MITTWOCH NACH OCULI

Es war ihr letzter Tag im Wilden Mann. Morgen früh würden sich alle auf den Weg nach Frankfurt machen, zum Reichstag. Dort würden sie trotz allem etwas verdienen können und vielleicht neue Herren finden. Meister Wolfram kürzte die gewohnten Pausen deutlich ab, dafür beendete er den Unterricht erst, als Burkhard mahnte, er müsse die Gaststube zum Essen herrichten. Alheit bemerkte, wie Robert sich durch das Hoftor davonstahl, obwohl nicht mehr viel Zeit blieb, sich in der Stadt herumzutreiben. Marjorie und Katherine nahmen anscheinend keine Notiz von seiner Abwesenheit.

 

Robert stand eine Weile allein am Weinausschank. Gedankenverloren hielt er sich an seinem Becher fest, drehte ihn zwischen den Fingern, nippte hin und wieder daran.

Hinter ihm lärmten Spielleute aus aller Herren Länder, sangen, pfiffen, tanzten und überboten einander mit haarsträubenden Erzählungen. Schon viele Jahre reiste er mit ihnen, bald ein halbes Leben. Er hatte es sogar zu einiger Fertigkeit auf der Flöte gebracht und dafür einen neuen Namen bekommen: Piper. Dennoch zog es ihn mehr zu den Gewürz-und Arzneihändlern als zu den Instrumentenbauern. Das war seine Welt. Nur ein böses Geschick hatte ihn daraus vertrieben. Er ächzte leise und ließ seinen Blick noch einmal über die Gesellschaft wandern, ob nicht der gekommen wäre, auf den er wartete.

ťFŕilte, Meister Pillendreher, heute ohne Frau unterwegs?Ť Ein hochgewachsener Rothaariger in einer knielangen dunkelgrünen Cotte war zu ihm getreten.

Robert fuhr herum. ťWo kommst du plötzlich her?Ť

ťIch schaue dem Treiben schon eine ganze Weile zu. Es ist ein Jammer, so viel Kraft und Witz für Nichtigkeiten vergeudet zu sehen.Ť

Robert wusste, warum Malcolm in seiner Sprache vom Rand der Welt redete, und er verstand, was er sagte. Eine Antwort vorzubringen fiel ihm jedoch schwer. ťNur deshalb lässt man sie auch dort ein, wo Schwertträger nicht willkommen sind.Ť

ťDu hast ja recht, Robert. Wie steht es, fahrt ihr bald weiter nach Frankfurt?Ť

Robert sah zweifelnd zu Boden. ťMorgen, so war es geplant. Wann tut sich dort etwas?Ť

ťBaldŤ, erwiderte Malcolm. ťBis Ende der Woche werden die großen Herren wohl eingetroffen sein. Es heißt, dass der Kaiser mit Geldern Großes vorhat.Ť

ťSieh an, mit Geldern.Ť Robert strich sich über das Kinn. ťDas wird noch mehr Leute interessieren.Ť

Malcolm hob ein Fässchen auf den Tisch. ťDen wolltest du doch haben, oder?Ť

ťNur eins?Ť

ťSag erst, was du in Fulda erreicht hast.Ť

Robert schüttelte den Kopf. ťNicht viel. Niemand kennt das Buch, das Bischof William sucht. Vielleicht muss ich weiter nach Süden.Ť

Malcolm nickte. Dann fragte er noch einmal: ťWann reist ihr nach Frankfurt?Ť

ťMorgen, übermorgenŤ, Robert zuckte die Schultern. ťEs ist ja nicht weit. Ich muss nur meine Weibsleute überreden.Ť

ťIch habe noch drei Fässchen davon in meinem Karren. Vielleicht hilft das.Ť

Robert nickte.

 

Als es dunkel wurde, versammelte sich die Gesellschaft wieder in der Gaststube zum Abendessen. Eine Eierspeise war es diesmal. Der Herr von Alzey versorgte seine Schüler nicht schlecht. Dennoch gab es einige missmutige Gesichter am Tisch. Nur Lene strahlte geradezu. Alheit rümpfte die Nase. Lenes Einkünfte aus ihrem Nebengewerbe waren wohl gut gewesen. Näheres wollte Alheit sich gar nicht ausmalen.

Sie saßen noch beim Essen, als Elbelin mit einem Mal aufsprang. ťDa ist der Jude wieder.Ť

Alle Köpfe fuhren herum.

Burkhard verließ hinter jemandem, von dem nur noch eine Gewandfalte zu sehen war, die Küche in Richtung Hof. Es mochte Israel sein. Elbelin lief ebenfalls hinaus, die anderen folgten ihm.

