Hochzeit – oder der Anfang einer Tiefzeit

Die Hochzeit gilt fast bei allen Völkern der Erde als ein freudiges Fest. Für die Betroffenen beginnt damit aber nicht unbedingt das Glück.

 

Moderne aufgeklärte Vorstellungen gehen davon aus, daß durch das Hinauszögern der Hochzeit und durch ein sexuelles Herumexperimentieren die Chancen, seinen Traumpartner zu finden, wachsen. Vor allem zwei Motive werden hier immer wieder angegeben.

Erstens: durch das Ausleben seiner Libido mit mehreren Partnern im jungen Alter ist man später innerhalb der monogamen Ehe um so befriedigter.

Zweitens: im Verkehr mit mehreren Geschlechtspartnern vor der Ehe sammelt man Erkenntnisse darüber, was man will und was nicht. Kurzum, man nutzt die Gelegenheit, um seinen idealen Partner zu finden. Doch hat das auch einen Haken. Auf der Suche nach seinem Idealpartner durch ständige Affären mit ständig wechselnden Geschlechtspartnern findet man wohl seinen Idealpartner, doch leider nicht in Natura, sondern lediglich in seiner Vorstellungskraft.

Nun ist das menschliche Gehirn aber so gebaut, daß es sich eher die angenehmen Dinge merkt als die Unangenehmen. Mit anderen Worten. Der im Gehirn entstandene Idealpartner ist nichts weiter als eine Verschmelzung der besten Eigenschaften mehrerer Menschen – kurzum ein Übermensch.

Schließlich heiratet man aber und natürlich alles andere als einen Übermenschen. Im Unterbewußten aber setzt sich die Suche nach dem Übermenschen fort, beziehungsweise die Erinnerung an schönere Zeiten mit anderen Partnern läßt Unzufriedenheit in der eigenen Ehe aufkommen. Die Ehekrise ist programmiert. Die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit solchen Ehekrisen ist denkbar gering, zumal man ja Besseres kennt. Frustration, mündend in Scheidung ist die Folge. Eine Folge, die durch die steigende Scheidungsrate statistisch belegbar ist.

„Besser eine geschiedene Ehe, als eine schlechte Ehe, “ so rechtfertigt sich unsere scheidungswillige Generation. Doch eine Antithese sei erlaubt: Die Zahl der angeblich unglücklichen Ehen von damals war gar nicht so groß. Denn man hatte sich ja keinen Übermenschen geformt und kannte in der Regel nur seinen eigenen Partner mit all seinen Unzulänglichkeiten. Die Devise lautete damals, Zusammenraufen um jedem Preis. Und, man höre und staune, diese Regel ging meistens sogar auf.

Um die Probleme der Ehe wissen nicht nur moderne Gesellschaften, sondern auch Naturvölker sehr gut Bescheid. Es verwundert kaum, daß sich in manchen Gesellschaften die Junggesellen gegen ihre Vermählung so lange wie möglich wehren. Die Lieblingsausrede der männlichen Caxapa in Ecuador ist, daß sie noch zu jung seien.

Dagegen mußten die Stammesältesten etwas unternehmen: Eigens zur Anbahnung der Ehe finden in regelmäßigen Abständen Kuppeleifeste statt. Ob aus Prüderie oder Desinteresse, selbst diese Feste hatten nicht den gewünschten Erfolg.

Also müssen die Stammesältesten noch deutlicher werden. Wer nach den mehrtägigen Festen immer noch keine Braut gefunden hat, läuft Gefahr, von den Stammesältesten einfach verkuppelt zu werden. Die Möglichkeiten, sich erfolgreich zu widersetzen, werden mit zunehmendem Alter und der Anzahl der Feste, an denen man teilgenommen hat, natürlich immer geringer. Schließlich ist man unter der Haube. Und je länger man wartet, um so geringer die Chancen seine Traumfrau abzubekommen.

