XVI

Er erwachte und versank wieder in Bewußtlosigkeit, spürte Schmerzen und nahm das Vergehen der Zeit wahr, das Schaukeln der Wellen, Solis Fürsorge und sonst nichts. Die Pfeile waren aus seinem Arm, aus seinem Bein und aus seinen Eingeweiden entfernt, doch brachte ihm dies keine Erleichterung. Sein Leib brannte, seine Kehle war trocken, in seinem Inneren spürte er einen furchtbaren Druck.

Sie pflegte ihn. Sie setzte ihn in der Kabine des Bootes auf und führte Wasser an seinen Mund. Das verursachte ihm Übelkeit, und sein keuchendes Atmen zerriß grausam seinen Unterleib, doch Zunge und Kehle fühlten sich besser an. Er besudelte sich mehrere Male, und sie säuberte ihn, und als sie seine Genitalien wusch, da reagierte er darauf, und er schämte sich und konnte doch nichts dagegen tun. Er blutete noch immer aus seinen Wunden, und sie reinigte sie und verband sie, und wenn er sich bewegte, floß wieder heiß das Blut.

In seinem Delirium dachte er an den Herrn im Ödland, damals vor sieben Jahren, und an seine Strahlenkrankheit. Jetzt erst wußte Var, was der Mann mitgemacht hatte und warum er dem wilden Jungen, der ihn damals pflegte, solche Freundschaft entgegengebracht hatte. Dieser Gedanke aber brachte anderen Schmerz, denn er wußte noch immer nicht, warum der Herr diese Freundschaft gebrochen hatte und sein Todfeind geworden war.

Aber die meiste Zeit dachte er an Soli, die sich nun in seiner Hilflosigkeit seiner annahm. Noch ein Kind, aber schon eine Meisterin im Stockkampf und eine treue Gefährtin, die sich nie an seiner verfärbten Haut, der Grobheit seiner Hände und Füße und seinem Buckel gestört hatte. Sie hätte zu ihrem Vater, den sie liebte, zurückgehen können, und hatte es nicht getan. Sie hätte sogar zum Herrn gehen können, der sie hatte adoptieren wollen. Ein solches Angebot wurde nicht leichtfertig gemacht. Sie aber war bei Var geblieben, weil sie der Meinung war, daß er ihre Hilfe brauchte.

Und die brauchte er nun wirklich.

Nacht war es, und er schlief. Dann war es Tag, und er bewegte sich krampfgeplagt und im Halbschlaf, hörte das Dröhnen des Motors, roch das Benzin, das sie aus Reservekanistern nachfüllte.

Wieder war es dunkel und kalt, und Soli nahm ihn in ihre Arme und hüllte sich und ihn in grobe Decken und wärmte ihn mit ihrem kleinen Körper, während seine Zähne aufeinanderschlugen.

Doch er wurde nicht wieder gesund.

Während einer seiner helleren Perioden – die, wie er wohl wußte, nicht sehr häufig auftraten – sprach sie mit ihm über den Berg Helicon und die Nomaden.

»Weißt du, daß ich euch immer für Wilde gehalten habe«, sagte sie. »Dann aber traf ich dich und den Namenlosen, und merkte, daß ihr nur unwissend seid. Ich hielt es für gut, wenn ihr euch mit der Unterwelt-Technik näher befaßt.«

»Ja…« Er hätte ihr gern recht gegeben, hätte sich gern mit ihr auf gleicher Ebene unterhalten, überzeugt, daß er dazu befähigt war. Aber der Satz verlor sich in Schweigen.

»Jetzt weiß ich, wie es außerhalb des Einflußgebietes der Irren aussieht, wo auch der gemeine Mann über Technik verfügt, und da bin ich mir nicht mehr so sicher. Ich frage mich, ob die Nomaden nicht ihren einfachen, aber guten Ehrenkodex aufgeben würden, wenn… «

Ja, ja! Diese Frage hatte er sich auch gestellt. Doch hatte er sie nicht so deutlich formulieren können. Die Amazonen und ihre Motoren und ihre Barbarei… Das Boot fuhr ständig die Brücke entlang. Einmal spürte er Strahlung und schrie auf, und sie wich mit dem Boot aus.

Dann war die Zeit entweder vergangen oder stehengeblieben, und das Boot hatte festgemacht und Menschen waren zur Stelle. Keine Amazonen und keine Nomaden. Soli war verschwunden, dann war sie wieder da, weinend, und sie küßte ihn und war wieder verschwunden.

Ein Mann kam und stach ihn mit einem Stachel in den Arm. Als Var wieder erwachte, schmerzte sein Leib anders, es war ein Heilungsschmerz, und er wußte, daß er schließlich doch genesen würde. Aber Soli war nicht da.

Frauen kamen und fütterten ihn und säuberten ihn, und er schlief weiter. Und die Tage vergingen.

»Du bist nun wieder wohlauf«, sagte eines Tages ein Fremder.