ťWas machst du hier, Jude?Ť, rief Elbelin, obwohl niemand zu sehen war.

Zwei fremde Knechte, beide Juden, kamen aus dem Bärenstall. Sie trugen die mächtige Truhe, in der Israel seine Instrumente verwahrte.

Oder auch nicht. Denn eben kam der Spielmann auf den Hof, aus einer Tür neben der Küche, mit Guiterne und Sackpfeife. Burkhard folgte ihm und schloss die Tür wieder ab.

Israel beachtete die anderen nicht, er sprach nur mit den Knechten und verließ hinter ihnen den Hof.

Noch einmal lief Elbelin ihm nach. ťWas soll das? Was hast du dich hier einzuschleichen?Ť

ťIch hole meine Instrumente.Ť

ťWo waren sie? Nicht in der Truhe?Ť

ťNein.Ť

Einen Augenblick starrten die beiden einander an. Dann sah Israel an Elbelin vorbei und fragte die anderen: ťOder will jemand einen Dudelsack kaufen?Ť

ťSelbst, wenn ich noch Geld hätte – dir würde ich es nicht geben!Ť Elbelin trat einen Schritt zurück und verschränkte die Arme.

Auch sonst wollte niemand auf das Angebot des Juden eingehen.

ťUnd du?Ť, fragte Marjorie den Juden.

Israel schüttelte den Kopf. ťIch werde Handelsknecht bei Baruch ben Jakob.Ť

ťSchadeŤ, sagte Franz. ťDas kann jeder vertrocknete Strohwisch.Ť

Der Jude ließ sich nicht beirren. ťSingen und spielen können auch viele, sogar Christen. Geduldige Abakusschieber gibt es weniger.Ť

Robert nickte vor sich hin. ťLebt im Hause ben Jakob nicht auch eine Rahel?Ť

ťJa, auch.Ť

Katherine kicherte.

ťDann wünsche ich viel GlückŤ, sagte Marjorie.

Alheit ging trotz allem auf Israel zu. Sie wollte sich die Sackpfeife ansehen. Doch er machte keine Anstalten, ihr das Instrument zu geben.

Meister Wolfram drängte sich an ihr vorbei. ťIch kann dir die Guiterne abkaufen, wenn du das Geld brauchst.Ť

Israel warf ihm einen ungläubigen Blick zu, tat aber, als ob er nichts gehört hätte. ťDann nicht. Lebt wohl.Ť Damit wandte er sich zum Gehen.

Elbelin rief Flüche hinter ihm her.

Alheit starrte ihm finster nach. Warum bot er seine Instrumente erst an, wenn er sie doch nicht verkaufen wollte?

ťLass gut seinŤ, riet Franz, der ihr nachgekommen war. ťUnser Geld reicht einfach nicht.Ť

ťWenn ich meinen Dudelsack einmal nicht mehr brauche, bekommst du ihnŤ, sagte Elbelin. ťDas Judenzeug musst du nicht anfassen.Ť

Wider Willen lächelte Alheit. ťWann wird das sein? Wenn du als zahnloser Greis kaum noch den Sack unter dem Arm halten kannst?Ť

ťWenn sie ihm endlich die diebischen Finger abhacken!Ť, giftete Lene. Doch niemand achtete auf sie.

Wolfram hielt einen ausführlichen Vortrag über die Nachteile der Guiterne im Vergleich zur Laute, während sie in die Gaststube zurückkehrten.

Drinnen fischte Klaus Reste aus den verlassenen Schüsseln.

Wenig später erschien Herr Heinrich von Alzey, wie immer in Begleitung des Knappen, der ihm die Laute nachtrug. Der Ritter ließ sich bei den Spielleuten nieder und stimmte flüchtig. Als Burkhard dem Herrn seinen besonderen Wein einschenkte, ging die Tür auf und ein neuer Gast trat ein. Eine stämmige Gestalt in grauer Kutte, die Kapuze weit ins Gesicht gezogen, gestützt auf einen Pilgerstab.

Alheit wollte schon aufspringen und ihn begrüßen, doch der Wirt war schneller: ťGeschlossen. Such dir eine andere Herberge, Schüler.Ť

ťFriede sei mit euchŤ, grüßte der Neuankömmling. ťIch suche Herrn Heinrich von Alzey, da hat man mich hierher gewiesen.Ť

Nun konnte Alheit doch nicht mehr sitzen bleiben. ťBaldwin!Ť Sie rannte auf ihn zu und umarmte ihn. Franz folgte dicht hinter ihr.

