Kapitel 2
Wieder in der Bar angekommen, stand mir eine weitere Überraschung bevor, diesmal aber eine angenehme. Iris saß am Tresen und nippte an einem Glas Granover Wein aus dem breiten Landstrich voller Weinberge um Y’Elestrial, zu Hause in der Anderwelt. Ihre Miene hellte sich auf, als ich durch die Tür trat, und sie winkte mir zu.
»Ich hatte mich schon gewundert, wohin du verschwunden bist«, sagte sie, leerte ihr Glas und streckte es mir hin. »Noch einen, bitte. Heute ist mein freier Abend, und mir war nicht danach, zu Hause herumzuhocken.«
Iris war eine Talonhaltija, ein finnischer Hausgeist, und sie wohnte bei meinen Schwestern und mir. Sie half uns, indem sie sich um das Haus kümmerte, auf Maggie aufpasste – unsere kleine Schildpatt-Gargoyle – und ab und zu einem bösen Buben ihre fünf Pfund schwere Edelstahlpfanne über den Schädel zog. Sie war so hübsch wie eine norwegische Jungfrau, aber älter als wir alle, und mindestens ebenso gefährlich. Außerdem war sie eine meiner besten Freundinnen.
»Ich bin froh, dass du da bist«, sagte ich und schenkte ihr nach. »Wir haben vielleicht ein Problem.«
Ihre Miene verfinsterte sich. »Na großartig. Was ist es diesmal? Ist ein neues Degath-Kommando in der Stadt? Oder ein Fellgänger, der seinen Bruder rächen will? Randalieren irgendwo betrunkene Trolle?«
Ich schüttelte den Kopf und beugte mich über die Bar, damit niemand sonst hören konnte, was ich zu sagen hatte. »Nichts von alledem. Ich glaube, wir haben es mit abtrünnigen Vampiren zu tun – möglicherweise Neulinge, die sich noch an dieses Dasein gewöhnen müssen und nichts von unseren Bemühungen gehört haben, schlechtes Benehmen einzudämmen.«
Iris blinzelte und nippte an ihrem Wein; ihre Augen glitzerten wie Tau an einem strahlenden Frühlingsmorgen. Ich hatte auch einmal blaue Augen gehabt, aber inzwischen waren sie frostig grau geworden, grauer mit jedem Jahr meines Daseins als Vampir. Sofern sie nicht gerade rot glühten, was normalerweise der Fall war, wenn ich Hunger hatte, auf der Jagd oder sehr mies gelaunt war.
»Keine guten Neuigkeiten«, sagte sie. »Hast du Camille und Delilah schon davon erzählt?«
»Nein. Ich mache heute früher Schluss. Ich muss sie einweihen, ehe Chase noch mehr Opfer findet. Das fällt eigentlich nicht unter unsere Zuständigkeit – na ja, jedenfalls nicht unter ihre –, aber sie sollten Bescheid wissen. Und ich rufe besser Wade an und bitte ihn, auch zu uns nach Hause zu kommen. Soll ich dich mitnehmen, wenn ich hier fertig bin?« Ich griff zum Telefon und wählte Wades Nummer.
Iris nickte. »Warum nicht.« Sie blickte sich um. »Ich hatte gehofft... ach, ist nicht so wichtig«, unterbrach sie sich, den Blick auf die Hausgeister in der Ecke geheftet, die inzwischen so betrunken waren, dass einer von ihnen mit dem Gesicht voran auf den Tisch gekippt war. Er würde morgen scheußliche Rückenschmerzen haben, denn er kniete auf der Sitzbank.
Ich starrte Iris an. »Du hattest gehofft, hier jemanden zu finden, mit dem du öfter ausgehen könntest, nicht wahr?« Ich lächelte, als sie errötend den Kopf einzog.
»Nein... ja... ich meine... «
Ich hatte Erbarmen, streckte den Arm aus und tätschelte ihre Hand. »Schon gut, das braucht dir doch nicht peinlich zu sein. Wie wäre es, wenn du hinübergehst und dich mit dieser Truppe Flegel unterhältst, während ich telefoniere? Nüchtern wären sie vielleicht gar nicht so übel, wie sie jetzt aussehen.« Als ich erneut zum Telefon griff, holte Iris tief Luft und glitt von ihrem Barhocker. Vorsichtig näherte sie sich der Gruppe Hausgeister, und ich behielt sie im Auge, damit ihr auch nichts passierte, während ich darauf wartete, dass Wade ans Telefon ging.
Wade war der erste Vampir, den ich in der Erdwelt kennengelernt hatte, und er führte die hiesige AB-Gruppe. Die Anonymen Bluttrinker waren eine Selbsthilfegruppe für Vampire, die Probleme damit hatten, sich an das Leben als Untote zu gewöhnen. Das klang zwar albern, aber es half wirklich, ein gesellschaftliches Leben zu haben, das mehr bot, als die ganze Nacht lang durch die Blutbars und Übernatürlichen-Clubs zu tingeln. Atmer hatten einfach kein Verständnis für manche der Zwickmühlen und Probleme, mit denen wir konfrontiert waren. Manchmal brauchten wir einen sicheren Ort, an dem wir unserem Kummer Luft machen konnten.