Er war schon in dem Alter, in dem man Haare verlor, dazu etwas untersetzt und schwammig. Bestimmt kein Krieger im Ring.

Und Var war gesund, wenn auch noch sehr geschwächt. Arm, Bein und Unterleib waren verheilt, und er konnte sein Essen bei sich behalten und es von sich geben ohne Blut. Aber diesem Mann traute er nicht, und Soli fehlte ihm sehr. Soli, die nicht mehr gekommen war seit damals, als sie ihn geküßt und dazu geweint hatte.

»Dieses Mädchen – wie ist deine Beziehung zu ihr?« fragte der Mann.

»Wir sind Freunde.«

»Du sprichst mit schwerem Akzent. Und es sieht aus, als hättest du ernste Strahlenverbrennungen davongetragen und dazu noch Verformungen aus der Kindheit. Woher kommst du?«

»Aus dem Einflußgebiet der Irren«, antwortete er und gebrauchte für die Irren das Wort, das auch Soli gebraucht hatte.

Der Mann runzelte die Stirn. »Willst du mich auf den Arm nehmen?«

»Manche nennen es Amerika. Die Irren teilen es sich mit den Nomaden.«

»Ach so.« Der Mann brachte ihm seltsame, vornehme Sachen zum Anziehen. »Nun, dann laß dir sagen, daß dies hier Neu Kreta auf den Aleuten ist. Wir sind zivilisiert, haben aber unsere eigenen Konventionen. Das Mädchen hat Verständnis dafür, fürchtet aber, daß du nicht viel davon halten würdest.«

»Soli – wo ist sie denn?«

»Sie befindet sich im Tempel, in Erwartung der Wonnen unseres Gottes. Wenn du willst, kannst du sie sehen.«

»Ja.« Var gefiel das Auftreten des Mannes gar nicht. Zwar strahlte er nicht Zynismus nach der Art Helicons aus, aber aufrichtig war er auch nicht.

Var zog sich an. In den langen, losen Hosen, dem langärmligen weißen Hemd und ganz besonders in den steifen Lederschuhen, die seinen Füßen weh taten, fühlte er sich erbärmlich. Diese Sachen waren keineswegs das, was Var als zivilisierte Kleidung ansah. Doch der Mann bestand darauf, daß er diese Dinge anzog.

Sie befanden sich in einer Stadt. In keiner toten Ödland-Stadt, sondern in einer lebendigen Metropole mit hell erleuchteten Gebäuden und sich bewegenden Fahrzeugen. Menschen drängten sich in den sauberen Straßen. Var fühlte sich weniger ungemütlich, als er sah, daß die meisten Männer so gekleidet waren wie er.

Der Tempel war ein gewaltiger Bau, von hohen Säulen und einer Mauer umgeben. Mit Feuerwaffen ausgerüstete Posten standen am Eingang. Var, der so schwach war, daß sogar der kurze Weg ihn ermüdet hatte, spürte Nervosität. Dazu kam, daß er selbst unbewaffnet war.

Im Tempelinneren sah er Priester in wallenden Gewändern und dazu eine erlesene Einrichtung. Nach verschiedenen Erklärungen, die Vars Führer abgeben mußte, landeten sie in einem Raum, der in der Mitte durch eine Reihe senkrechter Metallstäbe geteilt war, die etwa vier Zoll voneinander Abstand hielten.

Soli betrat nun die andere Hälfte des Raumes. Kaum sah sie Var, lief sie an die Stäbe und faßte nach seiner Hand. »Du bist wieder gesund!« rief sie mit gebrochener Stimme.

»Ja.« Was sie betraf, so hatte er seine Zweifel. Sie sah gut aus, doch ihr Benehmen war sonderbar. »Warum bist du hinter Gittern?«

»Ich bin im Tempel.« Sie schwieg und sah ihn an. »Ich habe mich mit etwas Bestimmtem einverstanden erklärt, und muß nun hierbleiben. Var, von nun an darf ich dich nicht wiedersehen.«

Der Umgang mit Worten fiel ihm noch immer schwer. Er wußte nicht, wie er sie dazu bringen konnte, die Wahrheit zu sagen. Besonders in Gegenwart des Fremden. Doch ihr angespanntes, beherrschtes und verzweifeltes Gehabe sagte ihm, daß etwas Schreckliches während seiner Krankheit passiert war, und daß Soli nicht erwartete, ihn wiederzusehen.

Und sie wollte nicht, daß er den Grund erfuhr.

Nun war sie ihm also ebenso entfremdet worden wie der Herr – und auch durch Dazwischentreten eines Dritten.

»Lebwohl, Var!«

Er wollte nicht Lebwohl sagen. Er drückte ihre Hand und wandte sich zum Gehen, wohl wissend, daß jetzt nicht die Gelegenheit zu einer Erwiderung war. Er wußte zuwenig.

Auf dem Rückweg dachte er nach, wie er nun vorzugehen hatte.

