Prostitution – geliebte Hure, doch gehaßt

Der Unterschied zwischen Ehe und Prostitution liegt im Preis und in der Dauer des Vertrages.

Simone de Beauvoir

 

Zwei wesentliche Merkmale kennzeichnen die Prostitution. Zum ersten die sexuelle Betätigung mit wechselnden Partnern und zum zweiten die Entgeltlichkeit. Verschiedenste, mehr oder weniger logische Theorien zur Erklärung des Phänomens Prostitution haben sich entwickelt:

Da ist zum einen der ökonomische Ansatz. Vertreter dieses Ansatzes halten die Entgeltlichkeit als maßgeblich für die Entstehung der Prostitution.

Laut feministischer Theorie ist die Prostitution der offensichtlichste Ausdruck von Frauenunterdrückung in einer patriarchalischen Gesellschaft. Aufgrund der Körperkraft des Mannes, ist es ihm möglich, die Frau zum Sex zu zwingen. Die Entgeltlichkeit dafür sei lediglich eine Alibifunktion für ein gutes Gewissen des Mannes. Und selbst diese Entgeltlichkeit hat sich der Mann, in Person des Zuhälters, wieder zu Nutzen gemacht.

Laut Anlagetheorie haben Frauen einen grundsätzlich stärkeren Drang zur Polygamie als Männer. Jene Frauen, bei denen dieser Instinkt noch gut ausgeprägt ist, werden leicht zu Prostituierten. Typische Attribute der Hure seien Sehnsucht nach Lebensgenuß, Vergnügungs- und Putzsucht sowie übersteigerter Sexualtrieb und die Neigung zu Perversionen. Manche Vertreter der Anlagetheorie behaupten, die weibliche geborene Dirne sei das Spiegelbild des männlichen geborenen Verbrechers. Dieser Theorie nach müßte sich bei der Suche nach dem Verbrecher-Gen auch ein Nutten-Gen finden lassen. Ebenfalls der Anlagetheorie zuzurechnen, doch von einer ganz anderen Seite beleuchtet, ist folgende Erklärung der Prostitution: Dirnen sind grundsätzlich sexuell relativ gleichgültig und von vornherein frigide.

Die beste Erklärung für das Auftreten der Prostitution dürfte eine Mischung aus vielen Gründen sein. Am besten klingt noch die sogenannte Konvergenztheorie: Die Prostitution sei aus der Verschränkung von Anlagen und Umwelt zu erklären. Die Umweltbedingungen seien jedoch die stärkeren, besonders der ökonomische Aspekt.

Mit dem Siegeszug der großen Weltreligionen geriet die Hure immer mehr in Verruf. Doch bis heute haben sich zahlreiche Kulturen den temporären Liebesdienst nicht von Missionaren oder Regierungen ausreden lassen.

In Griechenland ist es üblich, daß die Väter ihren Söhnen die erste Frau beschaffen. Das Ganze hat nichts mit Brautschau zu tun, sondern ist eine praktische Einführung in das Reich der Wollust. Während sich andere Eltern stundenlang mit wenig anschaulicher Sexualaufklärung gegenüber ihren Sprößlingen abmühen, zahlt der griechische Vater seinem pubertierenden Sproß seine erste Putana. Manche Nutten haben sich sogar auf das Einweisen von Frischlingen spezialisiert. Das wiederum spricht sich unter den Vätern herum, so daß nur bestimmte Prostituierte diese Marktnische des „ersten Mals“ ausfüllen. Was für den griechischen Sohn selbstverständlich ist, gilt nicht für die griechischen Töchter. Hier herrscht das ausgesprochen abendländische Jungfrauenideal vor. Eine Frau sollte nach Möglichkeit erst in der Hochzeitsnacht entjungfert werden. Soweit die Theorie, die Praxis geht durchaus andere Wege. Will sagen, so wie die meisten Griechinnen heute weit davon entfernt sind, unbefleckt in die Ehe zu gehen, so macht längst nicht mehr jeder Grieche seine ersten sexuellen Erfahrungen mit einer Prostituierten.

