IV Veg

 

Sie befanden sich in einer Höhle, wenn auch in keiner natürlichen. Massiver Fels war geschmolzen worden, um eine unregelmäßig geformte Kammer zu bilden, in deren Wand der Empfangspunkt lag. Unterhalb des Eingangs standen zerstreut Vorratskisten herum, die man ganz einfach unkontrolliert nach unten geworfen zu haben schien. Genauso wie es ihnen allen sieben ergangen war, dachte Veg. Es war eine wenig eindrucksvolle Art und Weise, eine Mission zu beginnen.

»Kein Empfangsgerät, da man dies hier ja wohl als Bewährungsdienst bezeichnen darf«, stellte Cal fest. Er schien sich schon alles im Kopf zurechtgelegt zu haben. Wie immer kannte er bereits das Ergebnis, bevor das Spiel anfing. »Der Effekt dürfte einer spritzenden Schlauchleitung ähneln: Sie kann auf das einwirken, was sich vor der Düse befindet, nicht jedoch auf das, was ein Stück weiter hinten liegt. Sie haben offenbar einen Hitzestrahl durchgeschickt und eine zylinderförmige Höhlung herausgeschmolzen. Dann die Vorräte, ohne Menschen dabei zu riskieren.«

Die Mantas schwärmten bereits aus. Einer hatte ein nach oben führendes Bohrloch entdeckt und blickte mit seinem Auge hinein. Ein anderer untersuchte eine dunkle, horizontale Nische.

»Aber wo ist das ganze Gestein geblieben?« fragte Aquilon. »Massiv oder geschmolzen, es kann nicht einfach verschwinden.«

»Nicht wenn sie den Fluß umdrehen und es durch die Öffnung saugen. Oder genauer gesagt, wenn sie es durch den eigenen Gasdruck hinaustreiben lassen. Eine knifflige Operation, aber durchführbar, wie es scheint.«

Veg folgte dem Manta - Hex, dessen war er sich sicher über das Durcheinander der Vorräte. Der Strahl seiner Stablampe huschte hin und her. Eine meterhohe Röhre wand sich in die Dunkelheit. »Sinnlos, herumzusitzen, bis uns die Luft knapp wird«, rief er zurück. Aquilon gesellte sich zu ihm, anscheinend einer Meinung mit ihm. Sie waren mittendrin. Es harte keinen Zweck zu zaudern. Ein neues Abenteuer wartete.

»Das dürfte der Wendelgang sein, der zur Oberfläche führt«, sagte Cal. »Der schmale senkrechte Schacht war wohl als Luftzufuhr gedacht, aber das hat natürlich nicht funktioniert. Ich kann mir vorstellen, daß sie ihn benutzt haben, die Beobachtungsrakete durchzuschießen. Dann haben sie zugelassen, daß sich die Öffnung wieder schloß. Es gibt noch jede Menge Arbeit, bevor wir diese Örtlichkeit verlassen können.«

Veg ging weiter. Er wußte, daß Cal vermutlich recht hatte, war aber nicht gewillt herumzutrödeln, solange der Tunnel unerforscht war. Er litt nicht unter Klaustrophobie, aber wenn möglich, zog er freies Gelände vor. Er hängte sich die Lampe um den Hals und bewegte sich auf Händen und Knien weiter. Er hörte, wie ihm Aquilon folgte, und wünschte sich einen Vorwand, in dieser Position einen Blick auf sie zu werfen. Sie war eine sehr gutgebaute Frau.

Der Gang beschrieb eine ständige Kurve nach links. Er verlor bald die Orientierung. Zurück blieb nur die nebelhafte Empfindung, daß er mindestens einen vollständigen Kreis hinter sich gebracht hatte. Seine Knie waren aufgeschürft. Der Raum reichte nicht aus, um auf Händen und Füßen zu gehen. Aber mit Aquilon hinter ihm, die nicht über ihre Knie klagte, gab es für ihn kein Zögern. Hex war längst irgendwo weiter vorne verschwunden. Er hatte keine Schwierigkeiten in der engen Röhre gehabt.

