DONNERSTAG NACH REMINISCERE

Am folgenden Morgen war die Stimmung noch immer gedrückt. Tamas und Lene saßen pünktlich beim Frühstück. Sie brauchten keine Fisch-oder Schlachtabfälle mehr zu besorgen. Dennoch schienen sie wie durch eine unsichtbare Wand von den anderen getrennt. Sie sprachen nur miteinander und schauten niemanden an.

Doch während sich Lene wie jeden Tag aufmachte zu ihrer üblichen Beschäftigung, wirkte Tamas wie ein wandelnder Leichnam. Man musste ihn zweimal ansprechen, um seine Aufmerksamkeit zu erhalten, und oft noch ein weiteres Mal für eine Antwort. Schon früher hatte er in Meister Wolframs Unterricht ausgesehen, als wäre er in Gedanken weit weg, hatte dann aber schnell das Erklärte nachgefidelt. Jetzt nahm er wirklich nicht mehr teil. Seine Fidel war nicht gestimmt, der Bogen nicht geharzt. Franz musste ihn schubsen, wenn es ans Spielen ging. Dann hob der Ungar Fidel und Bogen, strich einen unsicheren, schrägen Ton und ließ sie mit traurigem Kopfschütteln wieder sinken.

Doch außer auf Tamas sollte Franz auch noch auf Elbelin achten. Ehe Alheit den Schankraum verlassen hatte, um ein neues Schloss für die Stalltür zu besorgen, hatte sie ihn leise aufgefordert: ťElbelin hat gestern im Hof etwas verloren. Kannst du herausfinden, was?Ť

Franz glaubte nicht, dass ihm das gelingen würde. Dennoch behielt er den jungen Mann im Auge. Dieser hatte alles, was er brauchte, um seine Rotta zu stimmen und zu spielen. Das war kein bedeutendes Ergebnis. Ob Alheit damit etwas anfangen konnte?

Meister Wolframs Ausbruch riss Franz aus seinen Gedanken. ťHeilige Cäcilia! Werft endlich diesen widerspenstigen Bärenführer hinaus. Da hat ja das Weib noch weniger Ärger gemacht!Ť

Doch es regte sich niemand, um seine Anweisung auszuführen.

Nach kurzem Schweigen fragte Israel: ťSpielen wir das Stück noch einmal?Ť

 

Als der Unterricht begonnen hatte, lugte Alheit noch einmal in den Schankraum. Es sah fast genauso aus, wie sie sich in der Nacht erinnert hatte. Hinter Meister Wolfram standen zwei Kästen für seine Instrumente.

Alheit überquerte den Hof und schlug im Kaminzimmer den Vorhang zurück, hinter dem Meister Wolfram sich niedergelassen hatte. Dabei wusste sie nicht einmal, was sie genau suchte. Sie hatte Wolfram nie etwas anderes spielen sehen als seine Laute.

Während sie Wolframs Mantel hochhob und sein Bündel durchsuchte, stieg ihr ein scharfer Geruch in die Nase, ähnlich wie das Zeug, mit dem Franz neuerdings seine Hände einrieb. Damit versuchte der Sänger wohl, seine steifen Finger gefügig zu machen. Alheit nahm die kleine Tonflasche in die Hand und roch daran. Ja, das war dieses Geißfuß-Wasser. Anscheinend schloss der Kork nicht mehr dicht, wenn der Geruch aus solcher Entfernung zu bemerken war. Alheit stellte das Fläschchen aufrecht an seinen Platz. Einen Kasten, wie sie ihn suchte, fand sie jedoch nicht. Er war also doch gestohlen.

Vermutlich plante Wolfram einen großen Auftritt vor viel Publikum, bei dem er den Dieb bloßstellen konnte.

Oder die Diebin. Alheit musste sich eingestehen, dass Lene und sie selbst die beste Gelegenheit hatten, Instrumente aus dem Stall verschwinden zu lassen.

Lene – hatte sie einen Grund, Wolfram zu bestehlen? Brauchte sie Geld, weil ihr Geschäft schlecht lief? Wenn das der Grund war, hatte sie das Instrument wohl verkauft. An wen? Johann Schure? Oder einen anderen, der mit der richtigen Sorte Instrument handelte und bei den Spielleuten weniger bekannt war? Was immer es war, es sollte besser nicht wieder auftauchen, solange Wolfram sich in der Stadt befand.

