VIII Aquilon

 

Sie segelten nach Osten.

Die Takelage der Nacre war primitiv - eine durch Palmwedel verstärkte Gummileinwand, die von einem halben Dutzend quergesteckter Bambushölzer gehalten wurde und vage an die Aufbauten einer chinesischen Dschunke erinnerte. Es war nichts Besseres vorhanden gewesen. Sie hätten Wochen gebraucht, um aus natürlichen Materialien ein geeignetes Segel herzustellen, und das hätte den Wind vielleicht auch nicht besser genutzt als dieses zerschnittene und gespannte Ballonmaterial.

Wenn Veg langsame Fahrt wollte, zog er an einem Stützseil, und das Segel fiel zu einem Durcheinander von Stöcken zusammen. Wenn er volle Fahrt wünschte, zerrte er alles wieder hoch, wobei er seine ganze rohe Kraft einsetzen mußte.

Immerhin, es funktionierte. Wenn die Brise steif war, machten sie nach Aquilons Schätzung glatte fünf Knoten. Normalerweise war es es eher zwei. So legten sie am Tag ungefähr achtzig bis hundertsechzig Kilometer zurück, denn die Nacre machte nie eine Pause. Eine respektable Leistung!

Die Seeluft war mild, der Tag klar. Aber die fortwährend rollenden Wellen hoben das Floß hoch, kippten es, ließen es nach unten fallen und hoben es wieder hoch. Sehr bald fühlte sich Aquilon mehr als unwohl. Sie war sich sicher, daß die Männer ähnliche Beschwerden hatten. Sie hatte Mitleid mit Cal, der tapfer an einem Seil hing, das sie um einen Pfahl geknotet hatten. Er lief nicht nur ständig Gefahr, über Bord gespült zu werden aus diesem Grunde hatte er das Seil -, er sah auch sehr krank aus. Veg klagte nicht, hatte aber den ganzen Tag nichts gegessen. Aquilon selbst hatte sich ganz einfach ins Wasser übergeben und fühlte sich für eine Weile besser, bis sie von einem üblen Schluckauf geplagt wurde. Sie fragte sich, ob die Mantas, die im Schatten der Kabine hockten, ähnliche Schwierigkeiten hatten. Sie versuchte sich abzulenken, indem sie die Sicht genoß. Die bewegte Seelandschaft war keine große Hilfe, aber sie fand heraus, daß sie unter Wasser blicken konnte, wenn sie ihre Tauchermaske aufsetzte und den Kopf eintauchte. Zuerst mußte sie allerdings lernen, sich auf die tanzende Oberfläche einzustellen.

Die auf den ersten Blick so trostlose See war tatsächlich voll von Leben. Aquilon war ein bißchen mit Fischen vertraut, denn sie hatte sie oftmals gezeichnet und auch eine Anzahl von Sezierungen für anatomische Illustrationen vorgenommen. Die Arten hier waren nicht identisch mit denen, die sie kannte, aber sie entsprachen einem vergleichbaren Muster, und einige waren so ähnlich, daß ihrer Ansicht nach wohl nur ein Ichthyologe die Typen unterscheiden konnte. Ein Schwarm von Heringen zog unmittelbar unter dem Floß vorbei, gefolgt von einem Hai, den sie nicht richtig sehen konnte. Ein meterlanger Thunfisch kreuzte, und plötzlich durchbrachen mehrere fliegende Fische die Oberfläche und jagten über das Wasser, wobei ihre Flossen gespreizt waren wie die Flügel von Insekten. Eine halbe Stunde später entdeckte sie mehrere Dorsche, dann einige Hechte und schließlich einen großen, einsamen Schwertfisch, der gute zweieinhalb Meter lang war.

Endlich hob sie den Kopf wieder, legte die Maske ab und stellte fest, daß sie ihre Seekrankheit langsam unter Kontrolle bekam. Es war später Nachmittag. Die beiden Männer wirkten teilnahmslos, vielleicht abgestumpft durch die Monotonie des Wellengangs. Veg war mit Schaum befleckt, Cal lehnte sich jetzt gegen die Kabine. Die vier Mantas befanden sich noch an derselben Stelle. Natürlich würden sie im direkten Sonnenlicht keine Exkursionen unternehmen. Das Licht war zu grell für ihre Augen.

»Tennis, irgend jemand?« erkundigte sie sich mit spöttischer Heiterkeit. »Oder vielleicht Abendessen?«

Aber niemand antwortete, und sie selbst war auch nicht hungrig. Sie hatten für mehrere Tage Verpflegung an Bord, so daß es nicht nötig war, auf die Jagd zu gehen. Noch nicht.

Sie grübelte darüber nach, denn sie fühlte sich schon wieder schlechter. Angenommen, die Karte stimmte nicht, und Kalifornien lag nicht im Umkreis von fünfhundert oder sechshundert Kilometern? Angenommen, sie mußten zwei Wochen auf dem Floß bleiben? Bis dahin würden der eingelagerte Proviant und das Wasser aufgebraucht sein. Wenn sie überleben wollten, mußten sie fischen, das Fleisch verzehren und aus den Fischkörpern die Flüssigkeit herausholen, um sie zu trinken. Es war machbar. Sie alle kannten die Technik, und die erforderlichen Gerätschaften befanden sich in der Erste-HilfeAusrüstung des Rettungsbootes. Aber Veg rührte selbst keinen Fisch an und würde sich vielleicht weigern, welchen für die anderen zu fangen. Sie konnte es ihrerseits tun, aber sie teilte Vegs Standpunkt jetzt in beträchtlichem Maße, obgleich ihr Verstand dagegen sprach. Aber sie war sich nicht sicher, ob sie wirklich zu einer omnivori- schen Nahrungsaufnahme zurückkehren würde. Sie würde sich unsauber dabei fühlen. Würde sie Fisch essen und Fischsäfte trinken, wenn sie hungrig genug war? Würde sie eine andere lebende, empfindende Kreatur töten, um ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen? Sie wußte es nicht, aber das Gefühl, daß sie es tun mochte, rief Übelkeit hervor.

Welchen Wert hatte ein moralischer Standpunkt, wenn man ihn in dem Augenblick aufgab, in dem er unvorteilhaft und unbequem wurde?

Sie wechselten sich beim Schlafen ab - immer nur einer. Nicht aus einem Drang zur Privatsphäre heraus, sondern um zu gewährleisten, daß immer zwei den möglichen Gefahren des Meers wachsam gegenüberstanden. Ihre gemeinsame Seekrankheit war verantwortlich für den Pessimismus über den Ausgang der Reise, glaubte sie, aber inzwischen war die Vorsicht- nahme ihr einziger Zeitvertreib.

Sie lag allein in der Kabine und lauschte dem Klatschen der Wellen gegen die Bohlen, während sie versuchte, das eindringende Salzwasser zu ignorieren, das in unregelmäßigen Abständen ihre unteren Körperpartien überschwemmte. Im Laufe der Zeit, das wußte sie, würde sie den Reflex entwickeln, in diesen wesentlichen Sekunden selbst im Schlaf die Luft anzuhalten und die unfreiwilligen Duschen nicht einmal zu bemerken. Menschliche Wesen waren anpassungsfähig. Deshalb überlebten sie.