Als ich beigetreten war, hatte Wade mich gleich für sein Lieblingsprojekt angeworben: Vampiren das Töten von Unschuldigen abzugewöhnen und ihnen zu vermitteln, wie man trinken konnte, ohne zu töten. Zunächst hatte ich selbst nicht recht gewusst, was ich von dieser Idee halten sollte, doch je gründlicher ich meine eigenen Reaktionen beobachtete, desto besser gefiel sie mir. Natürlich lief eine solche Selbstbeherrschung unserer Natur zuwider – es gab gewisse Triebe, die mit unserer Lebensform, unserem Dasein, wie auch immer... gewisse Dinge, die ich noch nicht einmal Delilah oder Camille anvertraut hatte. Aber mit der nötigen Achtsamkeit und Sorgfalt konnte man diese Triebe durchaus beherrschen.
Allerdings hatte ich Wade klargemacht, dass ich meinen neuen Enthusiasmus für die Lebenden nicht auf die Irren dieser Welt übertragen würde. Wenn ein Mensch die Grenze zwischen asozialem Spinner und aktiv gemeingefährlichem Soziopathen überschritt, verlor derjenige in meinen Augen sämtliche Rechte und machte sich selbst zu Freiwild. Und nicht selten zu meinem Abendessen.
Als Wade abhob, erklärte ich ihm kurz die Situation und bat ihn, in einer Stunde bei uns zu sein. »Ich habe nur eine Bitte«, sagte ich und starrte auf den Tresen hinab. »Bitte lass deine Mutter zu Hause.«
Wade und ich waren ein paarmal miteinander ausgegangen, wenn man das so nennen wollte, aber ich hatte mich bei seinen Avancen nie ganz wohl gefühlt. Seine Mutter war der Faktor gewesen, der mich schließlich dazu gebracht hatte, unsere erblühende Romanze zu beenden. Jetzt waren wir einfach gute Freunde.
»Kein Problem. Ich habe für sie ein Date mit Graf Knarzula arrangiert«, erklärte er. Der Spitzname bezog sich auf einen Vampir der alten Schule aus unserer Gruppe, der sich meist in seinem Loft aufhielt und in seiner Sammlung muffiger alter Bücher herumkruschte.
Erleichtert legte ich auf. Irgendjemand hatte Belinda Stevens aus Rache zum Vampir gemacht, und diese fette alte Glucke würde ihren kleinen Jungen nun niemals gehen lassen müssen. Niemals, außer irgendjemand löste Wades Problem mit einem Pflock. Ich hatte schon mehr als einmal daran gedacht, aber es geschafft, mich zu beherrschen. Dennoch, früher oder später würde irgendjemand irgendwo endgültig mehr als genug von der Frau haben und sie zu Staub zerblasen.
Als ich auflegte, bemerkte ich, dass Iris schon einen Kerl an Land gezogen hatte. Der Hausgeist, der sie gerade zur Bar geleitete, war annähernd nüchtern. Auf den zweiten Blick war er außerdem richtig süß, mit schwarzen Locken, die ihm bis auf die Schultern fielen, einem Glitzern in den Augen, das einen davor warnte, dass er es faustdick hinter den Ohren hatte, und Oberarmen, die sogar in der trüben Beleuchtung der Bar schimmerten. Wenn man sich die Fahne wegdachte und den Senffleck auf seinem Muskelshirt, wäre er gar nicht so übel.
Iris blickte zu mir auf und deutete auf die Uhr. »Ich muss los, Bruce«, sagte sie zu ihm. »Ich rufe dich morgen an.«
Er nickte begierig. »Sehr gut. Aber nicht vor Mittag. Ehe ich morgens meinen Tee getrunken habe, bringe ich nur einsilbige Wörter heraus.« Er sprach mit einem etwas abgehackten britischen Akzent. Vermutlich hatte er einige Zeit in der High Society verbracht, auch wenn er jetzt mit den Kumpels einen heben ging. Er winkte uns nach, als wir zur Tür gingen.
Die Nacht war untypisch für Januar – viel kälter als gewöhnlich, und der böige Wind frischte weiter auf. Uns stand ein mächtiges Unwetter bevor. Camille hatte die Wettervorhersage auf magischem Wege bestätigt. Die Windelementare arbeiteten sich aus der Arktis zu uns herab und brachten einen Schneesturm mit, der morgen Abend über diese Gegend hereinbrechen würde. Camille und Delilah hatten den ganzen Tag damit verbracht, alles festzuzurren, zu vernageln oder wegzuräumen. Morio hatte ihnen geholfen, und Chase ebenfalls. Ich hatte die ganze Arbeit verschlafen, aber als ich nach Sonnenuntergang aus meinem Keller heraufgekommen war, hatte ich sofort bemerkt, dass die Sturmfenster eingesetzt und die vielen Kleinigkeiten, die sich über die Feiertage auf der Veranda angesammelt hatten, weggeräumt waren.
