1. KAPITEL
Der erste Oktobertag begann mit Regen. In feinen, gleichmäßigen Bahnen rann er über das Glasdach der Atelierwohnung und perlte nach unten, wo eine Regenrinne ihn auffing.
LaBréa erwachte und lauschte dem monotonen Geräusch, das so klang, als trommelten Finger in gleichmäßigem Rhythmus auf eine Schreibtischplatte.
Es war noch nicht hell draußen. LaBréa warf einen Blick auf den Wecker und ließ sich aufs Kissen zurückfallen. Er zog die Decke um die Schultern und beschloss, sich noch zehn Minuten zu gönnen und das angenehme Gefühl des Dämmerns auszukosten, halb im Schlaf, halb wach.
Er hatte geträumt. Die letzten Bilder des Traums verflüchtigten sich wie ein sommerlicher Duft, der sich zu rasch im Raum verteilt. Er befand sich in einem großen Haus mit vielen Zimmern. Die meisten von ihnen waren unbewohnt, die Möbel mit weißen Tüchern abgedeckt. Im Traum wurde deutlich, dass es La-Breas Elternhaus war. Doch es sah anders aus als das Haus seiner Kindheit. Plötzlich stand seine Tochter Jenny auf dem langen Flur, von dem rechts und links die Zimmer wie in einem Hotel abgingen. Sie trug ihren Fußballdress, und LaBréa wollte ihr sagen, dass sie mit den Stollenschuhen nicht über das gute Parkett laufen könne. Doch bevor er dazu kam, öffnete sich eine der Zimmertüren, und Celine betrat den Flur. In der figurbetonten Bluse und den gut sitzenden Jeans sah sie attraktiv und sexy aus. Sie lächelte, hakte Jenny unter, und beide kamen strahlend auf LaBréa zu. Das Klacken von Jennys Fußballschuhen hallte tausendfach wider. Als sie bei ihm waren, nahmen sie ihn in die Mitte, und Jenny sagte: »Jetzt!« Sie sprang in die Luft. Céline tat es ihr nach. LaBréa nahm erstaunt wahr, dass beide über dem Fußboden schwebten. Dann sprang auch er hoch und schwebte plötzlich. Wie schwerelos glitt er über den Flur, der nach oben hin offen war und den Blick auf einen wolkenlosen Himmel freigab. Immer höher flog LaBréa, bis er die Stadt aus der Vogelperspektive sah. Und Jenny und Celine folgten ihm...
LaBréa atmete tief durch und wollte sich noch einmal das Gefühl seines schwebenden Körpers in Erinnerung rufen, der im Traum die Gesetze der Erdanziehung außer Kraft gesetzt hatte. Doch es gelang ihm nicht.
Er wälzte sich noch einige Male hin und her, schlug dann die Bettdecke zurück und streckte sich.
 
Als er die Schlafzimmertür öffnete, drangen aus der Küche leise Stimmen.
»Seid ihr etwa schon auf?«, rief LaBréa und gähnte.
»Haben wir dich geweckt?«, kam Jennys Gegenfrage.
»Nein, das nicht«, brummte LaBréa und ging in die Küche. »Aber dass ihr so früh schon wach seid, wundert mich, ehrlich gesagt.«
Beinahe wäre LaBréa über Kater Obelix gestolpert, der satt und zufrieden ins Wohnzimmer stolzierte und offenbar schon gefressen hatte.
Am Tisch unter dem Fenster, durch das man in den kleinen Garten sah, saßen LaBréas Tochter Jenny und ihre Freundin Alissa. Beide trugen Schlafanzüge und Hausschuhe. Sie tranken Orangensaft und löffelten soeben die letzten Reste aus ihren Müslischalen.
LaBréa gab seiner Tochter drei Küsschen auf die Wangen.
»Morgen, Cherie.«
»Morgen, Papa.«
»Morgen, Alissa. Gut geschlafen?«
»Morgen, Monsieur«, sagte Alissa und warf ihm einen kurzen Blick aus ihren stark geröteten Augen zu.