Überleben. Es schien in jüngster Zeit weniger und weniger ereichbar zu sein. Wie vergnügt harte sie sich für diese magenverrenkende Fahrt ausgesprochen! Cal hatte wenigstens vorausgesehen, was auf sie zukam. Man setzte sich über sein Urteil nur auf eigene Gefahr hinweg. Nun war es zu spät, den Kurs zu ändern. Die Kraft des Windes, der sie vorantrieb, würde es nicht erlauben. Mit diesem plumpen Vehikel konnten sie die Brisen nicht richtig nutzen. Und selbst wenn sie es könnten, würde es zweimal so lange dauern (bestenfalls!), zu ihrer Insel zurückzukehren, als sie für die Fahrt nach draußen gebraucht harten. Es gab keine Möglichkeit, auch nur noch einen Tag ozeanischer Wildheit zu überstehen.

Aber sie war todmüde und mußte schlafen. Die Mantas schienen sich auf dem Kabinendach ganz wohl zu fühlen warum konnte sie es hier nicht auch? Allmählich akklimatisierte sie sich und fiel in ein unruhiges Traumstadium, das immer wieder durch zehnsekündige kalte Schocks unterbrochen wurde, wenn die Pseudoflut sie berührte.

Sie fand sich. Nein, nicht in ihrem schnuckeligen Apartment auf der Erde, denn dessen physische Bequemlichkeit verblaßte angesichts des intellektuellen Horrors, auf den sie sich stützte. Sie mochte die Erde nicht. Es gab keine angenehmen Erinnerungen, die sie daran banden. Der Weltraum bedeutete ihr mehr, Nacre bedeutete ihr mehr und auch die zwanglose, sexlose Kameradschaft dieser beiden Männer. Ihr Traum beschäftigte sich mit aktuellen Dingen: dem Tag und der Nacht, die sie gerade auf der Insel verbracht hatten.

Sie stand da und unterhielt sich mit Cal, der größer und stärker als in Wirklichkeit war. Gleichzeitig zeichnete sie die Muschelschalen seiner Sammlung. Da waren die Fossilien von Ammoniten, die im geologischen Sinn erst gestern ausgestorben waren - das hieß, ausgestorben vor kaum zehn Millionen Jahren. Und ihr Bild wuchs, als sie die Farben auftrug. Es schwoll an und wurde real, und dann ging sie hinein oder vielmehr schwamm hinein, denn es war eine lebendige Ozeanweit. Überall um sie herum schwammen Cephalopoden mit spiralförmigen, geraden oder unbestimmten Gehäusen. Die meisten waren klein, einige aber auch groß, faustgroß und sogar köpf groß. Ihre Tentakel streckten sich hungrig nach draußen, jeweils fünfzig oder hundert zuzüglich der beiden größeren Fühler.

Sie kraulte geschmeidig, aber diese so plump aussehenden Molluskeln waren beweglicher. Ihre Körper paßten zu der spezifischen Dichte des Wassers, so daß sie unfreiwillig weder nach oben stiegen noch nach unten sanken, und sie bewegten sich rasch vorwärts, wenn sie das Wasser aus ihrem Unterkörper ausstießen. Obwohl sie es versuchte, konnte sie keinen einzigen mit den Händen fangen. Bald gab sie ihre Bemühungen auf, und dann kamen die Kreaturen vertraulich näher an sie heran, wobei ihre Gehäuse farbenfroh schillerten.

Es war ein Wunderland aus strahlenden lebenden Korallen und Schwämmen und Quallen und Krebsen und waldartigem Seegras, in dem auch zahllose >Knochenfi- sche< überall herumkreisten. Aber die Cephalopoden beherrschten die Szenerie kleine Tintenfische, die in Schwärmen vorbeischossen und bei dieser Geschwindigkeit kaum von den Fischen zu unterscheiden waren. Es gab auch die Verwandten der Cephalopoden: die Belemniten, die Nautiloiden und die Ammoniten. Die Molluskeln schwammen jedoch nicht in der Art der Wirbeltiere. Sie alle bewegten sich mit Hilfe desselben Rückstoßprinzips und benutzten ihre flossenähnlichen Glieder nur zum Navigieren. Die Belemniten waren zigarrenförmige Schalen, die vollkommen von Fleisch umschlossen waren, fast wie kleine Rochen mit zusammengeschweißtem Rückgrat.

Aquilon betrachtete einen Ammoniten mit einem Durchmesser von fast fünfzig Zentimetern und nach draußen ragenden Tentakeln, die fast so lang waren wie ihre Hand. Die Kreatur war eindrucksvoll in derselben Art und Weise wie eine monströse Spinne. Sie winkte mit der Hand, und der Ammonit zuckte in sein Gehäuse zurück und zog die Haube über den Kopf. Sie lachte, erzeugte Blasen im Wasser (Wo bekam sie die Atemluft her? fragte sie sich flüchtig, was jedoch belanglos war) und wartete darauf, daß der Cephalopode wieder zum Vorschein kam. Fast wie ein Einsiedlerkrebs, dachte sie, nur daß dies ein Einsiedleroktopus war, der sein eigenes Gehäuse baute.

»Bring mich zu deinem Führer«, sagte sie, als die Augen wieder erschienen. Der Ammonit nickte mit seinem ganzen Körper und schoß mit wehenden Tentakeln davon. Sie folgte, nicht wirklich überrascht.

Sie schwammen durch Korallenbuchten, vorbei an algenbedeckten Steinen und Seemoos, das an grünes, wehendes Haar erinnerte, und dann und wann ankerte strohbrauner Seetang auf dem Boden. Purpur, grün oder orangefarben, kräftig oder zart - die Seichtwasserpflanzen schmückten das Riff. Seesterne drängten sich um vasenartige Schwämme, und wunderschöne, aber gefährliche Seeanemonen saßen auf Steinen oder den Rücken von Krebsen. Grüngezackte Seeigel sprenkelten den Sand auf dem Grund (wo es Sand gab), und grüne Hummer gestikulierten mit ihren schrecklichen Zangen. Sie mußte zur Seite schwimmen, um einem gigantischen, uralten Hufeisenkrebs auszuweichen. Und die Muscheln - sie waren überall!

Es verlangte sie danach, haltzumachen und mit dem Malen anzufangen, aber dann würde sie ihren Lotsen verlieren, denn die schnell vorwärtsschießende Mol- luskel gab ihr keine Zeit zum Verweilen. Zu schade!

Dann, ganz abrupt, stand sie vor ihm: einem spiralförmigen Ammonitengehäuse mit einem Durchmesser von fast zwei Metern. Ihr Lotse war verschwunden, um seine Sicherheit vielleicht genauso besorgt wie sie um die ihre.

Die gewaltige Haube öffnete sich, ein Tor, das fast so groß war wie sie in ihrer gegenwärtigen Position. Gelbe Tentakel schlängelten sich hervor und tasteten ihr entgegen. Sie hatte jetzt Angst, aber sie blieb so standhaft stehen, wie es ihre Balance erlaubte. Ein Auge von der Größe einer kleinen Untertasse fixierte sie.

»Ja?« fragte der König der Ammoniten. Es stiegen keine Blasen nach oben, denn er war kein Luftatmer.

Sie wollte nicht zugeben, daß sein Sprechen sie überraschte, und stellte deshalb eine belanglose Frage: »Sind Ihre Suturen kanneliert?«

Hundert Tentakel formten ein Stirnrunzeln. »Sind sie kanneliert. was?«

Sie errötete. »Sind sie kanneliert, Eure Majestät?«

Das Stirnrunzeln wich einem neutralen Ausdruck. »Zuckermuschel«, sagte König Ammon, »meine Suturen sind königlich kanneliert, jede in der Form einer handwerklich perfekten Krone. Möchtest du sie von der Innenseite bewundern?« Seine purpurnen Tentakel streckten sich ihr entgegen, jeder einen Meter lang, und sein Maul klappte auf.