Die Schleifen waren endlos. Der Beamte, Schwachkopf, hatte irgend etwas von einer Bohrung durch den Felsen erzählt, aber keinen Hinweis auf die Entfernung gegeben. Veg begann, sich eingeengt zu fühlen.

Schließlich erreichte er den Manta Hex, der vor einer Metallbarriere kauerte. Dies war ein Pflock, der den Tunnel fast völlig ausfüllte, eingebettet in ein gummiartiges Material, das sich eng gegen die kreisförmige Wand preßte. Im Zentrum des Pflocks befanden sich eine Scheibe und ein Knopf, die an ein Kombinationsschloß denken ließen. Das war alles. »Was ist los, Höhlenforscher?« erkundigte sich Aquilon.

Das war weder positiv noch negativ gemeint, aber immer wenn sie ihn ansprach, spürte er eine gewisse angenehme Spannung, besonders wenn sie es mit einer scherzhaften Bemerkung wie dieser tat.

»Komme nicht an Hex vorbei«, sagte er und streckte sich so, daß sie Platz fand, sich neben ihn zu zwängen. Sie tat dies mit einer geschmeidigen Bewegung, aber die Prozedur machte doch gewisse Verrenkungen erforderlich. Als ob irgend etwas, das so wohlgerundet war wie Aquilons Körper, sich anders als im ästhetischen Sinn verrenken konnte. Ästhetisch? Wenigstens das!

»Das ist nicht Hex«, sagte sie. »Das ist Circe.«

Was für eine Frau sie doch war! Seit er sie getroffen hatte, war bei Veg jedes Interesse an den fleischigen Hüllen vergangen, die sich als menschliche Weiblichkeit maskierten. Er hatte nicht gewußt, wie tief Aquilon ihn berührte, bis sie voneinander getrennt waren, nach Nacre. Auf Nacre, dem Heimatplaneten der Mantas, hatte er mit ihr herumgealbert, umgeben von Geheimnissen und Gefahren, und an nicht mehr als eine vorübergehende Neigung geglaubt. Aber wieder auf der Erde, wo sich das Trio trennte, um die heranwachsenden Mantas zu schützen.

»Wach auf, Gemüsemann«, sagte sie und schnippte unter seiner Nase mit den Fingern. Sogar diese waren schlank und ansehnlich. »Ich sagte, du hast den falschen Manta.«

»Du bist verrückt«, brummte er, von der Gedankenkette, die ihre Nähe verursacht hatte, in Verlegenheit gebracht. Aber was für andere Gedanken konnte er schon haben, wenn sie ihm so nahe war?

»Und du hast behauptet, du kennst deinen eigenen Manta!«

Sie betrachtete die Angelegenheit als erledigt, so als ob sie ganz klar war (was vermutlich auch stimmte, denn so sicher hatte er den Manta nicht identifiziert), und blickte sich um.

»Muß eine Luftschleuse sein.«

Ihr reizendes Gesicht mit dem wirren blonden Haar war dem seinen so nahe, daß ihr Atem seine Wange streichelte. Die Haut spannte sich über die sanfte Kurve ihres Kinns, nahe genug, um geküßt zu werden. Sie lag auf ihrer linken Seite, er auf seiner rechten.

Als der Tölpel, der er war, hatte er sich nicht vor Augen geführt, was er für sie empfand, bis ihm dieser Regierungsagent Subble das Eingeständnis nach seiner Niederlage in einem fairen Zweikampf abgerungen hatte.