»Du mußt zur Arbeitsvermittlung gehen und dich um eine Ausbildungsstelle bewerben«, sagte der Mann. »Zunächst werden dir auch einfache Arbeiten schwerfallen.«

»Und was ist, wenn ich hier nicht bleiben will?« Aber ohne Soli gehe ich nicht, dachte er im stillen.

»Natürlich kannst du gehen, wenn du dir ein Boot kaufst und dazu Vorräte. Das hier ist eine freie Insel. Aber zu all dem brauchst du Geld.«

»Geld?«

»Wenn du nicht weißt, was das ist, dann hast du auch keines.«

Var ließ es dabei bewenden. Mit der Zeit würde er herausfinden, was Geld eigentlich war, und ob er es brauchte. Es klang so, als wäre es etwas Ähnliches wie Tauschhandel.

Sie betraten das Krankenhaus und gingen auf Vars Zimmer. »Noch einen oder zwei Tage, und du mußt hier raus«, sagte der Mann.

Var sah sich um. Von seinen oder Solis Habseligkeiten nirgends eine Spur, bis auf den Armreif, den er trug, und der war stumpf und zerkratzt. Er glaubte zu wissen, warum man ihm den gelassen hatte. Sie wußten wohl nicht, daß er aus Gold war.

Das Bett war ähnlich dem, das er in seiner Kindheit im Ödland gesehen hatte. An beiden Enden hohe Metallpfosten, wie Fensterkreuze oder wie die Stäbe im Tempelraum. Stäbe ließen sich lockern und losreißen…

»Und noch ein letztes Wort«, sagte der Mann. »Mach denen im Tempel keinen Ärger. Man wird dich nicht mehr zu ihr lassen.«

Var legte die Hand auf einen der Stäbe und drehte ein wenig dran. Er saß fest. »Warum nicht?«

»Weil sie nun eine Tempeljungfrau ist, unserem Gott Minos geweiht. Diese Mädchen werden während der Wartezeit lange völlig von allen Menschen getrennt gehalten.«

Var versuchte es an der nächsten Stange. Diese ließ sich drehen. »Warum?«

»So verlangen es die Gesetze. Wenn sie sich dem heiratsfähigen Alter nähern, ist die Gefahr zu groß, daß sie für den Gott an Wert verlieren.«

Der Stab war nun locker. Var hob ihn hoch und ging damit auf den Mann zu, seine Schwäche unterdrückend. »Was geschieht mit ihr?«

Der Mann sah ihn und die improvisierte Keule an, als wäre ihm die Bedrohung gar nicht klar. »Wirklich, es ist völlig überflüssig – «

»Sag es mir oder du mußt sterben.« Var, den die Angst um Soli trieb, war es ernst. Er war zwar schwach, doch dieser Mann war offensichtlich nicht kampferprobt. Einer oder zwei Hiebe würden ausreichen.

»Also gut. Sie wird Minos geopfert werden.«

Var spürte ein Schwindelgefühl, und seine Schwäche wuchs. Seine ärgsten Befürchtungen waren auf brutale Weise bestätigt worden. »Warum?«

»Du hast im Sterben gelegen. Ärztliche Betreuung ist kostspielig. Sie erklärte sich einverstanden, in den Tempel einzutreten. Das geschieht immer freiwillig, denn wir sind schließlich zivilisiert. Dafür haben wir dich gesundgepflegt. Und weil sie hübsch zu werden verspricht und dies dem Gott angenehm ist, erklärten wir uns mit diesem ungewöhnlichen Vorschlag einverstanden. Heute haben wir ihr bewiesen, daß wir uns an den Handel gehalten haben, und nun wird sie sich auch daran halten.«

»Sie wird – sterben?«

»Ja.«

Var ließ den Bettpfosten fallen und setzte sich verwirrt und entsetzt hin. »Wie?«

»Man wird sie an den Felsen vor dem Eingang zum Labyrinth anketten. Minos wird kommen und sie verschlingen, wie es seine Gewohnheit ist. Und dann wird das Glück einen Monat lang Neu Kreta wieder hold sein, denn unser Gott ist zufriedengestellt.«

Noch eines mußte Var unbedingt wissen. »Wann?«

»Ach, erst in zwei Jahren. Deine Freundin ist ja noch ein Kind.«

Er warf Var einen undeutbaren Blick zu. »Andernfalls wäre sie gar nicht in Frage gekommen.«

Var verfolgte diese Andeutung nicht weiter. Es lag ihm nichts daran. Die Erleichterung war so kräfteverzehrend wie die Bedrohung. Zwei Jahre! Es gab tausend Dinge, die er während dieses Zeitraumes tun konnte, um sie zu retten.

