19. KAPITEL
In der Nacht war das Wetter erneut umgeschlagen. Ein heftiger Wind und starke Schauer hatten die Stadt fest im Griff. Der Regen trommelte auf das Glas der Oberlichter, ein gleichmäßiges Geräusch, dessen Eintönigkeit die Menschen aufwachen, aber auch wieder einschlafen ließ.
Nach einem unruhigen Schlaf und wirren Traumfetzen erwachte LaBréa am Morgen wie gewöhnlich um sieben Uhr. Wenig später klingelte Celine an der Haustür. Sie kam zum Frühstück und hatte warme Croissants vom Bäcker an der Ecke geholt. Während Jenny, schlaftrunken und einsilbig wie meistens am Morgen, sich ihr Müsli mischte - es war LaBréa immer noch ein Rätsel, wie ihr Magen diese Masse aus Haferflocken, Schokoflakes, Nüssen, Rosinen und einer guten Portion Milch vertrug -, kümmerte Celine sich um den Kaffee. Die ganze Wohnung duftete danach, und LaBréa empfand ein Gefühl von Geborgenheit und familiärer Vertrautheit. Es war beinahe wie früher, als seine Frau noch lebte. Und doch ganz anders. Ein neuer Anfang.
Als LaBréa sich frisch rasiert und angezogen an den Frühstückstisch setzte, verzog Jenny das Gesicht und hielt sich eine Hand vor die Nase.
»Oh, Papa, dein neues Rasierwasser ist echt penetrant.«
»Wieso?«, fragte LaBréa unschuldig. »Das hat Céline mir zum Geburtstag geschenkt.«
»Und wenn schon«, erwiderte Jenny unbekümmert. »Ich finde es trotzdem irgendwie...« Sie suchte nach den passenden Worten, fand sie aber nicht. »’tschuldigung, Celine, ist nicht böse gemeint.«
Celine lachte.
»Ich nehme so was überhaupt nicht persönlich. Geschmäcker sind eben verschieden. Mir gefällt es. Und deinem Papa auch.« Sie tauschte einen Blick mit LaBrea, der sich ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte.
Kater Obelix, der bereits gefressen hatte, lag auf seinem Stammplatz im Sessel und schlief. Jenny aß ihr Müsli fertig, stand auf und knuddelte das Tier ausgiebig, bevor sie in ihr Zimmer ging, um ihren Rucksack zu packen. In der zweiten Stunde wurde die Mathearbeit geschrieben, und Jenny hatte beim Frühstück verkündet, dass sie »total gut drauf und super vorbereitet« sei.
LaBréa erzählte Céline, dass die beiden Mordfälle so gut wie aufgeklärt seien und dass die Ergebnisse der DNA-Analyse den letzten Beweis erbringen würden.
»Wir könnten dann heute Abend alle zusammen essen gehen. Und mal überlegen, wohin wir in Jennys Herbstferien fahren, die in zweieinhalb Wochen beginnen. Ich nehme mir ein paar Tage frei. Du kommst doch mit, oder?«
Celine wiegte skeptisch den Kopf.
»Ich weiß nicht, Maurice. Meine Ausstellung eröffnet zwar am Sonntag, und in vierzehn Tagen schließt sie, aber vielleicht solltest du ein paar Tage mit Jenny allein wegfahren. Es ist nicht gut, wenn ich immer und überall dabei bin.«
»Bist du ja gar nicht, mein Schatz.«
»Möglicherweise empfindet sie es aber so. Ihre Bemerkung eben mit dem Rasierwasser - das hat mich stutzig gemacht. Sie scheint völlig vergessen zu haben, dass ich es mit ihr zusammen im Bonmarche für dich ausgesucht habe. Und da fand sie es toll.«
»Ich würde dem keine allzu große Bedeutung beimessen.«
»Trotzdem, Maurice. Ich komme vielleicht nach und verbringe die letzten zwei, drei Tage mit euch. Dann habt ihr vorher mal genug Zeit füreinander. Abseits der Hektik deiner Arbeit und ihres Schulalltags, der es ja auch ganz schön in sich hat.«
LaBréa nahm ihre Hand und drückte sie.