Alheit beschloss, zuerst Johann Schure aufzusuchen. Wenn er das Instrument auch nicht selbst gekauft hatte, wusste er mit Sicherheit, wer sonst infrage kam.

In sicherem Abstand nach Lene verließ Alheit die Herberge. Der Bucklige hatte seinen Posten wieder bezogen und winkte ihr verstohlen zu. Was mochte er seinem Auftraggeber zu berichten haben? Israel kam nach dem Frühstück und ging nach dem Essen. An jüdischen wie christlichen Feiertagen blieb er ganz weg. Er sprach nur das Allernotwendigste, in der Regel mit Meister Wolfram, kaum mit einem der anderen. Was hatte den Platzmeister überhaupt bewogen, diesen Wächter auf ihn anzusetzen? Alheit beschloss, noch einen halben Heller darauf zu verwenden, zu erfahren, wo Israel den vergangenen Tag verbracht hatte. Doch das konnte sie auf dem Rückweg tun. Zunächst brauchte sie einen Schlosser.

Unterwegs hörte sie die Geschichte von der Bärenjagd. Waren es anfangs nur drei oder vier Zugpferde, die das Tier erlegt haben sollte, so hieß es später, näher am Fischmarkt und der aufgebrochenen Räucherkammer, ein Kind sei verletzt oder gar getötet worden. Alheit musste ihre Gefährten drängen, möglichst bald die verlangte Buße zu bezahlen, vor so viel Volk und angesehenen Herren, wie sie auftreiben konnten.

 

ťDas kann so nicht weitergehenŤ, sagte Elbelin zu Gottfrid und Franz, als sie sich zum Üben zerstreuten und Tamas wie gewohnt den Weg zum Stall einschlug. ťMeister Wolfram bringt den Ungarn noch um.Ť

ťDas wohl nichtŤ, meinte Franz. ťAber es wäre schade um ihn, wenn er gehen müsste. Er spielt wirklich gut. Können wir ihm nicht helfen?Ť

ťRobert hat doch bestimmt etwas, das die Melancholie vertreibtŤ, schlug Gottfrid vor.

Unwillkürlich rieb sich Franz das Handgelenk. Ihm hatte Roberts Rat geholfen. Wenn es auch streng roch, so schmerzte es doch nicht mehr.

Elbelin lachte. ťNimmt man dafür nicht Spielleute in Dienst?Ť

ťDochŤ, sagte Franz, ťaber nicht sogleich, wenn jemand

Ť – gestorben ist, hatte er sagen wollen, als sei der Bär ein Christenmensch gewesen.

ťJedenfalls werden wir uns alle das Bußgeld teilenŤ, begann Elbelin langsam. ťUnd dann reicht unser Geld vielleicht noch für eine Messe zu Ehren des Heiligen Korbinian.Ť

ťGeht das denn?Ť Franz bekreuzigte sich.

ťHat nicht ein welscher Priester die Heuschrecken in den Bann getan, die im letzten Sommer die Felder verwüstet haben?Ť, erwiderte Gottfrid. ťDann steht auch dem Bären eine Messe zu.Ť

Elbelin nickte. ťFragen wir die anderen, sonst reicht uns das Geld doch nicht.Ť

ťVielleicht wenden wir uns lieber an die Franziskaner denn an die StiftsherrenŤ, schlug Franz vor.

ťAuch wieder wahr.Ť Mit langen Schritten, sodass Franz Mühe hatte, ihnen zu folgen, liefen die beiden zum Quartier von Robert Piper und seiner Familie.

ťDarüber haben wir auch schon nachgedachtŤ, antwortete Marjorie, als Elbelin seinen Vorschlag unterbreitete.

ťVeilchenŤ, warf Robert ein. ťAm besten kandierte. Aber vielleicht gibt es jetzt auch schon frische

Ť

ťUnd wie willst du Tamas kandierte Veilchen beibringen?Ť, fragte Gottfrid.

ťDas lass nur meine Sorge seinŤ, entgegnete Robert. ťDafür habe ich schließlich mein Handwerk gelernt.Ť

ťNicht nur das eine oder andere abgeschaut?Ť, wunderte sich Franz leise. Robert ließ sich nicht anmerken, ob er ihn gehört hatte.