»Denk daran, Nomade, sie hat sich zu einem Handel bereit erklärt. Ungeachtet ihrer Jugend, schien sie uns eine Person zu sein, die ehrlich zu ihrem Wort steht. Sie wird ihr Versprechen, das dein Leben rettete, nicht brechen, egal, was du vielleicht versuchen magst.«

Und das war, wie Var enttäuscht feststellte, die Wahrheit. Soli war immer bedacht gewesen, einen Handel einzuhalten, jeden Handel. Sie hatte zwar nichts gegen die Anwendung kleiner Listen, wie etwa sich als Junge zu verkleiden oder sich die nötige Nahrung zusammenzustehlen, aber die große Linie mußte gewahrt werden.

Der Mann stand auf. »Mir ist klar, daß es dir schwerfällt, dich in eine fremde Kultur hineinzudenken, so wie es mir sicher schwerfiele, mich an euer System in Amerika mit Irren und Kampfringen zu gewöhnen.« Var fiel auf, daß der Mann trotz seiner angeblichen Unwissenheit schließlich doch etwas von der Existenz der Nomaden wußte. Vielleicht hatte Soli es ihm berichtet, und er hatte sich bei Var vergewissert. »Du wirst aber sehen, daß wir fair, ja sogar großzügig sein können, wenn man sich an unser System hält. Morgen wird man dich entlassen, und ich werde dich zur Arbeitsvermittlung bringen. Dort wird man deine Fähigkeiten testen und dir die erforderliche Ausbildung angedeihen lassen. Und dann liegt alles bei dir. Wenn du gute Arbeit leistest, wirst du auch gut essen.«

Er ging.

Var legte sich aufs Bett. Das Funktionieren dieses Systems imponierte ihm. Es wies gewisse Ähnlichkeiten mit dem Imperium auf. Doch er hatte nicht die Absicht, Soli sterben zu lassen.

Und er hatte viel Zeit zum Planen. Bis er sich etwas Passendes ausgedacht hatte, konnte er sich eine Zusammenarbeit mit den Menschen von Neu Kreta erlauben.

*

Var wurde Müllarbeiter. Weil er häßlich war und die angebotene Ausbildung nur oberflächlich, waren ihm gehobenere Arbeiten verwehrt. Weil er Analphabet war, und dazu ungeschickte Hände hatte, war er den komplizierteren Tätigkeiten auf Neu Kreta, wo sich eine gebildete und technisierte Gesellschaft etabliert hatte, nicht gewachsen. Und die tägliche Schwerarbeit mit dem Müll hielt ihn in erstklassiger körperlicher Verfassung. Die Menschen mieden ihn, weil er schmutzig war, und weil er stank, und genau das wollte er. Das Zimmer, das er bewohnte, hatte fließendes Wasser und wurde im Winter beheizt. Es gab elektrisches Licht, das man einschaltete, indem er an einer Schnur zog, und er verdiente genügend dieser Metallmarken, Geld genannt, daß er sich Kleidung und Nahrung und hin und wieder etwas Vergnügen kaufen konnte.

Es dauerte ein Jahr, bis er entdeckte, wie kostbar hier sein goldener Armreif war. Er hatte geglaubt, er würde ihm höchstens ein paar Silbermarken einbringen, doch in Wahrheit hätte er damit, wäre der Reif geschätzt und verkauft worden, seinen gesamten Krankenhausaufenthalt bezahlen können. Das im Lande der Irren so verbreitete Metall, war hier etwas Besonderes, denn hier wurde es in den Maschinen verwandt, wie, das wußte er allerdings nicht. Soli mußte das geahnt haben, und hatte sich dennoch in den Tempel verkauft und keinerlei Vorteil daraus gezogen.

Ihre Großzügigkeit war töricht. Ein Mann trug den Reif doch nur, um ihn der Frau seiner Wahl zu geben. Was kümmerte es sie, ob er den Reif trug oder nicht? Er hatte keine Frau, der er ihn geben konnte.

Tagsüber tat Var, was von ihm verlangt wurde und ging damit Schwierigkeiten aus dem Weg. Nachts aber entledigte er sich seiner konventionellen Kleidung, zog sich Lumpenzeug an und durchstreifte bloßfüßig die wilden Regionen von Neu Kreta. Die Insel war groß, mindestens zwanzig Meilen im Durchmesser, und es gelang ihm, sie im Laufe der Zeit zu erkunden, ohne die Bewohner auf sich aufmerksam zu machen. Und überdies konnte er sich ungestört in seinen Waffen üben. Er fertigte ein hübsches Stockpaar aus altem Holz an und handhabte es bald so geschickt wie einst seine Metallstöcke im Ring. Nicht das Gerät, sondern die geschickte Hand war es, was hier zählte. Er lernte das Land genau kennen und wagte sich sogar ein Stück in den dunklen Tunnel hinein, der von der Insel im Westen abzweigte. Der Gang war mit Abfällen gefüllt. Er wurde nicht von mechanischen Fegemaschinen saubergehalten, und war als Mülldeponie benutzt worden.