Iris und ich marschierten flott los. Sie zog den Reißverschluss ihrer Jacke hoch und schob die Hände in die Taschen. Mir war nicht kalt – ich würde nie wieder frieren –, aber es war offensichtlich, dass der pfeifende Wind die Kälte verschärfte. Auf dem Weg zu meinem Auto, das in einem rund um die Uhr geöffneten Parkhaus drei Querstraßen westlich des Wayfarer stand, schwatzte sie vor sich hin.
»Dieser Winter war so seltsam«, sagte sie gerade. »Als Camille das erste Mal erwähnt hat, dass sie das Wetter unnatürlich findet, dachte ich, sie bildet sich das nur ein, aber inzwischen glaube ich, dass sie recht hat. Ich kann es auch spüren – irgendetwas liegt in der Luft. Uns steht ein weiterer Schneesturm bevor. Wir hatten nie mehr als ein oder zwei solche Stürme in einem Winter, aber dieses Jahr schneit es schon seit einem Monat immer wieder.«
Ich nickte und wusste nicht recht, was ich sagen sollte. Ich war weder eine Wettermagierin noch Meteorologin. Aber wann immer ich innehielt, um die Energie der Stadt zu erspüren, merkte auch ich, dass irgendetwas nicht ganz passte.
Iris wechselte das Thema. »Ich glaube, Maggie wird bald ihre ersten Schritte tun.«
Ich strahlte, und meine Brust glühte vor Stolz. Ich hatte mit ihr gearbeitet und versucht, ihr zu zeigen, wie sie ihr Gewicht ausbalancieren und stehen konnte. »Ich hoffe nur, dass ich wach bin, wenn es so weit ist, damit ich es sehen kann. Wie kommst du darauf, dass es bald sein könnte?«
»Sie hat den Couchtisch dazu benutzt, sich aufzurichten und abzustützen. Der Schwanz macht ihr noch die größten Probleme – und die Flügel. Ich glaube, sie hat noch nicht ganz begriffen, dass sie sich ein bisschen nach vorn lehnen muss, um das Gewicht auszugleichen. Sie hat es einmal versucht, aber da hat sie sich so weit nach vorn gebeugt, dass sie umgefallen ist.« Iris kicherte. »Ich musste mir das Lachen verkneifen. Ihre Gefühle wechseln sehr schnell, ich habe schon erlebt, dass sie in einem Augenblick gelächelt und im nächsten geweint hat, weil ich ihr nur einen säuerlichen Blick zugeworfen habe.«
»Das ist mir auch aufgefallen«, sagte ich. Hmm, das Gewicht von Flügeln und Schwanz war es also. Daran hatte ich nicht gedacht. »Ich werde mit ihr daran arbeiten.«
»Schön, aber sei vorsichtig – sie ist in letzter Zeit sehr empfindlich.«
»Das habe ich gemerkt.« Maggie hatte ein sehr feines Gespür für die Stimmungen und das Verhalten anderer, und ich achtete darauf, sie nicht zu sehr zu necken. »Bald hat sie den Dreh raus, und dann wird es lustig. Wir werden das Haus... na ja... Gargoyle-sicher machen müssen. Sie ist noch zu klein, um alle möglichen Gefahren zu verstehen, und wir wollen ja nicht, dass ihr irgendwelche Unfälle passieren.«
Iris nickte energisch. »Allerdings. Denk nur mal daran, was passiert ist, als Delilah sich auf den Julbaum gestürzt hat. Wenn das Maggie gewesen wäre – sie hätte tot sein können. Ich gehe bald einkaufen und besorge alle möglichen Kindersicherungen. Die müssten auch bei kleinen Gargoyles funktionieren.«
Wir waren noch einen Block vom Parkhaus entfernt und überquerten eine schmale Gasse. Ein Geräusch erregte meine Aufmerksamkeit, und ich erstarrte und bedeutete Iris, still zu sein. Gedämpfte Schreie trieben aus der Gasse zu mir, vermengt mit rauhem Gelächter. Zwischen den zwei hohen Backsteingebäuden, die über der Wilshire Avenue aufragten, ging irgendetwas vor sich, und was immer das auch sein mochte, es war nicht gut. Die Geräusche wurden durch den Regen gedämpft, der aufs Pflaster hämmerte, aber ich hörte trotzdem ganz deutlich eine helle Frauenstimme, die schrie: »Nein, bitte nicht!«
Ich warf Iris einen Blick zu, und sie nickte knapp. Wir drückten uns an die feuchte Backsteinmauer und rückten langsam in die finstere Gasse vor. Es war so dunkel hier, dass wir mit dem Schatten des Gebäudes verschmolzen. Ich verursachte überhaupt keine Geräusche, außer ich schüttelte heftig den Kopf – dann klapperten die Perlen, die in mein Haar eingeflochten waren. Iris war beinahe ebenso leise wie ich, und wir schlichen weiter, bis wir tief genug in die Gasse vorgedrungen waren, um zu sehen, was da los war.
