IV

Die Krieger versammelten sich um den Hauptring. Tyl von den zwei Waffen überwachte die Zeremonie. »Wer ist heute da, die Ehre des Mannestums zu fordern und einen Namen anzunehmen?« Er stellte diese Frage ohne besonderen Nachdruck. Seit acht Jahren übte er allmonatlich diese Funktion aus, und die Sache langweilte ihn.

Ein paar Jünglinge traten vor: Schmächtige Halbwüchsige, denen man den Umgang mit der Waffe kaum zugetraut hätte. Tyl sehnte sich nach den alten Zeiten, als er Sol aller Waffen gedient hatte. Damals waren Männer noch richtige Männer gewesen, und ein Führer war ein Führer. Große Dinge hatten sich damals vorbereitet. Nun aber – lauter Schwächlinge und dazu nichts als Trägheit.

Ganz mühelos glückte ihm der rituell-verächtliche Ton. »Ihr werdet gegeneinander antreten«, erklärte er. »Ich teile euch paarweise ein, Mann gegen Mann im Ring. Wer sich im Ring behauptet, der gilt fortan als Krieger und darf Namen und Band und Waffe in Ehren führen. Der andere…«

Er ließ den Satz unvollendet. Niemand durfte Krieger genannt werden, wenn er nicht mindestens einmal im Ring den Sieg errungen hatte. Manch Hoffnungsvoller wurde immer wieder besiegt, manch einer gab schließlich auf und ging zu den Irren oder zum Berg. Aber die meisten suchten Zuflucht bei anderen Stämmen und versuchten es dort von neuem.

»Du, Keule«, sagte Tyl und deutet auf einen rundlichen angehenden Keulenkämpfer. »Du, Stab«, und er wählte einen linkisch wirkenden Stabkämpfer.

Die zwei sichtlich nervösen Jünglinge traten nun zaghaft in den Ring. Der Kampf begann, wobei der Keulenkämpfer weit ausholende ungeschickte Bewegungen vollführte, die der Stabkämpfer unbeholfen parierte. Im weiteren Verlauf gelang es dem Keulenkämpfer, die Hand des Gegners zu zerschmettern, und der Stab fiel zu Boden.

Dem Stabkämpfer reichte es. Er sprang aus dem Ring. Tyl war ganz elend zumute, nicht um der Tatsache von Sieg und Niederlage willen, sondern wegen der völligen Unfähigkeit. Wie sollten aus solchen Tölpeln richtige Krieger werden? Was für ein Gewinn stellte ein Sieger wie dieser Keulenschwinger für den Stamm dar? Seinen entscheidenden Schlag hatte er dem Glück zu verdanken.

Aber sicher konnte man ja nie sein, sinnierte er. Einige der Schwächsten, die er in das Trainingslager von Sav dem Stockkämpfer geschickt hatte, waren als beachtliche Krieger wiedergekommen. Was in einem Mann steckte, merkte man an der Art, wie er auf die Ausbildung reagierte. Das war die Lehre, die der Waffenlose verbreitet hatte, der nie im Ring gekämpft hatte. Wie hatte er doch geheißen? Sos. Sos war ein Jahr lang beim Stamm geblieben und hatte das System eingeführt. Dann war er für immer gegangen. Nicht viel von einem Mann, aber ein scharfer Verstand. Ja, am besten war es wohl, man gliederte den Keulenkämpfer dem Stamm ein und schickte ihn zu Sav. Vielleicht kam etwas Gutes dabei heraus. Wenn nicht, dann war es sicher kein Schaden.

Als nächstes trat ein Paar Dolchkämpfer gegeneinander an. Es wurde ein blutiger Kampf, doch der Sieger sah wenigstens wie ein angehender Mann aus.

Dann trat ein Schwertkämpfer gegen einen Stockkämpfer an Tyl sah diesem Kampf mit besonderem Interesse zu, denn seine eigenen Waffen waren Schwert und Stock, und er hätte sich mehr Kämpfer dieser Sorte im Stamm gewünscht. Die Stöcke waren gut für die Disziplin, das Schwert für den Sieg.