 

In einer schmalen Gasse in der Nähe des Paulusstifts fand Alheit, was sie suchte. Der Schlosser gab ihr den guten Rat: ťSchließt Eure Vorräte nur gut ein, wenn sich so viel Lumpenpack in der Stadt versammelt hat.Ť

Alheit nickte und suchte sich unter den drei Schlössern, die der Meister ihr vorlegte, das kräftigste aus.

ťIst halt nicht mehr viel daŤ, bemerkte er. ťVor Euch sind schon viele andere auf diesen Gedanken gekommen.Ť

Sie zahlte und kehrte zum Wilden Mann zurück. Sie würde wohl nicht mehr zurechtkommen, bevor Meister Wolfram und seine Schüler die erste Pause einlegten. Aber zum Mittagbrot wollte sie wieder da sein.

Wer sollte den Schlüssel verwahren?

Burkhard. Oder? Immerhin hatte er in dieser Nacht die Instrumente bewacht.

Alheit hatte ihn und seine Leute als Übeltäter ausgeschlossen, weil die Sackpfeife von einem Menschen zerstört worden war, der wusste, was er tat. Aber Burkhard kannte fremdartige Instrumente, über die sich selbst Spielleute wunderten. Und er beobachtete jeden Abend sehr genau seine Gäste, hörte sich ihre Melodien und Erzählungen an.

Meister Wolfram kam ihr in den Sinn. Doch konnte man ihm wirklich trauen? So, wie der Alte meist auftrat, glaubte sie eher, dass er mit Freuden alle ihre Instrumente verbrennen und nur denen, die er für würdig befand, neue beschaffen würde.

Da war Burkhard auf jeden Fall der bessere Schlüsselbewahrer.

Unterdessen hatte sie den Marktplatz fast wieder erreicht. Ein ungeübter Dudelsackspieler probierte ein neues Instrument aus. Die schrägen Töne wiesen unmissverständlich den Weg zu Johann Schure. Alheit beobachtete, wie der junge Spielmann enttäuscht davonzog. Dann beschrieb sie dem Händler Lene. Doch er schüttelte nur langsam und ausdauernd den Kopf. ťDie hat mit mir noch keine Geschäfte gemacht. Um was für ein Instrument geht es denn?Ť

ťDas wollte ich von dir erfahrenŤ, erwiderte Alheit. ťIch weiß nur, dass es in einem Kasten aus dunklem Holz steckt.Ť Sie zeigte die Größe mit den Händen.

Immer noch schüttelte Johann den Kopf. ťDas ist zu wenig. Damit kann ich dir noch keinen Rat geben, an wen du dich wenden sollst.Ť

Wieder glaubte Alheit, Erkennen in seinen Augen gesehen zu haben, als sie den Kasten erwähnte. Sie konnte schlecht jeden beschreiben, der sich im Wilden Mann aufhielt, und ihn damit als Dieb hinstellen.

 

Beim Essen saß die Gruppe um den Tisch wie bei einem Leichensmaus. Tamas war anwesend, er musste nicht mehr mit seinem Bären üben, er starrte aber nur vor sich hin. Lene schnitt ihm Brot ab und füllte Mus in seine Schale, doch er rührte nichts davon an, ebenso wenig den gewürzten Wein.

Alheit sah Elbelin und Gottfrid zu. Gottfrid schnitt für seinen Freund das Brot und legte sein Messer anschließend zwischen die beiden. War es etwa das, was sie gestern Abend gesucht hatten? Alheit schaute sich um, ob noch jemand dasselbe bemerkt hatte. Lene. Wenn sie nicht mitleidig auf Tamas sah, beobachtete sie die Jungen mit einem schadenfrohen Grinsen. Als es zum zweiten Mal ans Brot schneiden ging, legte sie das Messer, das sie in der Hand hielt, mit großer Geste beiseite und zog ein anderes aus dem Gürtel.

Gottfrid gab sich den Anschein, nichts gesehen zu haben. Elbelin dagegen zuckte bei dem Anblick zusammen.

Was würde Lene damit anfangen? Wohl kaum zum Platzmeister gehen, auch wenn der einer Beschwerde von ihr vielleicht aufgeschlossener sein mochte als der anderer Leute.

