LAETARE

Alheit hätte nicht sagen können, auf welchem Weg sie nach Frankfurt gekommen waren oder ob sie unterwegs gerastet hatten. Gegessen, getrunken, geschlafen.

Baldwin hatte sie mit immer neuen Fragen und Überlegungen traktiert, wohl, um sie wach zu halten auf ihrem Eilmarsch. Um ihre Gedanken von Franz abzulenken. Doch das gelang ihm nicht. Jede Erinnerung an die Ereignisse in Worms führte schließlich in das Verließ des Stadthauses. Mochte Herr Heinrich auch einen Wächter abstellen, der dafür sorgen sollte, dass es den Gefangenen nicht allzu schlecht erging, eine angenehme Herberge konnte er aus dem Loch nicht machen.

Daran dachte sie, als sie nun in einem heruntergekommenen und voll belegten Gasthof ein Lager für sich und Baldwin bereitete. Ihr Körper wäre am liebsten nicht mehr aufgestanden aus dem Stroh, aber sie durfte den halben Tag nicht verschlafen, der ihnen noch blieb.

Bei Wein und Bohnen stärkten sie sich, und als ihre Lebensgeister langsam wiederkehrten, begannen sie zu überlegen, wie sie den Rest des Tages nutzen konnten. Sie mussten die Köpfe sehr eng zusammenstecken, um einander im Tumult der Gaststube verstehen zu können.

ťWie, glaubst du, können wir in diesem Gewimmel Robert finden?Ť Baldwin starrte besorgt in das bunte Gedränge vor ihm.

Alheit antwortete: ťGottfrid werden wir leichter finden. Wir wissen ja, wo er hinwollte. Und vielleicht kann uns jemand von diesen vielen sagen, wo der Erzbischof von Trier und der Graf von Geldern Hof halten.Ť

Baldwin nickte. ťWas ist mit dem Boten des Platzmeisters? Glaubst du, er ist schon hier?Ť

ťBestimmt.Ť Alheit rechnete nach. ťEr ist fast einen ganzen Tag vor uns aufgebrochen. Wenn er auch noch ein Pferd hatte

Ť Ihr Körper sackte in sich zusammen.

ťDann müssen wir zusehen, dass wir ein Geständnis des Mörders bekommen und ein Pferd dazu.Ť

ťWie willst du das anfangen?Ť

ťGenau weiß ich es auch noch nicht. Als Erstes müssen wir Gottfrid finden und erfahren, was der Erzbischof oder seine Leute zu der Sache sagen. Vielleicht hat es gar keine so große Eile.Ť

Alheit schnaubte. Wenn man gerade einen dünnen, aber halbwegs schmackhaften Bohneneintopf gegessen hatte, sagte sich das leicht. Franz dagegen würde jede Stunde doppelt zählen.

Auf Baldwins Frage wies ein Händler aus Regensburg sie zum Karmeliterkloster. ťDer Erzbischof und sein Gefolge sind gestern erst eingetroffen. Ich glaube nicht, dass ihr da heute schon mit Amtshändeln ankommen könnt.Ť Grinsend fuhr er fort: ťEin Dispens? Ist der so eilig?Ť

Alheit verschluckte eine scharfe Antwort und blickte zu Boden. Besser, der Kerl glaubte diese Geschichte.

Sie folgten der Beschreibung des Mannes und kamen gerade recht zum Ende des Mittagsgebets. Geduldig warteten sie, bis sich die Pforte wieder öffnete. Der Bruder Pförtner hätte sie vielleicht eingelassen, doch wegen des hohen Besuchs hatte er Verstärkung bekommen. Zwei bewaffnete Knechte wiesen sie ab. Auch auf Fragen nach Gottfrid und dem Boten aus Worms erhielten sie keine Antwort.

ťGanz so leicht ist er doch nicht zu findenŤ, stellte Baldwin fest. ťOb dieser Graf Rainald schon angekommen ist?Ť

ťUnser junger Freund hat sich wohl zu viel versprochen von seinem HerrnŤ, erwiderte Alheit. Aber es durfte nicht leicht sein, einen hohen Herrn dazu zu bewegen, einen Aufstand mit viel Blutvergießen auszulösen. Warum nur ließ sich Gottfrid nicht davon abbringen, dass Israel Elbelin mit einem tödlichen Zauber belegt hatte? Nach den vielen Fragen, die sie mit Baldwin in den letzten Tagen besprochen hatte, schien es ihr offensichtlich, wer dem Jungen wirklich so übel mitgespielt hatte, und auf welche Weise.