»Nein«, sagte sie und wich schnell ein Stück zurück.

»Man sagt niemals«, bemerkte Ammon langsam, »nein zum König.« Einige seiner roten Tentakel ringelten sich um einen Vorsprung des Korallenriffs, so als wollten sie es mit einem Ruck in ganzer Größe nach vorne reißen.

»Ich meinte.« Sie suchte nach dem richtigen Vokabular. »Majestät, ich meinte, daß ich nicht im Traum eine Erklärung des Königs bezweifeln würde und daß es beleidigend wäre, eine nähere Inspektion vorzunehmen, Majestät.«

Während Ammon nachdachte, entspannten sich die Tentakel. »So ist das also.« Irgendwie hatte sie den Eindruck, daß der König enttäuscht war. Jetzt war er grün.

»Was ich fragen wollte.«, sagte sie untertänig. »Warum brauchen Sie ein so komplexes Modell, wenn es niemand bewundern kann. von der Außenseite?«

»Ich kann es sehr wohl von der Innenseite bewundern - und meine Meinung ist das einzige, was zählt.

Und ich habe Hunger.«

»Hunger?«

Sie verstand den Zusammenhang nicht, es sei denn, daß dies ein Hinweis sein sollte, Distanz zu gewinnen. Aber der König konnte sich mit Sicherheit schneller durch das Wasser bewegen als sie, wo er doch so viele Anhängsel besaß.

»Mich deucht, du verstehst die Wege des Ammoniten nicht«, stellte der König fest. »Ihr Wirbeltiere seid stark, aber plump. Ihr habt nur vier oder fünf Extremitäten mit einer oder zwei Farben, und eure Schale ist unscheinbar.«

»Wir tun unser Bestes, um mit unseren Handicaps zu leben«, sagte sie. »Zugegeben, für eine niedrige Spezies bist du ganz ansehnlich«, räumte Ammon großmütig ein. »Es obliegt mir, dich zu belehren. Merke auf: Unsere primitiven Vorfahren, die Nautiloiden, hatten ganz einfache Septa, kaum mehr als elende Scheiben, und deshalb waren ihre Suturen nicht gewunden. Sie jagten auf ihre Weise und schlangen alles herunter, was sie fangen konnten, und hatten zweifellos ihr kümmerliches Auskommen. Aber wir Ammoniten lernten das Geheimnis der Spezialisierung. Indem sie die Größe des Abstands zwischen dem Torso und dem äußersten Septum variierten, waren die frühen Ammoniten in der Lage, ihr spezifisches Gewicht zu verändern. Größere Lufttasche (tatsächlich ein einzigartiges Gas, aber du würdest die geheime Formel nicht verstehen), und sie stiegen nach oben, kleinere Lufttasche, und sie sanken. Begreifst du?«

»Oh, ja«, sagte sie. »Das würde beim Schwimmen große Vorteile bringen, da ihr euch ohne Anstrengung auf jeder Ebene halten könntet.«

»Hm.« König Ammon schien nicht ganz zufrieden zu sein. »Ungefähr so. Mit einem flachen Septum ist jedenfalls nicht viel auszurichten. Ein gewundenes Septum jedoch, das mit der Struktur der Körperoberfläche übereinstimmt, ist eine viel effektivere Basis zur Anpassung an das Volumen des Gasbehälters. Dadurch besitzen wir Ammoniten eine überlegene Tiefenkontrolle, die es uns unter anderem ermöglicht, auch die Nahrung effektiver aufzunehmen.«

»Wie raffiniert«, rief Aquilon. »Jetzt verstehe ich, wie Sie so groß geworden sind. Aber was essen Sie?«

»Zilch natürlich. Was sonst würde eine intelligente Spezies wohl verzehren?«

»Ich glaube, wir Wirbeltiere sind nicht so weit fortgeschritten. Ich weiß nicht einmal, was Zilch ist.«

Ammons Tentakel zuckten und wurden aufgrund dieses erstaunlichen Eingeständnisses von Ignoranz regenbogenfarben, aber er verzichtete großzügig auf entsprechende Bemerkungen. »Nennen wir es eine Art ozeanischen Pilz. Es gibt eine ganze Reihe von Variationen, und natürlich spezialisiert sich jede Ammonitengattung auf eine ganz bestimmte. Ich zum Beispiel gebe mich mit nichts weniger als mit königlichem Zilch zufrieden. Keine andere Kreatur darf sich daran vergreifen.«

»Auf Grund eines königlichen Erlasses?« Sie hätte nie gedacht, daß Ammoniten so penibel waren.

»Keinesfalls, obwohl es ein interessanter Gedanke ist. Keine geringere Kreatur besitzt die physische Fähigkeit, einen königlichen Zilch zu fangen, geschweige denn zu assimilieren. Es ist erforderlich, ihn in seinem Versteck aufzuspüren und seine Fluchtbewegungen genau nachzumachen, sonst ist alles verloren. Ein Fehler, und der Zilch frißt dich.«

Oh!

»Darum sind Ihre Windungen also so wichtig. Ihre Jagd bringt Gefahren mit sich.«

»Ja. Ich kann, neben anderen Leistungen, mit einer Genauigkeit von zwei Millimetern, plus oder minus fünfzehn Prozent, navigieren, während ich mit dreiundsiebzig Tentakeln den Zilch umklammere.« Graue Fangarme wedelten stolz. »Und ich bin selten von einem getroffen worden.«

Für Aquilon fing das an, sich wie Angeberei anzuhören. Aber sie war dem König viel zu nah, um direkten Widerspruch riskieren zu können. Vielleicht entwickelte er doch noch Appetit auf zweibeinige Wirbeltiere a la blonde. »Ich bin erstaunt, daß Sie das alles so gut koordinieren können.«

»Dein Erstaunen ist vollkommen berechtigt, meine Liebe. Du mit deinen fünf oder sechs Anhängseln kannst das Ausmaß des Unterfangens kaum ermessen. Jedes Glied muß speziell kontrolliert werden. Das Nervensystem, das man dazu. Du weißt, was ein Gehirn ist?«

»Ich glaube schon.«

»Hm. Nun, ich habe ein sehr großes Gehirn. Tatsächlich spiegeln die Windungen meiner Septä lediglich die Oberflächenstruktur meiner Gehirnlappen wider, die natürlich besonders geschützt tief in meinem Gehäuse untergebracht sind. Es ist mein hochentwickeltes Gehirn, das mich von allen anderen Spezies abhebt. Nichts Vergleichbares existiert irgendwo, hat niemals existiert und wird auch niemals existieren. Deshalb bin ich der König.« Aquilon suchte nach irgendeinem passenden Kommentar.

Plötzlich färbte sich Ammon orange und stieg majestätisch im Wasser auf. Wegen seiner Größe hatte sie vermutet, daß er bodengebunden war, aber er bewegte sich genau mit jener Körperkontrolle, die er für sich in Anspruch genommen hatte, geschmeidig und kraftvoll.

»Da ist einer!«

Sie blickte sich gespannt um. »Ein. was?«

»Ein königlicher Zilch. Meine Mahlzeit!«

Und der König schoß davon.

Jetzt sah sie seine Beute, eine flache, graue Gestalt.

»Nein«, schrie sie in plötzlichem Entsetzen. »Das ist Circe!«

Aber die Jagd war bereits im Gange. Der riesige Cephalopode verfolgte den fliehenden Manta. Sie wußte, wie hilflos die Mantas im Wasser waren, und konnte sich nur einen Ausgang dieser Hetzjagd vorstellen.