Schließlich kam auch Herr Heinrich zum Zug. ťWer du auch bist, sei willkommen.Ť

Burkhard schnaufte nur und deutete mit dem Weinkrug unbestimmt zum Tisch. ťSetz dich.Ť

Elbelin und Gottfrid rückten bereitwillig näher zusammen, Lene zeigte sich hocherfreut, dass Gottfrid nun noch dichter an ihrer Seite saß.

Baldwin legte Mantel und Kapuze ab. Nun war die Tonsur in seinem dichten grauen Haar deutlich zu sehen.

ťWillkommen, BaldwinŤ, sagte Elbelin. ťWas führt dich zu uns fahrenden Spielleuten?Ť

ťWirst du in deiner Kirche nicht vermisst?Ť, fügte Gottfrid hinzu.

ťMeine Kirche ist der MarktplatzŤ, erwiderte Baldwin. ťDort predige ich und singe das Lob Gottes und der Heiligen Jungfrau.Ť

Die beiden Jungen lachten laut heraus und sangen ein Stück aus einer Goliardenmesse.

Baldwin beachtete sie nicht weiter.

Dafür fragte Alheit: ťWas ist geschehen? Wir dachten, du bist längst sicher in Amt und Würden.Ť

ťJa, das dachte ich auch.Ť Baldwin seufzte. ťDer Lindenfelser Burgkaplan und ich waren uns schon einig. Die Hauptgottesdienste haben wir gemeinsam gefeiert, die kleinen Horen habe meistens ich gelesen, und er hat sich mehr mit seiner Gemeinde befasst. Die Leute kennen ihn seit Jahrzehnten, sie müssen sich erst an den Gedanken gewöhnen, dass sich bald ein anderer um ihr Seelenheil kümmern wird. Doch dann kam der Sonntag Sexagesimä und mit ihm der Patronatsherr. Er brachte seinen Neffen mit, einen feisten Knaben, der keinen sauberen lateinischen Satz zustande bringt. Aber er ist schon zum Diakon geweiht, spätestens im Sommer soll er Priester werden und dann Pater Antonius ablösen. Mich braucht dabei keiner mehr.Ť Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: ťDarum bin ich nun hier. In dieser Stadt mit ihren Stiften und Klöstern und anderen Gotteshäusern kann ich vielleicht den einen oder anderen Altardienst versehen.Ť

Herr Heinrich nickte verständnisvoll. ťIch werde einmal mit ein paar Herren reden

Ť

Baldwin hatte seine Geschichte kaum beendet, da drängte ein neuer Gast herein. Der Wirt versuchte schon gar nicht mehr, ihn abzuwimmeln.

Sie, denn es war ein Mädchen im verwaschenen grünen Kleid. Sie ging ohne Mantel, nur mit einem Kopftuch, und barfuß. Weit war sie offenbar nicht gewandert.

ťHerr Pater?Ť, fragte sie schüchtern.

Baldwin wandte sich zu ihr um. ťElse! Wie kommst du hierher?Ť

Alheit starrte sie erschrocken an. Jetzt erkannte sie das Kind wieder. Aber Else war kein Kind mehr. In den acht Monaten, seit sie Lindenfels verlassen hatte, schien sie erwachsen geworden. ťHast du es doch geschafft. Gott sei Dank.Ť

Else nickte. ťIch bin als Magd bei den BeginenŤ, erklärte sie. ťIch

ich habe den Herrn Pater gesehen und

Ť

ťSetz dich erst einmal hin und issŤ, drängte Alheit und holte eine Schale herbei.

Franz langte nach Brot. ťHier ist das Fastenessen bestimmt besser als im Konvent.Ť

ťJedenfalls das fürs Gesinde.Ť Else schaute sehnsüchtig nach der Schüssel, die Alheit für sie füllte.

Von der anderen Seite reichte Elbelin ihr einen Becher. Obwohl er sie freundlich anlächelte, roch sie erst daran. Ihr Misstrauen legte sich dadurch nicht. ťWas ist das?Ť

ťLebenswasserŤ, erwiderte der junge Mann. ťNicht wahr, so nennst du es, Robert?Ť

Robert nickte. ťDie Iren sind ein ungehobeltes Pack, aber das, das haben sie uns voraus. Slainte!Ť Er hob seinen Becher und trank.

ťNimm lieber von dem Kräuterwein, KindŤ, warnte Franz und schenkte ihr ein. ťUnd dann erzähl, was dich zu uns führt.Ť

Inzwischen kam auch Alheit mit dem, was Klaus von den Eiern übrig gelassen hatte, und Else langte zu.

ťIch habe den Herrn Pater gesehenŤ, nahm sie den Faden wieder auf, ťbei der Schwester Pförtnerin. Und da dachte ich, vielleicht

Ť Sie brachte es doch nicht heraus.

