Der Klapperstorch

Auch andere Kulturen haben recht merkwürdige Geschichten zur Entstehung neuer Menschen erfunden, wenn auch nicht unbedingt zur Verschleierung.

 

Angeblich unterscheidet den Menschen vom Tier, daß er komplex denken kann. Doch über das wichtigste Thema scheinen sich die meisten Säugetiere mehr Gedanken zu machen als der Mensch. Das beste Beispiel dafür bieten die Paviane. Eine Horde von Pavianen vermehrt sich bewußter, als es die Menschen tun. Die Rede ist von der selektiven Pavianfortpflanzung. Hierbei haben nur die Paschas, also die Hordenführer, das Recht, sich mit allen Weibchen ihrer Horde fortzupflanzen. Diese Einschränkung hat zwei Vorteile.

Erstens: Als stärkstem Hordentier, obliegt es dem Pascha für kräftigen Nachwuchs zu sorgen. Nur die Gene des kräftigsten Tieres werden in die nächste Generation transportiert. Und in Konkurrenz zu anderen Horden ist körperliche Kraft von Vorteil. Der Titel Pavianpascha ist übrigens kein Titel auf Lebenszeit, sondern geradezu ständig in Gefahr. Kräftige Jungtiere machen es dem alternden Pascha nicht gerade leicht, seine Führerposition auf Dauer zu verteidigen. Doch selbst wenn ein häufiger Wechsel der Hordenführer stattfindet, die meisten männlichen Tiere bringen es nicht zum Rang eines Paschas, gehen leer aus und müssen daher wohl oder übel ein Leben in einer Art erzwungener Jungfräulichkeit führen, ob ihnen das paßt oder nicht.

Zweitens: Gerade in der Jungfräulichkeit vieler Männchen liegt ein weiterer Vorteil der selektiven Fortpflanzung. Denn die jungfräulichen Untertanen sind um so folgsamer, je größer der Abstand zwischen ihnen und ihrem Pascha ist. Dieser Abstand wird durch das Paschamonopol auf Sex besonders unterstrichen. Folgsame Untertanen wiederum sind deshalb von Vorteil, weil sie sich im Kampf gegen andere Horden besser organisieren lassen.

Alle Völker dieser Welt haben sich zumindest Gedanken über die Entstehung ihrer selbst gemacht. Ebenso wie die Mythologie mit Schöpfungsgeschichten aufwartet, hat sie auch Zeugungsgeschichten zu bieten. Während sich die Schöpfungsgeschichten der Naturvölker bei Wissenschaftlern großer Popularität erfreuen, setzt man sich weit weniger mit den verschiedenen Zeugungsgeschichten auseinander. Grund dafür mag sein, daß in unserer eigenen jüdisch-christlichen Kultur die Schöpfungsgeschichte sehr wichtig ist, während sie die Zeugung quasi als Tabuthema ausklammert. In dieser jahrtausendealten Tradition verhaftet, tut sich der westliche Mensch schwer, den Zeugungsmythologien anderer Kulturkreise irgend etwas abzugewinnen. Dabei sei unterstrichen, daß die fehlende Beschreibung des Arterhaltes in der Bibel lediglich als Beweis für die Prüderie der alten Juden zu sehen ist, während andere Völker sich wohl Gedanken über das Entstehen des Menschen machten; meistens folgende:

Die Schwangerschaft und die Geburt sind Sache der Frau. Das zu leugnen wäre Hohn. Doch die frustrierten Männer der meisten Völker haben ihrem Geschlecht Ersatzfunktionen herbeigeredet. Ein weltweites Phänomen dabei ist, daß der Mann für sich den geistigen Teil beim Akt der Zeugung beansprucht.

Von Alaska bis Australien läßt sich die Existenz von sogenannten Geistkindern finden. So glauben die australischen Murngin, daß ein Kind dadurch entsteht, daß es in Form eines Geistkindes dem Mann im Traum erscheint. Ebenso im Traum erscheint dem Mann die potentielle Mutter dieses Geistkindes. Noch im Traum obliegt es dem Mann, jene Frau zu benennen, in dem sich das Geistkind einnisten soll. Jedoch ganz so einfach liegen die Dinge auch in Australien nicht. Kein Geistkind, daß etwas auf sich hält, kehrt bei einer unverheirateten Frau ein. Mit anderen Worten. Zunächst muß auch bei den Murngin geheiratet werden. Dann muß der Ehemann weiterhin von seiner Frau träumen. Erst danach befruchtet ein Geistkind den Schoß der jungen Ehefrau. Dem Ehemann obliegt es lediglich den Eingang zum Schöße seiner Frau etwas zu weiten, damit daß Geistkind bequem hineinschlupfen kann. Auch dieses Hineinschlüpfen geschieht übrigens während eines Traumes; dieses Mal allerdings während eines Traumes der Frau. In der Schwangerschaft verliert der Ehemann seine Bedeutung nicht. Ihm obliegt das Füttern des Fötus mit Sperma.