Im Verlauf des 20. Jahrhunderts hat sich die Einstellung zur Jungfräulichkeit gründlich verändert. Aber diese Entwicklung hatte keinen kontinuierlichen Verlauf. Meist waren es kurze progressive Sturmphasen, gefolgt von konservativeren Jahren, die aber den Gesamttrend zum freieren Umgang mit der Liebe nicht bremsen konnten. „The roaring Twenties“ und „The Summer of Love of the Sixties“ waren die beiden progressivsten Phasen in Sachen Sex in unserem Jahrhundert. Bezeichnend ist, daß diese Phasen jeweils in eine Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs fielen, so als hätte Sex etwas mit Wohlstand zu tun.

Diese Erkenntnis ist gar nicht einmal so falsch. Selbst im Mittelalter war Sex immer ein Ausdruck der Lebensfreude und des Wohlstands. Um aber beim Sex nicht von wirtschaftlichen Krisen und Aufschwüngen abhängig zu sein, entwickelten fast alle Gesellschaften eine saisonale, jährlich wiederkehrende Zeit vermehrter Sexaktivitäten. Der Fachausdruck dafür ist „Festpromiskuität“. Er bezeichnet einen Zustand sexueller Freizügigkeit, bei uns zum Beispiel den Karneval.

Eine der Hauptstädte der Prostitution ist Manila. Seltsam genug, wenn man bedenkt, daß auf den Philippinen die Prostitution vor Ankunft der Europäer nicht bekannt war. Erst durch den Einfluß der Missionare sind Schuldgefühle bei unehelichem Sex geschürt worden. Zuvor war auf den Philippinen kaum Aufsehen um die Ehe gemacht worden. Mann und Frau fanden sich zusammen und trennten sich wieder ganz oder auch nur vorübergehend. Mit der Verbreitung des Gotteswortes sind die legeren Umgangsformen der Geschlechter untereinander als Prostitution dargelegt worden. Eine Prostitution, die es nie gab, da ihr das Charakteristikum der Erwerbsmäßigkeit fehlte. Erst mit der Idee, Sex sei schlecht, kam auch der materielle Aspekt beim Sex und somit die Prostitution. Klar, wenn man schon etwas Böses tut, sollte es wenigstens kompensiert werden. Als die Spanier den Amerikanern Platz machten, fuhren die GIs der US-Army fort, die Prostitution auf den Philippinen aufrechtzuerhalten. Eine wirklich andere Quantität allerdings erfuhr die Prostitution auf den Philippinen durch die Sextouristen, die als Wirtschaftsfaktor mittlerweile nicht mehr zu vernachlässigen sind.

Die ersten Nachrichten über moralische Gepflogenheiten „sexueller Gastfreundschaft“ sind von Seefahrern übermittelt worden. Diese erkannten die eigentlich dahintersteckende Prostitution nicht oder wollten sie nicht erkennen. Ein verherrlichender Erzählgeist alter Seebären zog über Generationen eine Folge von Fehlinterpretationen nach sich. Ähnliches ist auch den Abenteuerberichten über die Südsee zuzuschreiben, wenn auch ihr Wert keinesfalls geschmälert werden soll. Die falsch verstandene „sexuelle Gastfreundschaft“ entstand eigentlich erst mit dem Kontakt zu den Europäern im 18. Jahrhundert. Die Europäer und später auch Amerikaner und Russen brachten zwar ein verlockendes Warenangebot und weckten ungeahnte Bedürfnisse, hatten aber keine Frauen an Bord. Die flexiblen Inuit betrachteten bei den Geschäften mit den neuen Tauschpartnern den Tausch – Ware gegen Frau – als eine Entsprechung zum traditionellen Tausch – Frau gegen Frau. Rasmusen zitiert noch 1934 einen Einheimischen: „A man who had a beautiful wife could get what he wanted from her.“

Das zurückhaltende Verhalten der Forscher Mylius-Erichson und Moltke führte zu Erstaunen und Unverständnis der Einheimischen, was als ein eindeutiger Beweis für eine exzessive Handhabung der „sexuellen Gastfreundschaft“ gegenüber Weißen zu werten ist. Ein Gegengebot an Waren wurde nicht sofort erwartet. Allein die Investition in eine eventuelle Tauschaktion konnte Motivation genug sein. Das Gefühl mit Menschen einer höheren Kultur zu verkehren, machte es vielen Frauen leicht, sich zu prostituieren. Es kam vor, daß Frauen aus Eigeninitiative zu weißen Männern gingen, wenn auch mit der Zustimmung ihrer Männer. Viel häufiger war es aber, daß Männer ihre Frauen zu dieser Art von Geschäft drängten. Von einer gewerbsmäßigen Zuhälterei kann aber zunächst nicht gesprochen werden, da die direkte Absicht, Profite über Sex zu erzielen nicht gegeben war. Vielmehr wollte man Tauschbeziehungen über Sex und dann erst Profit.