LaBréa legte seine Hand auf ihre Schulter und fragte besorgt: »Hast du geweint?«
»Das sind ihre neuen Kontaktlinsen«, warf Jenny rasch ein. »Die verträgt sie nicht so gut. Aber der Trainer hat gesagt, mit der Brille kann sie nicht mehr im Tor stehen.«
»Ich weiß, ich weiß!« Ein wenig abwehrend hob LaBrea die Hände. »Diese Geschichte höre ich jetzt mindestens zum fünften Mal.«
Jenny sah ihren Vater missbilligend an und verzog genervt den Mund.
»Mit den Kontaktlinsen, das stimmt«, sagte Alissa. »Aber außerdem schlafe ich nicht so gut in letzter Zeit.« Sie nahm die Müslischale hoch und trank einen Rest Milch.
»Hm.« LaBréa nickte. Er wusste, warum Alissa geweint hatte, und versuchte sie zu trösten: »Das wird schon werden, Alissa. Glaub mir. Du kommst darüber hinweg, auch wenn es vielleicht noch eine Weile dauert.«
»Das habe ich ihr auch gesagt«, mischte sich Jenny ein. »Wenn die Eltern sich trennen, kann man nichts machen. In den meisten Fällen nehmen sie sowieso keine Rücksicht auf die Kinder.«
Sie nickte ihrem Vater bedeutungsvoll zu, und LaBrea verkniff sich ein Schmunzeln. Woher hatte seine Tochter bloß diese altkluge Art?
»Die neue Frau ihres Vaters ist total doof«, fuhr Jenny fort. »Aber heute ist Sonnabend, und das Gericht hat ja festgelegt, dass Alissa an den Wochenenden zu ihrem Vater soll.«
LaBréa sah, dass dem Mädchen erneut die Tränen kamen. Rasch legte er wieder seine Hand auf ihre Schulter und meinte: »Dein Papa ist doch eigentlich ganz in Ordnung. Du hast dich mit ihm immer gut verstanden, oder?«
Alissa nickte.
»Na also. Sei nicht traurig. Das Ganze ist ja noch ziemlich frisch. Es braucht seine Zeit, bis sich alles einspielt. Ich weiß, das ist kein Trost. Aber es geht vielen Kindern wie dir. Und oft noch schlimmer.«
Alissa schob ihre Schüssel beiseite und sah Jenny an.
»Mir reicht es schon, wie es bei mir ist. Wenn ich Jenny nicht hätte, mit der ich über alles reden kann, ich weiß gar nicht...« Der Rest ihres Satzes ging in einem Schluchzen unter. Jenny sprang auf, ging zu ihrer Freundin und legte tröstend den Arm um sie.
»Weine nicht, Alissa. Vielleicht kannst du deinen Vater anrufen und ihm sagen, dass du heute nicht kommst?«
»Das geht nicht.« Alissa schnäuzte sich die Nase. »Dann denkt Papa doch, Maman hätte mich aufgewiegelt, damit ich am Wochenende nicht zu ihm gehe. Das redet ihm alles diese blöde Ziege ein. Ständig hetzt sie gegen mich und Maman.«
LaBréa warf einen Blick auf die Küchenuhr, die neben dem Fenster an der Wand hing.
»Viertel nach sieben«, sagte er. »Ich gehe mich jetzt schnell rasieren, und dann könnt ihr ins Bad.«
Gleich darauf schlurfte er durchs Wohnzimmer. Obelix lag auf seinem Lieblingsplatz im Sessel und schlief. LaBréa strich ihm übers Fell und murmelte ein paar Worte. Obelix öffnete kurz sein linkes Auge, nur um es gleich wieder zu schließen.
 
Als LaBréa sich seinen Trenchcoat überzog und mit den Mädchen die Wohnung verließ, meinte Jenny: »Wir haben heute nur bis zwölf Uhr Schule. Um zwei machen wir ein Testspiel gegen eine Mädchenmannschaft aus Versailles.«
»Esst ihr dann in der Kantine?«
»Ja, leider«, erwiderte Jenny seufzend. »Und sonnabends ist das Essen noch schlimmer als in der Woche. Die sparen, wo sie nur können. Ich kriege Magenschmerzen, wenn ich nur daran denke!«
LaBréa nickte ergeben. Auch das Thema »Schulkantine« kannte er zur Genüge. Zu Hause war Jenny nie mäkelig, was das Essen anging. Doch mit der Schulkantine stand sie permanent auf Kriegsfuß.