Der Stockkämpfer traf seinen Gegner seitlich am Kopf und ließ dem entscheidenden Schlag viele weitere auf Nacken und Schultern folgen. Dabei ließ seine Wachsamkeit nach, und die blanke Klinge traf ihn an der Kehle. Er war sofort tot. Dabei hatte er so vielversprechend ausgesehen. Seine Bewegungen waren flink, sein Ziel sicher. Der Schwertkämpfer war zwar kräftig, hatte aber zunächst sehr viel langsamer gewirkt.

Tyl schloß entsetzt die Augen. Diese Tollkühnheit! Der Aussichtsreichere hatte sich vor Begeisterung hinreißen lassen und war dem anderen buchstäblich in die Klinge gelaufen. Gab es denn noch Hoffnung für diese Generation?

Ein Jüngling war noch übrig – einer der seltenen Morgensternkämpfer. Es bedurfte besonderen Mutes, um sich diese Waffe zu wählen, und dazu einer gewissen Todesverachtung, denn der Morgenstern wirkte verheerend und war dabei eine unsichere Waffe. Tyl hatte ihn bis zuletzt warten lassen, weil er ihn gegen einen erfahrenen Krieger antreten lassen wollte. Damit wurden zwar die Erfolgschancen des Sterns geschmälert, die Überlebenschancen des Gegners aber gesteigert. Wenn er sich gut machte, wollte Tyl ihn nächsten Monat gegen einen leichten Gegner antreten lassen und ihn in den Stammesverband aufnehmen, sobald er Name und Waffenzeichen hatte.

Einer der Ringwachen unterbrach die Veranstaltung. »Fremde, Herr – Mann und Frau. Er ist häßlich wie der Teufel. Sie wohl auch.«

Noch immer verärgert, weil der vielversprechende Stockkämpfer den Tod gefunden hatte, fuhr Tyl den Mann an: »Ist dein Armreif schon so abgenutzt, daß du eine Häßliche nicht deutlich erkennen kannst«

»Sie ist verschleiert.«

Tyls Interesse erwachte. »Welche Frau würde wohl ihr Gesicht verhüllen?«

Der Posten schob die Schultern hoch. »Soll ich sie hierherbringen?«

Tyl nickte.

Kaum war der Mann gegangen, wandte er sich wieder dem Problem des Morgensterns zu. Am besten würde wohl ein alter Stabkämpfer sein, denn ein Morgenstern konnte andere Waffenträger schwer verletzen oder gar töten, auch wenn er von einem Anfänger geführt wurde. Er rief einen Mann herbei, der schon im Ring gegen Morgensternkämpfer angetreten war und gab ihm entsprechende Anweisungen.

Noch ehe der Kampf begann, trafen die Fremden ein. Ja, der Mann war wirklich häßlich. Irgendwie bucklig, dazu verformte Hände und große entfärbte Hautstellen an Gliedern und Leib. Seine gebückte Haltung bewirkte, daß seine Augen unter buschigen Brauen von unten heraufstarrten. Sonderbar und eindrucksvoll wirkte das. Er bewegte sich geschmeidig, ungeachtet seines seltsamen Ganges. Mit seinen Füßen stimmte irgend etwas nicht.

Die Frau war in einen langen Mantel gehüllt, der ihre Gestalt so verbarg wie der Schleier ihr Gesicht. Ihrem Schritt aber sah er an, daß sie weder jung noch dick war. Wenn sie ihm nicht einen Vorwand lieferte, sie auskleiden zu lassen, würde er wohl nicht mehr über sie in Erfahrung bringen.

»Ich bin Tyl, Führer dieses Lagers im Namen des Namenlosen«, sagte er zu dem Mann. »Was führt Euch hierher?«

Der Mann zeigte sein linkes Handgelenk. Es war nackt.

»Ihr seid gekommen, Euch einen Armreif zu verdienen?« Tyl war erstaunt, daß ein so muskelbepackter, narbenbedeckter und furchteinflößender Mann wie dieser hier noch kein Krieger war. Aber ein zweiter Blick, ein Blick auf die beinahe nutzlosen Hände brachte die Aufklärung. Wie hätte er kämpfen können, wenn er keine Waffe anfassen konnte?

Oder war er etwa ein zweiter waffenloser Krieger? Tyl kannte nur einen im ganzen Imperium, der aber war der Waffenlose, der Herr. Tyl selbst war von ihm im Ring besiegt worden.

»Welche Waffe habt Ihr Euch erwählt?« fragte er.

