XI

Var fühlte sich körperlich sehr schwach, als er Soli allein aus dem sich lichtenden Nebel kommen sah. Sie wurde nicht verfolgt. Er ließ sie an sich vorübergehen und wartete zur Sicherheit eine Weile ab.

Doch er hatte den Aufschrei gehört und hatte gesehen, daß die Männer zum Hauptzelt gelaufen waren. Den Eingang hatte er wegen des Nebels nicht erkennen können, aber er glaubte, ihre und des Herrn Stimme gehört zu haben. Es war etwas passiert, und er konnte weder eingreifen noch sich Gewißheit verschaffen. So mußte er tatenlos warten und umklammerte nervös die zwei Stöcke, ihren und seinen.

Sie kam leise in einem großen Bogen zurück und suchte ihn. Irgendwie mußte sie sich aus der Sache herausgeredet haben, falls er sich nicht alles nur eingebildet hatte. »Da«, flüsterte er. Sie kam auf ihn zugelaufen und drückte ihm einen schweren Sack in die Hand. Gemeinsam liefen sie nun fort vom Lager. Er wußte, daß man sie in dem Nebel nicht verfolgen würde, und das Gelände war viel zu uneben und rauh, als daß man ihre Fährte hätte später noch wahrnehmen können.

Am Fuße des Mount Muse legten sie eine Pause ein, und er kramte in dem Sack nach den gut riechenden Sachen. Er bekam einen Schlauch zu fassen und schlürfte gierig daran. Es war gutes, starkes Nomadenbier, ein Getränk, das die Irren nie zur Verfügung stellten. Dann holte er sich einen Leib dunkles Brot hervor und kaute während des Aufstiegs daran.

Kaum war der ärgste Hunger gestillt, begann Var sich wegen des Nebels Sorgen zu machen. Wenn er sich lichtete, ehe sie den Gipfel erreichten, wäre ihr Geheimnis gelüftet. Und was dann?

Doch der Nebel hielt stand. Beide waren sie erleichtert, als sie schweratmend das Plateau erreichten. Sie leerten den Sack auf den Boden aus und ließen es sich schmecken.

Natürlich war Brot mit eingepackt. Und Braten. Gebackene Kartoffeln, Äpfel, Nüsse und sogar Irren-Schokolade. In einem Schlauch war Milch, im anderen Bier.

»Wie bist du an all das herangekommen?« fragte Var kauend.

Soli, die wegen der verzehrten Grütze nicht mehr richtig hungrig war, probierte wieder das Bier. Sie hatte noch nie zuvor Bier getrunken, und es reizte sie seines fauligen Geschmackes wegen. »Ich habe den Namenlosen darum gebeten.«

Var verschluckte sich und versprühte dabei Kartoffelstückchen. »Wie – warum -?«

Sie nahm einen Schluck Bier, unterdrückte jeden Brechreiz und berichtete die ganze Geschichte. »Und ich wünschte, sie wären nicht verfeindet«, schloß sie. »Sol und der Namenlose – andernfalls würden sie nämlich Gefallen aneinander finden. Dein Herr ist nämlich irgendwie sehr nett, trotz seines schrecklichen Äußeren.«

»Ja«, murmelte Var eingedenk seiner eigenen engen, fünf Jahre währenden Beziehung zu diesem Mann. »Aber eigentlich sind sie nicht verfeindet. Das hat der Herr mir mal gesagt. Sie waren Freunde, doch dann mußten sie aus irgendeinem Grund miteinander kämpfen. Sol gab dem Waffenlosen eine Frau samt Armreif und allem. Weil sie nicht sterben wollte, und außerdem liebte sie Sol nicht.«

Den Großteil seiner Erklärung hörte sie sich verwirrt an, weil sie das meiste erraten mußte, doch auf den letzten Teil reagierte sie sofort. »Sie hat ihn auch geliebt!« stieß sie hervor. »Sie war meine Mutter!«

Dieser neue Aspekt ließ ihn zurückschrecken. »Sie ist eine gute Frau«, sagte er schließlich. Das schien Soli zu beruhigen, doch Var hatte dabei eigentlich an die mit Sola unternommene Wanderung gedacht. Jetzt erst fiel ihm die Ähnlichkeit zwischen Mutter und Tochter auf. Aber konnte Sola überhaupt für jemanden Liebe empfunden haben, wenn sie so gehandelt hatte? Sie war von Mann zu Mann geflogen und hatte Var heimlich ihren Körper angeboten. Gewiß wußte der Herr davon – sie hatte jedenfalls behauptet, er wüßte es – und war er wirklich damit einverstanden gewesen. Wie ließ sich das erklären?