Und er erkundete das Tempel-Reservat. Es handelte sich um ein von Mauern umgebenes Viertel, etwa eineinhalb Meilen lang, das nicht allzu schwer bewacht wurde. Var konnte sich mühelos einschleichen. Die Mädchen wurden täglich ins Freie geführt, wo sie Bewegungen machen mußten, Soli unter ihnen. Var stellte fest, daß sie gut behandelt wurde. Allmonatlich bei Vollmond wurde eines der älteren Mädchen zu einer Schlucht geführt und dort angekettet. Am nächsten Abend war sie verschwunden. Den Gott Minos bekam Var niemals zu Gesicht, da das Ungeheuer eigenartigerweise nicht bei Vollmond fraß, sondern nur bei Tag. Und Var mußte tagsüber arbeiten und durfte nicht riskieren, daß man ihn innerhalb des Tempelviertels antraf.

Im zweiten Jahr baute er ein Boot. Kein so gutes wie das der Amazonen, in dem sie hier angekommen waren. (Was war daraus bloß geworden? Warum hatte man es nicht als Gegenwert für die ärztliche Betreuung einbehalten?) Und mit Sicherheit kein Boot, mit dem er die Fahrt aufs offene Meer wagen konnte, selbst wenn sein Geschick als Bootsführer dazu ausgereicht hätte. Aber das Boot würde genügen, um Soli Mut zu machen und ihr ein Versteck zu bieten, bis er bessere Vorkehrungen treffen konnte. Zunächst mußte er sie vor Minos retten.

Denn wenn man sie für den Gott in der Schlucht ankettete, und sie dann gerettet wurde, hätte sie sich der Form nach an den Handel gehalten. Sie hätte sich geopfert und wäre unerwartet befreit worden. Er mußte nur Minos davon abhalten, sie zu verschlingen. Dann mußte er sie mit sich nehmen, und der Tempel würde nie etwas erfahren.

*

Der Morgen kam. Var beobachtete alles, denn er kannte das allmonatliche Datum der Zeremonie (schließlich konnte er den Mond ebensogut beobachten wie ein Priester), und er wußte, daß sie an der Reihe sein mußte. Die meisten Mädchen waren nun jünger als sie, und der Tempel bot nicht länger als unbedingt notwendig Unterkunft und Verpflegung. An diesem Tag würde er seine Runden nicht machen – er würde nie wieder Müll wegschaffen.

Soli, die in den zwei Jahren fast erwachsen und heiratsfähig geworden war, wurde von verhüllten Priestern zur Schlucht geführt und dort angekettet. Die Männer – Var nahm an, daß es Männersache war, obwohl er sich über ihr Geschlecht nicht im klaren war – schlugen spitze Halterungen in den Stein und Solis Gelenke wurden in Schulterhöhe darin festgemacht. Er hatte Soli lange nicht aus der Nähe gesehen und mußte feststellen, daß sie ihrer leiblichen Mutter Sola mittlerweile sehr ähnlich geworden war.

Er lauerte hinter den Bäumen, bis die Priester verschwunden waren. Eine halbe Stunde wartete er, damit er sicher sein konnte, daß niemand zurückkam und daß niemand anders zusah. Die Schlucht war vom Tempel her nicht einzusehen, wahrscheinlich aus Rücksicht auf die zurückbleibenden Mädchen. Var wußte nun, wie die meisten der Unglücklichen hineinkamen. Sie gingen freiwillig, um ihre Familien vor Hunger zu bewahren, denn auf der Insel gab es viele Arme. Die Philosophie des »Wer-nicht-arbeitet-soll-nicht-Essen« war ein sehr dünner Deckmantel für die Unterdrückung der Glücklosen. Der Lohn, den Var bekam, war für eine Familie nicht ausreichend. Elend und Not waren weit verbreitet. Da war das System der Irren und Nomaden in Amerika schon besser, denn dort mußte niemand hungern.

Kaum hatte er sich vergewissert, daß er unbeobachtet war, ließ Var seine philosophischen Gedankengänge fallen, wagte sich aus seinem Versteck und betrat die Schlucht. Soli hörte ihn und sah mit einem kleinen Schrei auf, wohl in der Meinung, der Gott wäre gekommen. Dann erkannte sie ihn. »VAR!«

Er kam näher und faßte nach einer Halteklammer. »Ich habe dich niemals vergessen«, sagte er. »Glaubst du denn, ich würde dich auffressen lassen?«

Doch die Fessel war fest, und er hatte keinen Hebel, um die Halterung loszustemmen.

»Ich – « fing sie an, und plötzlich flossen ihr die Augen über. »Ich danke dir. Aber ich kann nicht mit dir gehen. Ich habe es versprochen.«

»Du hast dein Versprechen eingelöst!« Er versuchte, das Metall im Stein zu lockern. »Warum hatte er bloß nicht daran gedacht, Werkzeug mitzubringen?«

»Nein. Erst wenn ich geopfert bin«, sagte sie.

Var zerrte an den anderen Fesseln. Ihm war, als spüre er ein Nachgeben.

»Ich kann das nicht zulassen«, sagte sie unter Tränen.