Der Mann faßte in seinen Gürtel und enthüllte zwei, unter den losen Falten seiner Jacke hängende Stockrapiere.

Tyl war erleichtert und enttäuscht. Ein neuer Waffenloser wäre recht interessant gewesen. Dann aber kam ihm eine Idee. »Würdet Ihr gegen den Morgenstern antreten?«

Der Mann nickte, und sagte kein Wort.

Tyl deutete zum Ring. »Morgenstern, hier ist dein Gegner«, rief er. Kaum hatte er den Satz beendet, schien sich die Zuschauerschar verdoppelt zu haben. Dieser Wettkampf versprach interessant zu werden!

Der Morgenstern trat in den Ring und hob die stachelbewehrte Kugel. Der Fremde zog Jacke und Gamaschen aus und stand nun in konventionellen Beinkleidern da, die an ihm recht sonderbar aussahen. Das Fleisch auf der massiven Brust war gelblich getönt. Die Beine waren ungewöhnlich stämmig und muskulös, die kurzen Füße bloß. Seine Zehennägel krümmten sich ähnlich Hufen um die Zehen. Ein seltsamer Mann!

Die Arme waren nicht richtig proportioniert entwickelt, obgleich sie an einem Mann mit nicht so wuchtigem Oberbau recht eindrucksvoll gewirkt hätten. Die Hände aber, die sich nun um die Stöcke schlossen, erinnerten an Greifzangen. Ihr Griff war sonderbar unbeholfen – aber fest.

Die verschleierte Frau ließ sich am Ring nieder und sah zu. Ihre Verhüllung war ebenso merkwürdig wie der Körperbau des jungen Buckligen.

Der Stockkämpfer betrat den Ring argwöhnisch witternd wie ein Tier, das einer Falle ausweichen möchte. Der Morgenstern ließ seine an einer Kette hängende Waffe über dem Kopf wirbeln. Einen Augenblick lang sahen die zwei einander an. Dann kam der Sternkämpfer näher, wobei die Kreisbahn seines wirbelnden Zuschlaghammers den Körper seines Gegners zu durchschneiden drohte.

Der Stockkämpfer duckte sich. Dem Anprall der eisernen stachelbewehrten Kugel hätte niemand standhalten können. Seine kräftigen Beine und seine gekrümmte Haltung erleichterten das Ausweichmanöver. Tief gebückt lief er durch den Ring und kam hinter dem Sternkämpfer zum Stehen.

Das sagte alles. Tyl wußte nun, daß der Morgenstern den Stockkämpfer nie schaffen würde, wenn dieser ebensogut springen, wie ducken und ausweichen konnte. Und wenn überhaupt, dann mußte der Sternkämpfer ihn bald schaffen, denn der wirbelnde Ball wirkte auf den ausgestreckten Arm sehr ermüdend.

Aber soweit sollte es gar nicht kommen. Noch ehe der Sternkämpfer sich neu orientieren konnte, hatten die gegnerischen Stöcke seinen Waffenarm getroffen, und er war nicht mehr fähig, seine Haltung zu wahren. Die Kreisbewegung der Kugel wurde langsamer, der Mann schwankte.

Tyl, der merkte, daß der Mann zu dumm war, um seine Niederlage zu erfassen, sprach statt seiner: »Der Stern ergibt sich!«

Der Sternkämpfer sah sich verwirrt um. »Aber ich stehe noch immer im Ring!«

Für Torheit hatte Tyl nichts übrig. »Dann bleib drin.«

Der Mann wollte seinen Stern wieder in Bewegung setzen, war aber unsicher in seinen Bewegungen. Der Stockkämpfer kam ganz nahe heran und versetzte ihm einen Schlag auf den Schädel. Als Mann und Kugel zu Boden gingen, faßte der Stockkämpfer einen der Stöcke mit den Zähnen und faßte mit der freien Hand nach der Sternkette. Ein interessantes Manöver, da die typische Sternkette mit kleinen spitzen Stacheln versehen war, die einen solchen Griff eigentlich unmöglich machten. Doch das schien den Mann nicht zu stören. Er schleppte den Bewußtlosen an den Rand des Ringes, ließ ihn dann los und bückte sich, um ihn hinauszurollen.