»Ist gut. Vermutlich hast du Recht. Aber nachkommen musst du auf jeden Fall. Versprochen?«
»Versprochen.«
 
Nach der späten Talkrunde am Abend zuvor hatte LaBrea mit Claudine verabredet, dass sie sich um neun im Krankenhaus St. Lazare treffen wollten, um gleich am Morgen mit Michel Catteau zu reden. LaBréa brachte seine Tochter zur Schule, wo Jennys Freundin Alissa vor dem Eingang auf sie wartete. Die Mädchen begrüßten sich überschwänglich und rannten ins Gebäude, ohne sich noch einmal nach LaBréa umzudrehen.
Auf der Straße rauschte der Porsche von Jocelyn Borels neuem Freund an ihm vorbei. Jocelyn saß auf dem Beifahrersitz und winkte ihm huldvoll lächelnd zu. Immer noch fiel es LaBréa nicht ein, woher er den Mann kannte. Die beiden passten sehr gut zueinander, jedenfalls äußerlich gesehen. Ein nicht mehr junges, dynamisch und modern wirkendes Paar.
LaBréa winkte lächelnd zurück.
An der Metrostation St. Paul nahm er die Linie 1, wechselte an der Bastille in die Linie 5 und stieg an der Gare de l’Est aus. Wenig später betrat er das Krankenhaus St. Lazare. Claudine saß schon wartend auf einem der Besuchersessel vor dem Eingang zur Cafeteria.
Michel Catteau lag auf der chirurgischen Station im dritten Stock. LaBréa sah es als ein gutes Zeichen an, dass Catteau bereits von der Intensivstation auf die normale Station verlegt worden war. Das erhöhte ihre Chancen, ihn gleich vernehmen zu können.
Der Oberarzt, ein dünnlippiger Mann mit ungesunder Hautfarbe, stellte sich vor und begrüßte die beiden Beamten kühl und mit laschem Händedruck.
»Dr. Blanc. Ich habe Monsieur Catteau gestern Abend operiert.«
»Commissaire LaBréa, Brigade Criminelle. Das ist meine Mitarbeiterin, Leutnant Millot.«
Der Arzt musterte die beiden skeptisch.
»Tja, Commissaire, ich weiß, dass Sie es eilig haben, den Patienten zu vernehmen. Aber als Arzt habe ich begründete Bedenken, Ihnen das heute schon zu gestatten. Monsieur Catteau hat viel Blut verloren, und...«
LaBréa unterbrach ihn.
»Aber er liegt nicht mehr auf der Intensivstation. Und wir haben drei Mordfälle aufzuklären, in denen Monsieur Catteau als Tatverdächtiger Nummer eins gilt.«
»Das ist mir klar. Doch vom ärztlichen Standpunkt aus gesehen ist er erst morgen vernehmungsfähig.«
»Wer ist hier der Chefarzt, Docteur?« LaBréa klang unwillig. Keinesfalls wollte er sich von diesem Arzt abwimmeln lassen. Der lächelte herablassend.
»Der Chefarzt ist im Urlaub. Ich bin momentan sein Stellvertreter und entscheide hier.«
»Gut.« LaBréa verstand sofort, dass er hier keine Muskeln spielen lassen konnte, sondern diplomatisch vorgehen musste. Charme mit einem Schuss Devotheit, das war jetzt gefragt. Er ließ seinen Blick auf dem Gesicht des Arztes ruhen und lächelte gewinnend. »Was halten Sie von einem Kompromiss, Docteur? Wir stellen ihm heute Morgen nur einige wenige Fragen, die für uns von essenzieller Bedeutung sind. Dann gehen wir und kommen erst wieder, wenn Sie grünes Licht geben.«
Dr. Blanc dachte einen Moment nach. Hinter seiner runden Nickelbrille wirkten seine graublauen Augen leblos. Er gab sich einen Ruck.
»Na schön. Zehn Minuten, Commissaire, höchstens. Die Stationsschwester wird darauf achten, dass Sie die Zeit nicht überschreiten.« Abrupt drehte er sich um und ging über den glänzend gebohnerten Flur zu einer Tür mit der Aufschrift »Schwesternzimmer«.
»Halbgötter in Weiß«, murmelte Claudine. »Aber wenigstens haben wir Glück. Kommen Sie, Chef, er liegt in Zimmer 211.«
Der uniformierte Polizist, der seit dem gestrigen Abend Catteaus Krankenzimmer bewachte und auf einem Stuhl vor der Tür saß, stand auf und salutierte. LaBréa begrüßte ihn und sagte: »Zehn Minuten Pause für Sie, Brigadier. Gehen Sie in die Cafeteria. Wann kommt Ihre Ablösung?«
Der Mann blickte auf die Uhr.
