MONTAG NACH REMINISCERE

Der Ruhetag hatte wirklich Ruhe in die Gesellschaft gebracht. Am Montag saßen sie so einträchtig beim Frühstück, als gäbe es keinen Zwist unter ihnen. Tamas war bereits auf dem Fischmarkt gewesen und hatte einen Korb voll absonderlichem Getier aus dem Rhein für seinen Bären geholt.

ťMusst du heute Abend wieder mit Mackó tanzenŤ, wandte er sich an Elbelin. ťWird noch Bärenführer aus dir.Ť

Doch der schüttelte lachend den Kopf. ťIch tanze lieber mit einem schönen jungen Fräulein.Ť

Tamas erwiderte sein Lachen. ťSchöne Jungfer wird auch alt und brummig, genau wie Bär. Bär ist ehrlich, macht gleich so.Ť

Trotz der offensichtlichen Heiterkeit fühlte Alheit Unbehagen bei diesem Wortwechsel. Doch sie wollte nicht vorschnell urteilen. Wenn die anderen nach dem Frühstück zu musizieren begannen, hatte sie gut zwei Stunden Zeit. Die wollte sie nutzen, um zu erfahren, wer Elbelins Dudelsack zerstört hatte und warum. Dann würden sie alle ruhiger schlafen können.

Alheit entschied, dass es ihr nicht helfen würde, hinter Lene herzulaufen. Dabei würde sie kaum etwas erfahren, was sie nicht schon wusste. Wenn sie dagegen den Buckligen finden konnte, der am Freitag in der Dämmerung Israel verfolgt hatte

Der Jude war schließlich aus gutem Grund kein Freund von Elbelin.

Ob der heimliche Beobachter auch heute vor dem Hoftor lauerte? Alheit ging hinaus, die Gasse hinauf und hinunter, doch sie entdeckte nichts, was sie an den Buckligen erinnerte. Den Wirt konnte sie kaum fragen, wo sich sein geheimer Bote versteckte. Sie wiederholte ihren kurzen Weg und schaute aufmerksam in jede Nische. Da bemerkte sie vor sich eine Bewegung. Mit zwei schnellen Schritten war sie an der Stelle und packte eine Handvoll lappigen grauen Stoff.

Der Bucklige knurrte sie an wie ein Hund.

ťKeine AngstŤ, sagte Alheit. ťIch will dich nur etwas fragen.Ť

ťAlle fragen immer michŤ, erwiderte ihr Gefangener noch immer grollend. ťDabei gibt es so viele gelehrte Leute in der Stadt.Ť

Alheit nahm eine Münze aus ihrem Beutel. ťDie wissen aber nicht, wo der Jude am Freitagabend hingegangen ist.Ť

Schnell langte der Bucklige zu, aber nicht schnell genug. ťDann sind sie selbst schuld

Ť Der Mann brach ab, als er seinen Fehlgriff bemerkte.

ťWarum?Ť, fragte Alheit und hielt die Münze wieder hin.

ťDafür musst du noch etwas drauflegen.Ť

ťAch komm. Wie viele Leute bezahlen dich denn schon dafür, dass du hier stehst?Ť

Der Bucklige knurrte wieder.

ťWas hältst du von einem Mantel?Ť

ťBesser als nichts.Ť Der Mann seufzte. ťEr ist natürlich ins Judenviertel gegangen, ins Haus zur Sonne, Baruch ben Jakob.Ť

ťGeradewegs, ohne noch einmal umzukehren?Ť

ťSchnurstracks.Ť

Alheit nickte und reichte ihm den halben Heller. ťIch hole den Mantel.Ť Sie beeilte sich, aus ihrem Handwagen die alte Decke hervorzuziehen, die ihr im vergangenen Winter als Mantel gedient hatte.

 

Indessen holten die Spielleute ihre Instrumente aus dem Stall und gingen in den Schankraum. Als Franz die Laute aufnahm, erinnerte ihn ein Ziepen im linken Handgelenk daran, dass er am Samstag schon einmal Schmerzen beim Spielen gefühlt hatte. Aber das war ohne Arznei wieder vergangen. Er musste sich nur ein wenig zurückhalten.

Auch Israel hatte sich wieder eingefunden. Meister Wolfram verweilte diesen Morgen ausgiebig bei der Musik als Heilmittel gegen Melancholie und den süßen Klängen von Saiteninstrumenten. Dabei diente ihm die Guiterne häufig als Beispiel, und Israel zeigte, was er konnte.