Var hörte gar nicht hin und zerrte weiter an dem Metall. Mit den Stöcken konnte er die Halterungen nicht losstemmen, da sie zu dick waren und neben ihren Gelenken keinen Platz fanden. Er hätte mit einem Stein auf das Metall einschlagen können, doch das Geräusch konnte die Priester oder den Gott Minos anlocken.

Da wurde er plötzlich zurückgestoßen.

Soli hatte den bloßen Fuß angezogen und ihn mit aller Kraft vor die Brust getreten. Jetzt wußte er: Sie meinte es ernst. Sie würde ihm Widerstand entgegensetzen und nicht zulassen, daß er sich an ihren Fesseln zu schaffen machte.

Also konnte er sie nicht befreien, ehe er sie nicht vorher bewußtlos geschlagen hatte. Und wie würde sie sich nachher zu ihm stellen, wenn er sie mit Gewalt hinderte, ihren Eid zu halten?

Jedenfalls brachte er es nicht über sich, sie zu schlagen. Bei jedem anderen, hätte er es gekonnt. Nicht bei Soli.

Er stand auf und sah sie an. »Dann werde ich Minos töten!« sagte er.

»Nein!« schrie sie vor Entsetzen auf. »Er ist ein Untier! Niemand kann ihm etwas tun!«

»Ich habe geschworen, ich würde jeden töten, der Solas Kind etwas zuleide tut«, sagte Var. »Diesen Schwur habe ich geleistet lange, ehe du deinen geleistet hast. Soll ich denn warten, bis er – bis das Ungeheuer kommt?«

»Aber Minos ist ein Gott, kein Mensch! Ihn kannst du nicht töten!«

»Er verschlingt Jungfrauen – und soll kein Tier sein?« Dann schämte er sich seiner Ironie. »Was immer er ist, ich trete ihm entgegen, wenn du jetzt nicht mit mir kommst.«

»Ich kann nicht.«

Var sah nun, daß jedes weitere Wort überflüssig war. Er betrat die Schlucht und sodann das Labyrinth ungeachtet ihrer leisen Rufe. Dort, wo die Wände sich zusammenschlössen, klaffte eine große offene Höhle. In ihrem Inneren zweigten mehrere kleinere Gänge ab. Var hielt die Stöcke bereit und schlich vorsichtig in einen der Gänge hinein.

Er führte zu einem mittelgroßen Gewölbe, in dem verstreute Knochen lagen. Var untersuchte sie nicht näher, er wußte ja woher sie stammten. Erreichte er sein gestecktes Ziel nicht, dann würden heute auch Solis Gebeine hier landen. Er ging weiter.

Da fiel ihm ein, daß der Tier-Gott die Höhle verlassen und Soli angreifen könnte, während er die leeren Höhlen absuchte. Hastig zog er sich zum Eingang zurück, wobei er durch die Gebein-Höhle und eine leere Höhle gehen mußte.

Und plötzlich merkte er, daß er in dem Labyrinth die Orientierung verloren hatte. Er mußte eine Abzweigung übersehen haben und wußte nun nicht, wo er sich befand, oder in welcher Richtung der Eingang lag. Sein in der Wildnis geschärfter Orientierungssinn, auf den er sich normalerweise verlassen konnte, hatte ihn in diesem Moment im Stich gelassen.

Doch war er auch jetzt noch imstande, einen Ausweg zu finden. Er konnte seine eigene Spur wittern, oder aber, er konnte seinen zurückgelegten Weg mit Knochen markieren und einen falschen Ausgang nach dem anderen abstreichen. Aber dafür brauchte er Zeit, und Soli war vielleicht schon in diesem Augenblick in höchster Gefahr. Er entschloß sich für ein direkteres Vorgehen.

»Minos!« brüllte er. »Komm und kämpfe mit mir!«

»Muß ich das?« antwortete eine sanfte Stimme hinter ihm.

Var fuhr herum. – In einem der Gänge stand ein Mann.

Nein – kein Mann. Der Leib war der eines riesenhaften Kriegers, der Schädel aber war behaart und gehörnt. Nein, es war nicht nur ein Bart. Das Gesicht lief vorne zu einer Schnauze zu, und die Hörner sprossen knapp oberhalb der Ohren. Es war, als hätte man einen Stierschädel auf einen Menschenkörper verpflanzt. Und die Füße waren Hufe, keine verstümmelten Zehen wie bei Var, sondern feste runde Rinderhufe. Die Zähne hingegen waren nicht die eines Pflanzenfressers. Sie waren spitz wie Hundezähne.

Das also war Minos.

Var hatte schon allerhand Absonderlichkeiten kennengelernt und hatte auch hier etwas in dieser Art erwartet. Er vollführte eine Bewegung mit seinem Stock, und das Kampffieber in ihm wuchs. Vermutlich war es das, was andere Angst nannten.

