I

Tyl von den Zwei Waffen lag im nächtlichen Getreidefeld auf der Lauer. Das eine Stockrapier hielt er in der Hand, das zweite trug er griffbereit im Gürtel. Zwei Stunden wartete er schon, ohne sich zu rühren.

Tyl war ein hübscher Mann, schlank und muskulös. Die harten Züge in seinem Gesicht verdankte er den Jahren der Macht. Das Imperium erstreckte sich über tausend Meilen, und er war nun hinter dem Herrn der zweite in der Hierarchie und der erste, was die praktische Ausübung der Macht anbelangte. Er bestimmte die Politik innerhalb der vom Herrn festgelegten großen Leitlinien und legte Rangordnung und Platzierungen der wichtigsten Unterführer fest. Tyl besaß Macht – doch sie rieb ihn auf. Und dann hörte er es – ein Rascheln aus nördlicher Richtung, ein Rascheln, das für die hier heimischen Tiergattungen ungewöhnlich war.

Vorsichtig richtete er sich auf. Die hohen Halme schirmten ihn vor dem Eindringling ab. Es war eine mondlose Nacht, denn die unbekannte Bestie scheute das Licht. Tyl konnte die Richtung, die sie einschlug, nach seinen leisen Geräuschen bestimmen. Der Wind wehte von Norden. Andernfalls hätte das Wesen seine Witterung bekommen und wäre entwischt.

Kein Zweifel. Das war seine Jagdbeute. Jetzt erklomm das Tier den massiven Holzzaun, kletterte darüber hinweg und landete mit dumpfem Aufprall im Getreidefeld. Es hielt still und wartete ab, ob es entdeckt worden war. Ein überaus gewieftes Tier – eines das Fallgruben mied, Gift unberührt ließ und sich heftig zur Wehr setzte, wenn es in eine Falle geriet. In den vergangenen drei Monaten waren drei von Tyls Leuten bei nächtlichen Begegnungen mit diesem Wesen verwundet worden. Im Lager hatte es sich den Ruf eines Zauberwesens errungen, als böses Omen sozusagen, und selbst geübte Krieger zeigten unziemliche Angst vor der Finsternis.

Folglich war es nun Sache des Anführers die Angelegenheit zu bereinigen. Tyl, schon seit langem angeödet von der Routine einen nicht auf Eroberung befindlichen Stamm zu führen, freute sich über diese Herausforderung. Er wollte das Ding fangen und es dem Stamm vorführen: Seht her, das ist die Spukgestalt, deretwegen kleinmütige Naturen zu Memmen wurden!

Gefangenschaft und nicht der Tod, war das seiner Beute bestimmte Los. Aus diesem Grund hatte er seine Stockrapiere an Stelle des Schwertes mitgebracht.

Wieder ein leises Geräusch. Jetzt begann es das reife Getreide von den Halmen zu reißen, um es auf der Stelle zu verschlingen. Das allein war schon ein Merkmal, das das Wesen von den gewöhnlichen Fleischfressern unterschied, denn die hätten kein Körnchen Getreide angerührt. Aber ein gewöhnlicher Pflanzenfresser konnte es auch nicht sein, denn ein solcher hätte die Ähren nicht auf diese Weise abgerissen und verschlungen. Und die Fußspuren, die man am Tag nach einem Raubzug entdeckte, stammten von keinem bekannten Tier. Breit und rund waren sie, mit den Abdrücken von vier gedrungenen Klauen oder Hufen – von keinem Bären stammend, nichts Natürliches.

Jetzt wurde es Zeit. Tyl näherte sich dem Wesen, in der einen Hand den Stock und mit der anderen behutsam die Getreidehalme teilend. Er wußte, daß er es nicht gänzlich überrumpeln konnte, hoffte aber doch, genügend nahe heranzukommen, um es mit einem plötzlichen Angriff zu überwältigen. Tyl stufte sich als den besten Stockkämpfer seiner Welt ein. Der einzige, der ihn hätte schlagen können, Stock gegen Stock, war tot, auf den Berg gestiegen. Es gab nichts, was Tyl fürchtete, wenn er so bewaffnet war.

Während des Anschleichens dachte er mit Wehmut an jene einzige Niederlage. Vor vier Jahren war es gewesen, als er noch jung war. Das hatte allein Sol geschafft – Sol der Meister aller Waffen, Schöpfer des Imperiums, der kühnste Krieger seiner Zeit. Sol war zur Eroberung der Welt aufgebrochen, mit Tyl als Erstem Stellvertreter. Und so hatten sie es gehalten, bis der Namenlose kam.

Jetzt war Tyl ganz nahe. Die Freßgeräusche verstummten. Das Ding hatte ihn gehört!

Tyl wartete nicht erst ab, bis das schlaue Tier einen Entschluß gefaßt hatte. Er stürzte darauf zu ohne Rücksicht auf das Getreide, das er dabei zertrat. Beide Stockrapiere hielt er kampfbereit in der Hand und hieb sich damit den Weg durch die Ähren frei.

