Sex im Dunkeln

 

Kein Spaß im Bett, Stutenbisse im Job – West-Frauen bieten reichlich Stoff für West-Frauen-Zeitschriften. Wer sein Glück mit einer Ost-Frau teilt, lässt die Finger besser ganz von diesem Thema. So wie ich. Eine Liebeserklärung.

 

Schreib doch mal was Fieses über West-Frauen, wünscht sich mein zweitbester Freund Ludger, der sie kennt. Und weil in der Flut aus Fan- und Hassmails oft ähnliche Hinweise auf sexuelle, ethnische – ja, nicht zuletzt bizarre physiologische Unterschiede geschildert werden, habe ich sogar mal kurz darüber nachgedacht. Trotzdem möchte ich es lieber lassen.

Es ist nämlich so, dass ich aus guten Gründen keine eigenen Erfahrungen mit West-Frauen habe. Und keine heißt wirklich keine, weder Affäre noch Flirt, sie haben mich nie interessiert. Ich kann also nicht mal beurteilen, ob sie tatsächlich so viel nervender, berechnender und verklemmter sind, wie das immer behauptet wird. Dass sie, wenn überhaupt, nur im Dunkeln Sex haben. Dass es ihnen nicht so auf Äußerlichkeiten und Altersunterschiede ankommt, wenn es um den richtigen Ernährer oder irgendeinen läppischen Status geht. Dass sie sich untereinander jeden Job, jedes Gramm Untergewicht und jeden Blickkontakt mit einem echten Mann aus dem Osten neiden. Das alles würde ich gern als Halbwahrheiten abtun, wenn ich wenigstens einmal das Gegenteil erlebt hätte, aber wie gesagt …

Letztlich kann ich nur Schlüsse daraus ziehen, wie sich West-Männer hierzulande aufführen und allein damit alle Klischees über ihre eigenen Frauen bestätigen. Wie sie gleich nach der Okkupation ausschwärmten und bis heute schwärmen: Von der angeblich so unkomplizierten Art der Zonen-Frau, mit der man nicht erst lange über Sinn und Zweck der Fortpflanzung diskutieren müsse, ohne Einverständniserklärung der jeweiligen Kirche – oder wie Ludger bei seinen naturgemäß immer wieder scheiternden Versuchen staunt: Ohne auch nur einen Zweifel aufkommen zu lassen, was sie selber wollen, und das nicht nur im Bett. Echtes Selbstbewusstsein, weder aufgesetzt noch feministisch hysterisiert, scheinen West-Männer von Haus aus nicht zu kennen. Es irritiert sie und macht sie gleichzeitig an. Auf Dienstreise in Leipzig können sie deshalb ihren Speichel kaum kontrollieren und wärmen gern die alten Messe-Legenden auf, nach denen man hier bei den schönsten Frauen für ein paar Strumpfhosen alles bekäme. Sogar das, wonach sie zu Hause nach etlichen kostspieligen wie sinnlosen Schönheits-OPs nicht mal zu fragen wagen.

Vor besonders unkomplizierten Leipzigerinnen habe ich westdeutsche Gastarbeiter Anfang der neunziger Jahre oft gewarnt. Sie wollten das nie hören. Es passte nicht in ihr Bild von dieser glückseligen Insel ohne Aids und Vermögensausgleich, wo alle immer nur nackt badeten und aus Mangel an Freizeitangeboten nichts mit sich anzufangen wussten, als es ständig und zügellos miteinander zu treiben. Dass diese Berichte vom Alltag der Eingeborenen auch nur der Fantasie ausgehungerter West-Reporter entsprungen waren, merkten viele erst, wenn am Morgen danach der Bodybuilder-Freund des Mädchens auftauchte und ein paar hundert Mark »Entschädigung« verlangte. Natürlich zahlten sie brav und so kam anfangs doch noch ein Teil der so genannten Buschzulagen im Osten an, bis sie ihre West-Frauen schweren Herzens nachholten oder wieder heimkehrten, was – das immerhin ist keine Vermutung – für alle Beteiligten das Beste war.

Seltsamerweise gab und gibt es trotzdem immer wieder Fälle, in denen eine deutsch-deutsche Beziehung auch mal fünf Jahre oder länger hält, meist jedoch nur zwischen West-Frau und Ost-Mann, falls Sie das in Ihrem Bekanntenkreis mal empirisch überprüfen wollen. Die Frage ist nur, ob dafür die West-Frauen etwas können, oder ob es eher am Langmut der Ost-Männer liegt, ihrem Stehvermögen gewissermaßen?