Im trüben Lichtschein, der aus einem Apartment in einem der oberen Stockwerke fiel, konnten wir zwei Männer und ein Mädchen sehen, offenbar noch ein Teenager. Einer der Männer hatte der jungen Frau einen Arm um die Taille geschlungen und versuchte, ihr mit der Hand den Mund zuzuhalten. Der andere hatte ihr die Bluse aufgerissen, und blasse junge Brüste schimmerten in der dunklen Nacht. Er befingerte ihre Brustwarzen, und ich erstarrte.
Iris sog scharf den Atem ein. Ich berührte sie am Arm und bedeutete ihr, zu bleiben, wo sie war. Lautlos wie ein Dolch glitt ich durch die Schatten bis auf zwei Meter an sie heran, machte dann einen großen Satz und landete direkt neben dem Mann, der das Mädchen gepackt hielt. Meine Reißzähne fuhren aus, und Adrenalin rauschte durch meinen Körper.
Der Mann war groß und blass und trug einen kurzen Trenchcoat über einer hellbraunen Hose. Er hatte einen PanamaHut auf, dessen Krempe tief über ein Auge gezogen war. Sein Kumpel war in Jeans und einem dicken Pulli unterwegs.
»Habt wohl nicht damit gerechnet, dass ihr hier Gesellschaft bekommen könntet, was, Jungs?«, sagte ich und packte den geschniegelten Hutträger am Mantelkragen. Er ließ das Mädchen los, und ich schubste die Kleine sacht aus dem Weg.
»Was zum Teufel... «, begann er, doch ich hob ihn hoch und knallte ihn mit einer Hand rücklings gegen die Mauer. Sein Kumpel wollte davonlaufen, aber Iris murmelte etwas, und grelles Licht blitzte direkt vor ihm auf.
»Scheiße, ich kann nichts mehr sehen, Mann!«, rief er und taumelte an mir vorbei. Ich stellte den linken Fuß aus, schob die Stiefelspitze um seinen Knöchel und riss das Bein zurück. Ihm zog es die Füße unter dem Körper weg, und er prallte hart aufs Pflaster.
»Was zum... «, begann er, doch dann stürzte sich Iris auf ihn. Ich war nicht ganz sicher, was sie getan hatte, jedenfalls blieb er bewusstlos liegen. Sie eilte zu dem Mädchen hinüber, das sich an die gegenüberliegende Hauswand drückte und seine zerrissene Bluse über den nackten Brüsten festklammerte.
Ich wandte mich meinem Gefangenen zu und schlug ihm den Hut vom Kopf, damit ich sein Gesicht sehen konnte. Er wehrte sich, aber er hatte keine Chance, mir zu entkommen. Ein Ausdruck des Entsetzens breitete sich über sein Gesicht, als er erkannte, dass er machtlos war, fest im Griff gehalten von einer kaum einen Meter sechzig großen Frau mit glühend roten Augen.
»Wie heißt du, Saftsack?«
Er versuchte sich loszureißen, und ich drückte ihn noch fester an die Wand. »Ich habe dich nach deinem Namen gefragt, Junge!«
»Okay, okay! Robert. Ich heiße Robert. Herrgott, was hast du dir denn reingezogen?« Er wand sich, aber ein wenig Druck auf seine Luftröhre ließ ihn erstarren.
»Nur damit du’s kapierst. Meine Angelegenheiten gehen dich überhaupt nichts an. Alles, was jetzt interessiert, ist, was du mit diesem Mädchen gemacht hast. Sag schon, du Freak, was hattet ihr mit ihr vor? Und behaupte jetzt nicht, dass ihr der Kleinen die Stadt zeigen wolltet. Ich habe keinerlei Geduld mit Idioten.« Aus den Augenwinkeln sah ich nach Iris. Sie tröstete das Mädchen.
Er schnappte würgend nach Luft und sagte: »Geht dich nichts an, Miststück.«
»Zehn, neun, acht... « Ich drückte erneut zu, achtete aber darauf, ihm die Luftröhre nicht zu zerquetschen. »Weißt du, es ist ziemlich kalt hier draußen, und ich habe einen üblen Tag hinter mir. Vielleicht solltest du etwas schneller reden.«
»Herrgott, lass los! Lass mich los!« Er schien endlich zu kapieren, dass ich sämtliche Karten in der Hand hielt, denn er sank an der Mauer zusammen. »Okay, okay! Wir wollten sie auf eine Party mitnehmen.«
Der Junge färbte sich allmählich blau. Ich lockerte meinen Griff um seinen Hals ein wenig.