»Es muß einen Weg geben, sie zu öffnen«, fuhr sie fort, nichts von dem Gefühlsaufruhr in ihm ahnend. »Ist das ein Kombinationsschloß?«

»Vielleicht.«

Bei ihrem Kontakt waren keine Elemente des Flirts vorhanden. Sie war sich des elektrisierenden Effekts einer perfekten Brust, die einen Mann berührte, nicht bewußt, selbst wenn diese wie die ihre durch Kleidungsstücke bedeckt wurde. Einmal hatte es so ausgesehen, als ob sie sein erwachendes Interesse erwiderte, aber das war offensichtlich wieder vergangen. Sie brauchte kein einziges Wort zu sagen. Ihre Indifferenz gegenüber seiner Männlichkeit manifestierte sich in vielen kleinen Dingen. Er war ein Freund, kein Mann:

»Laß mich es versuchen.«

Sie hob den rechten Arm, zwängte ihn zwischen ihnen durch und langte nach dem Wählrad. Als sie sich drehte, bekam Veg einen szenischen Ausblick auf ihre rechte Brust, die sich im Zuge der Armbewegung unter ihrem Coverall spannte.

Eine Frau mit Verstand, ja. Aber keine von diesen verkrampften Intelligenzbestien. In früheren Jahren hatte er das andere Geschlecht mit einer gewissen Verachtung betrachtet, von ihm nur im rein physischen Sinne angetan, bis er in Aquilon gesehen hatte, was eine Frau sein konnte. Eine totale Frau. Sie hatte gesagt, daß sie kein Fleisch mehr aß.

Aber natürlich besaß er wenig, was er einer wirklichen Frau anbieten konnte. Er wußte Intellekt zu würdigen, obwohl er selbst kein Intellektueller war, genauso wie ein Arbeitsmann Reichtum zu würdigen wußte, ohne ihn selbst zu besitzen.

Und kein Lottogewinn konnte das ändern.

Ein Klicken wurde hörbar, und Circe wich ein Stück zur Seite. »Ich habe es«, rief Aquilon aus. »Es ist kein richtiges Kombinationsschloß nur so eine Art Sicherheitssperre. In einem Moment habe ich sie auf.«

»Vorsichtig.«

Es war Cal, der hinter ihnen stand und sie beide überraschte. »Denkt daran, daß wir unter Wasser sind.«

»Stimmt, das hatte ich vergessen«, sagte Veg ernüchtert.

Er stellte sich einen salzigen Sturzbach vor, der hereinschoß, sie durch den Tunnel spülte, als sei dieser ein Abflußrohr, und sie zwischen die Vorratskisten schleuderte wie eine Meute ertrunkener Ratteil. Was würden sie ohne Cals angeborene Umsicht tun?

»Das dürfte der Bohrer sein«, sagte Cal, während er seine eigene Lampe zwischen sie hielt. Groteske Schatten verdunkelten den größten Teil des Lichtstrahls. »Vermutlich ist er wasserdicht, und wenn wir unsere Tauchanzüge anhaben, werden wir ihn natürlich als Ausstieg benutzen. Aber es dürfte klug sein, zu überprüfen.«

»Der Bohrer?« fragte Aquilon.

»Meine Liebe, ich fürchte, du hast den Lektionen des Beamten nicht die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt«, sagte Cal tadelnd.

Aquilon verfärbte sich leicht. Und da erkannte Veg es: Wenn sie sich wirklich für einen der beiden Männer interessierte, dann für Cal. Cal mit seinem Verstand war das Problem. Eine Frau ohne Verstand hielt nach einem starken oder schönen Mann Ausschau. Eine Frau mit Verstand hielt nach einem intelligenten Mann Ausschau. Die Art Frau, die Veg gefallen konnte, war auch die Art, die naturgemäß Cal bevorzugen würde. Cal war nur klein und schwächlich, wenn man ihn ansah, niemals, wenn man ihm zuhörte.

Der Bohrer war, wie Cal zum Nutzen Aquilons (und auch zum Nutzen Vegs, der Schwachkopfs Lektion ebenfalls nicht die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt hatte) erklärte, ein traktorähnliches Gerät mit einem diamanten besetzten Kopf, der sich in den Fels fraß und ihn pulverisierte. Staub und Trümmerstücke wurden zur Beseitigung durch die Röhre zurückgeblasen. Im vorliegenden Fall hatte der Bohrer in dem Augenblick halt gemacht, in dem seine Nase ins Wasser vorstieß, so daß der Tunnel nicht überflutet werden konnte. Er konnte betreten werden, indem man das versiegelte Teil wieder öffnete, und auch durch das Hilfstor an der Seite. Die Wählscheibe an seiner Rückseite würde den Innendruck anzeigen, und ihre richtige Einstellung würde die Wasserpumpe in Betrieb setzen und das Innere wie gewünscht entleeren.