Ein Dirnenwesen im Sinne der gewerbsmäßigen Unzucht ist in der traditionellen Gesellschaft der Inuit unbekannt. Erst der westliche Einfluß, von Entdeckungs- und Handelsreisenden, ließ bei den Inuit eine Art verdeckte Prostitution aufkommen, die allerdings erst im Laufe der Zeit als solche erkannt und beschrieben worden ist.

Will man die Prostitution der Inuit einer gängigen Definition von Prostitution zuordnen, so scheint die Konvergenztheorie von Blaschko noch am passendsten: „Die Prostitution sei aus der Verschränkung von Anlage- und Umweltbedingungen zu erklären, wobei ökonomische Aspekte eine starke Bedeutung haben.“ Konvergenz bedeutet in diesem Zusammenhang eine Annäherung so unterschiedlicher Faktoren wie Anlage, Umwelt und Ökonomie, mit dem Produkt einer unechten Prostitution.

Das heißt, aus einem zunächst nicht mit Prostitution gleichzusetzenden Frauentausch ist erst durch den Kontakt zur westlichen Welt eine Form der Prostitution entstanden. In seiner ursprünglicheren Form ist der Partnertausch religiös-rituell zu begreifen. Der rituelle Partnertausch („Ritual Spouse Exchange“) findet bei bedeutenden Festen, wie zum Beispiel dem Sednafest für die Herrin der Seetiere, seine Anwendung. Er ist dann Hauptzeremoniell eines Bannzaubers für Jagderfolg, Wetterglück, Fruchtbarkeit oder er ist ein Bitten zur Verhinderung von Katastrophen. Diese Art von Partnertausch wird von der ganzen Gemeinschaft eingeleitet, auf dessen Höhepunkt ein oder auch mehrere Paare der Gemeinschaft für eine Nacht allein gelassen werden.

Der gewöhnliche Partnertausch („Common Spouse Exchange“) wird zwischen Freunden und Handelspartnern zur Festigung sozioökonomischer Beziehungen betrieben. Wichtig ist der ökonomische Aspekt. Die Nahrungsausbeute und die Produktionspalette der Bewohner der Küste unterscheiden sich stark von der des Binnenlandes. Um seine Diät und den Besitz an nützlichen Werkzeugen und seltenen Wertgegenständen zu bereichern, wird der Kontakt zwischen den Bewohnern unterschiedlicher Ertragsregionen gesucht und bei Etablierung von Geschäftsbeziehungen durch den Partnertausch besiegelt. Handelsobjekte waren und sind Wal- und Seeroßfett, Felle, Sehnen, Feuerstein, später dann Waffen, Munition, Mehl, Tee, Kaffee, Nadeln und sonstige Eisenwaren. Neben dem Partnertausch kommt auch das Heiraten zwischen den Mitgliedern eines Küsten-Clanes und denen eines Berg-Clanes vor. Die Bereitschaft zu derartigen Heiratsbeziehungen ist allerdings bei den Individuen gering, denn das Mißtrauen gegenüber Fremden in einer Umwelt voller Unberechenbarkeiten ist groß. Man möchte zwar einen seiner Blutsverwandten bei der potentiellen Partnergruppe wissen, um darauf Tauschbeziehungen aufbauen zu können, doch selbst in die Fremde ziehen, das ist unbeliebt.