»Sie wollten mich vergewaltigen«, warf das Mädchen schniefend ein. Die Kleine trat aus dem Schatten, und ich konnte sehen, dass sie hautenge Jeans, eine Bluse und eine Lederjacke trug. Die Arme sah müde und durchgefroren aus. »Sie haben gesagt, sie würden mich auf eine Party mitnehmen, wo ich etwas zu essen und einen Platz zum Schlafen kriege, aber stattdessen haben sie mich hierhergebracht... «
»Wo hast du sie getroffen?«, fragte ich sie, dann gab ich Iris einen Wink. »Würdest du den Kerl durchsuchen?«
»Am... am Busbahnhof«, flüsterte das Mädchen. »Ich bin gerade erst hier angekommen. Ich hab nichts, wo ich schlafen kann. Ich wollte mir einen Platz am Bahnhof suchen, wo ich mich verstecken und ein bisschen schlafen kann, als diese Kerle mich gefunden haben. Sie hatten ein Mädchen dabei, und sie haben mich gefragt, ob ich mitkommen will zu einer Party. Sie haben gesagt, da würde ich was zu essen bekommen und einen Platz zum Schlafen. Als wir dann draußen vor dem Bahnhof waren, ist das Mädchen verschwunden, und die da... die haben mich hierhergebracht.«
Eine alte Geschichte, sogar zu Hause in der Anderwelt. Ich zeigte auf eine Stufe vor einem Laden im Erdgeschoss des Whitmore Buildings und sagte: »Setz dich einen Moment hierhin. Jetzt kann dir nichts mehr passieren.«
Iris hatte Robert abgetastet und hielt einen hässlich aussehenden Revolver hoch. Ich wusste, dass Eisen ihr nichts ausmachte, aber mir würde es die Hände verbrennen. Nicht alle Feen hatten ein Problem mit diesem Metall, aber einige von uns – sogar ein Halbblut wie ich – konnten das Zeug nicht ertragen, vor allem Gusseisen. Ich ließ los und sah zu, wie Robert zu Boden sackte.
»Rühr dich nicht von der Stelle, oder du bist tot«, sagte ich und nahm Iris die Waffe ab. Meine Hand versprühte Funken, als ich das Metall berührte, aber die Tatsache, dass ich ein Vampir war, kam mir in diesem Fall zu Hilfe. Ich konnte den Schmerz nicht spüren, als das Eisen meine Haut verbrannte. Und seit meiner Verwandlung heilten die meisten Wunden binnen Minuten, höchstens Stunden. Ein Jammer, dass die Wunden, die Dredge mir zugefügt hatte, nicht verheilt waren, bevor ich gestorben war, aber er hatte mich zu bald danach getötet.
Ich richtete den Revolver auf Robert und sagte: »Hübsch, hm? Du spielst gern mit Waffen herum, was?«
Seine Augen weiteten sich, und ich lächelte ihm entspannt zu. O ja, das hier könnte ein richtig lustiges Spielchen werden. Er krabbelte von mir weg, den Rücken an die Mauer gedrückt. »Nicht schießen, bitte tu mir nichts! Es tut mir ja leid. Lass uns einfach gehen, und –«
»Halt’s Maul und bleib still sitzen.« Ich klappte die Trommel heraus und ließ die Kugeln in meine Hand fallen. Dann schloss ich die andere Hand um den langen Lauf der Waffe und hielt sie hoch, so dass Robert sie schön deutlich sehen konnte. Langsam bog ich den Lauf zu einem U. »So, schon viel besser. Jetzt kann dieses Ding wieder tun, was Eisen am besten tut – rosten.«
Robert schlotterte, als ich ihm die Kugeln hinhielt und sie dann in einer Hand zu Schlacke zerquetschte. Ich warf sie in den Gully, neben dem er kauerte. Die Waffe folgte nach, indem ich zwei Stege des Rosts weit genug auseinanderbog, um die Waffe hindurchzuschieben. Dann bog ich sie wieder gerade.
Ich beugte mich über ihn. »Du solltest nicht mit Sachen spielen, die Bumm machen«, sagte ich und strich ihm mit einem Finger über die Wange, wobei ich mit dem Fingernagel ganz leicht seine Haut aufritzte. »Du könntest jemanden verletzen. Du könntest damit sogar jemanden töten.«
Das Grauen in seinen Augen passte zum Geruch von Angst, den seine Haut verströmte, und ich schnappte unwillkürlich nach Luft, als eine Woge von Begehren durch meinen Körper raste.
»Sag schon, Robert, was hattet ihr mit der Kleinen vor? Was für eine Party wolltet ihr genau mit ihr feiern?« Als ich seinen hämmernden Herzschlag spürte, erwachte der Hunger in mir. Wie eine Schlange hob er den Kopf aus dem tiefen, dunklen Grund der Blutlust, die ein Teil von mir war, seit Dredge sein Handgelenk auf meinen Mund gepresst und ich meinen letzten Atemzug getan hatte.
Ich zerrte Robert auf die Füße und schleuderte ihn gegen die Wand. »Und denk nicht mal daran, mich zu belügen. Ich würde es merken. Wenn dir ein einziges falsches Wort über die Lippen kommt, heißt es gute Nacht, Freundchen.« Na gut, das war ein bisschen übertrieben – ich war eigentlich gar kein magischer Lügendetektor –, aber das konnte er ja nicht wissen. Er war jetzt schon so nervös, dass er sich fast in die Hose pisste. Seine Pheromone hüpften wie Popcorn im Topf.