ťWenn ihr nur genauer gesehen hättet, wer in jener Nacht durch den Hof geschlichen ist.Ť Baldwin machte sich offenbar falsche Vorstellungen von ihrem Wert als Zeugen.

Alheit brauchte nicht zu antworten. Sie hatten das Lager des Grafen Rainald noch nicht ausfindig gemacht – sie bewegten sich noch zwischen Messeständen mit billigeren Waren. An einer Bude wurde Wein ausgeschenkt, und davor, der Länge nach im Straßendreck, lag ein junger Mann mit rotem Haar, im gelben und grünen Kleid. Nicht alle Käufer, die sich an den Auslagen vorbeidrängten, machten sich die Mühe, ihn zu umgehen.

Alheit verteilte ein paar kräftige Stöße mit dem Ellenbogen, bis sie neben ihm knien konnte. Noch atmete Gottfrid. Mit Baldwins Hilfe brachte sie ihn wieder auf die Beine. Zu zweit schleppten sie ihn an die Seite der Gasse, zwischen zwei Stände, wo sie nicht mehr bedrängt wurden.

Gottfrid konnte die Augen nicht offen halten und brachte unartikulierte Laute hervor, manchmal begleitet von einem Schwall Wein oder Unrat, den er geschluckt hatte.

ťWohin mit ihm?Ť, fragte Baldwin. ťIn unsere Herberge?Ť

ťDie ist weit weg.Ť Alheit schaute sich um. ťDa drüben scheint ein Kloster zu sein. Vielleicht können wir dort eine Weile rasten.Ť

Sie luden sich Gottfrid auf die Schultern und zogen mit ihm, Schritt für Schritt, dem schlanken Türmchen zu, das eine Klosterkirche anzeigte.

ťOh, Spielleute sind hier offenbar willkommenŤ, stellte Alheit fest, als sie sich dem Gebäude näherten.

Hinter der Klostermauer spielten ein Dudelsack und eine Schalmei zusammen bekannte Tanzweisen. Häufig brachen sie ab und begannen nach einer Pause wieder von vorn.

Alheit hatte das ungute Gefühl, den Dudelsack schon einmal gehört zu haben. ťGeh du vorŤ, bat sie Baldwin. ťSchau nach, wer da spielt. Ich warte hier mit Gottfrid.Ť

Baldwin runzelte die Stirn, widersprach aber nicht. Er ging zur Klosterpforte und bat um Einlass. Kurz darauf trat er durch das Tor.

Alheit hielt ihren angeschlagenen Gefährten an der Mauer aufrecht und strengte die Ohren an, um die besondere Kleinigkeit herauszuhören, die sie vor dem Dudelsackspieler warnte. Etwas in den tiefen Tönen. Er hatte Schwierigkeiten mit der rechten Hand.

Sie atmete lange aus. Wahrscheinlich bildete sie sich das nur ein. Seit wann konnte sie Musiker an ihrer Art zu spielen unterscheiden? Franz hätte ihr sofort gesagt, wo er diesen beiden schon einmal begegnet war. Alheit jedoch konnte nur feststellen, dass der Schalmeispieler es vielleicht mit ihr aufnehmen konnte, aber niemals mit Gottfrid.

Mit solchen Überlegungen ließ sich ihre Ahnung aber nicht vertreiben. Sie setzte sich wie ein zäher Brocken unter Alheits Gürtel fest.

Endlich kehrte Baldwin wieder. Er sah noch finsterer drein als vorhin. ťDu hast recht gehabtŤ, sagte er und fasste Gottfrid wieder unter dem Arm. ťLass uns hier verschwinden.Ť

Nachdem sie um die nächste Ecke gebogen waren, berichtete er genauer: ťDer Dudelsackspieler ist euer weißköpfiger Meister

Ť

Der Brocken in Alheits Bauch sackte noch ein Stück tiefer. ťWas hat er für ein Instrument?Ť

ťAus hellem Holz, mit Hörnern an den Pfeifen. Der Balg ist beinahe weiß.Ť

ťDer gehört ElbelinŤ, presste Alheit heraus. ťUnd wer ist der andere?Ť

ťEin kleiner, mausgrauer Kerl.Ť

ťWernerŤ, riet Alheit.