Endlich spielte und sang Meister Wolfram seinen Schülern die Stimmen einer Motette vor. Zunächst mussten alle den Text lernen. Französisch. Franz hatte viel von dem vergessen, was er einst gekonnt hatte. Er war beruhigt, dass nicht nur er Schwierigkeiten damit hatte. Tamas sprach dem Meister frohgemut sein Kauderwelsch nach, wie er es verstand. Als Wolfram ihn zurechtwies, antwortete er: ťVerstehe nicht. Mach mir neuen Text, wenn ich brauche.Ť Franz grinste und beschloss insgeheim, es ihm nachzutun.

Robert und seine Frauen hatten keine Schwierigkeiten mit der Sprache. Sie folgten dem Text, als ob sie ihn bereits kennten.

Es dauerte eine Weile, bis sie mit dem Singen beginnen konnten. Die Frauenstimmen fügten sich nicht in den Satz, wie ihn Meister Wolfram aus seinem Buch vortrug. Der Meister verschoss viele böse Blicke in Marjories Richtung und ließ die Sänger immer wieder von Neuem beginnen. Schließlich nahmen die beiden Harfe und Rebec auf – nach einem zustimmenden Nicken von Gottfrid – und begleiteten damit die Männer.

Für Franz hätte das Lied ewig so weitergehen können. Er ließ sich mit der Melodie treiben wie in einem klaren Strom. Obwohl keiner die Sprache richtig beherrschte, sang er mit Tamas und Israel wie ein Mann, bis die unterschiedlichen Läufe im gleichen Punkt zur Ruhe kamen. Für Franz war das Ende des Liedes wie die Rückkehr aus einer anderen Welt. Tamas erging es ebenso, seinem ernüchterten Gesicht nach zu urteilen.

Meister Wolfram dagegen hatte sogleich etwas daran zu ändern. ťDies ist ein Liebeslied, kein Messgesang, und ihr tretet meist allein auf. Daher müsst ihr euch auf eurem Instrument begleiten.Ť Er zeigte auf der Laute, was er meinte. Dass Marjorie und Katherine das bereits getan hatten, erwähnte er nicht.

Franz überlegte. Wenn er Alheit überreden könnte, etwas Leiseres zu spielen als die Schalmei – zum Beispiel den Sopran auf der Flöte

, aber diese Stimme hatte es in sich. Er probierte auf der Laute und musste feststellen, dass er noch viel zu langsam war.

Meister Wolfram nickte seinen Schülern ernst zu. ťIch glaube, ihr habt es begriffen. Übt das Stück allein, in einer Stunde treffen wir uns wieder.Ť

 

Nach dem Gespräch mit dem Buckligen war Alheit nicht sogleich auf den Boden über dem Kaminzimmer zurückgekehrt. Zwar wollte sie die Stücke der vergangenen Woche auf der Flöte probieren. Doch mit den Gedanken war sie nicht bei der Sache. Sie hing noch dem nach, was sie von dem Buckligen erfahren hatte. Wenn der heimliche Beobachter nicht log, war der Jude wohl unschuldig. Es erschien ihr außerordentlich merkwürdig, dass Elbelin nicht selbst sofort auf diesen Gedanken gekommen war.

Da ging sie lieber in die Stadt und hörte, was die Spielleute über ihresgleichen zu erzählen hatten. So machte nun Lenes Gerücht, dass Elbelin den Ungarn bestohlen hätte, überall die Runde. Viele plapperten es nach und bliesen es weiter auf, einige schienen es in der Tat zu glauben, andere verteidigten den Jungen. Darunter Johann Schure, der Dudelsackbauer. Alheit wusste nicht, auf welche Seite sie sich schlagen sollte. Sie hatte Elbelin und Gottfrid beim Geld zählen beobachtet. Doch die Erklärung, die sie dafür erhalten hatte, war glaubhaft. Inzwischen hatten ihr mehrere Spielleute bestätigt, dass die beiden im Dienst des reichen und mächtigen Erzbischofs von Trier gestanden hatten. Wieder zählte Johann Schure zu denen, die Bescheid wussten.

Er bot eine andere Erklärung an: ťWenn mir jetzt jemand sagte, er hätte einem die Frau oder die Tochter verführt – ja, das würde ich eher glauben.Ť Dabei zwinkerte er, doch Alheit hatte nicht den Eindruck, dass er im Scherz sprach. Wer käme da infrage?