Kurz darauf überquerten sie den Innenhof. Der Regen hatte nachgelassen. Vor dem Barometer an der Schuppenwand stand Monsieur Hugo, der Concierge. Er drehte sich zu LaBréa, begrüßte ihn und meinte skeptisch: »Keine Chance, Commissaire. Im Moment regnet es zwar kaum noch, aber da freuen wir uns zu früh. Die Ausläufer des Bretagne-Tiefs legen gegen Mittag erst richtig los. Dauerregen bis mindestens morgen Abend und heftige Gewitter.«
Jenny und Alissa tauschten einen raschen Blick, und Alissa meinte ein wenig resigniert: »Superwetter für unser Spiel. Da steht die Torlinie total unter Wasser.«
»Schönen Tag noch, Monsieur«, rief LaBréa dem Concierge zu und hob grüßend die Hand. Monsieur Hugo lachte.
»Tja, den mache ich mir. Ich hab mir in der Videothek ein paar amerikanische TV-Krimiserien ausgeliehen.« Er lächelte verschmitzt. »Sie kennen ja meine Leidenschaft fürs Verbrechen, Commissaire.«
Und ob LaBréa diese Leidenschaft kannte! Wenige Monate, nachdem er mit Jenny in dieses Haus gezogen war, hatte Monsieur Hugo begonnen, LaBréa bei aktuellen Ermittlungen Ratschläge zu erteilen. Er stellte Theorien über Tatmotive auf, spekulierte über mögliche Verdächtige. So gut er konnte, ging LaBréa solchen Gesprächen aus dem Weg. Wenn es sich nicht vermeiden ließ, griff er Monsieur Hugos - überwiegend absurde - Ideen zum Schein auf und versprach, den Hinweisen nachzugehen. Als der Concierge vor wenigen Monaten vom Bastille-Killer zusammen mit Jenny als Geisel genommen wurde, hatte sein »kriminalistisches Gespür« allerdings kläglich versagt. Mit einem simplen Verkleidungstrick hatte der Mörder ihn damals überrumpeln können.
Während die Mädchen Richtung Straße gingen, klopfte LaBréa kurz ans Atelierfenster seiner Nachbarin Celine. Seit geraumer Zeit waren er und die Malerin ein Paar. Sie hatten bereits ihre erste Beziehungskrise hinter sich, denn LaBréa hatte Celine mit seiner alten Jugendfreundin Jocelyn betrogen. Der Vorfall war inzwischen vergessen und stand nicht mehr zwischen ihnen. Sie trafen sich täglich, aßen oft gemeinsam mit Jenny in LaBréas Wohnung zu Abend, gingen am Wochenende ins Kino. Wenn Jenny bei Alissa über Nacht in der Brülerie blieb, schlief Céline in LaBréas Wohnung. Inzwischen hatte Jenny sich daran gewöhnt, dass es im Leben ihres Vaters eine neue Frau gab. Mit Celine verstand sie sich gut, was nicht zuletzt darauf zurückzuführen war, dass Celine beim Thema »Mädchenfußball« eisern zu Jenny hielt und deren Leidenschaft für Fußball teilte.
»Ich weiß gar nicht, wieso du dich so darüber aufregst«, hatte Celine ihm einmal gesagt. »Lass sie doch. Sie hat Spaß daran. Andere Mädchen in ihrem Alter sitzen nur noch vor dem Computer oder haben sogar schon einen Freund. Sei froh, dass sie Sport treibt und in ihrer Freizeit nicht irgendwo rumhängt.«
Gelegentlich dachte LaBréa an die letzte Weltmeisterschaft in Deutschland, als die beiden pausenlos vor dem Fernseher hockten. Als Zinedine Zidane im Endspiel gegen Italien nach seinem Foul vom Platz gestellt wurde, hatten beide geweint, während LaBréa kopfschüttelnd in der Küche stand und sich einen Drink mixte.