Daß aber die Hochzeit für den Mann längst nicht mit den gleichen Gefühlen verbunden ist wie für eine Frau, beweist schon der Glückwunschsatz, den man Frischvermählten gegenüber äußert: Während der Braut ein feierliches „Herzlichen Glückwunsch“ entgegengeworfen wird, reicht es beim Bräutigam gerademal zu einem sehr skeptischen „Alles Gute“. Dieses „Alles Gute“ erinnert mehr an einen Beschwörungsversuch, einen Bannzauber, wie er in den Höhlen der ersten Homo Sapiens ausgesprochen wurde. Gemeint damit war ein gutes Gelingen bei langen Jagdexpeditionen oder gar Kriegszügen. Dieses „Alles Gute“, das möglicherweise von Vätern den Söhnen mit auf die Reise gegeben wurde, hat sich als Spruch für den frischgebackenen Ehemann erhalten.

Nachdem in indogermanischen Sprachen Sammelbegriffe, die sich sowohl auf den Mann als auch auf die Frau beziehen, meist nur in der männlichen Form existieren – etwa der Mensch, der Erwachsene, und so weiter – erstaunt das Begriffspaar Braut und Bräutigam. Der männliche Begriff Bräutigam ist nichts weiter als eine Ableitung von dem weiblichen Wort Braut. Auch das ist kein Zufall, denn es beinhaltet, daß ab dem Eheschluß der Mann etwas von seiner Individualität einbüßt und lediglich zu einem Bräutigam, also einer Ableitung von Braut wird.

Morgenländische und abendländische Kulturen gleichermaßen unterstellen der Frau mehr Böswilligkeit als dem Mann. Eigentlich ist nicht die Frau das Böse, sondern die vielen dunklen Mächte um sie herum. Einerseits ist das eine gute Entschuldigung für die Frau, nach dem Motto: „... sie kann ja gar nichts dafür, daß sie von den Mächten der Unterwelt beherrscht wird.“ Andererseits ist es bereits eine Aussage zur Abhängigkeit der Frau vom Mann, nach dem Motto: „... sie ist zwar böse, doch eigentlich nur vom Satan und von Dämonen beherrscht.“ Also wiederum von männlichen Wesen.

Um dieser Beherrschung entgegenzuwirken, muß die Braut geschützt werden. Denn Bräute sind besonders anfällig gegenüber dem Bösen. Einerseits, weil sie nicht mehr dem Bund ihrer eigenen Familie angehören und andererseits noch nicht dem Bund der Familie des Mannes. Erst durch den Bund der Ehe ist dieser außerordentlich anfällige Status einer jungen Frau aufgehoben und sie ist wieder relativ sicher vor der Unterwelt. Auch der Brautschleier ist eigentlich nichts anderes als ein Schutz vor den Mächten der Unterwelt. Seine Aufgabe ist es, die Braut zu vermummen, so daß sie von den bösen Mächten nicht erkannt wird. Das Schminken der Frauen hatte ursprünglich diese Bedeutung. In Bengalen bestreicht der Bräutigam die Stirn der Braut mit roter Farbe. Rot gilt als übelabweisend. Auch bei den Römern galt diese Farbe als die Farbe gegen das Übel, weshalb römische Brautschleier und Brautkleider ebenfalls rot waren.

Bei meinen Reisen durch den himalajischen Pamir erschrak ich nicht schlecht, als man mich plötzlich als Ehrengast bei einer Hochzeitsfeier in eine Frauentracht steckte. Ich wehrte mich wie besessen, denn über die Vielweiberei der Moslems wußte ich Bescheid. Ich hatte keine Lust mich in einem Harem wiederzufinden. Allerdings wußte ich auch, daß mehr als vier Frauen auch ein Moslem nicht haben darf. Und ich war bereits der sechste Mann in Frauenkleider. Langsam erst begriff ich, um was es ging. Die Begleiter des Bräutigams sollten mit ihrer Travestie-Show die Geister verwirren, um die Braut vor ihnen zu schützen. Die richtige Braut erschien erst im letzten Moment vor der Trauung, zu einem Zeitpunkt, wo man glaubte, die Geister genug genarrt zu haben.

Bei den Bhil in Indien erscheint die Braut in Männerkleidung, während der Bräutigam zur noch größeren Verwirrung der Dämonen Frauenschmuck trägt. Das sieht ein wenig nach der Hochzeit eines Transvestitenpärchens aus, doch malerisch ist es allemal.