Eifersucht auf Lene erschien ihr unwahrscheinlich. Katherine verbrachte viel Zeit mit den beiden Burschen, meist aber unter den Augen ihrer Eltern.

Blieb noch Franz. Diesen Gedankengang verbot sie sich. Lieber wollte sie nachdenken, wie der Freitag verlaufen war, wer wann Gelegenheit zu dem zerstörerischen Werk gehabt hatte.

Lene tanzte mit dem Bären. Hatte Alheit nicht selbst festgestellt, welch eine gute Ablenkung das war? Sie versuchte sich das Bild auszumalen. Lene und Tamas waren vor aller Augen beschäftigt. Franz stand an der Tür zum Schankraum. Er würde sich nicht über den Hof bewegen, solange der Bär tanzte.

Die anderen waren ebenfalls dort versammelt, Elbelin und Gottfrid ganz vorn. Die Küchentür war umlagert von Leuten, die eigentlich drinnen bei der Arbeit sein sollten. Wenn nun jemand von ihnen den Spielleuten gram wäre? Die Köchin, die von dem Lärm ganz krank wurde, wie Klaus behauptet hatte? Der Junge selbst, weil er sie beschützen wollte?

Alheit schüttelte den Kopf. Sie hatte die Bruchstücke des Dudelsacks gesehen. Jemand hatte ihn fachmännisch auseinandergenommen und die einzelnen Teile zerstört.

Sie kehrte wieder zum Verlauf des Freitags zurück. Beim Essen waren alle versammelt gewesen. Dann hatten sie ihre Instrumente wieder hervorgeholt und weitergespielt.

Und Franz war dabei merkwürdig lange ausgeblieben.

Lene auch.

Dieser Gedanke brachte Alheit schlagartig in die Gegenwart zurück. Wenn es zur Sext läutete, sollte sie wieder im Wilden Mann sein. Und es war nicht gut, dass sie ihren Mann so lange aus den Augen ließ.

 

Franz hatte sich in die Küche zurückgezogen. Dort war es wärmer als auf dem Hof, und das kommende Essen duftete anregender als die Abortgrube. Er setzte sich mit untergeschlagenen Beinen in eine Ecke, wo er hoffte, dass er die Küchenmägde nicht störte. Zwar mochte die Köchin angeblich keine Dudelsackmusik, aber mit den zarten Klängen der Laute würde sie sich wohl anfreunden können. Er probierte die Verzierungen, die er in seine Stimme der Motette einbauen sollte. Zuerst spielte er so, wie er ohnehin spielen würde, doch er merkte selbst, dass er dem Stück damit nicht gerecht wurde. Langsam und konzentriert zupfte er dann die Formen, die Meister Wolfram ihm vorgegeben hatte.

Die beiden Küchenmägde kneteten eifrig den Teig für das Brot zum Essen. Dabei warfen sie kaum einen Blick auf Franz, sondern redeten über die hübschen jungen Burschen, die sie auf dem Markt gesehen hatten.

Franz sang seine Stimme noch einmal mit allen Verzierungen, so gut er den französischen Text eben zurechtbrachte. Vielleicht sollte er doch für eine Weile ins Elsass und weiter nach Frankreich hinein ziehen. Dann würden all die vergessenen Worte zurückkehren.

Schließlich wurde es ihm zu bunt. Er war nicht hier, um auswärts singen oder gar reden zu lernen, sondern seine Finger sollten sich an die neuen Verzierungstechniken auf der Laute gewöhnen. Die konnte er auch mit anderen Liedern üben.

Er spielte eine leichte Tanzweise als Überleitung und begann eine anzügliche Ballade über Tristan und Isolde.

Die Küchenmägde hielten in ihrer Arbeit inne und schauten ihn an. ťHe, du kannst ja auch richtige Musik machenŤ, rief die eine, und beide brachen in haltloses Kichern aus.

Franz gab sich Mühe, nicht selbst loszulachen, sondern die traurige Geschichte mit dem nötigen Ernst zu Ende zu bringen und dabei die richtigen Verzierungen einzubauen.

ťSpiel doch mal das von der hübschen Küchenmagd und ihrem VerehrerŤ, verlangte das vorlaute Mädchen, als die beiden Liebenden im Tod vereint waren.