Mit einem Gefühl, das reiner Freude eng verwandt war, verlieh Tyl dem grotesken Stockkämpfer den goldenen Reif der Mannbarkeit. Ihm fiel auf, daß die Hände des Mannes stark verhornt waren. Kein Wunder, daß ihm Stacheln nichts anhaben konnten. »Von nun an Krieger, nenne dich – « Tyl hielt inne. »Welchen Namen hast du erwählt?«

Der Mann setzte zum Sprechen an, doch seine Stimme war nur ein trockenes Keuchen. Es hörte sich an, als hätte auch sein Kehlkopf Hornhäute angesetzt. Das Wort, das er schließlich herausbrachte, klang wie ein Knurren.

Aber Tyl verstand es. »So nenne dich hinfort Var – Var der Stock.« Und dann fragt er: »Wer ist deine Gefährtin?«

Var schüttelte den zottigen gebeugten Kopf und sagte nichts. Nun aber trat die Frau vor und legte Mantel und Schleier ab.

»Sola!« rief Tyl aus. Er hatte die Frau des Herrn erkannt. Sie war noch immer hübsch, obwohl es schon zehn Jahre her war, seitdem er sie gesehen hatte. Sie war etwa vier Jahre bei Sol geblieben, dann war sie mit dem neuen Herrn des Imperiums gegangen. Und weil der Sieger waffenlos war, keinen Armreif trug und keinen Namen führte, hatte sie Reifen und Namen behalten, die sie bereits hatte. Das kam öffentlich eingestandenem Ehebruch gleich, doch hatte der Herr sie redlich gewonnen. Er war der mächtigste Mann, der je den Ring betreten hatte, bewaffnet oder nicht. Und wenn er selbst nichts auf Äußerlichkeiten gab, dann mußte sich jeder andere eine Bemerkung verkneifen.

Aber Sola hatte ihrem erwählten Gatten wenigstens die Treue gehalten, bis auf die Zeit ganz am Anfang, als sie sich mit diesem Sos vergnügt hatte. Aber was trieb sie jetzt? Warum wanderte sie mit diesem bislang namenlosen Jungen umher?

»Der Herr hat ihn ausgebildet«, sagte sie. »Er wollte aber, daß er sich selbst einen Namen erwirbt, ohne Begünstigung oder Benachteiligung.«

Also ein Schützling des Waffenlosen! Jetzt wurde ihm manches klar. Natürlich war die Ausbildung fabelhaft. Der Herr kannte alle Waffen und wußte, wie sie als Gegner einzuschätzen waren. Kräftig, das war klar. Und häßlich. Genau die Sorte Mann, die dem Namenlosen gefiel. Vielleicht hatte der Herr in seiner Jugend ebenso ausgesehen.

Und dann stellte er eine andere Verbindung her. »Der wilde Junge, der vor fünf Jahren hier die Felder unsicher machte. Ist er…?«

»Ja. Jetzt ist er ein Mann.«

Tyls Hände faßten nach seinen Stöcken. »Damals hat er mich gebissen. Jetzt will ich mich dafür rächen.«

»Nein«, sagte sie. »Deswegen bin ich gekommen. Ihr sollt Var nicht in den Ring führen.«

»Fürchtet er sich, mir am Tage entgegenzutreten?«

»Var fürchtet nichts und niemanden. Aber er ist noch jung und unerfahren, und ihr seid der Rangzweite im Imperium. Er kommt mit mir.«

»Braucht er zu seinem Schutz eine Frau?«

Aufrecht stand sie da mit der Figur eines eben heiratsfähig gewordenen Mädchens. »Wollt Ihr die Antwort von meinem Gemahl hören?«

Und Tyl, der dem Mann, den sie ihren Gatten nannte, verbunden war, und der selbst ein Mann von Ehre war, mußte seine Wut zügeln und den Kopf schütteln.

Sie wandte sich an Var. »Wir bleiben die Nacht über hier und machen uns morgen auf den Rückmarsch. Du wirst gewiß deinen Armreif ins Hauptzelt bringen wollen.«

Tyl mußte im stillen lachen. Der neue Krieger würde wegen seiner grotesken Merkmale niemanden finden, der seinen Armreif nahm. Mochte er allein feiern!

Und vielleicht würden sie einander eines Tages wieder begegnen, wenn der Schutz des Namenlosen nicht mehr wirksam war…