Die Initiative zum Partnertausch geht meist von den Männern aus, jedoch nicht ohne vorhergehende Einwilligung der Ehefrauen. Allerdings schreibt hier der Polarforscher Rasmusen „The liberty allowed to the husband is forbidden to the wife, who in sexual matters is regarded as the husbands property.“

Die Dauer eines Partnertausches variiert von Fall zu Fall. Sie kann nur eine Nacht betragen oder eine ganze Saison. Längere Aktionen sind jedoch wegen ihrer latenten Gefahr zu Eifersuchtsdramen selten. Im Verlauf eines Ehelebens können sich durchaus auch mehrere Tauschpartner ansammeln. Der Grundsatz der Wiederholbarkeit ist gegeben. Die Beziehungen bleiben für das ganze Leben erhalten, wenn auch nicht unbedingt sexuell geprägt und können sich von einer Generation auf die nächste übertragen. Partnertauschbeziehungen brachten neben den Privilegien auch Verpflichtungen, in Form gegenseitiger Aushilfen, mit sich. Das erinnert stark an die Verpflichtungen gegenüber Blutsverwandten und greift besonders in Krisensituationen. Hierzu gehört die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Fellen, Waffen, Werkzeugen, Kleidern, Feuerholz, Wasser und sogar mit Hunden. Außerdem zählt die Gewährung von Essen, Unterkunft, Ausstattung und Aushilfe auf Reisen dazu.

Aber auch noch andere Gründe lassen sich für den Partnertausch aufführen. Bei Streitigkeiten und (Bluts)fehden war es wichtig eine große, wie auch immer definierte Verwandtschaft hinter sich zu wissen. Die von den Inuit bekannte Form der Streitschlichtung in sogenannten „Singduellen“ hängt ganz entscheidend von der Masse der Anhänger ab, die die jeweiligen Kontrahenten hinter sich versammeln können. Dabei kommt es weniger auf das moralische Recht, als auf die Mobilisierung der öffentlichen Meinung an. Singduelle sind verbale Attacken der Kontrahenten, wobei es besonders auf Redegewandtheit und den Wortwitz ankommt. Wichtig ist das aktive Mitmachen möglichst vieler Clanmitglieder. Durch ihre Reaktion geben sie einem der beiden Streithähne Recht. Der Streit ist geschlichtet, ehe er zu einer großen Fehde ausarten kann.

Erwähnenswert ist auch die Hilfe gegenüber kinderlosen Ehen, da Kinder stets dem Paar zugesprochen werden, daß bei der Geburt gerade zusammen war. Somit fallen Stiefgeschwister, die aus einem elterlichen Partnertausch resultieren, auch nicht unter das Inzestverbot.

Die wichtigste Ursache für den nordländischen Partnertausch ist wohl in der extrem spezifischen Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau zu sehen. Bei langen Reisen waren die Männer auf die Hilfe einer Frau angewiesen, so daß bei Verhinderung der Ehepartner (alle Ehepartner wurden ohnehin nicht mitgenommen) möglichst Ersatz gesucht wurde. Unmittelbar damit hängt auch der spirituelle Aspekt des Jagdglücks zusammen. Obwohl die Frau nicht direkt an der Jagd beteiligt ist, stellt sie einen wichtigen Teil des Jagdteams und trägt entscheidend zum Gelingen bei. Im Aspekt des Jagdglücks kann vielleicht die eigentliche Ursache für die Entwicklung des Partnertausches gesehen werden, was eine Verbindung zwischen dem „Ritual Spouse Exchange“ und dem „Common Spouse Exchange“ darstellt.

Partnertauschbeziehungen zwischen Indianern und Inuit kommen praktisch nicht vor, obschon Handelsbeziehungen bestehen. Der Grund dafür mag in der Erzfeindschaft der beiden Ethnien zu suchen sein.

Der Frauentausch ist aber durchaus kein rein arktisches Phänomen. Besonders beliebt bei den Todas in Indien ist der brüderliche Partnertausch. Hierbei teilen sich zwei oder mehrere Brüder eine Frau beziehungsweise ihre Frauen untereinander. Der brüderliche Partnertausch birgt weniger Konfliktstoff als der Tausch unter Freunden. Besonders der Fall einer Verweigerung des Rücktausches sorgt immer wieder für Ehetragödien bei den Todas. Trotzdem gilt es nach wie vor als „unmoralisch“, wenn ein Mann seine Frau einem Bruder nicht gönnen will. Allerdings gibt es neuerdings viele „unmoralische“ Männer. Schuld daran ist in Indien die Stadt Madras, das Hollywood Indiens. Praktisch jeder hier produzierte Film ist voller romantischer Liebe. Sogar Krimis oder Science-Fiction-Filme enden mit einer verzehrenden Liebesszene der Hauptakteure. Signalisiert mit diesen Szenen wird, daß Monogamie das höchste Glück auf Erden sei. Diesem Signal können sich auch die Todas nicht entziehen.