Letzten Endes mußte Veg zurückweichen, damit Cal an ihm, Aquilon und Circe vorbeikam, um die Kontrollen zu bedienen. Veg fühlte sich, als sei er degradiert worden, aber es war gut, daß wenigstens einer wußte, was er tat. Der Gedanke, daß all das Seewasser hereinströmte. »Klar«, verkündete Cal. Er ließ die Wählscheibe klicken. »Sollte sich jetzt öffnen.«

Es passierte nichts. Verwundert manipulierte Cal den Knopf abermals, aber es passierte noch immer nichts.

»Muß wohl klemmen«, sagte Veg. »Soll ich mal.«

»Es gibt keinen Griff«, machte Aquilon klar. »Nichts, woran man reißen kann, es sei denn, die Wählscheibe.«

Sie hatte recht. Veg erinnerte sich an die konturenlose Metallwand. Und offensichtlich war es unklug, zu kräftig an dem Drehknopf zu ziehen. Er malte sich aus, wie die feinen Drähte zerrissen und sich die Zuhaltungen verklemmten, so daß ihre Gruppe auf Dauer hinter dem zerstörten Mechanismus festsaß. Ein schöner Bericht, den man zur Erde zurückbringen konnte: Tut uns leid, die Tür war verschlossen.

Aber wenn die Verbindung zur Erde außerhalb der Phase lag oder was auch immer das Problem war, dann konnten sie für Wochen oder Monate in diesem Fuchsbau hocken. Wie groß waren ihre Sauerstoffvorräte?

»Ich fürchte, Veg hat recht«, sagte Cal nach einer weiteren fruchtlosen Minute. »Es ist verklemmt. Es sollte sich öffnen, tut es aber nicht.«

»Wir könnten es in ein paar Stunden noch einmal versuchen«, sagte Aquilon ohne große Begeisterung.

»Damit es noch mehr verrostet?« erkundigte sich Veg. Er legte eine große Hand um Aquilons schlanken Knöchel und zog sanft daran. »Kommt zurück, alle beide. Und Circe ebenfalls. Ich werde aufmachen!« Die anderen ließen sich von der Barriere wegnötigen, und

Veg kam nach vorne. Circe zog sich ein Stück zurück, so daß er eine ganze Sektion des Tunnels für sich allein hatte. Er verschaffte sich festen Halt, bog den Arm zurück und schmetterte seine Faust seitlich gegen die Platte neben der Wählscheibe.

So einfach war das. Das Metall gab nach. Gegenüber der Wählscheibe schwang ein halbkreisförmiges Segment auf. Dreckklumpen wurden ihm ins Gesicht gesprüht, und kaltes Wasser schoß herein.

»Hoppla«, rief Aquilon, als sie durchweicht wurde.

Aber es war nur der symbolische Racheakt maschineller Perversität. Veg hatte die Runde gewonnen, der Weg war frei. Er wischte sich über die Augen und griff nach der Platte. Sie drehte sich um eine vertikale Säule, in deren Zentrum die Wählscheibe angebracht war. Auf beiden Seiten blieb eine etwa dreißig Zentimeter breite Öffnung. Von der Rückseite liefen Drähte in den Rumpf des Bohrers.

»Ich muß zugeben, daß du deine nützlichen Seiten hast«, sagte Cal, der jetzt herantrat. »Dies hier sollte jetzt herausgleiten.«

Der Innenraum des Bohrers war ungefähr zweieinhalb Meter lang. An der gegenüberliegenden Wand gab es eine Kontrolltafel. Dahinter, erklärte Cal, lag der Motor und dahinter wiederum der Bohrer selbst, der jetzt harmlos ins Wasser ragte. An den Seiten des Raums befanden sich die Einschnitte für die Raupengehäuse, die den vorhandenen Platz stark einschränkten.