»Erst in einer Stunde. Danke, Commissaire. In zehn Minuten bin ich zurück.«
Als Verdächtigen in einem Mordfall, der rund um die Uhr bewacht werden musste, hatte man Michel Catteau in ein Einzelzimmer verlegt. LaBréa und Claudine betraten den Raum. Catteau blickte kurz Richtung Tür, schloss jedoch gleich darauf die Augen.
Ohne Umschweife kam LaBréa zur Sache.
»Sie sind verdächtig, den Besitzer des Lokals Paradis, Patrice Montana, gestern Mittag in seiner Wohnung erschossen zu haben. Ihre Waffe und der dazugehörige Schalldämpfer, den wir in Ihrer Wohnung gefunden haben, werden derzeit von unseren Technikern untersucht. Möchten Sie sich zu den Vorwürfen äußern?«
Michel Catteau antwortete nicht. Er drehte rasch seinen Kopf zur Seite. Die schnelle Bewegung verursachte ihm Schmerzen, denn er stöhnte auf. Seine rechte Schulter war dick verbunden. Auf dem linken Handrücken war ein Zugang gelegt worden, durch den eine Infusionsflüssigkeit tropfte.
LaBréa wartete einen Augenblick, bevor er fortfuhr.
»Die Beweise sind erdrückend, Monsieur. Ein Geständnis würde Ihre Lage wesentlich verbessern.«
Es kam keine Antwort. Jetzt versuchte es Claudine.
»Woher kannten Sie Monsieur Montana? Von früher? Als er Sie und Ihre Mutter im Winter mal mit in ein Bordell nahm, damit Sie sich aufwärmen konnten?«
Beinahe unmerklich zuckte die Hand mit dem Zugang. Es entging LaBréa nicht. Er setzte nach.
»Das alte Stellwerk an der Gare de Lyon. Erinnern Sie sich? Haben Sie da mit Ihrer Mutter gewohnt, als Sie ein Junge waren? Ihre Mutter wurde auf dem Gelände getötet. Vor wenigen Tagen haben wir ihren Leichnam gefunden. Wer war ihr Mörder?« LaBréa beugte sich über den Mann, der den typischen Geruch frisch Operierter verströmte. »Waren Sie es?«
Michel Catteaus Brust hob und senkte sich in schnellem Rhythmus. Ein untrügliches Zeichen für innere Erregung? Doch er schwieg weiter.
LaBréa ließ erneut etwas Zeit verstreichen, bevor er weiterredete.
»Sie waren jemand, der das Tanzlokal Paradis aufsuchte, wo der ermordete Patrice Montana Geschäftsführer war. Ich habe am Sonntag gesehen, wie Sie die älteren Frauen dort taxiert haben. Als ob sie nach Beute Ausschau hielten.« Er machte eine kurze Pause. »Griseldis Geminard. Annie Normand. Zwei alte Damen, die gern Musettewalzer tanzten. Beide Frauen sind tot. Der Mörder hat ihnen große Geldbeträge abgenommen. Die beiden passten doch in Ihr Beuteschema, hab ich Recht?«
Immer noch schwieg der Mann. Doch jetzt drehte er langsam den Kopf in LaBréas Richtung und öffnete seine kornblumenblauen Augen. Sein Blick verriet keine Reaktion. Sekunden später verzog er seinen Mund zu einem Lächeln. Die Hasenschartennarbe färbte sich unter dem Bärtchen rot, als schösse Blut ein.
Es war ein hässliches Lächeln, das wie ein Geständnis erschien. Nur wusste LaBréa, dass es als Geständnis nicht zu verwerten war.
In selben Moment betrat die Oberschwester das Krankenzimmer. Sie war eine korpulente Frau mit asiatischen Gesichtszügen, die keinen Widerspruch duldete.
»Das war’s, Commissaire. Ihre zehn Minuten sind um.«
 
Durch den strömenden Regen liefen sie zum Parkplatz des Krankenhauses, wo Claudines Wagen stand. Kaum hatte LaBréa auf dem Beifahrersitz Platz genommen, klingelte sein Handy. Es war Brigitte Foucart. In Zusammenarbeit mit den Kollegen von der Osteologie hatte sie sich noch einmal um die letzten, entscheidenden DNA-Analysen gekümmert.