ťAber natürlichŤ, erwiderte Franz und rieb sich den Bauch. ťNur, vergesst nicht: Die Spielleut essen, trinken gern.Ť Dieser Spruch war heraus, ehe er sich besinnen konnte. Alheit hätte dagegen sicher Einwände erhoben.

Die Küchenmägde schauten sich nur kichernd an. Dann nahm die eine eine Handvoll von ihrem Teig, formte ihn schön rund zu einem kleinen Brot und schob ihn in den Ofen. ťIch muss doch sehen, ob die Glut recht ist zum BackenŤ, erklärte sie.

Franz nickte verständig und begann die übermütige Geschichte von dem geschenkten Gürtel. Dann folgten weitere Loblieder auf die Freuden des Sommers.

Als genügend fröhliche Paare über den grünen Anger gesprungen waren, holte die eine Küchenmagd das kleine Brot aus dem Ofen. ťPass auf, das ist heiß. Nicht, dass du deine kostbaren Finger verbrennst.Ť

Franz wickelte die Finger in den Saum seiner Cotte, brach das Brot in zwei Teile, tunkte sie in die Soße, die auf dem Herd köchelte, und ging damit hinaus zu Alheit.

ťKomm ruhig öfter vorbei!Ť, rief die eine Magd hinter ihm her.

 

ťDa steckst du!Ť Alheit rannte ihrem Mann entgegen. ťWas soll das?Ť

Breit grinsend hielt er ihr seine Beute aus der Küche hin. ťDa, ein Vorgeschmack aufs Mittagbrot.Ť

Doch Alheit ließ sich nicht ablenken. ťWas treibst du mit den Küchenmägden?Ť

Er schaute sie ratlos an. ťDa drin ist es warm, da werden die Finger nicht so steif. Und es gibt was zu essen.Ť

ťBei uns oben war es auch warmŤ, fauchte sie. ťWarum bist du nicht gekommen?Ť

Franz zuckte die Schultern. ťIch dachte, du spielst wieder Dudelsack.Ť Er winkte ab. ťAch so, das geht ja gar nicht mehr.Ť

ťEben.Ť

ťAber das war doch

Ť

ťLene, meinst du?Ť

Franz schüttelte den Kopf und atmete tief auf. ťIch war am Freitag nach dem Essen noch einmal obenŤ, begann er.

ťUnd?Ť

ťIch habe nicht darauf geachtet, vielleicht war der Dudelsack da schon zerbrochen. Es waren Holzsplitter auf dem Boden. Aber ich habe nicht nachgeschaut.Ť

Holzsplitter? Die waren ihr nicht aufgefallen. Sie schnaubte unwillig und lief davon.

Franz sah auf das Stück Brot, das inzwischen gut durchgeweicht war, und steckte es in den Mund. Dann betrat er als Letzter den Schankraum.

 

Alheit eilte die Treppe hinauf, ließ die Tür weit offen stehen und suchte den Boden ab. Doch in dem Stroh, das ihr Lager bildete, war nichts mehr zu entdecken. Zu viele Leute waren inzwischen hin und her gegangen, hatten mehr oder weniger ruhig geschlafen.

Und wenn sie etwas fände, was würde ihr das sagen? Nichts Neues.

Sie nahm die Schalmei aus dem Korb und blies sich die Wut aus dem Leib.

 

Obwohl Franz das ganze Brot aufgegessen hatte, blieb ihm ein hohles Gefühl im Bauch. Alheit. Sie waren nun schon einige Jahre zusammen unterwegs, aber in der Bruderschaft der Spielleute war sie noch nicht angekommen.

Doch ihm blieb keine Zeit, weiter zu grübeln. Meister Wolfram setzte sie wieder in den Stimmen zusammen wie vorher, doch diesmal sollte nur einer singen, die anderen beiden spielen.

Der Meister bestimmte Israel, Robert und Elbelin als Sänger – offenbar gab er doch der Sprachkunst den Vorzug vor der Stimmgewalt. Marjorie und Katherine suchten sich selbst ihren Platz in der Gruppe.