»Nein«, schrie sie abermals voller Verzweiflung, aber aus ihrem Mund stiegen nur Blasen empor, die ihren schweigenden Protest mit sich trugen.

Sie erwachte mit dem Mund voller Seewasser. Ihr Körper war durchweicht und zitterte, und sie fühlte sich noch immer krank. Sie kletterte hinaus in die frostige Brise.

Es war vier Uhr morgens, ungefähr jedenfalls, und ihre Wache begann.

Veg hatte die Schlafperiode von vier bis acht, und sie beneidete ihn nicht um seinen Aufenthalt in der durchnäßten Kabine. Die Mantas blieben klugerweise auf dem Dach. Die fortwährenden Sprühregen machten ihnen anscheinend nichts aus. Eine matte Phosphoreszenz ließ die Umrisse der rollenden Wellen hervortreten, und der Wind wehte unentwegt. Jetzt, da sie voll erwacht war und aufrecht stand, empfand sie die frostige nächtliche Brise als erfrischend.

Es gab nicht viel zu tun. Veg hatte das Ruder festgezurrt und die Segelfläche auf ein Viertel begrenzt. Die Nacre lag ruhig. Sie mußten lediglich wachsam bleiben und sofort handeln, wenn etwas Unvorhergesehenes passierte. Sie erwartete jedoch nicht, mehr als die üblichen Wellen zu sehen. »Cal«, meldete sie sich.

»Ja, 'Quilon«, sagte er sofort.

Er klang nicht müde, obwohl er kaum eine bessere Ruhepause gehabt haben konnte als sie, während er in der Kabine gewesen war. Dies war eine rauhe Nachtwache für ihn. Die Tatsache, daß er das alles überhaupt aushaken konnte, sprach für einen beträchtlichen Kräftezuwachs seit Nacre. Dies war beruhigend.

»Die Ammoniten, könnten sie intelligent gewesen sein?«

Als sie dies sagte, fürchtete sie, daß er lachen würde. Aber er schwieg für eine Weile und dachte darüber nach. Sie wartete und spürte dabei die feuchte Luft in ihrem Haar und die Vibrationen der Bohlen unter ihren Füßen. Nein, Cal war keiner, der über törichte Fragen lachte. Er sah immer den größeren Rahmen, den Hintergrund einer Feststellung.

»Höchst unwahrscheinlich, wenn du das in irgendeiner fortgeschrittenen Hinsicht meinst. Sie besaßen weder die Größe noch den Metabolismus, um ein ausgedehntes Gehirngewebe ernähren zu können. Wasser ist ein schlechtes Medium für intellektuelle Aktivitäten. Es.«

»Ich meine. die großen. So groß wie wir.«

»Am menschlichen Standard gemessen waren die meisten Ammoniten sehr klein. Aber ja, im späten Me- sozän entwickelten einige eine beachtliche Größe. Ich glaube, der größte hatte ein Gehäuse von etwa zwei Metern Durchmesser. Jedoch.«

»Das ist er!«

Er blickte sie in der Dunkelheit an. Sie konnte das auf Grund seiner veränderten Stimme feststellen. »Tatsächlich wissen wir sehr wenig über ihre Biologie und ihre Lebensgewohnheiten. Die Weichteile sind norma- lerweise nicht in Fossilien enthalten, und selbst wenn dem so wäre, gäbe es Zweifel über Dinge wie Farbe und Natur. Aber immer noch, es gibt erhebliche Einwände gegen deine Theorie.«

»Eigentlich nicht«, sagte sie lächelnd. Sie lächelte gerne, selbst wenn es niemand sehen konnte. Es war eine Gabe, die sie nicht immer besessen hatte. »Versuchen wir es so: Könnten sie sich ausschließlich von einer Art schwimmender Pilze ernährt haben und ausgestorben sein, als diese verschwanden?«

»Man müßte zuerst das abrupte Aussterben der Pilze erklären«, stellte er klar.

»Vielleicht sind sie nach Nacre emigriert.«

Aber dies war eine weitere Sackgasse. In ihrem Traum war alles sehr überzeugend gewesen, aber jetzt fehlte die Überzeugungskraft. Das Geheimnis blieb jedoch und ärgerte sie: Warum war eine so überaus erfolgreiche Subklasse wie die Ammonoidea, während der Kreidezeit unangefochtene Herrscher in der See, so plötzlich ausgestorben? Überlebt allein von ihren viel primitiveren Verwandten, den perlenartigen Nautili...

»Was, wenn ich in eine so persönliche Sache eindringen darf, hat dir den Status der Cephalopoden in den Sinn gebracht? Ich hatte gedacht, daß diese für dich nicht allzu interessant sind.«

»Du hast mir diese Schalen gezeigt und erklärt und. Ich hatte einen Traum, eine alberne, vom Wasser inspirierte Vision. Wenn du es hören willst.«

»Oh, ich habe enormen Respekt vor Träumen«, sagte er zu ihrer Überraschung. »Ihr Hauptzweck ist es, die angesammelten Erfahrungen der vorangegangenen paar Stunden zu sortieren, zuzuordnen und abzulegen. Ohne sie würden wir alle sehr schnell zu Psychopaten werden, besonders auf der sogenannten zeitgenössischen Erde. Sich den Bedingungen hier im Paläozän anzupassen, ist schwierig. Aber hast du gemerkt, wieviel weniger anstrengend es intellektuell ist als das bloße Existieren auf der Erde? Es kann also nicht überraschen, daß deine Träume den Wechsel reflektieren. Sie reichen hinaus in das Grenzenlose, da dein Verstand auf diese Befreiung reagiert.«

Das Seltsame war, daß er recht hatte. Sie hatte nach Nacre zurückkehren wollen wegen der Erholung von den Spannungen zu Hause, aber diese Welt hier erfüllte den Zweck genauso gut. Sie war lieber zerschlagen, seekrank und voller Angst um ihr Leben hier als sicher und bequem dort.

Aber sie wußte, daß nicht nur die Freiheit von der Erde verantwortlich war. Cal, Veg, die Mantas - sie liebte sie alle, und sie alle liebten sie. Die Erde besaß nichts, um dies ausgleichen zu können.

Sie berichtete Cal detailliert über den farbenprächtigen König Ammon, und sie lachten beide. Und es war gut, und ihre Seekrankheit legte sich.

Um acht, als das Tageslicht über dem Wasser erschien, kam Veg, um Cal abzulösen.

»Haben Schnecken falsche Zähne?« fragte er erschöpft. »Ich hatte da diesen Traum.«

Das direkte Sonnenlicht scheuchte die Mantas zurück in die Kabine. Die Strahlen der Sonne waren zu hart für sie. Auf der Insel hatte es Baumschatten und gelegentliche Wolkendecken gegeben. Davon abgesehen zogen sie die Nacht vor. Sie waren nicht von Natur aus Nachtbewohner, denn der Mittag auf Nacre brachte dichten Nebel, und die Strahlen der Sonne berührten ihre Haut niemals. Diese vier waren gegenüber dem harten Licht widerstandsfähiger als ihre Verwandten auf Nacre, weil sie auf der Erde aufgewachsen waren, aber die Umwelt konnte ihr Erbgut nur in gewissem Rahmen modifizieren. Sie konnten das Sonnenlicht hier überleben, aber sie fühlten sich nicht wohl dabei. Und wenn sie ihm zu lange ausgesetzt wurden.