Er räusperte sich. »Also gut, also gut! Du weißt doch, was wir mit ihr machen wollten –«
»Nein. Ich will, dass du es sagst. Ich will, dass du es zugibst.«
»Na gut, Miststück«, fauchte er. »Du willst es wissen? Willst du vielleicht zuschauen? Wir wollten ihr das Gehirn rausficken und sie dann anschaffen lassen.«
»Du bist ein mieser kleiner Zuhälter, nicht?« Ich hatte nichts gegen Nutten, aber Zuhälter hasste ich inbrünstig. Die waren nichts weiter als Ausbeuter. »Ihr wolltet sie also vergewaltigen und sie dann auf der Straße verkaufen. Und damit wäre für sie jede Hoffnung begraben gewesen, ein normales Leben zu führen.«
»Er ist außerdem ein Drogendealer«, bemerkte Iris und hielt ein Tütchen voll Tabletten hoch, die halb schwarz und halb weiß gefärbt waren. »Z-fen. Die neueste Droge in der Stadt. Beliebt bei Ravern, Date-Rape-Gurus und Sexsüchtigen. Wirkt stark enthemmend und verursacht Gedächtnislücken. Viel gefährlicher als Ecstasy. Macht stark abhängig, und die Wahrscheinlichkeit von Überdosen ist enorm.«
Ich verengte die Augen. »Warum um alles in der Welt weißt du so viel darüber?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Kam vor einer Weile in einer dieser Talkshows, die mitten in der Nacht laufen. Offenbar kann man das Zeug einfach kauen, es schmeckt nach Pfefferminz. Macht es den Dealern noch leichter, Jugendliche in die Sucht zu treiben.«
Ich stieß ein heiseres Lachen aus. »Robert, Robert... Was soll ich nur mit dir und deinem Freund hier anstellen? Ich wette, ihr habt eine Masche daraus gemacht, Teenagern, die von zu Hause weggelaufen sind, euren Schutz anzubieten, oder? Ihr bringt eure Opfer dazu, euch zu einer eurer Partys zu begleiten, setzt sie unter Drogen und überlasst sie dann euren Kumpels als Spielzeug.«
Sein Blick sagte mir alles, was ich wissen musste.
»Die Kinder wehren sich nicht, weil sie high sind«, fuhr ich fort. »Dann braucht ihr sie nur noch auf den Strich zu schicken, euch zurückzulehnen, ihnen das Geld abzunehmen und ihnen genug Drogen zu liefern, damit sie süchtig bleiben. Sie arbeiten hübsch weiter. Wenn sie versuchen, euch wegzulaufen, verprügelt ihr sie. Und wenn ihr scharf seid, benutzt ihr sie.« Ich hatte seinesgleichen schon allzu oft gesehen, wenn ich nachts auf der Suche nach einer Mahlzeit durch die Straßen streifte. Die schmierige Rückseite einer schönen Stadt.
Er kniff die Augen zu, und sein Adamsapfel hüpfte, als er gegen seine Angst anschluckte. »Was machst du jetzt mit mir? Bist du ’n Cop?«
Ich warf Iris einen Blick zu, die frierend und mit verschränkten Armen an der Hauswand lehnte. Sie zuckte mit den Schultern. »Was immer du willst«, sagte sie. »Wir müssen bald nach Hause, aber... «
Als ich mich wieder Robert zuwandte, überlegte ich, was ich mit ihm anstellen sollte. Ich vermutete, dass er mit diesem Revolver schon eine Menge mehr getan hatte, als Leute bloß zu bedrohen. »Wie viele Kids hast du auf der Straße laufen? Wie viele Leute hast du schon erschossen?«
Robert wurde kalkweiß. »Herrgott, nimm mich doch einfach fest oder so.«
Plötzlich hatte ich von all dem Schmutz und Elend nur noch die Nase voll. Ich stieß ihn wieder an die Hauswand. »Na los, wie viele Kinder gehen für dich anschaffen?«
Er rieb sich die Kehle und sackte zusammen wie ein angestochener Luftballon. »Vier Jungen und fünfzehn Mädels. Was willst du sonst noch wissen? Und wenn du kein Cop bist, was zum Teufel machst du dann hier? Die Superheldin spielen?«
Sein selbstgerechter Tonfall ging mir auf die Nerven. Ich gab Iris einen Wink. »Gib mir die Pillen, dann bring das Mädchen vor zur Straße. Wartet dort auf mich.« Als die beiden weg waren, wandte ich mich wieder meinem neuen Kumpel zu. »Superheldin? Ich sehe mich lieber als Werkzeug der Gerechtigkeit«, sagte ich und öffnete das Tütchen.