ťJa, so hat ihn der Pförtner genannt.Ť

Eine Weile zogen sie schweigend weiter. Dann fragte Baldwin: ťOb die beiden auch ein Empfehlungsschreiben vom Erzbischof haben?Ť

Alheit dachte an ihre vergebliche Suche unter Elbelins Lager. ťDas mag sein.Ť

So schleppten sie Gottfrid den weiten Weg bis zum Haus mit dem Apfelbaum. Alheit gelang es, für ihn noch einen Platz im Stroh freizuschieben. Dort legten sie ihn nieder.

ťIch bleibe bei ihmŤ, erbot sich Baldwin. ťVersuche du, den Grafen von Geldern zu finden.Ť

Alheit sah ihn dankbar an. Sie konnte jetzt nicht stillsitzen und grübeln.

 

Sie folgte den Gerüchten von der Ankunft des Grafen zum Mainufer. Das Gedränge in den Gassen hinderte sie, so schnell voranzukommen, wie sie wollte. Doch der Tross war noch damit beschäftigt, alles Nötige vom Hafen herbeizuschaffen und ein weitläufiges Lager aufzuschlagen. Der Herr selbst genoss inzwischen sicher die Gastfreundschaft eines anderen Großen in der Stadt.

Noch stand kaum ein Zelt, da sprachen die Leute schon davon, dass der Graf Pfeifer suchte. Alheit hörte, wie bereits Vermutungen angestellt wurden, wer für dieses Amt geeignet wäre. Gottfrid musste schnell auf die Beine kommen, wenn er hier wirklich etwas ausrichten wollte.

ťUnd, wirst du hier vorspielen mit deinem neuen Dudelsack?Ť

Erschrocken fuhr Alheit herum. Robert stand neben ihr und beobachtete ebenfalls den Aufbau.

ťDie hohen Herren finden immer noch einen Platz, ganz gleich, wie voll es in der Stadt schon istŤ, fuhr er unwirsch fort.

Alheit hatte sich wieder gefangen. ťGut, dass ihr hier seid. Wo wohnt ihr?Ť

ťIm Haus zum Lamm, nicht weit vom Dominikanerkloster. Und ihr?Ť

ťIm Apfelbaum. Gottfrid ist bei uns.Ť

ťNicht beim Erzbischof.Ť Es war eine Feststellung, keine Frage.

Alheit schüttelte den Kopf. ťUnd er ist noch betrunkener als von deinem Lebenswasser.Ť

Robert blickte zu ihr auf. ťFranz ist bei ihm, nehme ich an?Ť

ťPater Baldwin.Ť Alheit brach ab. Hier auf der Straße wollte sie nicht davon anfangen, was sich seit ihrem Abschied ereignet hatte.

ťIch glaube, ich sollte mit dir kommen.Ť Erwartungsvoll sah er sie an.

Vermutete er etwa noch einen Giftanschlag? Alheit machte kehrt und führte ihn zu ihrer Herberge.

Im Schlafraum musste sie ihrem Begleiter einen Weg zwischen den anderen Gästen bahnen, die nach und nach ankamen und ihr Lager aufsuchten. Mehr als einer zweifelte lauthals an ihrer Tugend. Sie stellte sich neben Baldwin, sodass Gottfrid und der Apotheker vor den neugierigen Blicken geschützt waren. Ebenso wenig mussten alle Anwesenden hören, was sie sprachen. Stirnrunzelnd schaute Robert auf Gottfrid hinab. ťEr hatte sich wohl eine bessere Aufnahme bei seinem früheren Herrn erhofft.Ť

ťDie Trierer sind nicht besonders großzügigŤ, bemerkte Baldwin.