Immer noch erschien es Alheit am besten, so schnell es ging die Buße zu bezahlen. Aber ausgerechnet Lene sperrte sich dagegen. Sie beharrte darauf, dass einer allein an dem Unglück schuld war und dieser zahlen musste. Und nun wusste sie, wer.

Während Alheit noch überlegte, was zu tun war, brachte Meister Wolfram erneut sein Anliegen vor. ťHat der Ungar die 20 Heller Buße schon bezahlt?Ť, fragte er, als sei Tamas gar nicht anwesend.

ťWarum sollen wir das zahlen?Ť, giftete Lene und fuchtelte mit dem Messer. ťSpielen dürfen wir nicht, der Bär ist tot, und man wird im eigenen

Ť Sie brach ab.

ť

Haus noch bestohlen?Ť, fragte Alheit. ťMeinst du das? Dann sag es auch.Ť

Lene funkelte Elbelin an. ťVon demselben Kerl, der auch den Bären auf dem Gewissen hat.Ť Nun warf sie das Messer auf den Tisch.

Er fuhr auf. ťWo hast du das her?Ť

ťGefunden.Ť

ťWo?Ť, fragte Alheit nach.

ťDraußen auf der Gasse, vor dem Hoftor. Sieh das Blut an der Spitze.Ť

ťUnd wann? Gestern Morgen, nicht wahr?Ť

Lene nickte. ťDarum geht es doch.Ť

ťElbelin hat sein Messer schon vorgestern verlorenŤ, warf Gottfrid ein.

ťDu musst das ja sagenŤ, wehrte Lene ab.

ťEr hat aber RechtŤ, sagte Alheit, und Katherine nickte heftig.

ťMir ist es beim Essen aufgefallenŤ, erklärte das Mädchen. ťGottfrid hat immer

Ť

ťSchlamperei!Ť, platzte Meister Wolfram dazwischen. ťErst gibt er seinen Dudelsack von einem zum anderen, bis nichts mehr davon übrig ist, jetzt hat er gerade im rechten Augenblick sein Messer verloren.Ť

ťAusrede!Ť, rief Lene.

ťDas mag sein, aber wir wissen es nichtŤ, erwiderte Robert. ťOder hast du einen Zeugen?Ť

Sie schüttelte den Kopf. ťHat er denn einen?Ť

Gottfrid wollte etwas sagen, besann sich aber. ťMir glaubt ihr ja doch nicht.Ť

ťMan hat ihn beobachtetŤ, meldete sich Meister Wolfram wieder zu Wort. ťEr hat mit einer Schleuder auf den Bären geschossen.Ť

ťSeht ihr?Ť, triumphierte Lene.

ťWer hat das gesehen?Ť, fragte Alheit. ťUnd wie schießt man dieses Messer mit einer Schleuder?Ť Unwillkürlich griff sie nach den beiden Kieseln in ihrem Beutel.

ťDieser jämmerliche Küchenjunge hat ihn gesehenŤ, behauptete Wolfram.

Alheit rümpfte die Nase. Klaus hätte das sicher nicht Wolfram erzählt.

ťUnd wer hat das Messer geworfen?Ť, fragte Franz, der bisher schweigend weitergegessen hatte, als ginge ihn das alles nichts an.

ťWarum sollte das ein anderer gewesen sein?Ť, erwiderte Wolfram. ťAußerdem ist das doch nicht mehr von Bedeutung.Ť

ťDoch.Ť Alheit führte weiter aus: ťWenn mehr als einer Schaden verursacht hat, muss auch mehr als einer zahlen.Ť

ťIch habe mit Kieseln geschossenŤ, gab Elbelin zu. ťAber das Messer habe ich nicht geworfen. Ich weiß nicht, wann und wo ich es verloren habe.Ť

ťVielleicht hier drin?Ť, schlug Franz vor. ťBei einer Rauferei mit Gottfrid?Ť

Elbelin schaute Gottfrid an, der zuckte die Schultern.

Franz lächelte traurig und nickte Alheit zu. ťWie viel sollen wir noch mal zahlen?Ť, fragte er weiter.

ťJe zehn Heller an den Fischer und den Fuhrmann und je einen an die beiden JagdknechteŤ, zählte Alheit auf.

Meister Wolfram warf ihr einen Blick zu, als habe er ein störendes Insekt brummen hören.

ťWie viel können wir zahlen? Wenn jeder einen Heller gibt

Ť, schlug Franz vor.