Sein Blick schoss nervös zum Ausgang der Gasse, doch ich hielt den Zeigefinger hoch. »Sieh mich an«, sagte ich und ließ den Glamour hervorblitzen, den ich normalerweise bedeckt hielt. Mit meinem Anteil Feenblut und der speziellen Anziehungskraft der Vampire konnte ich so gut wie jeden in meinen Bann ziehen. Und sie gehorchten mir immer, ob sie wollten oder nicht. Auch Robert konnte nicht widerstehen, gab den Kampf auf und sah mir in die Augen.
»Psst«, flüsterte ich, und er verstummte. Während ich nach irgendwelchen Anzeichen von Reue suchte, flackerte seine Energie spürbar um ihn auf. Wie Ranken einer widerlichen, kranken Pflanze krochen sie aus seinem Körper hervor und suchten nach Frischfleisch.
»Weißt du«, sagte ich leise, »ich bin ein Vampir.« Ich öffnete den Mund, um ihm meine Reißzähne zu zeigen, und er versuchte zurückzuweichen, doch mein Bann erlaubte ihm nicht, sich zu rühren. »Und die Sache ist die«, fuhr ich fort, »du bist auch ein Vampir. Du ernährst dich nicht von Blut, und trotzdem saugst du Jungen und Mädchen das Leben aus und lebst von ihren Körpern, indem du sie an andere verkaufst. Ist es nicht so?«
Er nickte – braver Junge.
»Ja, so ist es recht, es ist immer besser, die Wahrheit zu sagen. Aber, weißt du, es gibt da einen bedeutenden Unterschied zwischen uns. Im Gegensatz zu mir bist du ganz leicht zu töten.«
Robert begann zu zittern und erschauerte dann, als die Lust dick zwischen uns aufstieg, aber ich wollte nicht, dass er das hier genoss. Ich konnte diese Erfahrung für mein Opfer unglaublich sinnlich und genussvoll machen oder außerordentlich schmerzhaft. Für Robert würde es keinen süßen Kuss des Todes geben.
Ich war nicht durstig, aber der hier hatte zum letzten Mal die Straßen unsicher gemacht. Er sollte erfahren, was Angst war, wie es sich anfühlte, ein Opfer zu sein, ehe ich ihn mit einem Tritt aus dem Kreislauf des Lebens beförderte. Wenn ich ihn der Polizei überließe, würde er in null Komma nichts wieder frei sein, weil niemand aus seinem Stall wagen würde, gegen ihn auszusagen. Robert versuchte zu kämpfen, aber ich drückte ihn wieder an die Wand.
»Halt still«, flüsterte ich, und er erstarrte. Ein Schweißtropfen löste sich von seiner Braue und landete auf meiner Stirn, doch ich ignorierte es und drückte die Lippen an seinen Hals. Langsam leckte ich an seiner Haut. Er erschauerte, und ich konnte seine Erektion an mir spüren, doch dann verflog seine Erregung, als ich die Zähne in seinen Hals grub und das hervorschießende Blut zu trinken begann.
Wie flüssiges Feuer rann es meine Kehle hinab. Süßer Honigwein, dachte ich, und mir schwirrte der Kopf, während ich gierig trank, um meine strapazierten Nerven zu beruhigen. Eine Woge der Entspannung und des Begehrens rollte durch meinen Körper. Ich hatte es nach dem Trinken immer schwer – ich wollte ficken, und zwar hart, aber ehe ich es mit einem der Perversen trieb, von denen ich mich nährte, würde es in der Hölle schneien. Außerdem weigerte ich mich, über meine Freunde herzufallen und sie zu benutzen, um meine Triebe zu befriedigen. Und da wär immer die Erinnerung an Dredges Hände, die mich zurückhielt, die dafür sorgte, dass ich vor intimen Berührungen zurückscheute.
Dies war es, worauf die VBM-Möchtegern-Vampire scharf waren – dieses sinnliche Einswerden. Aber die meisten von ihnen kamen nicht damit klar, sie waren nicht stark genug, dem Wahnsinn zu widerstehen, der einen überkam, wenn man sich der Blutlust hingab. Also hielt ich mich fest im Griff und wartete auf den Tag, wenn ich einen Partner finden würde, der meiner Leidenschaft und Kraft gewachsen war und bei dem ich mich sicher fühlen konnte.
Robert wurde immer schwächer. Ich leckte noch einmal an seinem Hals und trat dann zurück. Ich hielt ihm das Tütchen voll Pillen hin.
»Iss«, sagte ich. Er wimmerte, aber ich warf ihm einen glühenden Blick zu. »Wenn du nicht isst, werde ich dich um einen schnellen Tod betteln lassen«, sagte ich. »Möchtest du wirklich auf dem Bauch kriechen und kreischen, bis es so weit ist?«
Wortlos begann er, die Pillen einzuwerfen. Ich wartete ab, bis er etwa dreißig davon geschluckt hatte, und wandte mich dann seinem Kumpel zu. Ich riss den Kerl vom Boden hoch und stopfte ihm eine Handvoll Pillen in den Mund. Er war kaum bei Bewusstsein, begann aber zu kauen, als ich ihm den Mund zupresste und er merkte, dass er das Zeug nicht ausspucken konnte. So machte ich weiter, bis alle Pillen weg waren.