Baldwin nickte. ťIch komme aus Lindenfels. Deine Eltern vermissen dich – und Heinrich auch.Ť

ťHeinrichŤ, hauchte Else.

ťEr hat mich schon ein paarmal nach dem geistlichen Leben gefragt.Ť Baldwin musste schmunzeln. ťAber noch hämmert er in der Schmiede mit Gert um die Wette und hält sich die schöne Susanna aus Fürth vom Leib.Ť Nach einer Pause fuhr er fort: ťDeiner Großmutter geht es schlecht.Ť

ťOh.Ť

ťDer Winter war hart, auch im Odenwald haben die Heuschrecken viel zerstört.Ť

Else nickte abwesend. ťKann ich mit dir zurückkehren, Herr Pater?Ť

Baldwin schüttelte den Kopf. ťIn Lindenfels brauchen sie mich nicht mehr. Ich will sehen, ob nicht hier irgendwo ein Vikar vonnöten ist

Ť

ťDu hast dich allein auf der Flucht vor einem Mörder hierher durchgeschlagenŤ, unterbrach Alheit, ťda wirst du doch auch wieder nach Hause kommen.Ť

Elbelin hörte mit großen Augen zu. ťDu bist die tapfere Else, von der Franz erzählt hat?Ť

ťTapfer?Ť, fragte Else errötend.

Elbelin nickte so heftig, dass seine blonden Locken flogen.

Schneidend fiel Katherine ein: ťJa, die Geschichte will ich auch hören. Vor allem von diesem Heinrich.Ť

Franz zog den Kopf ein, als sich die Blicke der ganzen Gesellschaft auf ihn richteten. Dann fragte auch Herr Heinrich nach: ťIhr hattet mit einem Mörder zu tun? Erzähl!Ť

Alheit sah ihn ungläubig an. Sie waren im vergangenen Herbst, zur Weinlese, in Alzey gewesen und hatten von ihrem Abenteuer berichtet. Wusste der Ritter nun schon nichts mehr davon?

Inzwischen hatte Franz seine Gedanken geordnet und begann zu erzählen. Robert sorgte derweil dafür, dass die Becher stets mit goldbraunem Lebenswasser gefüllt waren. Herr Heinrich gab dazwischen großzügig von seinem edlen Wein ab. Vor allem Elbelin nutzte diese Quelle und fand immer wieder einen Grund, auf die Gesundheit eines der Anwesenden zu trinken.

ťWenn wir nicht nach Geldern gingen, würde ich gern mit euch weiterziehenŤ, sagte er zu guter Letzt zu Alheit, ťwo ihr solche Dinge erlebt.Ť Dabei strahlte er sie voll Bewunderung an.

Sie wollte eine bissige Antwort geben, doch die Zunge lag ihr schwer im Mund und brachte kein verständliches Wort hervor.

An ihrer Stelle wandte Meister Wolfram ein: ťIhr tut, als ob ihr den Grafen von Geldern schon in der Tasche hättet.Ť

ťHerzogŤ, verbesserte Robert halblaut.

Doch Elbelin übertönte ihn: ťHaben wir auch.Ť Er begann, an seiner Gürteltasche zu nesteln. ťDer Herr Erzbischof hat uns eine so glänzende Empfehlung mitgegeben, da will ich den Grafen sehen, der darüber hinweggeht.Ť Manche Laute kamen schon recht undeutlich heraus.

Gottfrid fiel ein, als habe er den Satz auswendig gelernt: ťEin geschickter Sackpfeifer und sein Geselle, ein flinker Schalmeibläser.Ť

ťAch nein, das Ding liegt ja obenŤ, murmelte Elbelin und zitierte mit einigen Holperern weiter: ťDie beiden verstehen sich ebenso vorzüglich auf Gesang und Saitenspiel.Ť

ťImmerhin gibt es im Gefolge des Erzbischofs noch ein paar ChristenŤ, schloss Gottfrid zufrieden.

Robert lachte. ťDie Beschreibung trifft es doch recht gut.Ť

ťWenn euch der Graf trotzdem nicht haben willŤ, brachte Alheit mühsam heraus, ťdann kommt nur mit uns.Ť

Doch vorerst hatte der Aufbruch keine Eile. Es gab noch viel zu singen, zu erzählen und zu trinken.

Als sie schließlich auseinandergingen, gelang es Herrn Heinrich kaum, die Stufen zum Hof hinabzusteigen. Eilig übergab sein Knappe die Laute dem Wirt und griff dem Herrn unter die Arme. Burkhard brannte ihm kurz darauf eine Fackel an.