»Wir haben die ganze Nacht durchgearbeitet. Ich erspare dir die wissenschaftlichen Details und mache es kurz. Die DNA von Michel Catteau ergibt eine eindeutige Übereinstimmung mit den Spuren, die auf dem Seidenschal von Griseldis Geminard sichergestellt wurden und mit den Asservaten aus dem Mordfall Annie Normand. Und die Analyse hat zweifelsfrei erbracht, dass Catteau der Sohn dieser Frau ist.«
»Sie heißt Dolores Catteau und ist die Mutter des Verdächtigen«, warf LaBréa ein.
»Ja. Und was Patrice Montana betrifft: Über sein X-Chromosom konnten wir die Verbindung zum X-Chromosom von Dolores und Michel Catteau herstellen. Montana ist mit Dolores Catteau und ihrem Sohn blutsverwandt, und zwar mütterlicherseits. Montanas Mutter und Dolores Catteau müssen Schwestern gewesen sein.«
»Das heißt, Michel Catteau ist der Cousin von Patrice Montana.«
»Richtig. Mit diesen Beweisen hast du den Mörder von Griseldis Geminard und Annie Normand, Maurice. Dass er seinen Cousin gestern erschossen hat, steht ja auch so gut wie fest.«
»Ich warte noch auf das Ergebnis der ballistischen Untersuchung. Ist aber wahrscheinlich nur noch eine Formsache.«
 
In der Eingangshalle des Präsidiums begegneten LaBrea und Claudine dem Schöngeist, dessen Dienstwagen mit Chauffeur bereits vor dem Gebäude wartete. Direktor Thibon hatte den Gürtel seines hellen Trenchcoats lässig geknotet und hielt einen schwarzen Stockschirm in der Hand.
»Nun, LaBréa, haben Sie das Geständnis des Mannes?«, fragte er von oben herab.
»Noch nicht, Monsieur. Aber das brauchen wir auch nicht. Die Beweise sind erdrückend. Ich denke, dass der Ermittlungsrichter ihn morgen im Krankenhaus vernehmen kann.«
»Hoffentlich! Und was die Beweise angeht, da halte ich mich an den Grundsatz: ›Wer zu viel beweist, beweist gar nichts!‹ Altes französisches Sprichwort, LaBrea.«
LaBréa nickte und dachte sich seinen Teil.
»Und was ist mit der Mordsache Gare de Lyon? Wie weit sind Sie da?«
»Das wird schwierig. Michel Catteau könnte ebenfalls der Täter sein. Mal sehen, ob er gesteht.«
»Das hängt doch ganz davon ab, wie Sie es anstellen, LaBréa. Und Couperin, na ja...« Verächtlich winkte er ab. »Sie wissen ja, dass ich ihn für ein Weichei halte. Setzen Sie Catteau unter Druck. Dann wird er schon den Mund aufmachen.«
»Wenn er diese Frau, die übrigens seine Mutter war, getötet hat, kann man ihn sowieso nicht mehr dafür belangen. Er war damals minderjährig.«
Thibon rauschte ohne zu antworten davon.
 
In der Zwischenzeit hatten die Techniker der Ballistikabteilung bestätigt, dass der bei Catteau gefundene Schalldämpfer zu seiner Waffe passte, und dass Patrice Montana mit dieser Waffe erschossen wurde. Die Beweise würden vor Gericht ausreichen, um den dreifachen Mörder für immer hinter Gitter zu bringen. Doch LaBréa wollte ein Geständnis. Ob der Mord an Dolores Catteau je geklärt würde, war fraglich. Auch wenn sich die Hinweise verdichteten, dass ihr eigener Sohn die Tat begangen hatte, und dass auch hier das Motiv in seiner Kindheit und Jugend zu suchen war. Gegen elf Uhr dreißig verließ LaBréa sein Büro. Im strömenden Regen ging er nach Hause. Seine Kleidung war bereits nach fünf Minuten Fußweg durchnässt, seine Füße und Hände kalt. Er freute sich auf ein langes, heißes Bad und auf einen freien Nachmittag. Seine Mitarbeiter würden sich um den Papierkram kümmern, und morgen wollten er und Couperin zu Catteau ins Krankenhaus fahren.