Der Tag schritt voran, wobei der Wind nur für Augenblicke aufhörte. Während solcher Pausen schlug ihr Herz kleinmütig, denn sie sah schon die Konsequenzen eines verlängerten Aufenthalts mitten auf dem Ozean auf sich zukommen. Was hatten sie davon, wenn es im Umkreis von hundertfünfzig Kilometern Land gab, das sie nur durch Rudern erreichen „konnten? Und sollte sich der Wind drehen.

Zur Dämmerung beobachteten sie müde und windzerzaust die Mantas, die aus der Kabine kamen und über das Wasser glitten. Ihre pumpenden Füße waren unsichtbar, wenn sie sich mit einiger Geschwindigkeit bewegten. Wie eindeutig illustrierte dies, daß die Mantas nicht schwebten, flogen oder schwammen. Sie sprangen, und ihre flachen Körper stemmten sich gegen die Luft wie ein Drachen oder ein Flugzeugflügel. Sie saßen entweder still und klumpengleich da oder bewegten sich mit Geschwindigkeiten von fünfzig bis hundertfünfzig Kilometern in der Stunde. Sie konnten nicht gehen. Sie waren wunderschön.

Und sie waren hungrig. Das Floß umkreisend schlugen sie nach Fischen, die an die Oberfläche kamen. Sie hörte den Peitschenknall ihrer Schwänze auf dem Wasser und sah das spritzende Blut. Cal brachte einen langstieligen Haken, von dem Aquilon nicht gewußt hatte, daß er sich an Bord befand, und holte die Leichname herein. Er breitete sie auf dem Deck aus, und nacheinander kamen die Mantas, um sie zu verzehren. Circe zuerst. Aquilon sah zu, wie sie mit ihrem tödlichen Schwanz den Fisch in kleine Stücke hackte und sich dann zur Assimilation auf die blutige Masse setzte. Cal hatte einen Teil des Segels über die Bohlen gelegt, so daß die Flüssigkeit bei diesem Prozeß nicht verlorenging.

Veg sah nicht zu und, nach einer Weile, Aquilon auch nicht mehr. Sie alle begriffen die Notwendigkeit, die Mantas zu ernähren, und wußten, daß die Mantas nichts anderes als rohes Fleisch zu sich nehmen konnten und nichts anderes anrühren würden als das Fleisch omnivorischer Kreaturen, aber diese Unmittelbarkeit war abstoßend. Circe hatte sich in dem theoretisch aseptischen Farmkeller in Aquilons Apartmenthaus von Ratten ernährt, und dies war privat geschehen. Ohne Zweifel hatte sich Hex zur Essenszeit auf ähnliche Weise von Veg im Wald isoliert. Jetzt war es schwer, das physisch zu akzeptieren, was sie intellektuell schon immer gewußt hatten. Nur Cal schien nicht betroffen zu sein. Und er hatte natürlich auch dieses Problem vorhergesehen.

Aquilon nannte sich selbst eine Heuchlerin, sah aber noch immer nicht hin. Vielleicht weil sie wußte, daß sie selbst Angehörige einer Omnivoren Spezies war, die alles verzehrte und mutwillig tötete. Welche Brutalität auch immer in der Existenz der Mantas lag, sie wurde in der des Menschen verdoppelt. Was konnte sie, deren Vorfahren seit Millionen von Jahren Fleischfresser gewesen waren, erreichen, wenn sie sich entschloß, kein Fleisch mehr zu essen, nachdem sie es ein Leben lang getan hatte? Es würde Jahre dauern, bis das befleckte Protoplasma aus ihrem Körper ausgestoßen war. Und die Erinnerung würde sie niemals loswerden. Wie jedoch konnte sie töten, jetzt, da sie das innewohnende Böse des Vorgangs erkannte?

Sie fühlte sich wieder krank. Der Teufel sollte ihre Subjektivität holen!

Nach fünf Tagen entdeckten sie Land.

»Land!« rief Veg glücklich aus.

»Das heißt >Land ahoi<«, berichtigte Aquilon ihn. »Einen tollen Seemann gibst du ab.«

Aber sie war ungeheuer erleichtert und wußte, daß es die anderen auch waren. Gezügelter Appetit hatten ihre Eßvorräte verlängert, aber die Männer sahen hager aus. Die Schwelle war unerfreulich schnell näher gekommen. Ihre Kameradschaft war niemals durch echten Hunger auf die Probe gestellt worden. Es wäre sicherlich sehr häßlich geworden - ein zwanghafter Fleischesser, ein Vegetarier und eine Frau, die hin und her schwankte. Und nichts als Fisch.

Aber sie war auch wegen des Szenenwechsels erleichtert. Nach dem ersten Tag war die See sehr eintönig geworden. Es hatte so ausgesehen, als ob sie nirgendwohin segelten und nichts erreichten.

Die Nacre dümpelte plump an der Küste entlang und suchte einen geeigneten Landeplatz. Aquilon konnte sich nicht sicher sein, ob es das Festland war oder bloß eine große Insel, aber es eignete sich offensichtlich zur Nahrungssuche und zum Lagern. Kein Rauch.

»Es gibt keine wirklich eindrucksvollen Landtiere während der Paläozän-Epoche«, bemerkte Cal, wie um sie zu beruhigen.

»Gut für Paläo«, sagte Veg.

»Paläo?«

»Hier. Oder willst du diese Welt lieber Epoche nennen?«

Cal widersprach nicht. Veg neigte dazu, die Dinge einfach zu sehen, und seine Namen paßten. In Zukunft würde dieser Planet Paläo heißen. Bald öffnete sich eine ruhige Bucht, und Veg steuerte das Fahrzeug so sauber in die Einfahrt, daß Aquilon wußte, es war pures Glück. Sie hielt Ausschau nach einem geeigneten Strand und fragte sich, ob das die Bucht von San Francisco war. Vermutlich nicht, denn es konnte sich alles verändert haben. Palmen kamen in Sicht und Nadelbäume und dichte Laubbäume. Vögel huschten durch die Zweige und gaben rauhe Töne von sich. Insekten schwärmten umher. Blumen vieler Arten schwankten im Wind.

»Seht dort - Pilze!« rief sie, als sie einen riesigen Bovist entdeckte.

Für einen Augenblick dachte sie wieder an Nacre, den Planeten der Pilze. Aber in Wirklichkeit war Paläo besser, denn .hier konnte die Sonne scheinen. Tatsächlich wurde sie sich langsam bewußt, daß Nacre kaum mehr als eine Flucht vor der Erde für sie repräsentiert hatte. Abgesehen von den Mantas hatte es dort eigentlich nichts gegeben, was für sich einnehmen konnte. Und es war nicht der Planet Erde, der sie verbitterte, sondern die menschliche Kultur, die ihn vergiftete. Ja, ja, Paläo war besser.

Das Floß trieb nahe heran. Der Grund der Bucht war jetzt ganz klar. Kleine Fische glitten friedlich darüber hinweg. Der Geruch von Wald und Erde drang auf sie ein, als sich der durch das Land abgeschnittene Wind legte, die Erde-Lehm-Humus-Reinheit erfüllte sie mit Sehnsucht.

Veg berührte ihren Arm, und sie blickte ruckartig hoch.

Nah am Ufer standen zwei haarige Tiere. Sie waren vierbeinig, untersetzt und bezahnt und hatten lange Schwänze und stumpfe, mehrhufige Füße. Kleine Stoßzähne ragten von ihrem Maul, und ihre Augen waren winzig. Ingesamt erinnerten sie an Flußpferde, nur daß sie viel zu klein waren. Die höchste Stelle des Rückens befand sich nicht einmal einen Meter über dem Boden.

