Fragen verboten

 

In Dresden bestraft ein westdeutscher Richter zwei Journalisten. Sie haben zu freche Fragen über westdeutsche Richter gestellt. Mangelnde Pressefreiheit? Besatzungsrecht? Nein, nur Sachsen. Ein Prozess.

 

Der Journalisten-Verband fürchtete ein »Exempel«. In letzter Minute forderte sogar die weltweit agierende Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen Freispruch. Und ich naives Zonenkind dachte immer, üble Nachrede gehöre zu unserem Beruf. Aber Fragen stellen? Als Journalist? Vorsichtshalber nehme ich auch diese beiden Fragezeichen gleich wieder zurück.

Falsche Fragen sind gefährlich. Das hätten gerade die zwei Leipziger Kollegen wissen müssen, nachdem sie schon unter einem Gesinnungsregime aufwuchsen. Was wäre wohl passiert, wenn sie die gleichen Fragen in der DDR gestellt hätten, für die sie jetzt vom Amtsgericht Dresden verurteilt wurden: »Gerieten sie unter Druck«, hieß es in einem ihrer Artikel über Polizisten, »weil der einflussreiche Richter Dienstaufsichtsbeschwerde gegen sie erhob?« Jede beliebige Junta in Afrika oder Lateinamerika hätte sich das auch nicht gefallen lassen. So gesehen kamen die Reporter mit je 2500 Euro Geldstrafe auch für sächsische Verhältnisse geradezu billig davon.

Immerhin, so die Anklage, sollen die Schmierfinken zwei ehrenwerte Richter verleumdet haben, die in den frühen neunziger Jahren weder Strapazen noch Beförderungen scheuten, um die Gerechtigkeit in den Osten zu bringen. Sie haben in ihren Artikeln außerdem unverblümt die Arbeit westdeutscher Staatsanwälte kritisiert, was hierzulande automatisch eine Anklage nach sich zieht. Und ich dachte erst … Aber das behalte ich lieber für mich. Schließlich waren in Dresden ursprünglich sogar Haftstrafen gefordert.

Na gut, sie kriegen es ja doch raus und ich kann nach diesem Geständnis vielleicht mildernde Umstände erwarten: Ich ging also – aber auch wirklich nur, weil die Verhandlung zufällig am ersten 1. April begann – zunächst von einem Scherz aus. Als sich der Schauprozess auf massenmördertaugliche dreizehn Tage aufblähte, leuchtete selbst mir ein: Sie nehmen das ernst. Dabei dachte ich immer – und darf bei der Gelegenheit auch gleich dieses üble Vorurteil korrigieren –, an ostdeutschen Gerichten herrsche schon deshalb ein gewisser Schlendrian, weil ab Donnerstagmittag schon alle zu Hause in Westdeutschland sind. Doch ausgerechnet an einem Freitag fiel das Urteil, an einem Freitag, dem 13. zudem. Dass es auch noch der 13. August war, möchte ich vorsichtshalber auch nicht überbewerten. Besser nicht.

Dabei war es die übliche Konstellation für ein ostdeutsches Gericht: Richter, Oberstaatsanwalt, Nebenkläger und Nebenklagevertreter – alles westdeutsche Top-Juristen, die vor 20 Jahren die hiesige Rechtspflege übernahmen: Allein der zweite Staatsanwalt verschleierte seine Herkunft so souverän, dass man selbst bei übelster Nachrede nicht sagen könnte, ob ihn von klein auf anerzogene Servilität oder assimilierter Ehrgeiz antrieb. Es kann aber auch die Fuchtel seines Oberstaatsanwalts gewesen sein, der in Sachsen schon einmal durch illegale Journalisten-Schnüffelei aufgefallen ist. Und ich dachte immer, wenigstens für solche Ausrutscher würde man zurück in den Westen versetzt. Vermutlich ist eine Beförderung im Osten Strafe genug.

In den unbotmäßigen Artikeln ging es einmal mehr um Erkenntnisse sächsischer Verfassungsschützer, die seit 2007 den Freistaat erschüttern und – auch das sicher nur Zufall – vor allem westdeutsche Aufbauhelfer aus Justiz und Verwaltung in Verruf brachten: um gemauschelte Immobilien, ein Kinder-Bordell – den fälschlich trotzdem so genannten Sachsensumpf. Ein aufgeregter Innenminister – woher wohl? – hatte schon 2007 eindringlich gewarnt, »die organisierte Kriminalität« werde mit »den für sie typischen Mitteln zurückschlagen«. Und ich dachte immer, damit wären vielleicht abgeschnittene Finger oder Ähnliches gemeint. Aber Strafverfahren?

