Männlich und weiblich

Die Natur hat den Frauen so viel Macht verliehen, daß das Gesetz ihnen nur sehr wenig belassen kann.

Dr. Johnson

 

Schon immer und in allen Gesellschaften wurden die beiden Geschlechter als etwas Antagonistisches angesehen. Als die Verkörperung von Gegensätzen wie schwach und stark, Erde und Himmel, Feuer und Wasser. Der am meisten verwendete geschlechtliche Gegensatzbegriff des Abendlandes ist der von Gut und Böse, wobei das Weib das Böse verkörpert. Das Alte Testament zum Beispiel beschreibt den Sündenfall als Verführung des Mannes Adam zum Bösen durch die Frau Eva. Dieses biblische Bild birgt die Aufforderung zu einer ständigen Wachsamkeit gegenüber der unberechenbaren Frau.

Der in Andalusien gefürchtete „Böse Blick“ gilt als eine Gabe des Teufels an seine Verbündete, die Frau. Der böse Blick bei Männern ist nicht verbreitet. Die Frau als Hexe und damit als Satans Dienerin hat sogar in den Märchen eine weitaus größere Bedeutung als der böse männliche Zauberer.

Die Hexe, eine alleinlebende Frau mit ihrem Besen, auf dem sie reitet, ist die Personifizierung der weiblichen Verweigerung von Sex und Kinderaufzucht. Diese Verweigerung ist gesellschaftlich betrachtet stark asozial, , da sie dem Bestand der Gesamtgesellschaft entgegenwirkt. Aber nicht nur die sexuelle Verweigerung von Frauen auch ihre bessere Selbstkontrolle beim Sex und damit ihre Macht gegenüber dem Mann, war dem Manne stets ein Dorn im Auge. Deshalb kam es schon sehr früh und bezeichnenderweise in fast allen Gesellschaften zur Herausbildung eines Hexenmythos. Um die Zahl einzelgängerischer Frauen im Vorfeld möglichst gering zu halten, verbreitete man den Hexenmythos im Märchen. Eine erzieherische Maßnahme, die besonders den Mädchen ihre Rolle verdeutlichen sollte.

Die „Luna“ (der Mond) mit ihrem kalten Licht wird in Südeuropa stets der Weiblichkeit zugeordnet, während die heiße Sonne, „el sol“ der Himmelskörper der Männer ist. Außerdem variiert der Mond in seiner Erscheinungsform am Himmel und steht damit für die weibliche Eigenschaft der Flüchtigkeit. Die Sonne hingegen ist beständig, was wiederum mit dem Mann assoziiert wird. Außerdem entspricht der Mondzyklus etwa dem Zyklus der Monatsregel der Frau. Noch vor Erfindung der Schrift war die Mondsichel zu einem Symbol für die Frau geworden.

Dem Stier wurde das zum Verhängnis. Die Form seiner Hörner erinnert nämlich an die Mondsichel und somit an die unerwünschten, aber stets präsenten Dominanzansprüche der Frau. Um sich gegen diese Dominanz zumindest symbolisch zur Wehr zu setzen, erfand der Mann den Stierkampf. Indem der Torero den Stier tötet, übernimmt er die Dominanz über die Frau, stellvertretend für alle Männer.

Sogar vor pseudowissenschaftlichen Erklärungen schreckt der Aberglaube nicht zurück. So wird in Andalusien angenommen, daß der Mann deshalb anfälliger gegenüber üblen Machenschaften ist, weil er im Gegensatz zur Frau kein biologisches Körperventil hat. Der Mann wird oft mit einer Flasche abgestandenen Wassers verglichen, während die Frau, mit ihrer Monatsblutung, die Möglichkeit hat, ihren Körper von Giften zu entschlacken. Das sei auch die Ursache dafür, daß Frauen länger leben.

Auch die Nachfahren der Kelten haben sich bis heute ihren Glauben an den destruktiven Einfluß der Frau erhalten. Auf der irischen Insel Inis Beag gehört das Theaterstück „Grania“ zu den beliebtesten Bühnenstücken überhaupt. Hierbei geht es darum, daß es einer Frau gelingt, eine Männerfreundschaft zu untergraben und sogar die Treue der Krieger gegenüber ihrem Kriegsherrn zu stören. Beides gilt im konservativen Irland fast als Verstoß gegen die Zehn Gebote. Neben den Hauptakteuren stehen sich bei dem Theaterstück Krieger als Vertreter der Männlichkeit und Zankweiber als Vertreterinnen der Weiblichkeit gegenüber. Besonnenes Männerhandeln und weibliche Schwatzhaftigkeit durchziehen das zweitklassige Stück vom Anfang bis zum Ende.

Anerzogenes Rollenverhalten zwischen den Geschlechtern gibt es in allen Gesellschaften. Manche Kulturen haben sogar Tabus und Regeln entwickelt, die die Arbeitsteilung auf das Genaueste definieren. Das beste Beispiel dafür sind die Eskimos. Es brächte Unglück, wenn sich Frauen am Fischfang oder an der Jagd aktiv beteiligten. Trotzdem nehmen die Jäger auch Frauen bei längeren Jagdexpeditionen mit. Denn, so glauben sie, brächte es Unglück, wenn ein Mann über längere Zeit hinweg kocht oder näht. Sind wir doch ehrlich zu uns selbst, diese Klischees der Eskimos über die geschlechtliche Arbeitsteilung ähneln weitestgehend unseren eigenen Vorstellungen.