»Amblypoden«, bemerkte Cal ohne Überraschung.

»Coryphodon, vermutlich. Typische Fauna des Paläozäns.«

»Ja, typisch«, murmelte Veg. »Du hast sie nie gesehen, aber du weißt alles über sie.«

Cal lächelte. »Bloß eine Frage anständig gemachter paläontologischer Hausaufgaben. Ich weiß wirklich nicht allzu viel, aber ich bin mit den großen Gattungen vertraut. Die Amblypoden sind nicht schwierig zu identifizieren. Eine der späteren Formen, Uintatherium, hatte die Masse eines Elefanten mit drei Hörnerpaaren auf.«

»Du glaubst, daß einige davon in der Nähe sind?«

»Natürlich nicht. Uintatherium war Eozän. Er könnte ebensowenig in einer Landschaft des Paläozäns auftauchen wie ein Dinosaurier.«

Vegs Blicke glitten über den Wald hinweg. »Ich würde wirklich lachen, wenn ein Dinosaurier seinen Kopf über den Berg steckt, während du das sagst. Du bist dir deiner Sache so sicher.«

Cal lächelte abermals, selbstsicher. »Wenn das passiert, hast du wirklich allen Grund zu deiner Heiterkeit. Die Schaltiere, die ich auf der Insel studiert habe, waren eindeutig.«

Veg schüttelte den Kopf und lenkte das Floß zum Ufer. Aquilon stellte unwichtigerweise fest, daß sich sein Gesicht mit einem blonden Bart ausfüllte. Die Amblypoden, aufgeschreckt durch die Störung, trotteten davon und waren bald im Wald verschwunden.

Flüssig glitt die Nacre heran und verkleinerte die Lücke zum Land auf sieben Meter, fünf, drei.

Und kam ruckartig zum Halten, wobei Veg und Aquilon ins Wasser fielen.

»Hoppla, auf Grund gelaufen«, sagte Veg einfältig. »Habe, nicht aufgepaßt.«

»Habe nicht aufgepaßt«, rief sie und bespritzte ihn heftig mit einer Handvoll Wasser. Aber sie war so froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, daß es ihr nichts ausmachte. Die See ging ihr hier bis zur Hüfte, und sie watete vergnügt ans Ufer, Schnüre von Seegras hinter sich herziehend.

Veg ging inzwischen zurück, um ein Seil zu nehmen und das Fahrzeug per Hand heranzuholen. Cal, der immer auf seine Schritte achtete, war an Ort und Stelle geblieben und half beim Aufwickeln des Seils. Bald hatten sie das Floß lose an einem Mangrovenstamm festgemacht.

Aquilon wanderte landeinwärts, für den Augenblick zufrieden, bloß den Anblick und die Gerüche dieser herrlich primitiven Welt in sich aufnehmen zu können. Farne wuchsen üppig auf dem Boden, und sie erkannte diverse Arten von Büschen und Bäumen: Sykamo- ren, Stechpalmen, Dattelpflaumen, Weiden, Pappeln, Magnolien. Moose sprossen verschwenderisch, und überall gab es Pilze. Aber zu ihrer Überraschung sah sie kein Gras. Immerhin, auf der Insel hatte es Bambus gegeben, und Bambus war eine Grasart.

Irgend etwas startete von dem Gesträuch ihr gegenüber, und sie sprang alarmiert zurück. Es war ein brauner Strich, der durch die Luft segelte, weg von ihr. Sie erhaschte einen Blick auf ausgestreckte Glieder, einen Hautfetzen, eine längliche Gestalt. Dann war es verschwunden. Sie hörte das Rascheln, als es auf einem anderen Busch niederging. Es war kein Vogel.

»Planetetherium«, sagte Cal hinter ihr. »Primitiver Insektenfresser, eins der ersten Säugetiere. Ein Gleiter.«

»Ja.«, sagte sie und erinnerte sich dunkel an ihre Studien. Sie hatte für ihre Ignoranz gegenüber den Säugetieren wirklich keine Entschuldigung, aber die Zeit und andere Gedanken hatten ihre Kenntnisse verblassen lassen. Cal mit seinem erschreckenden Intellekt schien niemals etwas zu vergessen.

»Vielleicht solltest du dich umziehen«, schlug Cal vor. »Bevor es dir unbequem wird.«

Sie blickte an sich hinunter. Die Kleidung klebte ihr am Körper, und sie wußte, daß das Salz scheuern würde, wenn die Flüssigkeit verflogen war. Cal hatte recht wie immer.

Doch die Luft war angenehm, und trotz des Schattens der Bäume kam keine Kälte auf. Sie wünschte sich, ganz einfach ihre Kleider ablegen und nymphengleich durch die Sträucher und Farne gleiten zu können, frei von allen Belastungen.

»Warum nicht?« fragte sie rhetorisch.

Sie fing an sich auszuziehen und reichte ihre nassen Kleider Stück um Stück an Cal weiter. Er gab keinen Kommentar und wandte den Blick nicht ab.

Und so rannte sie nymphengleich durch die Sträucher und Farne. Es war in jeder Beziehung so herrlich, wie sie es sich vorgestellt hatte, abgesehen davon, daß sich ein Dom in ihren Fuß bohrte. Sie hatte die Beschränkungen der Zivilisation zusammen mit ihren Kleidern abgeworfen und war wieder eins mit sich.

Veg klappte beifällig den Mund auf, als sie auf ihn stieß, aber er sagte nicht mehr als Cal.

Die Nacre war dicht ans Ufer geschoben worden: Vegs Muskeln hatten sich bewährt. Ihre trockene Kleidung befand sich an Bord, aber sie zögerte, sie zu holen. Würde es nicht besser sein, wenn sie alle...

Nein. Es bestanden bereits kaum unterdrückte sexuelle Spannungen zwischen ihnen. Es wäre eine verbrecherische Dummheit, etwas zu tun, was sie unnötig vergrößern würde.

Müde betrat sie das Floß und zog sich an.

Sie verbrachten die Nacht auf dem Floß, das ein Stück vom Ufer entfernt ankerte. Wenn es auch keine gefährlichen Spezies geben mochte, so zogen sie es doch vor, sich langsam zu akklimatisieren.

Am Morgen versammelten sich die Insekten und Vögel in großen Mengen am Ufer. Erstere waren vertraut, die zweiten fremd. Mehrere große graue Seevögel schwammen um das Floß herum und tauchten nach Fischen. Aquilon stand an Deck und malte sie, beeindruckt von ihrer Furchtlosigkeit. Gab es im Wasser keine Räuber von Bedeutung? Oder war das Floß so ungewöhnlich, daß es als Werk der Natur angesehen wurde? Oder wußten sie instinktiv, wer eine Drohung verkörperte und wer nicht?

Veg brachte die Nacre wieder ans Ufer und machte sie fest. Diesmal gab es keinen vorzeitigen Ruck. Sie fragte sich, ob er den Grund überprüft hatte, um einen geeigneten Kanal für den Kiel zu finden, oder ob er selbst einen gegraben hatte.

Gemeinsam wagten sie sich mehrere Kilometer ins Landesinnere vor. Hier gab es Eichen, Buchen und Nußbäume, in denen eichhörnchenähnliche Kreaturen herumsprangen. Gelegentliche Grasbüschel sprossen im bergigen Land, wo die dicht stehenden Bäume es erlaubten. Es war also vorhanden, hatte sich aber noch nicht richtig durchgesetzt. Rattenartige Kreaturen flitzten weg, als die Gruppe herankam. »Gab es echte Nagetiere im Paläozän?« erkundigte sich Aquilon.