ťOh, LichtŤ, rief Else.

ťDaran habe ich nicht gedachtŤ, murmelte Baldwin.

ťKommt mit mirŤ, lud der Knappe sie ein. ťWenn ich den Herrn nach Hause gebracht habe, geleite ich euch. Ihr wohnt doch im Gudelmannkonvent?Ť

ťJaŤ, sagte Else.

ťGott segne dichŤ, antwortete Baldwin. Er hakte Else unter, die deutlich schwankte, und folgte dem jungen Mann hinaus auf die Gasse.

 

Der Weg über den Hof erschien Alheit unendlich weit.

Franz tappte zur Küchentür und stieß sie auf, wohl weiter als beabsichtigt. ťO holde Herrin des HerdfeuersŤ, begann er, ťhabt Ihr wohl noch ein Stücklein Brot für einen armen Spielmann?Ť

Die Antwort war nicht zu hören, doch als er sich wieder umwandte, kaute er und hielt Alheit den angebissenen Kanten Brot hin.

Sie schlug danach, verfehlte ihn aber. ťGeh doch zu der Alten in die KücheŤ, keifte sie. ťDa steckst du doch sowieso dauernd.Ť

ťHe!Ť, erwiderte er schwach.

ťBei der hast du’s warm und immer gut zu essen.Ť

ťHeŤ, sagte Franz noch einmal.

ťMach schon, geh!Ť Alheit winkte, als ob sie Hühner verscheuchen wollte, und wandte sich ab. Fast verlor sie dabei das Gleichgewicht.

ťUnd du legst dich derweil zu deinen bartlosen JüngelchenŤ, erklang es hinter ihr. ťFür die hast du ja schon immer eine Schwäche.Ť

Die Treppenstufen tanzten vor Alheits Augen einen wilden Reigen. Sie musste die Füße genau im richtigen Augenblick setzen, um eine Stufe niederzuhalten und einen Schritt voranzukommen. Ihr Kleid war so schwer, dass die schwingenden Falten sie aus dem Gleichgewicht brachten. Nicht einmal das Geländer bekam sie zu fassen, wenn sie es brauchte. So wurde es ein langsamer, vorsichtiger Aufstieg wie im Gebirge.

Die anderen waren wohl schon alle oben. Umso besser. Es musste ja nicht alle Welt hören, wie Franz sie beschimpft hatte. Wenn der nur wegblieb. Wenn es nach ihr ging, konnte er die Nacht auf dem Misthaufen verbringen. Lump, der er war. Schäkerte mit Lene und den Küchenmägden und wollte Alheit verbieten, einen anderen auch nur anzusehen.

Vor Wut übersah sie, dass die Tür zu ihrem Quartier geschlossen war, und stieß dagegen. Dennoch gab sie sich Mühe, leise zu öffnen.

Mehrstimmiges Schnarchen erklang, als sie eintrat. Gleich an der Tür lag Elbelin lang ausgestreckt. Alheit stolperte über seine Füße, er schnaufte und zuckte zusammen.

Ihr Lager war leer, Franz bummelte noch irgendwo herum. Alheit setzte sich sehr sorgfältig nieder und begann, die Schnürungen an ihrem Kleid zu lösen. Aber sie waren nicht mehr da, wo sie hingehörten. Es dauerte ein Weilchen, bis sie alles gefunden hatte und entkleidet unter ihrer Decke lag. Auch da fühlte sie sich noch wie auf einem Rheinkahn, der im Hochwasser schaukelte. Die Wellen wiegten sie in den Schlaf.

Die Berge am Ufer glitten vorüber, die Kuppel des Doms blinkte in der Ferne. War das Speyer? Worms? Oder schon Mainz? Die Fastnachtsnarren sprangen lärmend durch die Straßen und tranken Wein im Übermaß. Einer übergab sich in einem Hof und stieg dann schwankend eine Treppe empor, die erbärmlich knarrte. Er öffnete eine Tür und betrat den Raum, in dem Alheit lag. Ein Lichtstrahl blitzte auf einem Gürtelbeschlag mit einem grünen Stein. Hinter der Tür legte der Narr seinen schwarzen Umhang ab und grinste sie mit fleischlosem Gesicht an. Alheit rief die Muttergottes an und der Spuk verschwand.

Sie hörte Schnarchen, ihr Bett war kalt ohne Franz. Sie rollte sich klein zusammen und schlief endlich mithilfe des Lebenswassers wieder ein.

Irgendwann kam das Schnarchen näher und sie fand ein warmes Fleckchen für ihre Füße. Franz war wieder da.