Und wieder einmal mehr stieß er auf das Problem seines Sola gegebenen Versprechens: Jeden Mann zu töten, der ihrem Kind etwas zuleide tat. Was für eine Frau Sola war, oder warum sie sich nun um das Kind sorgte, das sie damals im Stich gelassen hatte – alles spielte keine Rolle. Er hatte geschworen. Wie konnte er nun gegen Soli kämpfen?

»Freunde«, murmelte Soli gedankenverloren vor sich hin. »Ich hätte ihm sagen können…« Sie nahm wieder einen Schluck Bier und ließ ein nomadenhaftes Rülpsen ertönen.

»Var, wenn wir kämpfen und ich dich töte, dann wird der Waffenlose fortziehen, und Sol wird ihn niemals sehen. Wieder einmal.« Und sie fing zu weinen an.

»Wir können nicht kämpfen«, sagte Var, erleichtert, daß er diese Äußerung nun offiziell tun konnte.

Der Nebel hob sich.

»Man kann uns sehen!« rief Soli auf und sprang auf. Das stimmte zwar nicht, denn unten in der Tiefe lag noch Nebel, doch auch dieser begann sich aufzulösen. »Sie werden es merken. Rasch, die Stöcke!« Und sie sank zu Boden.

»Was ist denn?« fragte Var und wollte ihr aufhelfen.

Sie wackelte mit dem Kopf. »Ich fühle mich so sonderbar.« Und sie erbrach.

»Das Bier!« sagte Var, verärgert, daß er nicht an die Folgen für sie gedacht hatte. Als er das erste Mal davon gekostet hatte, war ihm auch übel geworden. »Du mußt eine ganze Menge getrunken haben, während wir miteinander sprachen.«

Aber der Sack war fast noch voll. Und Soli hing schweratmend an ihm.

Var wischte ihr übers Gesicht. »Soli, jetzt darf dir nicht schlecht sein. Alle sehen zu, deine Leute und meine. Wenn wir nicht kämpfen – «

»Wo ist mein Stock?« rief sie hysterisch. »Ich werde dir deinen dicken Schädel einschlagen. Laß mich in Ruhe!« Sie wollte wieder erbrechen, doch es wollte nichts mehr kommen.

Var hielt sie aufrecht. Er wußte nicht, wie er ihr sonst hätte helfen können. Er fürchtete, sie könnte sonst einfach zusammenbrechen oder über den Rand fallen. So oder so, es hätte keinen guten Eindruck gemacht, und die Zuschauer auf beiden Seiten wären argwöhnisch geworden…

Ja, der Eindruck! Den aus der Ferne Zusehenden mußte es vorkommen, als wären die beiden nun beim endgültigen Stadium des Kampfes angelangt und in einem Handgemenge begriffen, nachdem der Kampf die ganze Nacht gewährt hatte. Ja, das war nun der Kampf!

»Möchte schlafen«, murmelte Soli. »Hinlegen. Übel. Wärme mich Var, guter Nomade…« Ihre Knie gaben nach.

Var faßte unter ihre Arme und hielt sie aufrecht. »Wir dürfen nicht schlafen. Nicht, solange die anderen zusehen.«

»Mir egal. Laß mich los.« Und wieder fing sie an zu schluchzen. Var mußte sie hinsetzen.

»Das Bier ist es«, sagte sie, plötzlich hellwach geworden. »Ich bin betrunken. Ich durfte ja nie davon trinken. Sol und Sosa erlaubten es nicht. Schreckliches Zeug. Halte mich, Var. Ich bin so schwach. Ich habe Angst.«

Var merkte nun, daß es hoffnungslos war, den Anschein eines Kampfes aufrecht zu erhalten. Er legte sich hin, legte den Arm um sie, und sie weinte und wollte gar nicht mehr aufhören.

Nach einer Weile hatte sie sich wieder in der Gewalt.

»Var, was sollen wir nur tun?« .

Er wußte es nicht.