Im zweiten Durchgang, als die Sänger schwiegen, kam der Schmerz zurück. Franz verzog vielleicht das Gesicht, ließ sich aber sonst nicht beirren. Er konzentrierte sich darauf, die rechte Hand mit dem Plektrum so leicht und flink zu bewegen, wie es sein musste, auch wenn das Gelenk stach und biss. Dann setzten die Sänger wieder ein. Obwohl seine Ohren und sein Verstand ihm sagten, dass sie hier ein großartiges Klanggebäude errichteten, konnte Franz sich diesmal nicht dem Zauber des Gesangs überlassen. Er hatte Mühe, seine Stimme sicher auf den Schlusspunkt zu lenken, an dem sich alle trafen.

Der scheppernde Gong zum Essen kam wie eine Erlösung. Franz legte die Laute so hastig beiseite, wie er es sonst nie tat. Ob er morgen lieber mit der Flöte kommen sollte? Schließlich wollte er Alheit die drei Stimmen beibringen, da war es besser, wenn er ihr genau vormachen konnte, was zu tun war.

ťNimm es nicht zu leichtŤ, warnte Robert.

ťWas?Ť

ťWas auch immer dich dazu bringt, den Löffel so vorsichtig anzuheben, als wäre er aus Glas.Ť

Franz schluckte. Er brauchte sich gar nicht umzusehen, um zu wissen, dass Alheit das Gespräch genau verfolgte.

Robert fuhr fort: ťDu hattest vorhin schon Schwierigkeiten mit der Laute, nicht wahr? Nach der Übepause?Ť

Wider Willen nickte Franz.

ťAlso, wenn ich wüsste, dass es in der Stadt einen guten Apotheker gibt, würde ich dir eine alkoholische Einreibung mit Geißfuß empfehlen.Ť

ťEine alkoholische

was ist das?Ť

ťOh, eine Art, die Essenz von Kräutern zu gewinnen, die hierzulande noch kaum bekannt ist.Ť Robert grinste, als ob es damit noch eine andere Bewandtnis hätte. ťJenseits der Alpen und der Pyrenäen ist sie aber schon weit verbreitet. Nicht zu vergessen jenseits der Irischen See!Ť Jetzt lachte er laut heraus.

Franz nickte zu Roberts Vorschlag, als ob er ihn ausführen wollte. Apotheker kosteten vor allem Geld, und morgen früh würde der Schmerz wieder aufhören, genau wie heute. ťJa, wenn es hier einen guten Apotheker gäbeŤ, seufzte er.

Alheit hielt Burkhard an, der eine neue Kanne Wein auf den Tisch gestellt hatte. ťKannst du uns eine Apotheke in der Stadt empfehlen?Ť

Der Wirt warf einen schnellen Blick auf Franz. ťDie Kettenapotheke am Dom.Ť Das klang nicht recht überzeugt. ťAber geht vielleicht besser zu den Wilhelmiten im Heilig-Geist-Spital vor der Neuen Pforte.Ť

ťNa, naŤ, protestierte Robert, ťKlostermixturen kann ich hier am Tisch zehn zusammenrühren, ohne dich oder mich zu ruinieren.Ť

ťWieso? Was verstehst du denn davon?Ť, fragte Burkhard.

ťMehr als so ein Kuttenbruder auf jeden FallŤ, behauptete der Pfeifer. Seine Frau zupfte ihn nachdrücklich am Ärmel. Die misstrauischen Blicke von allen Seiten entlockten ihm dennoch eine Erklärung: ťIch war ein paar Jahre bei einem Apotheker im Dienst, in Heidelberg. Da habe ich mir das eine oder andere abgeschaut.Ť

ťSo arm seid ihr doch nichtŤ, fuhr Robert nach einer unbehaglichen Pause fort. ťGeh zum Stadtapotheker, Franz, du brauchst deine Hand noch.Ť

Aber Franz fürchtete, dass ihn dieser Besuch teuer zu stehen kommen würde. Sein Geld konnte er für andere Zwecke besser gebrauchen. Nach dem Essen lockerte er gründlich seine Hände. Vielleicht ging es ja doch noch gut.