ťZweiŤ, verbesserte Alheit.

Robert nickte bedächtig.

Lene knurrte. ťDa bringt man uns um unser Eigentum, und wir sollen auch noch Buße dafür zahlen.Ť

ťDas sagst du jedesmal, wenn die Rede darauf kommt. Du kannst ja beim Platzmeister ein gutes Wort für uns einlegenŤ, schlug Alheit vor.

ťWenn der uns nicht auch noch beklaut hätte

Ť Lene deutete auf Elbelin.

Da meldete sich zum ersten Mal Tamas zu Wort: ťHat Lene neue Gürtel, oder nicht?Ť

ťWas hat das damit zu tun?Ť, fauchte Lene. Doch die anderen lachten sie aus.

Alheit nahm drei Münzen aus ihrem Beutel und legte sie auf den Tisch. Robert folgte ihrem Beispiel. Meister Wolfram zögerte, schloss sich dann aber doch an.

Gottfrid hingegen wandte ein: ťDer Jude soll auch zahlen!Ť

ťIch frage ihn morgenŤ, antwortete Robert.

Widerstrebend legten auch Gottfrid und Elbelin ihren Beitrag zu den anderen. Dann gab Tamas noch vier Heller.

Alheit sammelte das Geld in einen besonderen Beutel und band ihn an ihren Gürtel, ehe Lene danach greifen konnte. ťDas bringe ich morgen früh zu Herrn Heinrich, und wir gehen gemeinsam zum Platzmeister.Ť

 

Werner schien es im Wilden Mann gut gefallen zu haben. Diesmal kam er gerade rechtzeitig, dass noch nicht alles abgetragen war. Ehe jemand ihm wehren konnte, hatte er schon ein mit dicker Soße getränktes Stück Brot erwischt und seinen Becher mit dem letzten Rest Kräuterwein im Krug gefüllt.

ťSieh da, der Schalmeispieler ohne Schalmei ist wieder da!Ť, begrüßte ihn Elbelin.

ťHast du bei Johann Schure schon etwas erreicht?Ť, fiel Gottfrid gleich ein.

Werner schüttelte betrübt den Kopf, während er noch an dem Stück Brot kaute.

ťAber wirŤ, erwiderte Elbelin. ťIch habe einen neuen Dudelsack bestellt.Ť

ťDann halt nur dein Geld zusammen, bis du ihn abholstŤ, mahnte Alheit.

Doch der Junge schien sie nicht zu hören. Er wandte sich wieder an Werner: ťAber du hast heute deinen Psalter dabei, das ist doch ein Fortschritt.Ť

Werner nickte mit einem schwachen Lächeln und machte sich ans Stimmen. Franz setzte sich neben ihn, um die Laute mit dem Psalter in Einklang zu bringen. Da raunte ihm Werner zu: ťPasst auf, da schleicht einer durch euren Hof. Er ist kurz vor mir hereingekommen.Ť

Die plötzliche Stille zeigte an, dass nicht nur Franz ihn gehört hatte.

ťWer war das?Ť, fragte Alheit.

Werner schaute angstvoll zu ihr auf. ťIch

ich weiß es nicht. Ein

Schatten

Ť, stammelte er.

ťDann müssen wir nachsehen!Ť, rief Elbelin.

Der Wirt brachte Laternen, und die Männer gingen hinaus, um den Hof zu durchsuchen. Alheit folgte ihnen bis zur Tür, doch bei den vielen Menschen, die nun herumliefen, konnte sie keine verdächtige Bewegung ausmachen. Nach einiger Zeit kehrten die Männer unverrichteter Dinge zurück.

Meister Wolfram machte dem Wirt Vorhaltungen, weil er keinen Hofhund hatte, der den Eindringling verbellen könnte.

ťPah, wenn ich nach jedem Hundegebell rennen wollte, käme ich nicht mehr zum Ausschenken. Wofür haben wir denn die Nachtwächter?Ť

ťMan sieht doch, wo das hinführtŤ, murmelte der Sänger gerade laut genug.

ťNa, anscheinend war es ja gar nichtsŤ, erwiderte Burkhard. Er brachte noch einen Krug Kräuterwein und zog sich wieder in seine Ecke zurück.