Übrigens, diese Maßnahme ist nicht einmalig, sondern war auch im griechischen Sparta bekannt. Ob allerdings Alexander der Große die Sitte bis nach Indien verbreitet hatte, ist zu bezweifeln. Es wird wohl vielmehr eine Laune der Geschichte gewesen sein, die ähnliche Zeremonien auf der jeweils anderen Seite der Weltkugel entstehen ließ.

Um sich dem Fluch, der Frauen anhaftet, zu entziehen, begleiten fast auf der ganzen Welt reinigende Bäder die Hochzeitsvorbereitungen der Braut. Dabei spielt das Wasser – auch als Symbol der Fruchtbarkeit – eine entscheidende Rolle. Ebenso das Bewerten des Hochzeitspaares mit Früchten, Reis und Blumen. Kein Wunder also, daß der von der Braut blindlings in die Menge der Jungfern geworfene Blumenstrauß auf eine baldige, fruchtbare Zeit für die Fängerin hindeuten soll. Der Tanz als universaler Bestandteil von Hochzeitsfeiern kann allerdings nicht als nur hochzeitstypisch angesehen werden. Zu viele andere Bedeutungen kommen dem Tanze zu. Allerdings sind Regentänze, Ahnentänze und Kriegstänze nie geschlechtlich gemischt. Insofern lassen sich die Ursprünge von Partnertänzen durchaus auf Hochzeitsriten zurückführen. Ähnlich verhält es sich mit den anzüglichen oder gar erotischen Witzen. Während im Mittelalter Scherze unterhalb der Gürtellinie verpönt waren, waren die Hochzeitsfeierlichkeiten oftmals bestimmt durch anzügliche, obszöne, jedenfalls eindeutig sexuell gefärbte Bemerkungen.

Ein selten angewandtes, jedoch erwähnenswertes mittelalterliches Recht ist das „ius primae noctis“, „das Recht der ersten Nacht“. Gemeint damit war der Anspruch des Lehnsfürsten auf die Jungfräulichkeit seiner weiblichen Vasallen. Ihm, dem Fürsten, stand es zu, die Hochzeitsnacht mit den Bräuten seines Fürstentums zu verbringen.

Interessant sind auch die Wurzeln der Brautentführung. Sie ist ein Relikt der „Raubheirat“ und deutet darauf hin, daß diese Urform der Heirat einst weit verbreitet war. Heute ist die Bedeutung der Brautentführung verändert. Sie soll dem zukünftigen Ehemann verdeutlichen, wie begehrenswert seine Frau ist.

Auch auf Polynesien bei den Tikopia geht einer traditionellen Hochzeit eine Entführung der Braut voraus, allerdings durch den Bräutigam. Nachts und klammheimlich schleicht sich der Bräutigam, begleitet von seinen männlichen Verwandten, an das Haus der Braut heran, überfällt die Braut und macht sich mit ihr auf die Socken in Richtung eigene Hütte. Auf diese Entführung ist aber die Familie der Braut schon vorbereitet. Es kommt zu einem Scheinkampf in den Dorfstraßen. Die Braut wehrt sich wie besessen, doch auch das ist nur Schein und gehört zur Sitte. Der Sieger ist der Bräutigam. Das steht von vornherein fest. Nur das Temperament der Vertreter der Braut entscheidet darüber, wann es zum vermeintlichen Sieg durch den Bräutigam kommt.

Seltsam genug, daß die Turn in Tansania ihre zehnjährigen Mädchen beschneiden. Doch sie gehen noch weiter. Just im Anschluß an das Verheilen der Wunden rund um die Klitoris steht den Kindfrauen die Hochzeit ins Haus. Allerdings sind die Mädchen der Turn etwas früher reif als unsere. Und diese Reife wird sogar überprüft. Die Prüfung vorzunehmen ist Aufgabe der zukünftigen Schwägerin, also der Schwester des Bräutigams.