»Nicht der Rede wert«, sagte Cal. »Dies waren vermutlich Ahnen der Primaten.«

»Primaten!« Sie war erschüttert.

»Bevor sich die echten Nagetiere entwickelten, nahmen die primitiven Primaten diese Nische ein. Wie die meisten Säugetiere stiegen sie von den Bäumen herab und suchten die offenen Felder auf. Aber wie du sehen kannst, gab es nicht genug Gras. Bis zum Miozän besetzte es eine unbedeutende ökologische Nische. Erst dann entstanden die weiten, trockenen Ebenen, und die Primaten hatten sich nicht klar entschieden. Deshalb wurden sie von den echten Nagetieren wieder auf die Bäume zurückgetrieben, diesmal auf Dauer. Die Primaten waren nie sehr erfolgreich.«

»Mit Ausnahme des Menschen.«

»Eine unbedeutende Ausnahme, paläontologisch. Der Mensch schwankte zufällig zwischen Feld und Wald hin und her und blieb dabei mehr generalisiert als die meisten seiner Zeitgenossen. Wäre er nicht schlau und schicksalsbegünstigt gewesen, hätte er nicht überlebt.«

»Verstehe.« Sie war sich nicht sicher, wie ernst er das meinte.

»Sehr oft ist es die weniger spezialisierte Kreatur, die sich durchsetzt«, fuhr er fort. »Die Bedingungen ändern sich, und die Spezies, die sich voll an eine bestimmte Umwelt angepaßt hat, muß sich ebenfalls sehr schnell umstellen oder vergehen. Oft kann sie sich nicht anpassen. Aber die generalisierten Spezies können nach beiden Seiten springen. Obwohl sie selten dominieren, können sie so diejenigen überdauern, die es tun. Dies erklärt vermutlich den marginalen Erfolg des primitiven Nautilus, während der dominierende Ammonit verschwand.«

In dieser Weise hatte sie nie darüber nachgedacht. Der Mensch als eine Spezies, die unspezialisiert war, Glück gehabt hatte, aber auch schlau und raffiniert war, in den Vordergrund getreten aufgrund zufälliger Umstände.

Ein großer Laufvogel mit gelben Schwanzfedern erschien und sprang ein sorgloses Säugetier an, das einer Beutelratte ähnelte. Der Vogel, einen guten halben Meter groß, kam ziemlich dicht an ihnen vorbei, bevor er außer Sicht geriet. Aquilon fragte sich, ob diese Ratte einer ihrer Vorfahren gewesen sein könnte, schalt sich dann selbst: Tot konnte sie nicht allzu viele Nachkommen gehabt haben. In jedem Fall wäre es töricht, sich einzumischen. Selbstmörderisch töricht möglicherweise, denn jede Änderung der Lebensmuster hier könnte die ihrer eigenen Zeit beeinflussen.

»Die Vögel waren anfänglich beträchtlich vielversprechender«, sagte Cal. »Tatsächlich haben sie während des ganzen Cenozoikum und bis in die Gegenwart die Erde dominiert, normal gerechnet.«

»Was die Zahl der Spezies angeht«, sagte sie. »So verstehe ich es. Aber glücklicherweise ist Mannigfaltigkeit nicht alles.«

»Glücklicherweise?«

»Es gefällt dir nicht, daß sich der Mensch durchsetzt?«

»Ich glaube, ohne ihn wäre es auf der Welt friedlicher zugegangen. Es ist nicht gut, wenn eine einzelne Gattung Amok läuft.«

Sie sah, daß er es so meinte. Sie dachte an die gegenwärtige Erde und verstand seinen Standpunkt. Pa- läo war sauber, unverdorben. Es war besser, wenn es so blieb, vom Paradoxon nicht zu sprechen.

In den nächsten paar Tagen schwärmten sie weiter aus. Sie begegneten mehr Amplypoden und sowohl hunde- als auch katzenartigen Karnivoren. Die Verfolger, erklärte Cal, besaßen lange Schnauzen, um sie während des Laufens vorstrecken zu können, die Verstecker und Anspringer hingegen hatten kurze Schnauzen, dafür aber scharfe Krallen zum Festhalten und Zuschlagen. Die Hinterhaltleger vergruben ihren Dung, um den verräterischen Geruch zu verbergen. Den Jägern war es egal. Die physischen Eigenschaften derer, die später Hunde, Katzen und Bären werden soll- ten, waren nicht zufällig. Eine andere Linie waren die gewichtigen Dinocerata, Vorfahren des Monsters Uin- tatherium aus der späteren Epoche. Aber alle diese Säugetiere waren stupide, verglichen mit denen, die sich entwickeln würden. Keins von ihnen würde wohl auf der Erde fünfzig Millionen Jahre später überlebt haben. Aquilon malte sie alle, und Cal machte viele Notizen auf seinem Sprechschreiber. Sie lernte es, das monotone Gemurmel seiner Beschreibungen zu überhören.

Dies war ein warmes Paradies, aber sie wurde unruhig. Es gab wirklich nichts zu tun. Es war hübsch gewesen, von einem Leben ohne Verantwortung, Gefahr und Unbequemlichkeit zu träumen, aber in der Wirklichkeit verlor es schnell seinen Glänz. Es war Spätsommer, und eine Anzahl von Bäumen trug kleine Früchte. Und es gab Beeren und Knollen. Nahrung war kein ernsthaftes Problem. Sie unterhielt sich mit Veg und Cal, aber sie kannte die beiden schon zu gut und wollte auch nicht zu sehr ins Persönliche gehen, damit es nicht ganz plötzlich zum Mann-Frau-Problem kam. Sie hatte sich noch nicht zwischen ihnen entschieden. Das war es, was sie hemmte, machte sie sich klar.

»Fängt an, kalt zu werden«, stellte Veg fest. »Der Herbst kommt.«

Natürlich hatte er recht. Sie kannten ihren genauen Aufenthaltsort nicht, und er stimmte vermutlich mit der Geographie der modernen Erde sowieso nicht genau überein, aber die Zahl der Bäume, von denen die Blätter abfielen, sagte einiges über die Jahreszeit aus. Es mochte im Winter überhaupt keinen Schnee, vielleicht aber auch mehr als einen Meter davon geben, aber es konnte kalt genug werden, die Laubbäume zu entblättern. Sie würden sich auf das Schlimmste vorbereiten müssen oder.

»Laßt uns nach Süden gehen«, rief sie. »In die Tropen, wo es das ganze Jahr warm ist. Erforschen. Reisen. Kartographieren.«

»Du klingst, als ob wir hier ewig bleiben«, stellte Cal fest.

Die Art und Weise, in der er das sagte, hatte etwas Komisches an sich. Er hat vor etwas Angst, dachte sie, und das machte sie unruhig. War es, daß ein langfristiger Aufenthalt sie dazu zwingen würde, sich dem Naturzustand anzunähern - Kinder kriegen und Häuser bauen? Oder daß solches Tun das Gleichgewicht der Natur stören und auf Grund des Paradoxon-Effekts den Status quo auf der Erde gefährden würde? Sie neigte dazu, dies zu ignorieren. Irgendwie bezweifelte sie, daß das, was sie hier taten, Einfluß auf die Erde dort haben würde, was auch immer die Theorie sagte. Und wenn es geschah - nun, auch gut.

»Tatsächlich haben wir schon mehr als genug Daten zur Hand, um einen Bericht über Paläo zu verfassen«, fuhr Cal fort.