Indien – das Land der Gegensätze – hat noch mehr Bemerkenswertes zu bieten. Beispielhaft dafür, daß die Religion als Instrument der Zuhälterei mißbraucht wird steht der Yellamma-Kult im Bundesstaat Karnatakan. Der bekannteste Yellamma-Tempel befindet sich in der Stadt Saundatti. Nach wie vor werden hier jährlich Mädchen und junge Frauen zu Dienerinnen der Göttin Yellamma getauft, obwohl dieser Kult von der Regierung verboten ist. Die Geschichte ist ein Relikt vergangener Jahrhunderte, als Tempelpriester junge Frauen als Prostituierte an vorbeiziehende Soldaten und Reisende verliehen. An Männer wie Marco Polo, der von den Tempeltänzerinnen schwärmte: „Sie sind so fest im Fleisch, daß niemand sie in irgendeine Stelle ihres Körpers zwicken kann“.

Die Rekrutierung der jungen Frauen basiert auf folgender Legende: Wegen unkeuscher Gedanken hat ein weiser Mann seiner Dienerin den Kopf abschlagen lassen. Erst der Sohn des Weisen brachte seinen Vater dazu, die Tat rückgängig zu machen. Dazu mußte aber eine kastenlose Frau ihren Kopf lassen. Die wiederbelebte Dienerin wurde aber fortan als „Yellamma“, als eine Göttin der Kastenlosen verehrt. Bis heute opfern Familien ihre Kinder dieser Göttin, indem sie eine Tochter zu ihrer Dienerin weihen lassen. Das soll der Familie Wohlstand im nächsten Leben bescheren. So eindeutig diese Geschichte eine religiöse Verbrämung für die Ausbeutung von Frauen ist, so klar ist auch, daß die junge Guppamma – ich lernte sie im Gewühl der religiösen Pilger von Saundatti kennen – mit anderen Frauen und Mädchen auf einen elenden Weg geschickt wurde. Erste Station für die geweihten Frauen, die heute immer noch aus den untersten Gesellschaftsschichten der „Unberührbaren“ kommen, ist der vorgeschriebene Bettelgang. Dogma für Yellamma-Dienerinnen ist nach wie vor, daß sie nicht heiraten dürfen, wenn sie nicht den Fluch der Göttin auf sich ziehen wollen. Die Geweihten dürfen sich jedoch einen Liebhaber nehmen, der ihnen materielle Sicherheit bietet. Unter dem Druck ihrer Familien, deren einzige Brotverdienerinnen sie oft sind, werden die jungen Frauen häufig genötigt, sich mehrere Liebhaber zu suchen. Der Schritt in die Prostitution ist vollzogen und wird von Yellamma-Priestern und Zuhältern gefördert. Deshalb wirkt auf Zuhälter aus den Städten die jährliche Vollmondweihe in Saundatti wie ein Magnet. Man schätzt, daß 40 Prozent der Mädchen in Bombays Billig-Bordellen durch die Yellamma-Weihe dorthin gelangt sind. Auch die jährlich 3000 neuen Dirnen an den Ausfallstraßen der Stadt zählen zu einem großen Teil zum Yellamma-Kult, der ihnen ein Überleben als 50-Pfennig-Körper für Lastwagenfahrer beschert. Nur wenige schaffen dann noch den Ausstieg aus dem Abstieg. Schon 1983 haben die Behörden Karnatakans eine ungewöhnliche Resozialisierungskampagne gestartet. Männern, die Yellamma-Dienerinnen heiraten, wird nach einem Jahr Ehe eine Prämie von 3000 Rupien gezahlt und ein zinsloser Bankkredit geboten. Sozialarbeiter bemühen sich in zäher Überzeugungsarbeit, die Mädchen vom Weg in die Bordelle abzuhalten; die ersten publikumswirksamen Massenhochzeiten von Ex-Prostituierten sind bereits inszeniert, mit Geldspenden für Festschmaus und Brautkleider. Vielmehr als eine Alibi-Geste ist dies indessen nicht. Kritiker fürchten sogar, daß den Zuhältern in die Arme gewirtschaftet wird. Die vermeintliche Ehefrau wird von ihrem Zuhälter geheiratet und bleibt Hure. Von Morden an Frauen nach dem Einstreichen der Prämie ist bereits berichtet worden.