Die Vorhänge waren zugezogen, was LaBréa ungewöhnlich fand, da Celine im Allgemeinen immer früh aufstand. Vielleicht war sie einkaufen gegangen. Er beschloss, sie etwas später anzurufen.
 
In der Rue Charlemagne, in der Jennys Schule lag, stauten sich die Autos. Eltern setzten ihre Kinder ab, Lehrer suchten nach einem Parkplatz. LaBréa verabschiedete sich von den beiden Mädchen.
»Also dann, macht’s gut und viel Spaß beim Spiel heute.«
LaBréa wollte gerade die Straße überqueren, als in langsamem Tempo ein roter Porsche heranrollte und seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Der Mann hinter dem Steuer beugte sich zu seiner Beifahrerin und tauschte einen langen Kuss mit ihr. Jetzt stieg die Frau aus. Es war Jocelyn Borel, LaBréas Jugendfreundin, mit der er vor einigen Monaten eine Affäre gehabt hatte. Als Lehrerin an Jennys Schule unterrichtete sie die höheren Klassen. Wie stets war sie elegant gekleidet. In einer wohlkalkulierten Bewegung warf sie ihre blonde Mähne zurück, hob lässig die Hand und lächelte LaBréa zu.
»Hallo, Maurice«, sagte sie mit ihrer tiefen, wohlklingenden Stimme und blickte ihm einen Moment in die Augen. Lag in ihrem Blick so etwas wie Genugtuung? Ein kleines, weibliches Triumphgefühl? Offenbar war der Fahrer des Luxusschlittens ihr neuer Freund. Ja, sie genoss die Vorstellung, dass LaBréa vielleicht beeindruckt war, möglicherweise sogar eifersüchtig. Doch da täuschte sie sich. Für LaBréa war ihre Affäre endgültig abgeschlossen. Auch die schönsten Jugenderinnerungen verblassen irgendwann. Er mochte sie, mehr aber auch nicht. Das hatte er ihr unmissverständlich klargemacht. LaBréa lächelte zurück: »Hallo, Jocelyn!« Mit eiligen Schritten ging Jocelyn auf den Eingang der Schule zu und drehte sich noch einmal nach ihm um. LaBréa fasste den Porschefahrer etwas genauer ins Auge. Mit seinen gewellten braunen Haaren und der randlosen Brille sah er gut aus. Er erinnerte LaBréa an jemanden, doch ihm fiel nicht ein, an wen. Jemand, den er aus den Medien kannte. Ein Politiker? Jemand aus der Showbranche? LaBréa schob den Gedanken beiseite und machte sich auf den Weg zu Francine Dalzons Brülerie, wo er nach alter Gewohnheit frühstücken wollte.
Der heutige Sonnabend war sein freier Tag. Nach dem Frühstück hatte er einige Besorgungen zu erledigen, und anschließend wollte er in der Musikabteilung der Fnac im Quartier Latin nach einer seltenen Jazz-CD für seine Sammlung stöbern.
Kurz darauf überquerte LaBréa die Rue St. Antoine. In der Bäckerei Paul kaufte er zwei Croissants. Sonnabends waren es immer zwei. Die Tüte mit dem noch warmen Gebäck in der Hand schlenderte er zur Place des Vosges. Céline fiel ihm wieder ein, und er fischte sein Handy aus der Manteltasche. Nach fünfmaligem Klingeln meldete sie sich.
»Hallo, Celine«, sagte LaBréa.
»Morgen, Maurice.« Célines Stimme hörte sich kühl und distanziert an. LaBréa stutzte.
»Ich hab vorhin an dein Fenster geklopft. Warst du nicht zu Hause?«
»Doch.« Es klang gedehnt und wie von weit her.
»Aber?«, hakte LaBréa nach und wunderte sich, dass Celine so kurz angebunden war. Er fragte sich, welchen Grund es dafür gab. »Wolltest du mich nicht sehen?«
»Ich habe Besuch, Maurice. Adrien ist gestern Abend gekommen.«
Abrupt blieb LaBréa stehen.