Robert schüttelte den Kopf. ťAuch wenn die beiden nicht lange in Trier waren, hätten sie merken können, dass der Erzbischof kein blinder Judenhasser ist. Für so einen Hauch von einem Verdacht schafft er keinen Unfrieden.Ť

Alheit sah ihn scharf an. ťHast du mehr als einen solchen Hauch zu bieten?Ť

Der Apotheker erwiderte ihren Blick. ťDas wohl. Außer deinem Mann litt noch jemand an Schmerzen in den Händen und Fingern.Ť

ťDas nennst du mehr?Ť

ťWarte.Ť Robert kauerte sich neben Gottfrid nieder und roch an seinem Atem. Mit Zweifel im Blick richtete er sich auf und senkte dann noch einmal den Kopf. ťDas ist bloß billiger Wein und schlechtes Bier, mehr nicht.Ť Robert zuckte die Achseln. ťDem Gericht genügt es nicht, aber uns muss es reichen.Ť

ťUns?Ť

ťZumindest müssen alle erfahren, dass sie es nicht mit einem harmlosen Sänger zu tun haben.Ť

ťDas ist zu wenigŤ, widersprach Alheit.

ťEr muss bekennen, was er getan hatŤ, verlangte Baldwin, ťsonst werden sie Franz nicht freilassen.Ť

ťFreilassen?Ť, fragte Robert. ťWer hat ihn gefangen?Ť

Alheit und Baldwin erzählten abwechselnd.

Robert nickte langsam. ťKommt mit in unsere HerbergeŤ, schlug er vor. ťDer Wirt schenkt einen guten Wein aus.Ť

ťJemand sollte hierbleibenŤ, mahnte Baldwin und nickte in Gottfrids Richtung. ťWer weiß, was ihm einfällt, wenn er wieder aufwacht.Ť

Der Engländer lächelte dünn und stand auf. ťDa hast du recht. Ich hole eine Kanne.Ť

Baldwin legte ihm eine Hand auf den Arm und sah ihn warnend an. ťAber ohne fragwürdige Zusätze.Ť

Robert zog die Augenbrauen hoch, als wollte er beteuern, nicht verstanden zu haben.

ťMir bereitet der ehelose Stand keine NöteŤ, fügte Balwin hinzu.

Dann nickte Robert und wiederholte: ťOhne fragwürdige Zusätze.Ť

 

Alheit ging die Treppe hinunter in die Gaststube, um Robert dort zu erwarten. Es dauerte ein Weilchen, bis er zurückkehrte. Marjorie und Katherine begleiteten ihn, und die erste Frage des Mädchens lautete: ťHabt ihr Gottfrid gefunden?Ť

Ihre Mutter blickte säuerlich drein. Dennoch antwortete Alheit: ťJaŤ, und begann zu erzählen.

ťHoffentlich kommt er bald wieder auf die Beine, damit er bei Graf Rainald vorspielen kannŤ, sagte Katherine. ťAlle Spielleute in der Stadt reden nur von ihm.Ť Dann lief sie die Treppe hinauf zum Schlafraum.

ťDa ist es schon fast zu spätŤ, murmelte Marjorie hinter ihr her.

Alheit wiegte den Kopf. ťGottfrid spielt ja nicht schlecht.Ť Ihre Sorgen erschienen ihr nun leichter, da mehrere Leute sie teilten.

Kurze Zeit später gesellte sich Baldwin zu ihnen. ťIch glaube, Gottfrid ist in den besten Händen.Ť

So schien es in der Tat, denn sie hatten einander kaum alles berichtet, was in den letzten beiden Tagen geschehen war, da trat Gottfrid in die Gaststube. Noch ein wenig tapsig, die Augen kaum geöffnet, aber ohne fremde Hilfe. Katherine folgte mit ein wenig Abstand.

Schwerfällig setzte er sich zu Alheit auf die Bank. Robert schenkte ihm von dem dünnen Wein seines Wirtes ein, und er stürzte ihn hastig hinunter.

Dabei erzählten ihm Alheit und Robert, was sie inzwischen in Erfahrung gebracht hatten.

Gottfrid starrte Alheit verständnislos an. Dann wandte er den Blick, ebenso leer, zu Robert. ťIst das euer Ernst?Ť, brachte er nach einer Weile heraus.

ťJaŤ, antwortete Robert.

Alheit nickte nur.