»Wir müssen unsere Vorräte zu diesem Ort schleppen und dann durch die Schleuse transportieren«, sagte Cal. »Der Mann draußen wird einen Taucheranzug tragen müssen. Nach den Lotungen und den Fotografien der Rakete befinden wir uns nur sechzig Meter unter der Wasseroberfläche, so daß es nicht allzu schwierig werden dürfte. Immerhin, es ist vielleicht klug, nach oben zu klettern und sich umzusehen, bevor" wir uns zu weit vorwagen.«

»Klettern?« erkundigte sich Aquilon, die hinter dem Manta stand. »Meinst du nicht, nach oben schwimmen?«

»Solange wir nicht mehr über die örtlichen Strömungen wissen, dürfte Schwimmen zu riskant sein«, erklärte Cal. »Und außerdem sind die Anzüge beschwert. Wir schicken einen Ballon nach oben und klettern die Leiter hoch, die ihn mit dem Bohrer verbindet. Wenn wir Land sichten, gehen wir dahin über den Meeresboden.«

Aquilon schwieg, und Veg verstand den Grund dafür. Auf Nacre war Cal dem Tod nahe gewesen, und die beiden anderen hatten die Führung übernommen und den Marsch vom Wrack ihres Fahrzeugs zurück zum Camp organisiert. Jetzt war Cal gesund, und es trat augenscheinlich zutage, daß er der natürliche Führer des Trios war. Man mußte sich nur erst daran gewöhnen.

Im Bohrer gab es eine Winde mit einem elektrischen Antrieb. Sie holten sie hervor und stellten sich auf wie auf einer Montagerampe. Cal verband das Seil in der richtigen Reihenfolge mit den Objekten, Aquilon bediente die Winde von einer Stelle unmittelbar unter dem Bohrer aus, und Veg war der Mann draußen. Das Seil war tatsächlich ein Doppelseil, das durch eine Öse in der Basis des Tunnels lief, so daß es nicht erforderlich war, es nach jedem Transport per Hand zu richten. Aber wegen der Enge und der Kurven des Gangs hatten sie sich entschlossen, gleichzeitig nur eine Ladung abzuwickeln. Ein Zerreißen oder Verklemmen würde sonst nur sehr schwer wieder in Ordnung zu bringen sein.

Der Taucheranzug war mehr wie ein Raumanzug, aber so gefertigt, daß er an den kritischen Stellen dem Druck widerstand, statt ihn zu bewahren. Er war ziemlich schwer. Veg zog ihn an, mußte sich dann im Inneren des Bohrers in eine unkomfortable Position quetschen und mit einem Stoß die Wandplatte schließen. Sie versiegelte sich, als Aquilon den Kontrollknopf bediente. Dann strömte das Wasser durch eine Öffnung im Fußboden. Es drang mit ziemlicher Kraft ein, klatschte gegen ihn und sammelte sich unter ihm in einer Pfütze, so als ob er in einer vollaufenden Badewanne lag. Als das Wasser bis zu seiner Gesichtsmaske anstieg, begann er die Klaustrophobie zu empfinden, von der er geglaubt hatte, daß er nicht daran leiden würde. Er wußte, daß er in dem versiegelten Anzug nicht ertrinken konnte, aber die Vorstellung war übermächtig. Er konnte sich nicht bewegen, er konnte nicht entfliehen. Er mußte hier liegen und sich der Flüssigkeit ausliefern. Ein Leck.

Als die Kammer ganz gefüllt war, verschwand der Effekt. Es war der Anblick des herankommenden Wasserspiegels, der ihn verursacht hatte, machte er sich klar. Nun schwamm er und fühlte sich wohl.

Er versuchte es am seitlichen Tor. Zuerst wollte es sich nicht öffnen, und er begriff, daß sich der Druck noch nicht ausgeglichen hatte. Eine kurze Weile später versuchte er es erneut, und jetzt gab es bereitwillig nach. Es schwang auf, eine Blase aus Metall, und er starrte in die Dunkelheit hinaus.