In einer Toreinfahrt in der Rue du Temple stand eine junge Frau und telefonierte. Sie schien vollkommen aufgelöst und schluchzte laut. LaBréa blieb stehen, doch die Frau beachtete ihn nicht. Ihre Stimme klang jetzt beinahe hysterisch.
»Warum?«, schrie sie ins Telefon. »Warum machst du das? Hab ich nicht alles für dich getan? Ich hab gekocht, hab mich um die Wohnung gekümmert. Bin immer für dich da gewesen. War dir das alles nicht genug? Ich liebe dich doch...« Ihre letzten Worte gingen im heftigen Schluchzen unter. Sie hielt den Hörer an ihr Ohr, als wolle sie sich daran festklammern wie an einem Rettungsanker.
LaBréa ging weiter. Er wusste, dass er hier nicht helfen konnte. Eine Trennungsgeschichte, wie es sie hundertfach jeden Tag in dieser Stadt gab. Der Kampf, das flehentliche Betteln um etwas, das bereits verloren war. Die Frau mochte nicht älter als fünfundzwanzig sein. Ein junger Mensch, der das Leben noch vor sich hatte und die gescheiterte Beziehung bald vergessen haben würde.
Monsieur Hugo steckte seinen Kopf aus der Tür, als er LaBréas Schritte im Hausflur hörte. Er gab LaBréa die Post und wollte ihn in ein Gespräch verwickeln. Doch LaBréa sagte: »Ich hab’s eilig, Monsieur Hugo«, und ging mit raschen Schritten über den Hof an Célines Atelier vorbei zu seiner Wohnung. LaBréa wusste, dass Celine den ganzen Tag in der Galerie mit dem Hängen ihrer Bilder verbrachte.
Obelix schlief auf dem Sofa und hob erstaunt den Kopf, als LaBréa eintrat. Er war es gewohnt, tagsüber allein zu sein, und freute sich jetzt entsprechend. Er sprang auf und kam mit erhobenem Schwanz zu La-Breá, der ihn streichelte und auf den Arm nahm.
»Na, alter Junge. Wir machen uns jetzt einen gemütlichen Nachmittag.« Er ging zu seiner Stereoanlage und legte eine CD von Stan Getz ein.
Als er sich eine Viertelstunde später mit geschlossenen Augen in der Wanne ausstreckte, fiel aller Stress von ihm ab. Er dachte noch eine Weile über die Ereignisse der letzten Tage nach. Welch merkwürdige Verknüpfungen es doch bei all diesen Mordfällen gab, und welch dunkles Geheimnis die Tote von der Gare de Lyon umgeben hatte. Jetzt waren die Mordfälle geklärt, doch etwas blieb weiter im Dunkeln. Musettewalzer... Diese Musik musste im Leben von Michel Catteau eine entscheidende Rolle gespielt haben. Lokale dieser Art hatten ihn angezogen, und Frauen, die diese Lokale besuchten und dort ihr Vergnügen suchten, hatten ihn zum Mörder werden lassen. Dabei war wohl nicht nur Habgier sein Motiv gewesen, er musste auch ein tiefes Gefühl des Hasses in sich getragen haben, das sich nur auf diese Weise entladen konnte. Wie hatte er es angestellt, sich das Vertrauen der alten Damen zu erschleichen, sie um ihr Geld zu bringen, damit er sich seine Wünsche erfüllen konnte? Welche Wünsche? Luxus und Statussymbole? Was hatte er ihnen in ihrer Sehnsucht nach ein bisschen Glück versprochen? Und wie oft hätte er noch zugeschlagen, wäre ihm nicht das Handwerk gelegt worden?
LaBréa dachte an seine verstorbene Mutter und ihr Geheimnis, das sie für immer mit ins Grab nehmen würde. Auch hier würde er nie erfahren, was wirklich geschehen war. Was hatte dieser Bernard ihr geben können, was ihr eigener Mann ihr nicht geben konnte? Zweifellos hatte Lucia LaBréa diesen Mann geliebt. Es war eine leidenschaftliche Liebe im Verborgenen gewesen, die durch ungeklärte Umstände eines Tages abrupt ein Ende fand.
Langsam wurde LaBréa schläfrig. Er spürte, wie seine Muskeln sich entspannten und die Wärme in jede Pore seines Körpers zog. Er tauchte seinen Kopf unter Wasser und begann sich einzuseifen und die Haare zu waschen.