ťMeister WolframŤ, flüsterte Gottfrid und schüttelte noch einmal den Kopf. ťAber warum?Ť

Robert seufzte.

ťWeil er euch als Rivalen aus dem Weg räumen wollteŤ, erklärte Alheit erneut. ťEr hat Elbelins neuen Dudelsack gestohlen und wird beim Grafen von Geldern vorspielen.Ť

ťVielleicht hat er auch eure Empfehlung vom ErzbischofŤ, ergänzte Baldwin.

Gottfrid vergrub den Kopf in den Händen. ťAber wir sind doch kleine LichterŤ, wandte er schließlich ein, als er wieder aufblickte. ťWarum ist er nicht auf Emich den König losgegangen?Ť

ťDer gibt sich nicht mit einem bloßen Grafen abŤ, antwortete Robert. ťEr wartet auf den König von Böhmen. So hoch kann Meister Wolfram nicht mehr hinaus.Ť

ťOh.Ť Gottfrids Blick versank wieder in seinem leeren Weinbecher.

Katherine sah ihn eine Weile erwartungsvoll an, den Krug in der Hand. Als er sich nicht regte, fragte sie: ťWas wirst du Graf Rainald vorspielen?Ť

ťWie?Ť Er kippte den Becher, ein letzter Tropfen rann heraus und fiel auf den Tisch. ťAch so, vorspielen. Ich weiß nicht

Ť

Katherine setzte den Krug wieder ab.

ťWas hältst du von diesem hier?Ť Robert zog eine seiner Pfeifen aus dem Gürtel und begann die Estampie, bei der Elbelin und Gottfrid alle anderen in Grund und Boden gespielt hatten.

Gottfrid presste die Hände um seinen Becher. ťDas kann ich nicht.Ť

ťDann spiel ein anderesŤ, befahl Alheit. Ebenso falsch wie entschlossen sang sie eine der vielen neuen Tanzweisen an. Marjorie kam ihr mit einem verkniffenen Lächeln zu Hilfe.

ťSoll ich wirklich?Ť Verzagt schaute er von einer zur anderen.

ťSoll Elbelins Mörder einen Vorteil aus seiner Tat haben?Ť, fragte Robert dagegen.

ťNein, das nicht.Ť

ťWer weiß, ob wir je ein Gericht finden, vor dem wir ihn anklagen könnenŤ, setzte der Apotheker nach.

Gottfrid ächzte. ťIch allein

Ť

ťDu hast allein sehr gut gespielt, als wir dem Wormser Platzmeister das Bußgeld übergeben habenŤ, erinnerte Alheit.

ťDa warst du dabeiŤ, widersprach Gottfrid.

ťDann geh ich eben auch diesmal mit.Ť Aber schnell wechselte sie das Thema: ťWarst du schon beim Erzbischof?Ť

ťWill er überhaupt etwas davon wissen, ob jemand Elbelin vergiftet hat?Ť, fragte Robert weiter.

Gottfrid schüttelte den Kopf. ťIch bin nur bis zu den Schreibern gekommen. Alles Judenfreunde.Ť Er stutzte. ťAber ihr sagt ja, der Jude war es gar nicht.Ť

Robert nickte.

ťDer Bote aus Worms wird kaum weiter vordringenŤ, gab Baldwin zu bedenken.

ťDas hilft uns nichtŤ, wandte Alheit ein. ťEs wird niemand Meister Wolfram auf den Scheiterhaufen bringen für eine Tat, an die keiner glaubt.Ť

Es schien ihr, als sei Robert bei dem Wort Scheiterhaufen zusammengezuckt. Doch er spann den Faden gelassen weiter: ťHat er nicht noch anderes auf dem Gewissen, das man ihm leichter beweisen kann?Ť

Verwundert sah Gottfrid auf. ťWas meinst du?Ť

ťEinen Diebstahl zum Beispiel.Ť

ťUnser Geld?Ť

ťDas sieht genauso aus wie anderes GeldŤ, erwiderte Alheit.

ťDer Dudelsack?Ť

ťWenn Emich der König schwört, dass es Wolframs Instrument ist

Ť

ťDas tut er nicht!Ť, fuhr Gottfrid auf, griff sich jedoch gleich an den Kopf und sank wieder zurück.