Sie spürte, wie sich die Haut an ihren Unterarmen zusammenzog - eine nervöse Reaktion, zu der es früher öfter gekommen war als jetzt. Sie hatte die ihnen übertragene Mission vergessen oder versuchte, sie zu vergessen. Die Wahrheit war, daß sie die Aussicht auf eine Rückkehr zur Erde oder zu irgendeiner anderen Mission, die auf sie warten mochte, mit einem Unbehagen betrachtete, das an Alarmstimmung grenzte. Sie liebte Paläo, obwohl sie sich davon vor einem Augenblick noch gelangweilt gefühlt hatte. Sie liebte seine Wildheit »In der Wildheit liegt die Rettung der Welt«, erinnerte sie sich von irgendwo -, und sie würde sich lieber mit ihren Problemen auseinandersetzen als mit denen der Gesellschaft auf der Erde.

Aber sie hatten keinen Vorwand, noch länger zu zögern. Der Beginn des Winters brauchte sie nicht ZH kümmern, wenn sie zur Station zurückkehrten und ihren Bericht abgeben wollten. Ihre Radioausrüstung befand sich in gutem Zustand.

Sie war sich jetzt jedoch sicher, daß Cal gar nicht zurückgehen wollte, obwohl sie gleichfalls wußte, daß es sinnlos sein würde, in ihn zu dringen. Er begriff etwas, das sie nicht begriff, etwas, das ihn mit tiefer Sorge erfüllte, das er aber für sich behalten wollte. Er würde sich wohl überreden lassen, nach Süden zu gehen - irgendwohin, nur nicht zurück -, wenn sie ihm einen überzeugenden Vorwand an die Hand gab.

Dennoch wollte sie ihre wahren Gefühle noch nicht offenbaren. Wie sah Veg die Dinge?

»Wir könnten nicht gegen den Wind segeln«, sagte Veg. »Vermutlich würden wir sinken, wenn wir den ganzen Weg kreuzen, und das dauert bei klarem Wetter einen ganzen Monat. Außerdem würden wir unterwegs Hunger kriegen.« Er lebe hoch! Sie spürte eine Anwandlung von besonderer Zuneigung zu dem großen, einfachen Mann, der in seiner Art so naiv, in seinen Handlungen aber so praktisch war. Ohne gewaltige Vorbereitungen konnten sie nicht zurückkehren.

»Ich dachte natürlich an einen Bericht per Funk«, sagte Cal unbeirrt. »Wir können nicht umkehren, bis sich die Winde mit dem Jahreszeitenwechsel drehen, obgleich das jetzt jeden Tag passieren kann.«

Das beruhigte sie nicht sonderlich, obgleich sie nicht sicher war, warum nicht. Cal schien auf Zeit zu spielen, und ein Funkbericht würde offiziell nach Pflichterfüllung aussehen.

»Ich dachte, dein Bericht kommt ganz am Schluß«, sagte Veg.

»Nicht unbedingt. Wir sollten den Zustand dieser Welt bestimmen und einen Bericht für die nächste Pha- sen-Verbindung zur Erde vorbereiten. Es war davon ausgegangen worden, daß der Bericht durch die verschiedensten Verzögerungen einen Monat oder zwei warten müßte, vielleicht sogar noch länger. Aber wir haben diese Aufgabe erfüllt. Dies ist definitiv das Paläo- zän. Die gesamte Fauna und Flora paßt. Es gibt Millionen Beweise dafür, daß eine zufällige Übereinstimmung ausgeschlossen ist. Dies kann kein fremder Planet sein.«

»Was ist mit der Geographie?«

»Das habe ich schon erklärt. Ihre Karte scheint akkurat zu sein, und sie ist.«

»Wir könnten vielleicht an der Küste entlangsegeln und es herausfinden«, sagte Veg. »Uns vergewissern, daß es keinen Kontinent gibt, der da nicht hingehört, oder so was.«

Plump, plump, dachte sie. Nach diesem Köder würde er niemals schnappen.

Cal lächelte kläglich. »Mit anderen Worten, du stimmst wieder mit 'Quilon.«

Wollte er überstimmt werden? Was ging in seinem Kopf vor?

Veg bekam den tieferen Sinn nicht mit und zuckte die Achseln. »Dadurch kriegen wir die Zeit rum, und vielleicht lernen wir etwas Neues für deinen Bericht. Besser als hier herumzusitzen und auf den Wind zu warten.« Sie segelten am Tag, kreuzten an der Küste entlang und schafften etwa dreißig Kilometer pro Tag, bevor sie abends einen Hafen anliefen. Es war gut, wieder unterwegs zu sein.

Ein Monat verging wie der Hauch des Windes, und es war gut. Allmählich kamen sie um die Kurve des Kontinents herum und segelten nun nach Süd-Südwest, meistens vor dem wechselnden Wind. Sie hatten vielleicht zwölf- bis dreizehnhundert Kilometer zurückgelegt und lediglich festgestellt, daß die Landschaft des

Paläozäns bemerkenswert einförmig war, obgleich sich Aquilon vor Augen führte, daß dies so sein konnte, weil ihre Fahrt nach Süden mit dem kommenden Herbst Schritt hielt.

Die Mantas blieben die ersten paar Tage auf dem Floß, zogen es dann vor, an Land zu reisen. Sie pflegten am Morgen zu verschwinden und am Abend im neuen Lager wieder aufzutauchen. Manchmal kamen nur einer oder zwei zurück, während die anderen tagelang irgendwo anders herumstreiften. Ja, ihnen gefiel Paläo!

Es war Circe, die die Ruhe brach, indem sie kurz vor der Dämmerung Aquilon eine Neuigkeit überbrachte.

»Berge? Hohe?« erkundigte sich Aquilon, die die Antworten des Mantas so jetzt so schnell deuten konnte, als handele es sich um einen Dialog zwischen Menschen. »Außergewöhnlich? Schneebedeckt? Und.«

Aufgeregt sprach sie zu den anderen: »Es scheint, daß dreihundert Kilometer südlich von uns extrem hohe Berge liegen. Sechstausend Meter hoch oder mehr. Sie bilden eine echte Mauer, und eine Anzahl von ihnen sind aktive Vulkane. Die Mantas kommen wegen der Kälte an Land nicht über sie hinweg und trauen auch der Wasserroute nicht.«

»Wie kann ein aktiver Vulkan Schnee auf dem Gipfel haben?« wollte Veg wissen. »Er ist heiß, nicht wahr? Sonst würde der Schnee ihn löschen.«

»Dummkopf! Vulkane stehen nicht unter Feuer«, wies sie ihn zurecht. »Sie können während eines Schneesturms ausbrechen oder unter Wasser, wie es viele tun.«

Aber sie war erregt. Endlich waren sie auf etwas Untypisches gestoßen, auf etwas, das die Karte oder Cals Kenntnisse von der Geographie des Paläozäns nicht auswies. Mächtige aktive Vulkane, Schulter an Schulter, in Amerika.

Die Mantas waren weit vorausgeeilt und hatten das Territorium erkundet. Aber sie waren von diesen Bergen gestoppt worden, zu Land und zu Wasser. In der Tat eine mächtige Barriere, denn die Mantas hatten eine große Reichweite bei ihren Reisen.

»Wenn das die Region ist, aus der der Tsunami kam«, sagte Cal, »dann sollten wir uns ihr mit äußerster Vorsicht nähern.«

Aquilon nickte ernst, aber innerlich jubilierte sie. Dies versprach ein unvergeßliches Erlebnis zu werden. Und das war, trotz aller Bedenken, genau das, was sie sich sehnlichst wünschte.