»Könnten wir beide nicht zurückgehen und sagen, es hätte nicht geklappt?« fragte sie flehend. Und noch ehe er antworten konnte, gab sie sich selbst die Antwort. »Nein. Bob würde mich als Verräterin töten. Und der Kampf würde weitergehen.«

Sie setzten sich nebeneinander hin und sahen hinweg über die Welt.

»Warum reden wir ihnen nicht ein, es hätte einer von uns beiden gewonnen?« fragte sie unvermittelt. »Dann wäre die Sache endgültig bereinigt.«

Var hatte zunächst seine Zweifel, aber je länger er überlegte, desto vernünftiger erschien ihm der Gedanke. »Und wer gewinnt?«

»Das müssen wir genau überlegen. Gewinne ich, werdet ihr Nomaden fortziehen. Gewinnst du, dann übernehmen sie die Unterwelt. Was ist nun besser?«

»Wenn wir eindringen, wird es viele Tote geben«, sagte er. »Vielleicht werden deine – werden Sol und Sosa sterben müssen.«

»Nein«, sagte sie. »Nicht, wenn Helicon sich ergibt. Und du sagtest, sie wären Freunde. Sol und der Namenlose. Sie könnten ja später wieder gemeinsame Sache machen. Und ich würde Sola, meine leibliche Mutter sehen.« Und dann: »Sie könnte aber gar nicht besser sein als Sosa.«

Das ließ er sich durch den Kopf gehen. Es hörte sich vernünftig an. »Also ich gewinne?«

»Du gewinnst, Var.« Sie schenkte ihm ein leeres Lächeln und langte nach dem Brot.

»Und was ist mit dir?«

»Ich verstecke mich. Und du sagst, ich wäre tot.«

»Aber Sol – «

»Wenn alles vorüber ist, werde ich Sol suchen und ihm sagen, daß ich nicht tot bin. Dann wird es keine Rolle mehr spielen.«

Var war dabei nicht ganz wohl zumute, aber Soli war ihrer Sache so sicher, daß er nichts mehr dagegen einwenden konnte. »Geh jetzt«, drängte sie. »Sag ihm, der Kampf wäre hart gewesen. Du hättest auch zu Boden gemußt, aber du hättest schließlich gewonnen.«

»Aber ich habe keine Verletzungen davongetragen!«

Sie kicherte. »Sieh deinen Arm an!«

Er begutachtete beide Arme. Der rechte war unversehrt, aber der linke, der waffenlose, war übersät mit blauen Flecken. Zu Beginn des Kampfes hatte sie echte Treffer gelandet. Soli selbst war unversehrt geblieben.

»Ich könnte dir ja noch einige Treffer ins Gesicht verpassen«, sagte sie lausbübisch. »Damit es besser aussieht.« Sie wollte ein Kichern unterdrücken; es glückte ihr nicht. »Jetzt habe ich etwas Falsches gesagt. Ich meinte den Kampf. So häßlich ist es nämlich gar nicht. Dein Gesicht.«

Var ließ sie dort liegen und begann den Abstieg. Sie wollte sich tot stellen, bis es dunkel wurde, und dann den leichtesten Abstieg wählen. Sie mußte sehr vorsichtig sein und sich Zeit lassen. Aber er konnte unmöglich auf sie warten. »Ich steige ab, noch ehe es ganz dunkel ist«, sagte sie. »Dann habe ich den Killer-Hang hinter mir, ehe ich nichts mehr sehen kann.«

Er hatte kaum ein paar Fuß an Höhe verloren, als er schon haltmachte und zu ihr hochrief: »Wo kann ich dich finden, falls etwas passiert?« Seine sonderbare Besorgtheit konnte er nicht so einfach ablegen.

»In der Nähe der Herberge«, rief sie zurück. »Sieh zu, daß du wegkommst, hinunterkommst, meine ich.«

Er gehorchte und achtete nicht weiter auf unterwegs erlittene Abschürfungen, denn sie würden den angeblichen Kampf bis zum Tod des Gegners sehr viel wahrscheinlicher erscheinen lassen. Er würde eine Lüge erzählen müssen, aber er tröstete sich damit, daß er das Rechte tat und dabei auch seinen Eid nicht brechen mußte. Er hatte die letzte Lektion gelernt, die der Herr ihm erteilt hatte.

»Var! Va-a-r!« rief Soli. Ihr dunkler Kopf lugte über den Rand des Bergplateaus.