Er aktivierte das Helmlicht des Anzugs und blickte abermals hinaus. Der Strahl drang durch das trübe Wasser und verblaßte in einiger Entfernung. Wie auf dem nebligen Nacre, dachte er. Und genauso mußte es um die Sicht der Mantas bestellt sein: nur ein Lichttunnel im Dunkeln. Ein Manta konnte nichts sehen, was sich nicht unmittelbar in dem Feld vor seinem Auge befand. Aber er sah mit Sicherheit alles, was vor seinem Auge war. Sogar Schallwellen.

Er zwängte sich aus dem Bohrer und fühlte sich dabei wie altertümliche Zahnpasta, die aus der Tube kroch. Der Hersteller hatte keinen Mann mit seinen Maßen im Sinn gehabt!

Schließlich stand er neben dem Bohrer. Der Anzug schien jetzt ganz leicht zu sein, und er war dankbar für die Gewichte, die ihn sanft verankert hielten. Er wußte, daß er ohne diesen Ballast durch die Auftriebskräfte der Luft, die ihn im Anzug umgab, hilflos zur Oberfläche getragen würde. Und ohne diesen Schild aus Luft würde es ihm andererseits in diesem Wasser ziemlich kalt werden, gar nicht zu reden vom Zerquetschtwerden und Ersticken. Er mußte zugeben, daß alles ziemlich gut geplant war.

Er sah sich um. Was die Position des Bohrers anging, hatte Cal recht gehabt. Seine glänzenden Klingen ragten ins Wasser hinaus und reflektierten den Strahl seines Helms in Form eines Lichtkranzes. Wie viele Diamanten hatte man gebraucht, um diese massive Schraube zu bestücken?

Jenseits des Bohrers befand sich der Grund des Ozeans. Er war überrascht, feststellen zu müssen, daß es hier nicht eben, sondern hügelig war. Irgendwie hatte er sich die Tiefe ähnlich wie die Oberfläche vorgestellt glatt mit kleinen Wellen. Der Bohrer stand auf einem steil abfallenden Felsen. Wäre die Schräge auf der anderen Seite gewesen, hätte die Maschine vor dem Austritt einen beträchtlich längeren Weg bohren müssen. Er sah einige kleine Fische, konnte ihre Art aber nicht identifizieren. Mit Sicherheit gehörten sie nicht zu denen, die er kannte. Insgesamt fühlte er sich in der unvertrauten Szenerie nicht wohl. Auf irgendeinem fremden Planeten erwartete man seltsame Dinge, aber hier im Wasser mangelte es ihm an der entsprechenden emotionalen Einstellung.

Er war überrascht, als er aus dem Inneren des Bohrers ein Klopfen hörte. Drei Schläge: ihr gemeinsamer Mensch-Manta-Kode für Frage. Aquilon wollte wissen, was er tat.

Er klopfte zur Bestätigung einmal zurück und stieß das Tor zu. Er hörte das Klicken, als es sich schloß. Die Pumpe trat in Aktion, und er sah, wie sich die seegrasähnlichen Gewächse bewegten, als das Wasser durch die Bodenöffnung ausgespuckt wurde.

Nach ein paar Minuten traten Blasen hervor, die Strömung hörte auf, und im Inneren des Apparats wurde ein allgemeines Poltern laut. Dann kamen laute Schläge, keine Signale. Aquilon hämmerte gegen die Platte, versuchte sie zu öffnen.

Ein plötzlicher geistiger Lichtblitz ließ ihn das Problem verstehen: Die Luft, die in die Kammer gepreßt wurde, um das Wasser hinauszutreiben, mußte unter hohem Druck stehen. Sobald das Wasser draußen war, blieb der Druck, denn er konnte nirgendwo hin. Und das Schott zum Tunnel war so konstruiert, daß es sich nur öffnete, wenn der Druck drinnen und draußen ausgeglichen war, um einem Leck vorzubeugen.