ťDas würde nichts nutzenŤ, unterbrach Robert, ťdenn es ist in Worms geschehen. Während der Frankfurter Messe kann hier aber niemand angeklagt werden für etwas, das er in einer anderen Stadt begangen hat.Ť

Alheit sah ihn zweifelnd an. Das mochte für Händler gelten, kaum für einen Spielmann. Aber wer würde wiederum auf einen Spielmann hören, der den anderen anklagte?

ťEr muss hier in der Stadt einen Kaufmann schädigenŤ, fuhr Robert fort, als habe er ihre Gedanken gehört.

ťDen Gefallen wird er uns kaum tunŤ, erwiderte Alheit.

ťDann helfen wir ein wenig nach.Ť

Gottfrid schaute die beiden verständnislos an. Noch ehe er seine Frage äußern konnte, sagte Marjorie: ťDie Rache des Spielmanns ist sein Lied. Eine schärfere Waffe hat er nicht.Ť

Robert schüttelte den Kopf. ťFür einen Giftmischer ist das zu wenig

Ť

Seine Frau unterbrach ihn mit einem unverständlichen Satz, und die beiden disputierten hitzig in ihrer fremden Sprache. Erregt drängte Robert: ťLass es uns wenigstens versuchen.Ť Dann wandte er sich wieder an die anderen: ťAber dazu ist es notwendig, dass wir vorerst nichts von unserer Anklage verlauten lassen.Ť

Alheit runzelte die Stirn. Sie würde Robert nach seinen Plänen fragen, wenn sie allein waren. Insgeheim zweifelte sie jedoch daran, dass sie Franz auf diesem Weg helfen konnten.

ťUnd was soll ich jetzt tun?Ť, fragte Gottfrid.

ťDem Grafen von Geldern vorspielen und dabei einen guten Eindruck machenŤ, antwortete Alheit. Das zumindest war leicht zu entscheiden.

ťUnd wenn du dabei auf Meister Wolfram triffst, grüß ihn recht freundlichŤ, ergänzte Robert.

Marjories Stirn lag noch immer in tiefen Falten. ťAm Dienstag beginnen wir unser Lied zu verbreiten. Spätestens.Ť

Robert schaute sie missmutig an. ťDas wird es wohl nicht mehr brauchen.Ť

 

In der Gesellschaft seiner Freunde kehrten Gottfrids Lebensgeister schnell wieder. Er bat Alheit, mit ihm zu spielen, doch sie musste zugeben, dass sie kein Instrument mehr besaß.

ťElbelins DudelsackŤ, murmelte Gottfrid. ťUnd ihr sagt, Wolfram hätte ihn gestohlen?Ť

Alheit nickte.

ťDamit soll er nicht weit kommen. Dann spiele ich eben allein.Ť

ťWo hast du denn deine Instrumente?Ť, fragte Robert.

Gottfrid wurde rot und schaute Alheit an. ťHabt ihr mein Bündel nicht auch gefunden?Ť

Alheit und Baldwin schüttelten den Kopf. ťUnd wennŤ, fügte der Priester hinzu, ťwäre von den Instrumenten nicht mehr viel übrig.Ť

Gottfrid starrte zur Decke und summte leise. ťJetzt weiß ich’s wieder. Tristam mit dem roten Hut. Ich habe ihn vor der Stadt getroffen, wir haben uns zusammen ein Quartier gesucht. Bei einem Metzger sind wir untergekommen. Dort müssen meine Sachen noch sein.Ť

Robert zog die Augenbrauen hoch. ťDa gehen wir am besten gleich nachschauen. Weißt du noch, wo dieser Metzger wohnt?Ť

Gottfrid nickte zögernd.

ťKomm, damit wir wieder zurück sind, bevor es dunkel wird.Ť

Robert verließ die Gaststube, Gottfrid trottete hinter ihm her.

 

Alheit schaute ihnen nach, doch in Gedanken war sie schon wieder bei ihren eigenen Sorgen. Was war zu tun, um Franz aus dem Gefängnis zu holen?

Sie mussten Wolfram vor möglichst vielen ehrlichen Zeugen ein Geständnis entlocken. Warum nicht vor dem Grafen von Geldern und seinem Hof? Das schien ihr ein guter Gedanke. Vielleicht konnte dabei das Lied helfen, das Marjorie vorgeschlagen hatte.