Meine Arbeit war getan, und ich trat zurück. Robert rang mit dem Tod, eine Hand um die Kehle gekrallt. Seinem Freund ging es nicht viel besser. Zwei weitere Irre erledigt. Ich wischte mir den Mund ab und nahm mir einen Augenblick Zeit, um mich zu beruhigen. Als meine Reißzähne sich in den Kiefer zurückgezogen hatten, ging ich auf die Straße zu Iris und dem Mädchen, die um die Ecke auf mich warteten.
»Du brauchst keine Angst zu haben. Die werden dir nie wieder etwas tun«, sagte ich. »Wie wäre es jetzt mit einem Namen?«
Sie blinzelte und sah mich verblüfft an. »Anna-Linda. AnnaLinda Thomas. Ich bin aus Oregon.«
Die Kleine glaubte vermutlich, das Leben hier oben wäre besser. Ich versuchte ihr Alter abzuschätzen. Sie sah aus wie sechzehn, war aber vermutlich eher zwölf. »Wie alt bist du? Und sag die Wahrheit.«
Sie zog den Kopf ein und starrte auf ihre Turnschuhe hinab. »Dreizehn.«
Iris mischte sich ein. »Wie wäre es, wenn wir sie für heute Nacht mit zu uns nehmen? Dann kann sie ordentlich essen und sich ausschlafen, und morgen kümmern wir uns um alles Weitere.«
Ich sah dem Mädchen ins Gesicht. Keine Verschlagenheit, nur pure, dumme Naivität. »Komm mit«, sagte ich. »Bei uns bist du sicher. Darauf gebe ich dir mein Ehrenwort.«
Iris’ Anwesenheit schien sie zu beruhigen, und sie folgte uns brav. Iris flüsterte so leise, dass ich sie hören konnte, das Mädchen aber nicht: »Alles okay?«
Ich nickte.
»Robert und sein Freund?«
»Im ewigen Schlaf«, sagte ich und ging auf das Parkhaus zu.
Iris holte zu mir auf und ließ Anna-Linda ein paar Schritte hinter uns zurück. »Sag mir nur eins.«
»Und das wäre?«
Wir blieben an der Ampel stehen und warteten auf Grün. Als wir die Straße überquert hatten und das Parkhaus schon in Sicht war, sagte Iris leise: »Camille hat einmal erwähnt, dass sie sich Sorgen macht, wenn du Dämonenblut trinkst. Dass es dich irgendwie verändern oder dir schaden könnte. Was ist mit dem Blut von Mördern, Vergewaltigern, prügelnden Ehemännern? Schmeckt es anders, oder hat es irgendwelche unangenehmen Wirkungen auf dich?«
Ich runzelte die Stirn. Wenn sie so davon sprach, verstand ich, wie Camille auf die Idee kam. »Wegen dem Dämonenblut mache ich mir selbst Sorgen. Sie sind eine ganz eigene Art von Wesen, genetisch völlig anders als wir. Ich habe keine Ahnung, was schon mit mir geschehen sein könnte, weil ich Dämonenblut getrunken habe. Aber bei Menschen? Blut ist Blut. Wenn sie körperliche Krankheiten haben, macht mir das nichts aus. Viren können in mir nicht überleben. Was alles andere angeht... Na ja, es ist ihre Seele, die verdorben ist, nicht das Blut. Blut ist rein. Es singt, aber nicht von ihren Sünden.«
Iris nickte, und wir betraten das Parkhaus. Kaum hatten wir Anna-Linda auf den Rücksitz meines schicken schwarzen Jaguar XJ gesetzt, da lehnte sie schon den Kopf ans Seitenfenster. Keine Minute später war sie eingeschlafen.
Ich glitt hinters Lenkrad.
Iris warf mir einen Seitenblick zu. »Danke.«
»Wofür?« Ich ließ den Motor an, fuhr vorsichtig hinaus auf die Straße und dann in Richtung Norden – unser Haus lag in der nordwestlichsten Ecke von Belles-Faire. Bis nach Hause würden wir etwa zwanzig Minuten brauchen.
»Dafür, dass du du bist. Dass dir so etwas nicht egal ist. Dass du etwas unternimmst.« Sie grinste und warf dann lachend den Kopf zurück.
»Ich danke dir«, sagte ich, und auf einmal war mir ganz leicht ums Herz. Manchmal verstand Iris mich besser, als meine Schwestern es taten. »Du bist auch nicht zu verachten, wenn’s drauf ankommt, weißt du das?«
»Allerdings weiß ich das.« Sie kicherte, und wir wechselten das Thema. Ich legte eine CD mit Holsts Die Planeten ein.
Als wir uns der Abzweigung zu unserem Haus näherten, fragte ich mich, was Delilah und Camille wohl zu Anna-Linda sagen würden. Und Anna-Linda über sie. Das konnte interessant werden.