Irgendwie wird wohl auch die Lebensgeschichte von Guppamma verlaufen, die kaum noch ansprechbar war nach dem Zeremoniell ihrer Weihe. Wahrscheinlich kommt auch sie nach Jahren wieder zum Ort ihrer Weihe, als Häufchen Elend im Strom der euphorisierten Massen. Sie wird durch das Gelände irren auf der Suche nach jungen Frauen, denen sie ihr Zeichen weiterreichen könnte. Denn es gehört zum Glauben der Yellamma-Geweihten, ihre Seele werde keinen Frieden finden, wenn es ihnen nicht gelingt, vor dem Tod eine Nachfolgerin zu finden.

Während die Prostitution der Yallamma-Dienerinnen eine durch die Religion auferlegte Prostitution ist, kennt man im Hochland Neuguineas eine Auferlegung der Prostitution per Ratsbeschluß. Am Mount Hagen kann der Ältestenrat darüber verfügen, daß eine Frau zu einer sogenannten „versprochenen Frau“, also zu einer Dirne wird. Erstaunen mag es, daß unfruchtbare Frauen den Job der Dorfhure auferlegt bekommen. Sinn macht das Ganze aber dennoch.

Denn erstens ist Unfruchtbarkeit auf Neuguinea ein Scheidungsgrund. Die Frau, der man Unfruchtbarkeit nachsagt, wird keinen heiratswilligen Mann finden. Durch die Prostitution hat sie aber die Möglichkeit doch noch ihre Fruchtbarkeit unter Beweis zu stellen und sich dadurch zu rehabilitieren.

Und zweitens, wenn die Frau wirklich unfruchtbar ist, so ist das auch von Vorteil. Die Prostituierte braucht sich nicht um die Verhütung zu kümmern oder darum zu bangen, durch ihren Job eine Schar unehelicher Kindern versorgen zu müssen.

Gesamtgesellschaftlich sind unfruchtbare Dirnen am Mount Hagen ebenfalls von Vorteil. In Konkurrenz um knappe Ressourcen ist es sinnvoll, die eigene Population zu beschränken. Unfruchtbare Dirnen sind dazu eines der Mittel.

Aber auch ein Mädchen, das zuviel flirtet, kann zu einer Hure bestellt werden. Das ist nämlich die zweithäufigste Ursache für den Ältestenrat, eine Frau als „versprochene Frau“ zu bezeichnen.

In Schwarzafrika werden selbst altgediente Beziehungen zwischen Männern und Frauen in barer Münze bezahlt. Ein Umstand, der seine Erläuterung in der tradierten Klitorisbeschneidung findet. Eine Frau, die beim Sex nichts fühlt, vertritt nämlich schnell die Meinung, daß sie eine einseitige Dienstleistung erbringt. Und Dienstleistungen müssen entgolten werden. Die afrikanischen Männer ihrerseits zahlen im Gegensatz zu uns gerne. Der Vorteil für sie ist, daß keinerlei Bedingungen an solche Beziehungen gestellt werden.

Der Vorwurf, daß die Prostitution erst mit den Kolonialbemühungen des weißen Mannes ihren Siegeszug um die ganze Welt nahm, ist zu einseitig. In Afrika frönte man nämlich schon lange vor dem Einfluß der Europäer dem ältesten Gewerbe der Welt. Ethnologen vermögen allerdings diese Unzucht durchaus zu begründen: Der Mann ist stets der Stärkere und deshalb auch verpflichtet, dem schwächeren Weib einen Teil seiner Beute abzugeben, egal ob es sich dabei um Erjagtes von früher oder das Gehalt von heute handelt. Sprich, er ist verpflichtet, für „Liebesleistungen“ zu bezahlen.

Auch die Buhldirne der Südsee hat eine voreuropäische Tradition. Dabei nimmt sich eine junge Frau für eine gewisse Zeit vor, ihren Lebensunterhalt von Geliebten finanzieren zu lassen. Sie paßt einen Häuptling oder sonst irgendeinen Würdenträger alleine auf dem Weg ab. Sie fragt ihn nur um eine Portion Betel, die ihr der alte Kauz, schon wissend, wo hinaus es geht, bereitwillig gibt. Die beiden setzen sich und das Mädchen bereitet sich eine Kauportion, wonach sie ganz unbefangen fragt, wo er sich baden möchte, da sie ihm den Rücken abreiben will.