Alheit wollte sich schon zurücklehnen und einen Text überlegen, doch vielleicht gab es vorher noch Wichtigeres zu tun.

Baldwin dachte offenbar in dieselbe Richtung. ťWir sollten versuchen, den Boten aus Worms zu finden und zu erfahren, was er erreicht hat.Ť

ťUnd wo willst du ihn suchen?Ť, fragte Alheit zurück.

ťIch werde mich noch einmal mit dem Bruder Pförtner der Karmeliter unterhalten. Solange ich nicht zum Erzbischof will, werden sich seine Waffenknechte wohl nicht einmischen.Ť

Alheit nickte. Dabei war es sicher besser, wenn sie ihn nicht begleitete. Baldwin stand auf und ging seiner Wege. Aber was konnte sie tun, außer hier sitzen und grübeln? Gab es keine Beweise, die sie gegen Wolfram vorlegen konnten?

Einen winzigen Wollfaden, der zu seinem Mantel passen musste, einen Gürtel mit grün funkelndem Beschlag, ein Fläschchen mit gebranntem Wasser zum Einreiben. Wenn er das alles noch bei sich trug und nicht unterwegs losgeschlagen hatte.

Elbelins Dudelsack. Den würde er wohl nicht wieder hergeben. Aber dazu musste Emich der König – oder Johann Schure – beschwören, wie das Instrument in Elbelins Hände gelangt war.

Alheit seufzte. Noch zwei Leute, die sie zu suchen hatte.

Wenn sie Roberts Plan in die Tat umsetzen wollten, durften sie außerdem Wolfram nicht aus den Augen verlieren. Das war sicher einfacher, als Emich den König zu finden. Dennoch schüttelte Alheit den Kopf.

ťWas plagt dich?Ť, fragte Marjorie.

ťIch habe überlegt, wie wir wohl Wolfram wiederfinden, wenn wir ihn brauchen.Ť

ťUnd wozu brauchen wir ihn?Ť

ťHatte nicht dein Mann etwas mit ihm vor?Ť

ťDas ist zu gefährlich, und es hilft uns nicht weiterŤ, stellte Marjorie entschieden fest.

ťGefährlich sind andere DingeŤ, murrte Alheit. Sie erhob sich steif und legte ihren Mantel um.

Marjories fest zusammengepresste Lippen zeigten, dass sie mit diesem Vorgehen nicht einverstanden war.

ťWolfram wohnt bei den Dominikanern, da ist er leicht zu beobachtenŤ, erklärte Alheit. ťIch darf mich nur nicht sehen lassen.Ť

ťDu solltest vor allem nicht allein in der Stadt herumlaufen.Ť

Doch Alheit beachtete den Einwand nicht mehr. Bedächtig suchte sie den Weg zum Kloster der Dominikaner, wo sie vor wenigen Stunden Gottfrid gefunden hatten.

 

Die Klosterpforte war in der Tat leicht zu überblicken. Solange Alheit in der Nähe der Mauer blieb, konnte sie hören, wie Wolfram und Werner versuchten, ihre Fertigkeiten auf Dudelsack und Schalmei in Einklang zu bringen. Jedes Mal, wenn die beiden abbrachen und Wolfram schimpfte, lächelte sie schadenfroh in sich hinein und sagte sich, dass sie es wohl besser konnte. Dabei suchte sie nach Möglichkeiten, den ummauerten Bezirk zu verlassen – oder zu betreten –, ohne dass der Bruder Pförtner es merkte. Ein paar leicht hervorstehende Steine mochten vielleicht helfen, die Mauer zu erklettern. Etwas Besseres entdeckte sie nicht. Als es zur Vesper läutete, verließ sie ihren Posten. Sie wollte nicht allein im Dunkeln ohne Laterne ertappt werden.

 

Baldwin suchte derweil ein anderes frommes Haus auf. Der Pförtner des Karmeliterklosters saß still in seiner Kammer, die Hände über dem braunen Habit gefaltet, den Kopf auf der Brust. Offenbar hatte sich herumgesprochen, dass es für einfache Reisende keine Unterkunft mehr in diesem Kloster gab.