Es sollte eigentlich ein Ventil geben, um den überschüssigen Druck abzulassen, wenn das Wasser einmal draußen war. Wahrscheinlich war dieses Ventil verstopft. Er hatte die Platte mittels roher Gewalt geöffnet, aber Aquilon hatte nicht seine Kraft.

Hier war er also sowohl mit den Muskeln als auch mit der Erkenntnis, aber keins von beiden konnte zur Lösung des Problems eingesetzt werden. Wie wollten sie die Vorräte nach draußen schaffen?

Ein großer, schlanker Fisch kam auf ihn zu. Veg blickte sich nach einer Waffe um, fand aber keine. In jedem Fall hatte er keine Ahnung, ob diese Kreatur gefährlich war. Sie mußte mehr wiegen als er - würde außerhalb des Wassers mehr wiegen. Was sollte er tun, wenn sie angriff?

Der Fisch griff nicht an. Er fuhr lediglich fort, ihn und den Bohrer wie aus Neugier zu beschnüffeln. Veg wünschte sich, daß er ihn identifizieren könnte, falls es ein Raubfisch war. Aber er wollte sich nicht feindlich verhalten, wenn sich herausstellen sollte, daß es sich um einen völlig harmlosen oder sogar freundlichen Bummler handelte.

Ein dumpfer Schlag wurde hörbar, so daß das Metall unter seiner Hand bebte. Alarmiert zuckte seine Faust zurück. Was war passiert? Er versuchte, das Tor zu öffnen, aber es war so fest verschlossen, wie es auch sein mußte. Was auch immer im Inneren passiert war, war passiert. Es gab nichts, was er tun konnte.

»Was ist deine Meinung, Sam?« fragte er den Fisch. Er bezweifelte allerdings, daß ein Ton aus seinem Helm hinausdrang.

Dann schossen Blasen aus dem Rohr, und er wußte, daß alles in Ordnung war. Der Pumpzyklus hatte wieder begonnen.

Das war jedoch zuviel für Sam. Der große Fisch tauchte in die Dunkelheit des umliegenden Ozeans ein.

Bald hörten die Blasen auf. Er versuchte sich wieder am Tor, und es öffnete sich. Er leuchtete mit der Lampe hinein. Er sah eine Gasflasche, eine zusammengerollte Nylonleiter und einen verpackten Ballon. Er nahm alles heraus und fragte sich, wie Aquilon das Druckproblem gelöst hatte. Er befestigte ein Ende der Leine an dem Bohrer, indem er sie unmittelbar unterhalb des Ausflußrohrs anband. Er führte das andere Ende durch eine große Öse an der Basis des Ballons und knotete es fest. Schließlich führte er die Düse des Tanks in den Ballon ein und schloß sie an. Er drehte den Hahn des Tanks auf. Helium zischte kalt in den Ballon. Der Ball rollte sich auf, als wäre er ein Kinderspielzeug, blies sich zu einer meterlangen Zunge auf, wurde dann zu einem langen Flaschenkürbis und schließlich zu einer Wassermelone. Er fing an, den Tank an der Düse nach oben zu ziehen.

Hastig schlang Veg eine weitere Leiterschlaufe um den Bohrer und hielt sich daran fest. Der Ballon zog den Tank so hoch, wie er konnte - knapp vier Meter über den Bohrer.

Dummkopf!

Er hatte vergessen, daß das Ding nach oben steigen würde, sobald es aufgeblasen war, und keine Vorbereitungen getroffen. Als ob ein Heliumball, leicht genug, ein Luftschiff am Himmel zu halten, still unter Wasser sitzen bleiben würde.

Die Ausdehnung ließ nach, als der Ballon einen Durchmesser von einem knappen Meter erreicht hatte. Veg kletterte die Leiter hoch, die jetzt ganz straff war, und band den Tank los, so daß er nach unten sank. Er sah zu, wie der Blasenstrom aus dem Rohr des Bohrers in Fußbreite an ihm vorbeifloß. Dann stieg er auf den Boden hinunter und kämpfte mit dem Teil der Leiter, den er am Bohrer befestigt hatte. Das Seil war zu stramm, um bewegt zu werden.