„Da, nimm meinen Korb und gehe voran“, sagt der Mann und schließlich kommt das Mädchen mit dem ersten selbsterworbenen Geld heim. So geht es weiter durch die Reihen der zahlungsfähigen, meist älteren Männer. Die Karriere als Buhldirne hat begonnen. Keine Zuhälter, kein Rotlichtbezirk, kein Stigma lastet auf der Dirne. Sie kann aufhören, wann immer sie will. Das tut sie auch meistens, nachdem sich ein passender Heiratspartner, nicht selten ein Kunde, gefunden hat.

Ein anderes Beispiel für lockeren Umgang mit dem Thema Prostitution sind die „spielerischen Frauen“ der Papago-Indianer in Arizona. Eine spielerische Frau zu sein bedeutet, sich von mehreren Männern aushaken zu lassen. In einem bestimmten Alter ist das aber kein Stigma, sondern im Gegenteil die gängigste Möglichkeit des Zuerwerbs für junge Frauen. Selbst eine Spezialisierung auf diesen Job ist für die Papagos keine Befleckung, sondern eine anerkannte Tätigkeit wie jede andere. Mit zunehmendem Alter steigen aber die meisten Mädchen wieder aus, um zu heiraten. Ein Problem bildet der vorhergegangene Lebenswandel für das junge Paar nicht.

Ähnlich unseren Kurschatten-Affären unterhalten auf der Südseeinsel Palau verheiratete Frauen Buhlbeziehungen zu Männern aus anderen Dörfern. Man fragte mich erstaunt: „Und eure Frauen, sind denn die damit zufrieden, daß sie keine Nebenbuhler haben? Wie können sich denn eure Frauen schützen gegen ihre Männer, wenn diese grausam sind und sie schlecht behandeln?“ Da wurde mir klar, daß die Buhlerei auch als Kontrolle wirkt und einen Schutz der Frau darstellt. Schon das Wissen um einen Nebenbuhler macht die Männer auf Palau vorsichtiger im Umgang mit ihren Frauen.

Eine weitere Einrichtung der Südsee sind die Männer- und Frauenclubs in den Dörfern. Unverheiratete Frauen eines Clubs gehen geschlossen zum Männerclub eines befreundeten Dorfes. Dort bleiben sie etwa drei Monate, leben im Clubhaus der Männer und pflegen einen intensiven Kontakt zu ihnen. Die Mitglieder von Männerclubs müssen nicht ledig sein. Das trägt dem Aspekt Rechnung, daß Männer eher dazu neigen fremdzugehen und sich deshalb gerne zu den noch ledigen Männern gesellen. Verheiratete Frauen haben keinen Zutritt zu den Männerclubs, weder im eigenen Dorf, noch in irgendeinem befreundeten Dorf. Sie bringen lediglich das Essen vorbei und müssen gelassen dem Treiben zusehen. Doch das nehmen die Damen leicht. Schließlich haben sie früher auch so gelebt und besuchten die Männer anderer Clubs. Selbst Greisinnen erinnern sich noch voller Fröhlichkeit an diese Zeit und an die Abenteuer aus ihrer Jugend.

Eigentlich ist man dazu geneigt, das Thema „Frauen- und Männerclubs“ dem Kapitel „Treue und Fremdgehen“ bei zuordnen, doch die Bezahlung für die Dienste der Frauen rechtfertigt das Thema im Zusammenhang mit Prostitution. Entweder der männliche Häuptling des Frauenclubs erhält eine Entschädigung oder aber das Geld gelangt an die Väter der unverheirateten Mädchen. Doch nicht das Geld oder sonstige materiellen Werte sind entscheidende Motive zur Erhaltung dieser netten Sitte, sondern soziale Aspekte:

1. Durch Clubbeziehungen lernen die Männer und Frauen verschiedener Dörfer voneinander. Die Idee ist nachvollziehbar. Man glaubt den Informationsaustausch durch Sex zu bereichern und Hemmnisse zu beseitigen. Das Erlernte wiederum wird innerhalb des eigenen Dorfes weitergegeben.