Baldwin räusperte sich.

Der Mönch schrak auf. ťWir haben keinen Platz mehr, PaterŤ, erklärte er hastig.

Beschwichtigend hob Baldwin die Hand. ťKeine Sorge, Bruder, ich habe bereits ein Quartier. Aber für eine Auskunft wäre ich dir dankbar.Ť

Der Pförtner legte die Stirn in Falten. ťEs sind viele Leute ein und aus gegangen in den letzten Tagen.Ť

ťJa, auf einen solchen habe ich es abgesehenŤ, antwortete Baldwin, ťund ich kann ihn dir nicht einmal beschreiben. Er kam als Bote der Stadt Worms, wohl zu Pferd, am Freitagabend.Ť

Nachdenklich schaute der Pförtner zur Decke, als ob an den Holzbohlen die Namen aller Gäste geschrieben stünden. ťDoch, du hast recht. Er wollte zum Herrn Erzbischof, der ist aber erst gestern angekommen. Der Reiter wohnt hier im Gästehaus.Ť Entschuldigend fügte er hinzu: ťDa war es noch nicht so voll.Ť Er beschrieb Baldwin den Weg über das Klostergelände.

ťHe, wir sollen doch keinen mehr hineinlassenŤ, rief einer der Wächter, als Baldwin passieren wollte.

ťKeine Angst, ich gehe bald wieder. Und den Herrn Erzbischof werde ich auch nicht belästigenŤ, antwortete dieser.

ťDa würdest du auch nicht weit kommenŤ, knurrte der Wächter, ließ ihn aber dennoch eintreten.

Baldwin hielt sich an den beschriebenen Pfad. Im Gästehaus wies ihn ein Laienknecht zu dem gesuchten Boten. Er war nicht viel jünger als Baldwin und offenbar häufig auf der Landstraße unterwegs. Am Kamin hatte er ein behagliches Plätzchen gefunden und war nicht bereit, es wieder zu verlassen. Zu viele andere lauerten auf die Gelegenheit, näher an das Feuer zu rücken. So bahnte sich Baldwin unter bösen Blicken einen Weg zu ihm.

ťGott grüße dich, PaterŤ, begann der Bote misstrauisch.

Baldwin erwiderte den Gruß. ťIch will weder dir noch sonst einem den Platz streitig machenŤ, fuhr er lauter fort. Doch sogleich wurde er wieder leiser. ťDich schickt der Platzmeister Friedrich zum Rad aus Worms?Ť Er hatte Alheit noch einmal nach dem Namen gefragt.

ťJa.Ť Zu mehr war der Bote noch nicht bereit.

ťIch komme ebenfalls aus Worms. Ich wollte fragen, ob der Erzbischof nicht noch einen Schreiber braucht.Ť

Der Reiter musterte Baldwin mit zusammengekniffenen Augen. Seine graue Kutte war nicht mehr sauber, die Tonsur aber sorgfältig geschoren. ťIch weiß nicht, ob ich dir da helfen kann. Die Federfuchser sehen unsereinen ja kaum als Menschen an.Ť

ťWenn ich nur einmal so weit komme, dass ich mit einem von ihnen reden kann.Ť Baldwins Stimme nahm einen flehenden Ton an.

Noch immer blieb der Bote missmutig. ťGerade so weit habe ich es heute geschafft. Morgen soll ich wiederkommen.Ť Dann fiel ihm etwas ein. ťAber wenn du mit den Kanzlisten auf Lateinisch reden kannst, nehmen sie dich vielleicht für voll

Ť Er brach ab. ťKannst du das denn?Ť

ťCerte.Ť Baldwin fuhr in der gewünschten Sprache fort. ťIch kann ihnen erzählen, dass du der schnellste und klügste Bote bist, der je im Dienst der Stadt Worms gestanden hat.Ť

Wie erwartet sah ihn der Mann verständnislos an, doch er sagte: ťDas klingt nicht schlecht. Komm morgen zur Frühmesse, dann sehen wir, wie weit sie uns vorlassen.Ť

Baldwin nickte. ťIch danke dir, du sollst es nicht bereuen.Ť

Zufrieden verließ er das Kloster.