Man bräuchte zu viele strafbare Fragezeichen, um alle Protagonisten der Affäre noch einmal aufzulisten. Jedenfalls hatten Richter, Staatsanwälte und Politiker, nachdem in den nicht mehr ganz geheimen Dossiers vor allem Richter, Staatsanwälte und Politiker namentlich verdächtigt wurden, schnell die Unschuld von Richtern, Staatsanwälten und Politikern festgestellt: Alles kalter Kaffee, so der offizielle Abschlussbericht, übereifrige Verfassungsschützer und – wenn überhaupt – ohnehin verjährt. Nur ein paar renitente Journalisten wollten sich damit nicht abfinden und wurden ersatzweise selbst zu Verdächtigen. In einem von insgesamt 21 Ermittlungsverfahren ging es sogar um die »Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole«. Und ich dachte immer – davon abgesehen, dass die meisten nur aus Akten einer staatlichen Behörde zitiert hatten –, so etwas Pittoreskes wie Majestätsbeleidigung gebe es nicht mehr, seit Kaisers nach Holland und Honeckers nach Chile flohen. Meine Dummheit, meine Schuld!

Besonders dreist aber trieben es diese zwei Reporter. Sie stöberten nicht nur die Frauen auf, die in einem Leipziger Bordell wie Sklavinnen gehalten wurden, sondern fragten sich und ihre Leser auch noch, warum nie etwas über die Freier der damals noch minderjährigen Mädchen ans Licht kam. Immer wieder hatten sie in Vernehmungen beteuert, bei ihnen hätten auch »hochrangige Juristen« verkehrt und einige auf Fotos identifiziert. Die hochrangigen Staatsanwälte hielten das jedoch für unglaubwürdig, weil die Frauen nach 15 Jahren nicht mehr sagen konnten, ob bestimmte Freier vier oder fünfmal da waren und was genau an welchem Abend getrunken wurde. Im Verfahren gegen die Journalisten war nur noch von »ehemaligen Prostituierten« die Rede, als wäre es für die Mädchen eine Art Ferienjob gewesen. Ein Satz nur von ihnen, zum Beispiel: Von unseren Freiern sitzt niemand hier im Saal – und der Fall wäre klar gewesen. Doch umsichtig, wie man in Sachsen ist, hatte man vorab auch die wichtigsten Zeuginnen der Affäre wegen Verleumdung angeklagt. Auf Rat ihrer Anwälte schwiegen sie deshalb, solange für die Wiederholung ihrer Aussagen selbst Strafe droht. Und ich dachte immer, wenigstens vor Gericht könne, ja, müsse man die Wahrheit sagen. Aber unter Besatzungsrecht – das wusste ich nicht – nur im Sinne der Anklage.

Der Prozess gegen die Frauen verzögerte sich leider. Angeblich fühlte sich der zuständige Richter befangen, weil sein Gerichtspräsident in den Verfassungsschutz-Akten ebenfalls übel belastet wird. So konnte man erst mal die frechen Journalisten ohne störende Zeugen zum Schweigen verurteilen. Das war schon schwer genug: Selbst die Polizisten, auf die sich der anstößige Fragesatz bezog, hatten sich nämlich geweigert, die Reporter wegen übler Nachrede anzuzeigen. Schließlich erledigte das ein westdeutscher Vorgesetzter für sie. Reine Fürsorge, nachdem dieselben Fahnder schon vor Jahren nicht mal mit Disziplinarverfahren zu bremsen waren, als sie sich in die organisierte Vereinigungskriminalität bei der Umwandlung von volkseigenen Grundstücken in westdeutsches Privateigentum verbissen hatten. Sicherheitshalber drohte man auch ihnen noch weitere Verfahren an. Aber Druck von oben? Unvorstellbar in Sachsen, wo schon die Frage danach strafbar ist.

Missbrauchte Mädchen, missbrauchte Polizisten – alles Einheimische wie die verurteilten Reporter. Wer wittert da keine Verschwörung? Wieso dürfen aufsässige Ostdeutsche überhaupt Rechtsmittel einlegen, wie es die Journalisten ankündigten? Das sind die Fragen, die man selbst in Sachsen ungestraft stellen darf. Ein Untersuchungsausschuss soll nun die Hintergründe ermitteln, warum bisher so wenige Hintergründe ermittelt wurden oder – wie es der grüne Landtagsabgeordnete Johannes Lichdi nennt – das »Drehbuch der Scheinaufklärung zur Vertuschung«. Der hat leicht reden. Als Jurist, immun zudem und selbst von drüben. Ich dagegen will es mal vorsichtig so sagen: Wenn mir noch mal einer mit seinem Latein von der Gewaltenteilung kommt, mit Judikative, Exekutive und Legislative, vielleicht sogar noch mit der Presse als vierter Gewalt, dann kann ich nur sagen und hoffen, dass ich das Wort jetzt richtig nachgeschlagen habe: Tace, Wessi! Tace!

Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land
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