Das Wesen machte einen Satz. Tyl sah vor sich in der Dunkelheit ein behaartes Etwas, hörte sein unheimliches Grunzen. Er war sehr versucht, seine Taschenlampe anzuknipsen, wußte aber, daß er damit seine gute Nachtsicht, die er während des langen Wartens in der Finsternis geschärft hatte, einbüßen würde. Das Tier war nun am Zaun, doch der Zaun war hoch und war schwer zu überwinden. Tyl wußte, daß er es einholen konnte, ehe es darüber hinwegsetzte.

Auch das Tier wußte es. Mit dem Rücken zum Zaun und mit keuchenden Atemzügen stellte es sich ihm. Tyl sah das stumpfe Funkeln seiner Augen, die undeutlichen Umrisse des Körpers, der zottig, geduckt und drohend schien. Tyl ging mit beiden Stöcken darauf los und wollte einen raschen Hieb auf den Schädel anbringen, der das Tier sofort kampfunfähig machen würde.

Doch das Tier schien sich bei Waffen wie bei Fallen auszukennen. Es duckte sich, tauchte außer Reichweite der Stöcke, unterlief sie und grub seine Zähne in Tyls Knie. Er hieb ihm auf den Schädel, einmal, zweimal, spürte wie der üppige Pelz nachgab, und das Tier ließ los. Die Wunde war nicht weiter ernst, da die Schnauze des Tieres nicht vorstand und seine Zähne stumpf waren. Doch Tyls Knie litten noch immer unter dem Hieb, mit dem der Namenlose sie im Jahr zuvor fast zerschmettert hatte. Und außerdem war er wütend über seine Unaufmerksamkeit. Nichts hätte seine Defensive durchbrechen dürfen, ob bei Tag oder Nacht.

Das Wesen zog sich knurrend zurück, und Tyl erstarrte vor Schrecken bei diesem Geräusch. Kein Wolf und keine Wildkatze konnten so artikulieren. Und als es nun sein Blut schmeckte, da wurde das Geschrei hungrig, ja herausfordernd.

Es sprang ihn nun mit aller Gewalt an. Diesmal hatte es das Tier auf seine Kehle abgesehen, wie er sich gedacht hatte. Wieder schlug Tyl auf den Schädel ein, und wieder kam es ihm zuvor und duckte sich, so daß der Schlag abrutschte. Die Bestie schlug gegen Tyls Brust, brachte ihn zu Fall und krallte die vorderen Klauen in seinen Nacken, während die Klauen der Hinterbeine sich in seine Leisten bohrten.

Tyl, überrascht von dieser Wildheit, teilte nun blindlings Hiebe aus, und das Tier ließ von ihm ab. Noch ehe er sich aufrappeln konnte, war es wieder auf den Beinen und kletterte über den Zaun, während er hinterherhumpelte und zu spät kam.

Vor Wut über das Entkommen der Beute fing er laut zu fluchen an, doch waren die Flüche mit einer gewissen grimmigen Achtung gefärbt. Er hatte die Kampfstätte bestimmt, und der Räuber hatte ihn hier hereingelegt. Nun aber wollte er sich die Situation zunutze machen. Ja, vielleicht hatte er jetzt sogar die besseren Chancen.

*

Das Lebewesen ließ sich vom Zaun fallen und entwischte in den Wald. Es blutete aus einer Wunde, die der Angreifer ihm zugefügt hatte und hinkte ein wenig, weil seine Fußknochen verbildet waren. Und dennoch kam es rasch vorwärts. Die hornhautbewehrten Zehen fanden im Gras eine gute Unterlage.

Und klug war es obendrein. Es hatte Tyl deutlich gesehen und seine Witterung aufgenommen. Nur der würgende Hunger hatte seine Wachsamkeit ein wenig dämpfen können. Es hatte die Rapiere als Waffen erkannt und war ihnen ausgewichen. Trotzdem hatte es Hiebe hinnehmen müssen, und sie hatten geschmerzt. Das Wesen überlegte, es drehte und wendete das Problem, während es eilig auf das Ödland zustrebte. Das Menschenvolk wurde immer eigensinniger, was die Feldfrüchte betraf. Jetzt lagen sie gar schon auf der Lauer, griffen an, nahmen die Verfolgung auf. Dieser da hätte beinahe Erfolg gehabt. Wäre der Hunger nicht so groß, hätte man das Gebiet besser gemieden. Man würde sich zum Schutz eben etwas Besseres einfallen lassen müssen.

Es drang nun ins Ödland ein, wohin kein Mensch ihm folgen konnte und hielt ein wenig inne, um zu Atem zu kommen. Es hob einen Ast mit seinen gedrungenen, fleckigen Gliedmaßen auf. Das Vorderglied war breit, die Klaue kräftig und flach – weniger als Waffe geeignet, denn als Schutz für die verhornten Finger. Es fuchtelte wild mit dem Stock und ahmte die Haltung des Mannes aus dem Kornfeld nach. Es hieb mit dem Holzstück gegen einen Baum, und das trockene Stück zerbrach. Ja, es hatte etwas dazugelernt.

Beim nächsten Raubzug würde es einen Stock mitnehmen.