Auf der Südseeinsel Mangaia wird behauptet, daß viel Sex besonders während der Schwangerschaft wichtig wäre. Und darüber Bescheid, daß Sperma und Koitus die Geburt erleichtern, wissen die Mangaien auch. Die Krönung aller Orgasmen für die Bewohner Mangaias ist die natürliche Absonderung des Schwangerschafts-Schleims während des Geschlechtsaktes. Denn sie ist das Zeichen, daß es der Fötus schön feucht hat, was die Voraussetzung für ein gesundes Kind ist. Noch deutlicher als auf Mangaia bringt es der tamilische Stamm der Malabar auf den Punkt. Sie übertragen ganz einfach die Vorlieben des Menschen auf die Vorlieben des Fötus. Einer der menschlichen Vorlieben ist zweifelsohne das Essen. Hierbei sagen die Malabar, daß es wichtig ist den Fötus von Anfang an möglichst ausgewogen zu ernähren. Nur wie füttert man einen Fötus – und dann auch noch ausgewogen? Unsere engstirnige Erklärung dafür mag wohl lauten, „indem sich die Mutter bewußt ernährt, ernährt sie auch den Fötus bewußt“. Anders dagegen argumentieren die Malabar. Wie bei den Mangaien ist auch bei ihnen der Vater für die Nahrung der mütterlichen Leibesfrucht verantwortlich. Doch nicht in einer bewußten Ernährung des Vaters und damit auch des Fötus liegt das Geheimnis für die gesunde Ernährung von ungeborenem Leben, sondern in einer möglichst abwechslungsreichen Spermamixtur möglichst zahlreicher Spender.

Man kann sich natürlich so seine Gedanken darüber machen, ob dieser Brauch wirklich auf Unwissenheit beruht, oder aber ob er eine eher etwas hinterlistige Methode ist, möglichst häufig Geschlechtsverkehr zu haben. Vielleicht ist es ja sogar eine Idee, die die Frauen in die Welt gesetzt haben, um in den Genuß von mehr Abwechslung zu kommen und das dann mit dem unverfänglichen Argument des schier unstillbaren Hungers ihres Babys zu begründen. Die Mythen der Völker loben ja durchaus die List.

Weniger über die Ernährung des Fötus als über sein Entstehen haben sich die Ashante in Westafrika Gedanken gemacht. So ist es nach ihren Vorstellungen klar, daß das Blut der Mutter für die körperliche Erscheinung des neuen Lebens steht. Der Charakter hingegen wird durch das Sperma des Vaters bestimmt.

So gesehen, müßte es ebenso temperamentvolle wie grübelnde Spermien geben. Die Vorstellung allerdings, daß es im Hodensack Bibliotheken für Denkernaturen und Gymnastiksäle für körperbewußte Samenzellen gibt, fällt mir zumindest ein wenig schwer. Nicht so den Ashante. Für sie ist ein Hoden ein ganzer Mikrokosmos. Hier gibt es Samenzellen, die miteinander raufen – so richtige Schlägertypen eben – hier gibt es Stockcar-Rennen und Eislaufanlagen. Kurzum, alles was es auch auf der Welt gibt, gibt es auch in einem Hoden.

Somit ähneln die Zeugungsvorstellungen der Ashante dem Weltbild der Hopi-Indianer im Südwesten der USA. Diese glauben nämlich an ein Leben in fünf Stadien. Das irdische Stadium ist nur eines davon. Vor diesem weilte der Mensch in einer ganz anderen Welt. Diese Welt wird nicht näher umschrieben, entschwindet sie doch der Vorstellungskraft des Menschen. Sie könnte also ebenso der Mond wie der Hodensack sein. Erst als es im Sack zu eng wurde, da seien die Menschen über ein Nadelöhr im Grand Canyon auf die Erde gekommen. Nun, die Assoziation Grand Canyon gleich Samenleiter bietet sich geradezu an. Seltsam genug, daß die Ashante und die Hopis kaum voneinander wissen. Sie hätten sich sicher vieles zu sagen.

Gut beobachten und keineswegs um den heißen Brei herumreden tun die Aloresen auf Indonesien. Nach ihrer Meinung ist die Leibesfrucht nämlich nichts weiter als eine Verdickung aus femininer Mensis und maskulinem Sperma. Freilich drücken sich die Aloresen nicht so aus. Das Wort Baby bedeutet in ihrer Sprache einfach „Rot-Weiß“. Fragt man sie nach dem Grund für dieses seltsame Wort, so erklären sie gern, daß aus dem roten Blut der Vagina und dem weißen Sperma nun einmal Babys entstehen.