»Adrien?!«, sagte er ungläubig. »Ich denke, der lebt seit Jahren in England.«
»Er nimmt an einem Kongress in Paris teil und übernachtet während dieser Zeit bei mir.«
LaBréa schluckte. Adrien Castan (oder hieß er Castellan?) war Celines Exfreund. Vor drei Jahren hatten sie sich getrennt, und LaBréa wusste, dass die Trennung für Celine schmerzlich gewesen war. Jetzt tauchte Adrien plötzlich in Paris auf und wohnte bei Celine. Was hatte das zu bedeuten? Eifersucht stieg in ihm auf, ein Gefühl, das er normalerweise nicht kannte.
»Wie lange bleibt er denn?«, wollte LaBréa wissen.
»Übers Wochenende.«
»Verstehe«, erwiderte LaBréa, obgleich er es nicht verstand. Wieso bot Celine diesem Adrien, der sie damals so schamlos betrogen und verlassen hatte, ihre Gastfreundschaft an? Angeblich hatte sie seit der Trennung keinen Kontakt mehr zu ihm, oder stimmte das etwa nicht? LaBréa beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen und sich Klarheit zu verschaffen.
»Läuft etwas zwischen euch, Céline?«, fragte er ohne Umschweife und spürte, wie sein Herz schneller schlug. »Dann sag es mir bitte. Ich habe keine Lust, in irgendwas hineinzugeraten.«
»In irgendwas hineinzugeraten, Maurice?« Ein leises Lachen ertönte; es erschien ihm fremd und voller Ironie. »Ausgerechnet du sagst das! In was bin ich denn hineingeraten, als ich vor einigen Monaten in Barcelona war und du nichts Besseres zu tun hattest, als mit deiner Jugendfreundin Jocelyn ins Bett zu steigen?!«
»Ach, so ist das!« LaBréas Stimme wurde unwillkürlich lauter. »Eine billige Retourkutsche!«
»Typisch für dich, dass du das sagst.«
»Ich dachte, wir hätten die Sache geklärt. Hattest du mir nicht gesagt, dass das nicht mehr zwischen uns steht?«
»Adrien hat geschäftlich in der Stadt zu tun und ist tagsüber unterwegs. Ich darf doch wohl bei mir übernachten lassen, wen ich will, oder nicht?«
»Natürlich darfst du das, Celine. Aber wenn dadurch deine alte Liebe wieder aufgefrischt wird, sieht es schon anders aus. Ich...«
Celine unterbrach ihn, und er meinte, so etwas wie Schadenfreude in ihrer Stimme zu hören.
»Eifersüchtig, Maurice? Jetzt siehst du selbst mal, wie das ist. Aber du wirst es schon überstehen. Und jetzt wünsche ich dir einen schönen Tag. Wenn du willst, können wir morgen früh zusammen auf den Markt gehen. Adrien hat den ganzen Tag Termine.«
»Wie schön, dass ich dann der Lückenbüßer sein darf«, sagte LaBréa, und im gleichen Moment hasste er sich für seinen Sarkasmus. Doch es gelang ihm nicht, Wut und Enttäuschung zu unterdrücken. »Nein danke. Ich kann meinen Sonntag allein verbringen.«
Er schaltete sein Handy aus und steckte es in die Manteltasche.
Hoffentlich begegne ich diesem Typen nicht zufällig, dachte er. Auf dem Weg zu seiner Wohnung musste er an Celines Haustür vorbei, und da lag es nahe, dass man aufeinandertreffen konnte. Céline hatte ihm einmal ein Foto von Adrien gezeigt. Er war groß und blond, Mund- und Kinnpartie zeugten von ausgeprägter Willenskraft. Solche Männer bekamen immer das, was sie wollten. Und wenn ein Exfreund sich nach Jahren bei seiner Ehemaligen meldet, will er ja wohl an das anknüpfen, was einmal gewesen war. Erneut gab es LaBréa einen Stich. Der Verdacht ist ein schleichendes Gift, hatte er einmal gelesen. Oder war das einer jener klugen Sprüche, mit denen LaBréas Vorgesetzter, Direktor Thibon, bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit zu glänzen pflegte? Hier erschien es einmal passend. Hatte Celine ihn letzte Nacht etwa mitAdrien betrogen? Unzufrieden mit sich selbst und der Situation presste er die Lippen zusammen und setzte seinen Weg fort.