Bei einem Teil des Umtriebs zwischen Braut und Schwägerin muß die Braut zeigen, was sie kann, und mit dem Fuß ihrer zukünftigen Schwägerin masturbieren. Das Ganze ist allerdings weniger als Beweis für die Liebestollheit der jungen Braut zu werten, sondern eine Dehnübung zur Vorbereitung für den ersten Koitus in der Hochzeitsnacht. Die Liebestollheit ist ja dem Mädchen schon vorher durch die Beschneidung ausgetrieben worden. Was gefragt ist, ist ein ruhiges Hinhalten können. Der Schwägerin obliegt es in Lobeshymnen den Penis des Bräutigams, also ihres Bruders, hochzupreisen. Auf dem Höhepunkt der Aktivitäten zwischen Braut und Schwägerin kommt ein überdimensionierter Dildo zum Zug. Dieses Monstrum von Phallus muß sich die zehnjährige Braut eigenhändig einführen. Als Modell symbolisiert es den Penis des Bräutigams. Doch die Modellbauer sind bestochen und deshalb großzügig beim Maßnehmen am Schaft des Bräutigams. Schließlich gilt den Afrikanern ihr Anhängsel zwischen den Beinen genausoviel, wie es den Männern auf der ganzen Welt bedeutet.

Bei den Mundugumor auf Neuguinea erfreut sich der Polterabend größter Beliebtheit. Die Mundugumor sind ein sehr gewaltliebender Stamm. So verwundert es kaum, daß bei der Hochzeit ein Großteil der männlichen Gäste irgendwelche Blessuren aufweist. Das hängt mit dem ausschweifenden Polterabenden zusammen. Bei den Kämpfen am Vorabend der Hochzeit geht es nämlich darum, den Brautpreis zu bestimmen. Selbst wenn dieser schon Jahre vorher von den Clanmitgliedern festgelegt worden ist, dreschen die Männer der Mundugumor ungeachtet dessen aufeinander los. Einen wirklichen Sieger bei den Raufereien gibt es nicht. Die Zahl der frischen Wunden ist dann entscheidend für die letztendliche Festsetzung des Brautpreises. Sieger der Streitigkeiten rund um den Brautpreis ist seltsamerweise jene Partei mit den meisten Wunden. Die Logik dieser Regelung besteht darin, daß die Opferbereitschaft honoriert wird.

In allen Erdteilen und bei allen Volksgruppen gibt es das Phänomen der Homosexualität. Ehebündnisse zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern gibt es in anderen Kulturen schon längst. Sie stehen nicht einmal immer in unmittelbarem Zusammenhang mit Homosexualität. Bei den Kwakiutl in Afrika nehmen tapfere Jäger und Krieger gerne den ältesten Sohn des Häuptlings zum Manne. Zwar ist diese Vermählung nur rein symbolisch, doch die Zeremonie ist echt. Sinn des Ganzen ist es, Privilegien für die Zukunft zu sichern. Denn der Sohn des Häuptlings ist schließlich Anwärter auf den Häuptlingsposten. Noch makabrer wird die Vermählung eines Kriegers mit dem Arm des Häuptlings. Auch sie wird wie eine vollwertige Hochzeit zwischen Mann und Frau gefeiert. Der Vorteil für den Häuptling ist dabei offensichtlich. Für seinen Arm als Brautersatz bekommt er einen anständigen Brautpreis.

Zu solchen Eheriten zwischen zwei Männern gibt es auch eine Entsprechung bei den Frauen. Die afrikanische Frau-Frau-Ehe ist jedoch mit einem richtigen Ehestatus verbunden. Sie beschränkt sich nicht nur auf das Bezahlen eines Brautpreises und das Empfangen von Privilegien im Gegenzug, sondern bedingt ein Zusammenleben der beiden Frauen. Besonders hochgestellte Frauen, etwa die Frauen von Medizinmännern, verschaffen sich durch die Ehe zu einer armen, jungen Verwandten eine Mithilfe im großen Haushalt. Lange wurde die afrikanische Frau-Frau-Ehe als Polygamie mißgedeutet.

Denn für einen Außenstehenden ist zunächst nur erkennbar, daß der Medizinmann mit einer alten und einer jungen Frau zusammenlebt. Es fällt ja nicht auf, daß die junge Frau für den Medizinmann sexuell tabu ist.

Fragt sich bloß, woher sie schwanger wurde. Doch dafür gibt es die einfachste Antwort der Welt. Der jungen Frau ist es freigestellt, sich mit jungen Männern zu treffen. Da ihre Ehe zu der weit älteren Frau keineswegs sexuell bestimmt ist, gibt es auch keinerlei Eifersucht. Die Kinder der jungen Frau werden jedoch der Frau-Frau-Ehe zugesprochen, so daß das Kind keinen Vater kennt.