Dass West-Mann und Ost-Frau dagegen auf lange Sicht nicht kompatibel sind, kann man nur zum Teil auf sein retardiertes Rollenverständnis oder ihre Ansprüche an eine gewisse Befriedigung im Bett schieben. Selbst wenn sich ein Düsseldorfer bis zur Würdelosigkeit verrenkt, kriegt er den Spagat nicht hin, den eine Frau aus Cottbus erwartet: Nimmt er Erziehungsurlaub und läuft mit einem Babytragetuch rum, kann sie ihn nicht mehr ernst nehmen. Bildet er sich ein, sein wichtiger Beruf lässt mehr Zeit für Familie nicht zu, ist er schneller ein Wochenendpapa, als er seine Börse zücken kann, mit der er sich gewöhnlich davon freikauft. Ost-Frauen kennen keine Trennungsängste. Die Scheidung sitzt immer mit am Küchentisch. Oft sind sie selbst mit alleinerziehenden Müttern groß geworden und finden nichts dabei. Ein falsches Wort, eine überhebliche Geste, ein gedankenloses Geschenk – weg sind sie. Ich persönlich brauche nur mal über die dreckige Küche zu stöhnen, ganz leise, eher für mich, schon höre ich noch dreckigere Schimpfworte: Du Wessi, zum Beispiel, mach’s doch selber!

Meist machen wir es dann zusammen, die Küche. Und damit bin ich auch schon beim besten aller Gründe, warum mir unterforderte Herdheimchen mit heimlichem Karrierefrust oder überforderte Karriere-Mütter mit heimlicher Herdsehnsucht unheimlich sind: bei meiner Frau. Sie nimmt mir weder dieses »besitzergreifende Possessiv-Pronomen« übel – wie mich eine sonst ganz hübsche West-Kollegin mal belehrte, nachdem ich zu ihrer Abschreckung schnell von »meiner« Frau erzählt hatte –, noch verwechselt sie Emanzipation damit, immer alles haben zu müssen. Sie hat es einfach: Zwei Kinder, mal einen Job, mal keine Lust und – nach ein paar ernüchternden Erfahrungen in den Wendewirren – natürlich einen echten Ost-Hecht als Mann.

Wahrscheinlich würde sie es nicht mögen, wenn ich an dieser Stelle mehr verrate. Vielleicht sollte man westdeutsche Leserinnen und Leser auch gar nicht noch zusätzlich mit den sexuellen Raffinessen einschüchtern, die wir seit Jahren teilen. Nur so viel: Über die wesentlichen Dinge in Bett, Familie oder dem Umgang mit Euch sind wir uns auch deshalb einig, weil wir beide in einem Land aufwuchsen, in dem Geld und Geltung keine große Rolle spielten. Es erlaubte nicht viel, aber wenigstens unabhängige Liebe.

Wenn es bei uns mal Streit gibt, dann höchstens darum, wer als Kind mehr aus dem Westen hatte. Während meine Familie aus verschiedenen Quellen mit Jeans, Kaffee und Schokolade ganz gut versorgt war – ein entfernter Bekannter schickte sogar Zucker! –, musste meine Frau die Cordhosen ihrer Cousins aufragen. Trotzdem liegt sie mit den Fliesen für das Bad ihrer Familie in der Gesamtwertung ziemlich weit vorn. In kleinen Portionen schleppte sie die mit ihrer Schwester von der Paketbox nach Hause. Quadratmeter für Quadratmeter. Bruchsicher zwischen Puddingpulver verpackt: Geschenksendung, keine Handelsware. Fliesenkleber – anders als Zucker echte Bückware – natürlich auch. Wahrscheinlich hat sie von ihrer alleinerziehenden Mutter damals auch gleich das Verlegen gelernt, denn handwerklich kann ich ihr sowieso nichts vormachen, vom Einparken gar nicht zu reden. Das Schönste aber ist: Ich kann das alles ohne Erektionsprobleme zugeben, während sie kein Problem damit hat, mir belegte Brote, Wundpflaster und immer einen Apfel einzupacken, wenn ich am Wochenende mit meinen Hooliganfreunden westdeutsche Drittliga-Städte verwüste. Es ist diese souveräne Mischung aus Stolz und gütigem Männerverständnis, diese Größe, einfach alles … Aber wer weiß: Durchaus möglich, dass es das drüben auch vereinzelt gibt. Nach über 2 Millionen Republikflüchtigen seit 1989.

Wie nun mehrfach betont, kann ich einfach nichts Schlechtes über West-Frauen sagen, nicht mal etwas Vorteilhaftes. Es war auch nicht mein Anliegen, alten Vorurteilen keine neue Nahrung zu geben. Eigentlich wollte ich an dieser Stelle nur mal öffentlich sagen, wie sehr ich meine große Liebe liebe, denn heute sind wir genau zehn Jahre verheiratet. Glückwünsche gerne, von mir aus auch Neid – ansonsten wie immer: Schnauze!

Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land
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