»Was ist denn?«

»Deine Kleider!«

Die hatte er völlig vergessen! Er trug noch immer die gestohlenen Sachen. Wenn er in diesen Sachen zurückkehrte, würde alles herauskommen.

Verlegen kletterte er wieder hoch und entkleidete sich bis auf die Haut. Seine Sachen würden Soli wenigstens warmhalten.

*

An jenem Abend herrschte Jubel im Basislager des Herrn, und Var wurde auf ihm völlig ungewohnte Weise gefeiert. Er mußte essen, bis er nicht mehr konnte, und wagte nicht einzugestehen daß er gar nicht hungrig war. Und zum erstenmal fanden die Frauen des benachbarten Lagers, die verdächtig schnell gekommen waren, nachdem die Nachricht vom Sieg sich verbreitet hatte, ihn anziehend. Aber alle seine Gedanken waren bei der kleinen Soli, die sich in der Dunkelheit über die trügerischen Klippen herunterkämpfte, und ihr Kleider- und Proviantbündel mit sich schleppte. Wenn sie abstürzte, würde ihre Täuschung offenbar…

Die Krieger nahmen natürlich an, daß er gegen einen männlichen Stockkämpfer gekämpft hatte, und Var ließ sie in dem Glauben. »Ich habe getötet«, sagte er und beließ es dabei. Er wehrte die Glückwünsche der Männer und die Aufmerksamkeit der Frauen ab, bis schließlich Tyl merkte, wie ihm zumute war und ihm für die Nacht ein Einzelzelt besorgte.

Am Morgen ging der Herr zur Herberge, um über die Fernsehanlage mit dem Berg Kontakt aufzunehmen, und er nahm Var mit. Der Herr hatte ihm keine Fragen gestellt und schien sehr zurückhaltend. »Falls Bob uns hereinlegen will, dann ist jetzt der Augenblick gekommen«, murmelte er. »Er ist nicht der Typ, der leicht nachgibt.«

Solis Einschätzung des Herrn der Unterwelt schien zutreffend. Es mußte sich um einen wahren Teufel handeln, dachte Var.

Sie betraten den glatten zylindrischen Bau, mit seinen Regalen voller Kleidung, den Sanitäreinrichtungen und den verschiedenen Apparaten, und der Herr schaltete die Fernsehanlage ein. Var wußte, daß sie nur knapp der Katastrophe entgangen waren, denn wäre sie eingeschaltet gewesen, als Soli hier eindrang, hätte die Unterwelt sofort gewußt, was gespielt wurde.

Das Bild, das nun erschien, war anders als die gewohnten eintönigen Filme, die Var hin und wieder gesehen hatte. Auch war es nicht stumm. Ein Raum wurde gezeigt, anders als die Herberge, aber mit Sicherheit das Werk der Irren-Maschinen. Viereckig mit Diagrammen auf der Wand und dazu Ventilationsröhren. Ein schwerer Metallschreibtisch stand in der Mitte. Eigentlich ähnelte er einem Raum in jenen Häusern, die er im Ödland durchstöbert hatte. Aber er war sauber und neu, und nicht verkommen und alt.

Hinter dem Schreibtisch saß ein Mann in einem gepolsterten Stuhl. Er war alt, älter als der Herr, mindestens dreißig, vielleicht auch mehr. Var wußte nicht, wie lange das Leben eines Menschen bemessen war, wenn ihm im Ring nichts zustieß. Der Mann auf dem Bildschirm hatte spärliches graubraunes Haar (das Bild war eigentlich in Schwarzweiß, doch das Haar sah tatsächlich so aus) und sein Gesicht war von harten Linien durchzogen.

»Hallo, Bob«, sagte der Herr grimmig.

»Na, wie steht’s, Sos?« Sein Ton war knapp und selbstsicher, und er bewegte den langen dünnen Arm, als gäbe er nicht sichtbaren Untergebenen Anweisungen. Ein Menschenführer, ohne Zweifel. Aber Var konnte ihm nichts abgewinnen.

»Euer Vertreter ist nicht zurückgekehrt?«

Der Mann starrte ihn kalt an.