Meister Wolfram blieb in der Nähe der Tür. Die anderen nahmen den Spuk offenbar weniger ernst, sie kehrten an ihre Plätze zurück und machten Musik. Alheit setzte sich zu Tamas an den Kamin und hörte mit geschlossenen Augen zu. So konnte sie fast vergessen, welchem hinterlistigen Wiesel diese wunderbare Stimme gehörte, die das Lob der Jungfrau Maria sang.

 

Wenig später betrat Herr Heinrich von Alzey den Raum, gefolgt von seinem Knappen mit der Laute. Meister Wolfram, der gerade zeigte, wie viel er seinen Schülern noch voraus hatte, schaute nur einmal kurz auf und sang ungerührt weiter. Die anderen rückten zusammen, um dem Ritter einen guten Platz zu bieten. Burkhard lief um seinen besten Wein.

Herr Heinrich ließ sich die Laute geben und stimmte. Als Meister Wolframs Lied endete, begann Franz eine Tanzweise, von der er wusste, dass ihr Gastgeber sie kannte. Dieser spielte eifrig mit und leitete dann zu einem neuen beliebten Stück über. Katherine tanzte dazu. Schließlich brachte Herr Heinrich die Tanzfolge zu Ende, als er immer wieder neue Melodien versuchte, aber nicht über die ersten Takte hinauskam.

Meister Wolfram, der die ganze Zeit unruhig hin und her gerückt war, fragte ihn sogleich: ťHabt Ihr etwas von einem Eindringling im Hof bemerkt?Ť

Der Ritter dachte kurz nach und schüttelte den Kopf. ťOder du, Ewald?Ť

ťNein, HerrŤ, erwiderte der Knappe, der etwas unbehaglich noch immer eine rot-grüne Cotte über dem Arm trug.

Alheit nahm sie ihm ab und steckte sie zu den Instrumenten in die Kiepe. Dann nestelte sie den Beutel von ihrem Gürtel, in den sie das Bußgeld gesammelt hatte. Sie überreichte ihn Herrn Heinrich. ťBitte bringt das Geld möglichst bald zum Platzmeister.Ť

Er schaute auf. ťWollt ihr das nicht selbst tun? Am Sonntag nach der Messe, mit Schalmei und Dudelsack?Ť

ťJa, das ist besserŤ, gab Alheit zu. ťNur haben wir zurzeit keinen Dudelsack.Ť

ťNicht?Ť Verwundert sah er sich um, sein Blick blieb an Meister Wolfram hängen. Der starrte ins Feuer, als hörte er gar nicht zu. ťHast du noch kein neues Instrument, Elbelin?Ť

ťErst bestelltŤ, antwortete der Junge. ťIch bekomme es nächste Woche.Ť

Herr Heinrich schüttelte den Kopf. ťSo lange sollten wir nicht warten.Ť Er lächelte in die Runde. ťBis Sonntag fällt euch bestimmt etwas ein.Ť

ťBestimmtŤ, antwortete Alheit.

Robert pfiff die ersten Töne eines Liedes, das seine Frau eifrig aufgriff. Der Text war nicht zu verstehen, aber sie bedachten den Ritter dabei mit verächtlichen Blicken.

 

Als der dritte Krug Wein zu Ende war, gab Herr Heinrich seinem Knappen ein Zeichen, und der packte die Laute ein. Die Spielleute taten es ihm nach und trugen die Instrumente in den Bärenstall. Alheit blieb an der Tür stehen, bis der Letzte seine Kostbarkeiten gut verstaut hatte.

ťGute NachtŤ, wünschte Werner und ging zum Tor.

ťGute Nacht.Ť Alheit hatte geglaubt, er wäre schon längst gegangen. In der Dunkelheit waren die vielen Leute im Hof kaum zu unterscheiden.

Sie schloss ab und brachte den Schlüssel zu Burkhard. Auf dem Weg zu ihrer Schlafkammer glaubte sie ein Flüstern zu hören, das wie ťRobertŤ klang.

In der Tat drehte sich der Apotheker vor ihr hastig in die Richtung um, aus der das Geräusch kam.

Alheit konnte nicht stehen bleiben und zuhören. Erst recht konnte sie keine Stimme erkennen. Doch der Name Elbelin fiel. Und Katherine. Oder täuschte sie sich? Sie ging die Treppe hinauf, und ihre Holzschuhe klapperten laut auf den Stufen. Nun gab es nichts mehr zu hören.