Alheit erinnerte ihn an seinen Vorsatz vom Samstag. ťWolltest du nicht Herrn Heinrich melden, was geschehen ist?Ť

ťOh ja, das ist wahr.Ť Er schien es völlig vergessen zu haben. ťIch dachte, er kommt wieder einmal zu uns zum Musizieren. Auf jeden Fall sollte Elbelin dabei sein.Ť

Dieser schien ihn nicht zu hören. Als Franz ihn direkt ansprach, verzog er unwillig das Gesicht und sah sich im Schankraum um. ťEs wird mir nicht viel anderes übrig bleibenŤ, gab er zu. ťAber du weißt, wie viel geschehen muss, damit ein Spielmann auch nur den Schatten einer Buße erhält?Ť

ťAuch dann, wenn er für den Erzbischof von Trier spielt?Ť

Elbelin stand der Zweifel ins Gesicht geschrieben. ťDas könnte vielleicht helfen. Wenn wir bei diesem Ritter nichts erreichen, schicke ich eine Nachricht an Herrn Balduin.Ť

ťMorgen früh gehen wir zu ihmŤ, entschied Franz. Insgeheim hoffte er, dass Herr Heinrich sich doch noch im Wilden Mann sehen lassen würde.

 

Als es wenig später klopfte, trat jedoch ein Fremder ein. Er war klein und mager, braungrau von Kopf bis Fuß. Und allzu fremd war er nicht.

ťWerner!Ť Franz lief ihm entgegen. ťWas führt dich hierher?Ť

Werner antwortete nicht, setzte sich zu den anderen an die Tafel und warf sehnsüchtige Blicke in die leeren Schüsseln. Lene schenkte ihm einen Becher Kräuterwein ein.

ťKannst du den bezahlen?Ť, fragte Alheit spitz.

Der kleine Mann sackte in sich zusammen.

ťAlso nicht.Ť

Es wurde unbehaglich still.

Zu guter Letzt warf Meister Wolfram eine große Silbermünze auf den Tisch. ťWas dieser elende Zwerg isst und trinkt, will ich schon noch bezahlen.Ť

ťDanke, HerrŤ, murmelte Werner mit gesenktem Blick.

ťWolfram LautenschlägerŤ, ergänzte der Sänger.

Unsicher sah Werner ihn an und griff dabei nach der Münze. ťDankeŤ, wiederholte er. ťGott segne Euch.Ť

In die Stille hinein begann Marjorie ihre Harfe zu stimmen. Sie zog die Augenbrauen hoch, fast bis zum Rand ihrer Haube, als Katherine ohne zu fragen Gottfrids Rebec aufnahm. Doch der nickte dazu und richtete sich aufs Zuhören ein. Elbelin tat es ihm mit einem breiten Grinsen nach.

Alheit griff zur Flöte, auch wenn sie nicht wusste, ob sie spielen würde. Franz umfasste seine rechte Hand mit der linken. Er wollte sich schließlich zurückhalten.

Dafür streckte Werner die Hand nach der Laute aus. ťIch darf doch?Ť

ťHast du kein Instrument?Ť, fuhr Alheit ihn an.

Sein Arm schnellte zurück wie von einer Peitsche getroffen.

Meister Wolfram nahm seine Laute aus dem Kasten und reichte sie Werner mit einer feierlichen Geste. Dieser bedankte sich unterwürfig und machte sich ans Stimmen.

Alheit stellte sich zu Marjorie und Katherine, und die drei spielten eine Folge von Tanzweisen, die sie in der vergangenen Woche gelernt hatten. Robert schaute Alheit mit traurigem Kopfschütteln an, dann versuchte er, sie mit ausgefallenen Verzierungen zu übertönen. Als sie endeten, richteten sich alle Blicke erwartungsvoll auf Werner.

Er fuhr über die Saiten der Laute und begann ein Spottlied über den Niedergang der Grafen von Katzenelnbogen.

Alheit lauschte beeindruckt seiner Stimme. Franz hatte recht; der Kerl mochte ein Jammerlappen und Betrüger sein, dafür aber auch ein großer Sänger. Ihr Mann lächelte zufrieden, als habe er es schon immer gewusst. Lene kicherte über den anzüglichen Text.

ťGib her!Ť Bei der zweiten Strophe riss Meister Wolfram dem Sänger die Laute aus der Hand. Er hüllte das Instrument in seinen Mantel und schritt hinaus.

ťWas war das?Ť, fragte Werner verwundert.

ťOh, Wolfram hat schon vor Kaisern und Königen gespieltŤ, erklärte Lene großspurig. ťUnd zuletzt für die Grafen von KatzenelnbogenŤ, fügte sie hinzu.

Werner schien noch kleiner zu werden. ťDas wusste ich nicht, wirklich. Warum sagt mir das keiner?Ť

ťKomm, trink noch einenŤ, tröstete Lene. ťDas Geld hat er dir ja gelassen.Ť