»Das ist Var der Stock, unser Vertreter«, sagte der Herr. »Er meldet mir, daß er gestern auf dem Gipfel des Muse euren Vertreter getötet hat.«

»Unmöglich! Dir ist hoffentlich klar, daß du allein Sol aller Waffen im ehrlichen Kampf hättest besiegen können.«

Der Herr war wie vor den Kopf geschlagen. »Sol! Du hast Sol geschickt?«

»Frag doch deinen angeblichen Sieger.«

Der Herr wandte sich an Var. »Sol hatte sich nicht besiegen lassen.«

»Nein«, sagte Var. »Sol war es nicht.« Er begriff nicht, warum der Herr der Unterwelt dieses Doppelspiel trieb.

»Dann vielleicht seine Gefährtin, wenn das Wort nicht als unpassend empfunden wird«, sagte Bob. Sein Blick verriet eine spezielle Intensität. »Die mit den todbringenden Händen und dem unfruchtbaren Leib.«

»Nein!« rief Var. Er spürte, daß er in eine Falle gelockt wurde, und reagierte entsprechend. Dem Herrn stand der Schweiß auf der Stirn. Es war, als fände der wirkliche Kampf erst hier statt und nicht auf dem Berg. Ein seltsamer Kampf mit tödlichen Worten und grausamen Anspielungen. Und Bob würde gewinnen.

Bob starrte auf seine Fingernägel. »Wer dann?«

Leise sagte Var: »Seine Tochter. Soli. Sie führte zwei Stöcke.«

Der Herr machte den Mund auf, doch er sagte nichts. Er starrte Var an, als hätte ihn eine Kugel durchbohrt.

»Ich muß mich entschuldigen«, sagte Bob aalglatt. »Var war also doch oben. Und er hat unsere Kämpferin getötet. Ihre Eltern waren zur Mitarbeit nicht bereit und sind bei uns in Ungnade gefallen. Aber sie war, sagen wir, sehr naiv und bereitwillig. Leider war sie erst acht Jahre alt – besser gesagt, achteinhalb –, und meine Meinung ist, daß wir ein weiteres Vorgehen in dieser Sache am besten zugunsten eines neuen Wettkampfes zurückstellen… «

Var wurde eines klar: Die hochtrabenden Worte des Mannes bedeuteten, daß er sein Wort nicht halten wolle. Doch der Herr legte keinen Protest ein. Der Herr fuhr fort, Var benommen anzustarren.

Wieder trat eine Pause ein. »Du… du… hast Soli… getötet?« sagte der Herr schließlich, und seine Worte klangen so heiser, daß sie kaum verständlich waren.

Vor dem Führer der Unterwelt wagte Var nicht, die volle Wahrheit einzugestehen. »Ja.«

Der zitterte, als fröre ihn. Var verstand nichts mehr. Soli war nicht verwandt mit ihm. Der Herr hatte sie nicht mal erkannt, als sie ihn um Essen angebettelt hatte. Sicher, es war nicht eben menschenfreundlich, ein Mädchen zu töten, aber er hatte schließlich mit dem Vertreter des Berges kämpfen sollen, gleichgültig in welcher Gestalt dieser erschien. Wäre es eine Eidechsenmutation gewesen, hätte er auch gekämpft. Warum also war der Herr so außer sich, und warum machte Bob ein so selbstzufriedenes Gesicht? Die beiden taten ja so, als hätte er den Kampf verloren!

»Also hatte ich doch recht«, sagte Bob. »Sol hat ja nie ein Wort darüber verlauten lassen. Aber offenkundig – «

»Var der Stock«, setzte der Herr formell und mit bebender Stimme an. »Unsere Freundschaft ist beendet. Unser nächstes Zusammentreffen wird im Ring stattfinden. Keine Bedingungen – nur der Tod. Mit Rücksicht auf deine Unkenntnis und auf alles Vergangene, gebe ich dir einen Tag und eine Nacht Frist zur Flucht. Aber ab morgen bin ich hinter dir her!«

Damit drehte er sich um und zerschmetterte die Fernsehanlage mit einem Fausthieb. Das Glas zersprang, die Box kippte um. »Und dann kommst du dran!« schrie er den toten Apparat an. »Nicht ein einziger Raum im Berg wird vom Flammenwerfer verschont, und du wirst bei lebendigem Leibe geschmort!«

Noch nie hatte Var an einem Menschen so rasende Wut erlebt. Und er begriff nichts, wußte nur, daß der Herr sowohl ihn als auch den Herrn der Unterwelt töten wollte. Sein Freund mußte den Verstand verloren haben.

Var flüchtete aus der Herberge und lief immer weiter, verwirrt, beschämt, voller Angst.