Wie wenig Klischees von Männlichkeit und Weiblichkeit aber universelle Gültigkeit haben, zeigt das Beispiel der Tchambuli auf Papua. Bei Festen ist es Aufgabe der Frauen, für das Essen und das benötigte Geld zu sorgen. Pflicht der Männer ist es die Gäste mit Tanz und Musik zu unterhalten. Diese Aufgabenzuweisung bei Festen spiegelt auch die Aufgabenverteilung während des Alltags wider. Den Frauen der Tchambuli obliegt das Fischen und das Korbflechten. Sie sind die Gestalter des wirtschaftlichen Lebens. Die Männer sind hier abhängig von der Gunst der Frauen. Sie sind höchstens Händler und als „Musen“ des Stammes verantwortlich für die Kunst.

In Arabien treiben nur die Männer Handel, während in Europa die Marktfrauen ihren männlichen Kollegen von alters her nicht nachstehen, und bei einigen zentralafrikanischen Stämmen handelt nur die Frau. Soviel nur zu den sogenannten typisch männlichen und typisch weiblichen Arbeitsfeldern.

Ein weiteren Rollentausch im Vergleich zu den meisten anderen Gesellschaften haben wiederum die Tchambuli bei ihrer Braut- beziehungsweise Bräutigamschau. Es sind die Frauen, die einen aktiven Part bei der Anbahnung von Ehen übernehmen. Vor allem die Arrangements der Mütter, die für ihre Söhne die passende Braut heraussuchen, sind von frappierender Bedeutung. Auf sie geht es zurück, daß innerhalb der meisten Tchambuli-Ehen die Frau älter ist, als der Mann. Die dahintersteckende Logik ist einleuchtend: „Frauen leben länger und sollten demnach jüngere Ehemänner haben.“ Da die Frauen den Part der Werbung übernehmen, bleibt den Männern lediglich die Koketterie, um bei den Frauen um Aufmerksamkeit zu werben. Sie müssen sich nach allen Regeln der Kunst einschmeicheln. Sie benutzen auch, um das Interesse einer Frau zu wecken, Amulette aus gestohlenen Steinen, die Frauen zur Selbstbefriedigung verwendet haben sollen.

Die jungen Männer der Tchambuli haben ein auffällig mißtrauisches Verhältnis zueinander. Erst mit einem gefestigten Familienstatus legt sich dieses Mißtrauen und so etwas wie Männerfreundschaften werden geknüpft. Dieses Phänomen ist auch in modernen Gesellschaften zu beobachten. Allerdings geht es dabei um den berufliches Konkurrenzkampf bei einer zunehmenden Verschärfung der Wettbewerbsbedingungen auf dem Arbeitsmarkt. Die Konkurrenz der Tchambuli-Männer hingegen ist davon geprägt, sich ständig darüber Gedanken zu machen, welche Frau sich denn für sie entscheidet.

Im Widerspruch zu diesen Eheanbahnungen steht bei den Tchambuli der Brautpreis. Bei dem soeben Gesagten müßten die Tchambuli eigentlich nicht den Brautpreis, sondern den Bräutigampreis kennen. Doch dadurch, daß die Mutter für den Sohn die passende Braut sucht, hat sich auch bei den Tchambuli der Brautpreis entwickelt. Dieser wird erst nach dem ersten Beischlaf gezahlt, um so die Gewähr der Zuneigung durch die Braut zu haben. Auch wenn man es meinen könnte, das Beispiel der Tchambuli ist weit davon entfernt, das vielbeschworene Matriarchat zu verkörpern. Es ist lediglich eine Gesellschaft, deren Verwandtschaftsbeziehungen über die Mutter aufgebaut werden. Dadurch ergeben sich aus unserer Perspektive matriarchalische Züge. Doch es sind die Männer bei den Tchambuli, die das Recht haben, Frauen zu züchtigen und davon machen sie auch regen Gebrauch.

Die Männer der Sepik auf Neuguinea behaupten, die Flöte vom Schöpfergott persönlich empfangen zu haben, als ein Symbol ihrer Vorherrschaft. Diese Vorherrschaft zeigt sich auch darin, daß die Frauen zu den Männerhäusern keinen Zutritt haben. Man fürchtet die Götter damit zu verstimmen. Um die Neugierde der Frauen zu dämpfen, berichten unzählige Geschichten von ungehorsamen Frauen, die sich immer wieder in Gefahr gebracht haben, indem sie dem Männerhaus zu nahe gekommen sind. Tatsächlich aber fürchten die Männer, daß die Frauen an die Macht gelangen könnten, indem sie den Kontakt zu den Göttern suchen. Und die Furcht ist berechtigt. Denn früher einmal waren die Sepik tatsächlich frauenrechtlich organisiert. Davon zeugen heute noch die Frauenfiguren mit weit gespreizten Beinen an den Giebeln der Männerhäuser.