Unterdessen war der nächste Zyklus abgeschlossen. Er wandte sich von der Leiter ab und öffnete das Tor.

Ein Kopf schob sich hindurch, gefolgt von einem Körper, der selbst unter den groben Falten des Anzugs als weiblich zu erkennen war. Aquilon hatte sich zu ihm gesellt.

Mit Hilfe ihrer Helmlampe blickte sie sich um und war von der Szenerie genauso beeindruckt wie er. Dann sah sie die verknotete Leiter.

Sie hätte mit ihm sprechen können, indem sie ihren

Helm gegen den seinen hielt, oder vielleicht auch direkt durch das Wasser, denn es gab zwischen ihnen kein Vakuum, aber zu seiner Erleichterung tat sie dies nicht. Seine Einfalt war offensichtlich. Er hätte nie gedacht, daß die Auftriebskraft eines so kleinen Ballons so groß sein würde.

Gemeinsam zerrten sie die Leiter über den Rumpf des Bohrers, um sie über das obere Ende zu streifen. Plötzlich hörte Aquilon auf und deutete auf den diamantbestückten Bohrkopf. Natürlich! Die Diamanten konnten das Seil durchtrennen oder so stark beschädigen, daß es unbrauchbar wurde.

Aquilon versuchte es mit einem anderen Trick. Sie packte das schlaffe Ende der Leiter zwischen der ersten und der zweiten Schlaufe und fing an, es unter den Bohrer zu zerren. Veg erkannte, was sie vorhatte, und half ihr. Der Gedanke war, das schlaffe Ende um den Bohrer herumzubringen, so daß die zweite Schlaufe im Endeffekt neben die erste zu liegen kam, so daß die dazwischenliegenden Leitersprossen zur Oberfläche emporsteigen konnten. Das Seil war sehr dünn, und es sah danach aus, daß es gut sechzig Meter lang war - mehr als genug.

Sie zerrten und zogen, und ganz abrupt raste das Seil in voller Länge durch. Der aufsteigende Ballon verschwand aus ihrem Sichtfeld. Veg führte sich vor Augen, daß sie beinahe einen weiteren schweren Fehler gemacht hätten: Wäre eine Hand erfaßt worden, als das Seil losging.

Die Bewegung hörte auf, und endlich gab es in der Hauptleine eine Lose. Schnell verankerten sie das Seil wieder, so daß die Leiter fest und vertikal hing. Dann begann Veg zu klettern. Zu spät fiel ihm ein, daß er ohne Arbeit nach oben gekommen wäre, wenn er sich an einer der aufsteigenden Sprossen festgehalten hätte. Nun hatte er die leichte, aber mühsame Aufgabe, Stufe um Stufe emporzusteigen.

Stufe um Stufe.

Irgendwo zwischen sechzig und achtzig hörte er auf, die Sprossen zu zählen, wobei er sich nicht sicher war, ob er die siebzig ausgelassen oder doppelt gezählt hatte. Das Wasser um ihn herum war konturlos. Selbst Sam, der Fisch, wäre ihm als Begleiter willkommen gewesen. Stieg er wirklich nach oben, oder bediente er nur eine Tretmühle im Nichts?

Schließlich war er oben. Der Ballon schwamm inmitten einer kabbeligen See. Weiße Wolken schmückten den blauen Himmel, der sich über dem Meer dehnte.

Veg blickte über die Wellen hinweg. Mit den Füßen stand er auf der obersten Leitersprosse und hatte den Arm um den tanzenden Ballon geschlungen. Er sah. weitere Wellen. Er drehte den Kopf.

Hinter ihm, vielleicht anderthalb Kilometer entfernt, vielleicht auch viel weniger, war ein Berg.

Veg lächelte, ließ den Ballon los und sank dem Grund des Ozeans entgegen.

Mission erfüllt.