Sex und Tod

Auch wenn es sich vielleicht so anhört, hierbei geht es durchaus nicht um grausame oder makabre Sexbräuche

 

Daß der Sex mit dem Tod zusammenhängen soll, mag zunächst erstaunen. Doch analysiert man die Sache, so wird klar, daß der Zusammenhang geradezu symptomatisch für die Spezies Mensch ist. Beim Verlust eines nahen Menschen hat er das unterbewußte Bedürfnis nach einem Ausgleich dieses Verlustes. Der Mensch, der die Zusammenhänge zwischen Tod und Zeugung begreift, weiß, was zu tun ist, um den Verlust eines Toten durch den Gewinn eines Neugeborenen auszugleichen. Sex ist somit nichts weiter als ein arterhaltender Ausgleich.

Neben diesem sozialen Drang nach Arterhalt gibt es auch einen rein egoistischen. In Zuständen der Trauer und im Angesicht des Todes möchte der Mensch sich selber beweisen, daß er noch lebt. Sex ist dazu das beste Mittel. Während aber in westlichen Gesellschaften nach wie vor die Vermengung von Sex und Tod als Tabu gilt, sind uns die Südseebewohner einen Schritt voraus. Nach Beerdigungen ist der Beischlaf auf den Marquesas die natürlichste Konsequenz. Beim Ableben eines Häuptlings oder Priesters gehört Gruppensex sogar zum offiziellen Teil der Trauerzeremonie.

Auch die Entscheidung einer Gesellschaft zur Polygamie oder zur Monogamie hat etwas mit dem Tod zu tun. Die meisten Gesellschaften sind heute monogam. Selbst dort, wo einen etwa gleichhohen Proporz zwischen Männern und Frauen die Polygamie erlaubt ist, wie zum Beispiel in der moslemischen Welt, wird sie selten praktiziert. Obwohl die Monogamie einen entscheidenden Nachteil gegenüber der Polygamie aufweist. Denn der Tod eines Partners in einer monogamen Ehe zieht enorme Konsequenzen nach sich; zumindest weit gravierendere als in polygamen Ehen.

Doch nicht westliche Werte sind für die weltweite Monogamisierung verantwortlich, sondern das heute verhältnismäßig ungefährliche Leben. Der moderne Krieg, unter Einbeziehung der Zivilbevölkerung, läßt beiden Geschlechtern eine etwa gleichhohe Überlebenschance. Die Arbeit ist sicherer geworden. Nur noch wenige Männer gehen wirklich bedrohlichen Arbeiten nach. Die Lebenserwartung des Mannes ist auch hier in die Nähe der Lebenserwartung der Frau gerückt. Damit ging ein wichtiger Aspekt, der für die Polygamie spräche, verloren.

Trotzdem, auch in der modernen Gesellschaft wirkt sich die Arbeitstrennung zwischen Mann und Frau für den Mann fatal aus. Immer noch sterben die Männer weltweit vier bis sechs Jahre vor den Frauen. Eine Ausnahme ist Indien. Aufgrund der körperlichen Arbeit, der die indische Frau ausgesetzt ist, stirbt sie etwa im gleichen Alter wie der indische Mann. Dieses längere Leben der Frauen, sprich Witwen, muß abgesichert sein. In den meisten Gesellschaften geschieht diese Absicherung durch die Kinder. Anders bei den Eskimos. Um die junge Generation möglichst wenig zu belasten, werden Eskimowitwen automatisch zur Zweitfrau des nächstjüngeren Bruders des Verstorbenen.

Eine andere Möglichkeit des Witwendaseins bietet die Prostitution. Ebenfalls praktiziert bei den Eskimos. Diese Semiprostitution ist nicht verwerflich, sondern das legitimste Mittel einer Witwe, um kurzfristig zu überleben und längerfristig wieder einen Mann zu finden.

Es mag erstaunen, daß ausgerechnet die geographisch so weit voneinander lebenden Mesopotamier, die Inkas und die Inder eine makabre Gemeinsamkeit aufweisen:

Die Heirat zwischen Brüdern und Schwestern bei den Adligen. Das Problem der Inzucht wurde entweder ignoriert oder durch Konkubinen am Hofe gelöst. Diese Konkubinen oder auch Nebenfrauen – oft aus den schönsten Frauen des ganzen Reiches zwangsrekrutiert – mußten nicht nur für den Nachwuchs sorgen, sondern auch dem Herrscher und Gemahl in den Tod folgen. Die Totenfeiern der Gottkönige der Inkas endeten in einem orgiastischen Tanz, bei dem die Konkubinen erdrosselt wurden, auf daß es dem Herrscher im Jenseits an nichts mangele. Auch aus dem alten Mesopotamien wissen wir um Massentötungen und Massenbeerdigungen beim Ableben des Königs. Bei den indischen Maharajas war diese Sitte noch bis in das 19. Jahrhundert verbreitet. Die Frau des Maharajas folgte ihm auf den Scheiterhaufen.

Diese Beispiele zeigen, daß die Zweisamkeit von Mann und Frau dem Menschen selbst nach dem Tode noch wichtig erscheint, ganz zu schweigen vom Leben. Eine unverheiratete Frauenseele findet selbst nach dem Tod keine Ruhe, heißt es in einige Ländern Osteuropas. Somit sind unverheiratete Frauen auch die Hauptpersonen der skurrilen Spukgeschichten vom Balkan. Diese sind Elemente der Totenfurcht. Doch die Furcht vor den Seelen der Toten ist nicht nur ein Phänomen des Balkans, sondern geradezu universell. Beachtenswert ist eine Sitte in Rumänien und der Zusammenhang zwischen Totenfurcht und Ehe. Um allerlei Flüchen vorzubeugen wird in Siebenbürgen eine ledig Verstorbene getraut. Ein männliches Dorfmitglied gibt dabei am Grab sein symbolisches Ja-Wort“. Ledige Frauen werden nicht in Trauergewändern beerdigt, sondern in Brautkleidern. Sie werden tiefer und unter schwereren Grabsteinen bestattet, als es üblich ist.

Daß der Tod Angelegenheit von Frauen ist, findet man oft, zum Beispiel auch in Rumänien. Hier ist Beweinen der Toten reine Frauensache. Bis heute hat sich das Gewerbe der Klageweiber erhalten und auch der Brauch, daß die alten Frauen am jährlichen Todestag eines Familienmitglieds den Toten an seinem Grab beweinen. Dieses Zeremoniell beinhaltet auch das Anrichten von Speisen für den Toten sowie ein symbolisches Mahl mit ihm am Grab.