»Was führt dich bei hellichtem Tag her, Var der Stock?« fragte der Gott ruhig. »Du bist bisher immer in der Dunkelheit gekommen, aber niemals in meine Behausung.«

»Ich bin gekommen, um zu kämpfen«, wiederholte Var. Niemand hatte ihm gesagt, daß der Gott sprechen könne, oder daß er so viel wisse. Woher kannte Minos Vars Namen?

»Natürlich. Warum aber ausgerechnet in diesem Augenblick? Vor mir liegt ein schwerer Tag. Gestern hätte ich dir mehr Zeit widmen können.«

»Draußen ist Soli, meine Freundin. Als Opfer. Ich habe geschworen, ich würde den Menschen – oder den Gott oder das Tier – töten, der ihr etwas antut. Und ich warte nicht erst ab, bis ihr etwas zustößt.«

Minos nickte, so daß seine Wollzotteln bebten. »Du bist mutig und treu. Aber glaubst du wirklich, daß du mich töten könntest?«

»Nein. Aber versuchen muß ich es, denn ohne Soli gibt es für mich kein Leben.«

»Komm. Wir können das alles ohne Unannehmlichkeiten regeln.« Minos drehte ihm den breiten Rücken und trottete mit klappernden Hufen den Gang entlang.

Der verdutzte Var folgte ihm.

Sie kamen in eine größere Kammer, in deren Mitte ein Felsblock lag. »Den stemme ich zur Übung immer hoch«, sagte Minos. »So.« Er bückte sich nach dem Stein, offenbar unbekümmert darüber, daß hinter ihm ein bewaffneter Gegner stand. An Armen und Rücken traten gewaltige Muskeln hervor. So viel Kraft hatte Var seit seinem Training mit dem Herrn nicht mehr gesehen.

Der Stein kam vom Boden los. Minos hob ihn auf Brusthöhe, hielt ihn so sekundenlang und legte ihn wieder auf den Boden. »Man muß achtgeben, wenn man diese Dinger wieder losläßt.« Er keuchte.

Und trat zurück. »Und jetzt du. Wenn du imstande bist, ihn zu heben, dann bist du eventuell ein Gegner für mich.«

Var hängte die Stöcke an den Gürtel und trat näher. Der Gott hatte ihm vertraut, und er war nun verpflichtet, das Vertrauen zu erwidern.

Er bemühte sich mit aller Kraft, schob und drückte. Er konnte den Stein nicht von der Stelle bewegen. Das Ding ließ sich nicht mal wegrollen.

Schließlich gab er auf. »Du hast recht. Ich bin nicht so stark wie du. Aber im Zweikampf könnte ich dich vielleicht schlagen.«

»Gewiß«, meinte Minos aufrichtig. Sein Gesicht nahm einen sonderbaren Ausdruck an, wenn er sprach, denn er mußte seinen Mund geschlossen um die Schnauze strecken und konnte die Worte nur teilweise mit dem Mund formen. Und seine Aussprache hörte sich komisch an. »Wenn du darauf bestehst, werden wir kämpfen. Aber erst wollen wir miteinander reden. Ich habe nur selten Gelegenheit, mit einem ehrenwerten Menschen zu reden.«

Var war diesem Vorschlag zugänglich. Solange der Gott mit ihm zusammen war, war Soli sicher. Er fragte sich bloß, was passiert wäre, wenn er einen Angriff gewagt hätte, während der Gott den Stein hob. Wahrscheinlich wäre ihm der Block an den Kopf geflogen…

Sie setzten sich in einer anderen Höhlenkammer auf grob zusammengebaute Sessel – Knochen mit Sehnen zusammengebunden. »Iß doch einen Happen«, sagte Minos. »Ich habe Nüsse anzubieten, Beeren, Brot- und natürlich Fleisch. Aber du weißt ja, woher das stammt.«

Var wußte es. Doch der Gedanke daran war für ihn längst nicht so schrecklich wie für andere, denn in seiner Kindheit als Wilder hatte er manches verzehrt. »Ich teile deine Mahlzeit.«

Minos langte in ein Loch und zog eine fleischige Rippe hervor. »Gestern gebraten, damit sie sich besser hält«, erklärte er und reichte Var das Stück. Für sich holte er eine zweite hervor.

Var nagte die Rippe ab. Viel schmackhafter als rohes Rattenfleisch, stellte er fest. Zu welchem Mädchen sie wohl gehört hatte? Wahrscheinlich zur letzten. Sie hatte nicht aufhören wollen zu schreien, als man sie draußen festmachte, und sie war zudem nicht sehr hübsch gewesen. Zu üppig, wie dieser Happen bewies. Var trank einen Schluck abgestandenen Wassers nach, den Minos ihm reichte.

»Woher kommst du?« fragte der Gott.

Var erklärte ihm die Ring-Kultur.

»Ich habe davon gehört«, sagte Minos. »Aber ich muß gestehen, daß ich es für einen Mythos hielt, eine Erfindung, wenn mir die Bemerkung gestattet ist. Jetzt sehe ich, daß es tatsächlich ein wundervolles Land ist. Warum seid ihr fort, du und das Mädchen?«

Auch das erklärte ihm Var. Die Unterhaltung mit diesem riesenhaften Gegner fiel ihm sehr leicht und nicht nur wegen des Aufschubs, den Soli damit erhielt.

