne ich nichtŤ, erwiderte Franz. ťDer hinterm Tor, den wir nicht gesehen haben, war wohl Emich der König. Er soll der beste lebende Sackpfeifer sein und spielt oft für den Erzbischof von Köln.Ť

Alheit nickte. Spielleute legten sich immer großsprecherische Namen bei, auch wenn nicht viel dahintersteckte.

Franz fuhr fort: ťIch habe ihn schon hin und wieder getroffen. Er spielt wirklich sehr gut, aber er lässt auch alle Welt wissen, dass er der Beste ist.Ť

ťUnd was will er dann hier lernen?Ť

ťSo, wie er eben geredet hat, lehrt er wohl eher. Oder er sucht neue Gesellen.Ť

Alheit brummte. ťDa kommen wir ja nicht infrage. Weißt du etwas über den Meister, der uns unterrichten soll?Ť

ťEr kommt aus Paris. Hierzulande ist er nicht besonders bekannt.Ť

 

Sie kehrten in ihr Quartier zurück. Vor ihnen stiegen zwei in struppige Pelze gehüllte Gestalten die Treppe hinauf. Ein Mann und eine Frau, wie sich herausstellte, als sie sich oben im Raum aus ihren Mänteln schälten.

ťGrüß euch GottŤ, sagte der Mann. ťBin Tamas aus Szegedin mit Frau Lene. Spiel auf Fidel.Ť Er zeigte, was er meinte. Offenbar traute er seinen deutschen Sprachkenntnissen nicht. ťMackó schläft in StallŤ, fügte er hinzu und deutete nach unten.

ťWer ist Mazko?Ť, fragte Franz. ťWarum bringst du ihn nicht mit herauf?Ť

Tamas lachte. ťMackó ist Bär. Bleibt besser weg von fremde Menschen.Ť

Franz wich zurück.

Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete Alheit, wie die Frau den Platz für ihr Nachtlager wählte. Sie schob die Matratzen, die sich Elbelin und Gottfrid gebaut hatten, weiter zur Tür hin und breitete daneben die Pelze für sich und ihren Mann aus.

ťDa liegt schon jemandŤ, sagte Alheit.

ťJa, und die beiden jungen Burschen sind freundlicher als duŤ, erwiderte Lene. ťSie haben mir ein warmes Plätzchen angeboten.Ť

Ohne seine Frau weiter zu beachten, versorgte Tamas inzwischen seine Fidel und ein Schellentamburin, mehr nicht. Alheit begann zu ahnen, auf welche Weise Lene ihr Brot verdiente. Schnaubend wandte sie sich ab.