2. Durch die Kürze der dreimonatigen Beziehungen kommen zwischen den weiblichen Besuchern und ihren männlichen Gastgebern kaum Streitigkeiten auf. Eine Harmonie, wie sie im Verlauf einer ganzen Ehe kaum aufrechtzuerhalten ist, kennzeichnet das Zusammenleben zwischen Besucherinnen und Gastgebern im Club. Diese Harmonie, so glaubt man, überträgt sich nach Abbruch der Clubbeziehungen wieder auf die eigenen Ehen.

3. Der Frieden zwischen mehreren Dörfern einer Insel läßt sich durch die Einrichtung der Clubbeziehungen besser aufrechterhalten. Von Ausnahmen abgesehen ist es zumindest menschlich, den Dorfbewohnern, deren Frauen einem in wohlgefälliger Erinnerung sind, nicht unbedingt die Köpfe einzuschlagen.

4. Durch Clubbeziehungen gelangt frisches Blut in die Erbmasse eines Clans. Kinder aus Clubaffären werden den Frauen zugesprochen, was ihren Wert zu Hause nicht schmälert. Auch kommt es vor, daß diese Kinder abwechselnd in beiden Dörfern leben. Es hat sich sogar herausgestellt, daß solche Kinder beste Aussichten auf Führungspositionen haben. Kein Wunder, denn mehr Erfahrung bringt größere Weitsicht.

5. Auch eine Art Asyl finden geschiedene Frauen in den Clubs der Männer.

6. Im Club bahnen sich nicht zuletzt (wieder neue) Ehebeziehungen an.

7. Dabei ganz wichtig ist die Möglichkeit, den Landerwerb zu mehren. Denn durch Clubs entstandene Ehebeziehungen zwischen Partnern aus zwei verschiedenen Dörfern bringen die Möglichkeit, Ländereien zusammenzulegen. Ähnlich wie dies bei den Zweckhochzeiten europäischer Aristokratie geschah.

Kurzum, dem Argument gegen den Club als Ausbeutungsstätte der Frau steht eine Palette von Argumenten gegenüber, die für den Club sprechen. Noch einmal zusammengefaßt sind das: Informationsaustausch, Harmonieübertragung, Friedenssicherung, Blutauffrischung, Scheidungsasyl, Ehevermittlung und Landmehrung. Das Clubhaus hat nur wenig mit Prostitution, Frauenraub oder Frauenhandel zu tun. Lediglich den Vorwurf der Kuppelei muß man gelten lassen. Doch dieser Vorwurf ist eigentlich ein Vorteil. Im „Ehevermittlungsinstitut-Clubhaus“ lernen viele Mädchen ihren zukünftigen Ehepartner kennen, so daß beide Partner schon nach wenigen Wochen das Gebäude verlassen.

Spricht man von Kuppelei, kommt man an den „Partys“ Neuguineas nicht vorbei. Dabei werden nach ausgedehnten Festen die Mädchen für eine Nacht und einen Tag zu den Männern geschickt. Jedoch ist niemals die Heirat Endzweck dieser Kuppelei. Ganz im Gegenteil, Neuguineas Stämme leben ausgesprochen endogen, das heißt man heiratet im eigenen Clan. Die „Ehefrauen auf eine Nacht“ werden von ihren „Gemahlen für eine Nacht“, nach der Zeit des Beisammenseins, eingeölt, geschmückt und mit Geschenken versehen zu ihren Vätern und Brüdern zurückgeschickt. Die ganze Prozedur dient also vornehmlich der Wahrung gut nachbarschaftlicher Beziehungen. Wodurch ließen sich solche besser aufrechterhalten als durch guten Sex? Alles andere als das Aufrechterhalten von guten Beziehungen bedeutet das Dirnenwesen in unserer aufgeklärten Gesellschaft. Ob man nun auf Prostituierte, Zuhälter oder Freier zu sprechen kommt, stets tut man es mit einem mulmigen Gefühl im Bauch. Nichts symbolisiert dieses Gefühl deutlicher als der Paragraph 138 BGB, der den Vertrag zwischen Freiern und Prostituierten als „sittenwidrig“ geißelt. Zahlt der Freier nicht, hat die Hure keine Möglichkeit den Lohn einzuklagen. Ihr droht aber Strafverfolgung wegen Betruges, wenn sie die vereinbarte und bezahlte Leistung verweigert. Gipfel dieser scheinheiligen Doppelmoral ist, sie muß für den Liebeslohn trotzdem Steuern bezahlen.