Minos hörte sich geduldig die ganze Geschichte an. Dann sagte er: »Ist es möglich – ich spreche jetzt aus Unwissenheit, mußt du wissen –, daß der Namenlose in Wirklichkeit ihr Vater ist?«

Var saß da und kaute Jungfrauenfleisch, und plötzlich ging ihm ein Licht auf. Der Herr hatte geglaubt, Var hätte seine leibliche Tochter getötet!

»Eine Ironie des Schicksals«, sagte Minos, »falls es der Fall sein sollte. Aber die Lösung ist ganz einfach. Du brauchst sie ihm bei eurer nächsten Begegnung nur zu zeigen.«

»Außer – «

»Leider – «

»Mußt du sie auffressen?« Kaum zu glauben, daß ein so verständiges und zuvorkommendes Wesen in diesem Punkt so unnachgiebig war.

Minos seufzte. »Ich bin ein Gott. Und Götter halten sich nicht an die Konvention der Menschen – so lautet die Definition. Ich wünschte, es wäre anders.«

»Aber sicher hast du genügend Fleisch auf Vorrat, so daß du noch einen Monat auskommst?«

»Nein, habe ich nicht, denn es verdirbt, und ich bin ja kein Leichenfledderer. Ich muß wirklich bald darauf dringen, daß man mir hier ein Kühlsystem einrichtet. Aber das ist nicht das eigentliche Problem, Ich nehme die Opfer nicht nur des Fleisches wegen an.«

Var kaute verständnislos.

»Das Fleisch fällt dabei nur so für mich ab«, sagte Mino. »Ich nehme es, weil es praktisch ist und weil ich Verschwendung hasse. Ich mache das Beste aus der mir vom Tempel aufgezwungenen Lage.«

»Der Tempel verlangt, daß du das tust?«

»Alle Tempel und alle Religionen lassen ihre Götter ähnlich agieren. Das war immer schon so, auch vor dem Brand. Die Priester von Neu Kreta tun so, als dienten sie Minos, dabei dient Minos ihnen. Es handelt sich dabei um eine Methode der Steuerung des Bevölkerungswachstums zum Teil wenigstens, denn die Geburtenrate hängt vom Prozentsatz heiratsfähiger Mädchen innerhalb der Bevölkerung ab. Aber in der Hauptsache ist es ein Mittel, die Macht zu behalten, die andernfalls durch die Strömungen von Politik und Zeit anderswohin getrieben würde. Die einfachen Leute fürchten mich. Ich lauere am Bett eines jeden ungehorsamen Kindes. Ich bringe dem Steuersünder Unglück. Und doch bin ich allein und sterblich. Der Tempel hat mich durch Mutation und Operation hervorgebracht.«

»Wie den Herrn!« rief Var aus.

»Es scheint so. Diesen Mann möchte ich eines Tages gerne kennenlernen. Du hast sicher bemerkt, daß ich mich innerhalb meiner Behausung aufhalte. Sollte ich dem Eingang zu nahe kommen, so würde ich sofort die Herrschaft über mich verlieren. So bin ich angelegt, es liegt mir im Blut, im Gehirn.«

Das kam Var äußerst bemerkenswert vor, aber nicht seltsamer als andere Dinge, die er auf seiner Wanderung gesehen und gehört hatte. »Was passiert, wenn nun ein Irrtum unterläuft und das Opfer nicht rein ist?«

Minos lachte scheußlich und zeigt alle seine Zähne auf einer Seite. »Na, dann begebe ich mich zum Tempel und schlage Krach. Man sagt, daß dann einen Monat lang Unglück folgt.«

Die Audienz war beendet. »Jetzt muß ich mit dir kämpfen«, sagte Var.

»Sicher weißt du, daß ich dich töten würde. Ich hätte eigentlich gedacht, daß du eine romantischere Lösung finden würdest. Mir gefällt es gar nicht, euer beider Blut an den Hörnern zu haben, nicht, nachdem ihr so weit gekommen seid, euch so abgemüht habt und schon so viel Launen des Schicksals habt hinnehmen müssen. Besonders, wenn es sich so leicht vermeiden läßt.«

Var sah ihn verständnislos an. »Sie will nicht mit mir gehen. Nicht ehe sie das Opfer gebracht hat.«

Minos stand auf. »Es gibt Dinge, die ein Gott einem Menschen nicht sagt. Geh jetzt, oder wir werden sicher kämpfen, denn in mir wächst das Verlangen.«

Var zog die Stöcke.

Minos schlug sie ihm mit einer blitzartigen Bewegung aus der Hand. »Geh schon! Mit einem Narren streite ich mich nicht!«

Var merkte, daß der Fall hoffnungslos war. Er nahm seine Stöcke und ging. Diesmal fand er sofort den richtigen Gang.