Treue und Fremdgehen

Promiskuität setzt Gelegenheit voraus. Treue ist nur Mangel an Gelegenheit.

Hans Halter

 

Während sich die abendländische Welt schon seit fast 2000 Jahren dem Diktat der Zehn Gebote unterordnet, um einem unhaltbaren „Du sollst nicht Ehebrechen“ gerecht zu werden, haben sich in anderen Teilen der Welt die Menschen eher bemüht, sich mit dem Problem der Untreue abzufinden. Die Benu in Afrika haben das Fremdgehen wohl am elegantesten in den Griff bekommen. Zwar haben sie sich genau wie wir für die Monogamie entschieden, doch bei ihnen gilt reges Fremdgehen als das Salz in der Suppe einer Ehe. Sie halten es sogar für geeignet, um das Eheleben zu bereichern. Man holt sich sexuelle und sonstige Inspiration bei einer anderen Frau oder einem anderen Mann und bringt diese neuen Erfahrungen in seine Ehe ein. Das klingt für auf die „Treue“ und auf den „Bund fürs Leben“ dressierten Europäer zwar etwas utopisch, doch nur deshalb, weil uns jahrtausendelang nichts anderes, als die „Sünde des Fleisches“ eingebleut wurde.

Aber auch den Benu ist die Untreue ihrer Partner nicht völlig gleichgültig. Ständig hört man Weiblein und Männlein sich zanken. Und oft genug geht es dabei um die Untreue. Heftige aber kurze Szenen sind an der Tagesordnung. Sie sind aber nicht so ernstgemeint, und eher eine Unterhaltung für die Dorfgemeinde. Für die Betroffenen selbst sind sie gleichzeitig Liebesbekundungen. Die lautstarken Streitereien enden meist mit einer noch lauteren Versöhnung im Bett.

Der sexuelle Seitensprung gilt bei den Benu auch als Ansporn, es selber besser zu machen. Das heißt: ebenfalls einen Seitensprung zum Besten zu geben. Stellt ein Mann fest, daß seine Frau ihn betrügt, so wird seine erste Reaktion sein, es das ganze Dorf wissen zu lassen. Gleichzeitig gibt er damit allen anderen Frauen zu verstehen, daß er jetzt ein Techtelmechtel gut hat. Der Ausgleich im Fremdgehen wird jedoch nach Möglichkeit nicht an die große Glocke gehängt, sondern stillschweigend genossen. Man weiß ja nie, wann man wieder einmal schwach wird. Und dann ist es ganz gut seinen Bonus noch zu haben.

Die Turu in Tansania dagegen haben erkannt und sogar in ihrer Religion festgehalten, daß Liebe etwas ausgesprochen Destruktives sein kann. Eben aus diesem Grunde wird eine Ehe nicht durch die Liebe eingeleitet, sondern von kommerziellen Interessen diktiert und von den Eltern arrangiert.

Diese Art von Kommerzehen sind bei vielen Völkern bekannt, besonders in Indien. Doch während man in Indien hofft, daß das junge Paar sich im Verlauf der Ehe zusammenrauft und die Liebe dann von selbst kommt, sind die Turu ehrlicher. Sie sind sich darüber im klaren, daß die Liebe kommt und geht. Deshalb trennen sie oftmals die Ehe von der Liebe. Es klingt paradox, doch suchen bei den Turu die Ehefrauen selbst für ihre Männer eine passende Liebhaberin. Diese finden sie meist sogar in ihrem eigenen Bekanntenkreis. Ein absolut treuer Mann gilt als unnormal, ja wird von ihnen sogar für verhext gehalten.

Andererseits verlangen die Turu-Frauen für sich selbst die gleichen Rechte. Auch sie werden ständig von Männern besucht. Das Fremdgehen gehört bei den Turu ebenso zum Leben wie das tägliche Brot. Nur einige Regeln sind dabei zu beachten: dem Mann obliegt es eine Mätresse zu besuchen, nie umgekehrt. Das Ganze hat einen Nachteil. Denn, während der Mann außer Haus geht, weiß die Frau nicht, ob er nun fremdgeht oder lediglich ausgeht. Was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß, so weit, so gut. Auf der anderen Seite erfährt der Ehemann zwangsläufig von den Affären seiner Frau, wenn sie von Liebhabern besucht wird. Da aber Ehemänner bekanntlich eifersüchtig reagieren, kommt es bei den Turu häufig zu Streit, Vergewaltigung und Mord. Somit war für viele Forscher der Fall klar. Das institutionalisierte Fremdgehen war der Grund für ständige Gewalttätigkeit. Doch weit gefehlt. Denn der Stamm der Turu ist von alters her ein sehr aggressiver Stamm. Eifersuchtsdramen passen also vollkommen zur Mentalität der Turu. Es läßt sich vermuten, daß das tolerierte Fremdgehen erst als Antwort auf Aggressionen und Vergewaltigungen entstand und daß darin eine entspannende Wirkung gesehen wurde.

Während gegenüber Konkubinen keinerlei sexuelle Tabus existieren, ist der Umgang mit der eigenen Frau ganz anders. „Der Ehefrau“, so heißt es bei den Turu, „muß man respektvoll wie einem Löwen begegnen, sogar ihrem Blick ausweichen und nicht einmal ihren Namen erwähnen.“ Gleiches gilt auch für die Beziehung der Ehefrau zu ihrem Mann. Diese Regeln helfen nicht gerade, ein partnerschaftliches Vertrauen zwischen den Eheleuten aufzubauen. Doch das ist auch gar nicht erwünscht. Denn Vertrauen bedeutet Liebe und Liebe ist destruktiv und somit eine Gefahr für die materiell bestimmte Ehe der Turu. Als wichtigste Regel gilt, daß der eheliche Beischlaf stets Seite an Seite vollzogen wird. Dabei muß der Mann auf seiner rechten Seite liegen und die Frau auf ihrer linken. Diese eingeschränkte Position erlaubt es nicht sich gänzlich auszutoben. Damit soll der größtmögliche Respekt zwischen Ehepartnern gewahrt bleiben. Das Austoben geschieht eben auswärts. Weltweit ist das traditionelle Eheleben der Turu deshalb von Interesse, weil es scheinbar zur Befriedung einer temperamentvollen, um nicht zu sagen gewalttätigen, Gesellschaft beiträgt. Die Gewaltbereitschaft der ganzen Menschheit nimmt unterdessen zu. Vielleicht wäre ein gesellschaftlich akzeptiertes Fremdgehen ein Ausweg aus Mord und Totschlag.

Auch dem seelischen Zustand des Betrogenen wird bei den Turu ein Interesse beigemessen. Ausgleichsmechanismen sollen hier helfen. Durch die öffentliche Bekanntgabe einer Affäre wird der „gehörnte“ Ehepartner um seine Zustimmung zu der Affäre gebeten. Nicht Tobsuchtsanfälle und Scheidung sind die Folge, sondern ein nüchternes Rechnen. Mit seinen Blutsverwandten berät der betrogene Ehepartner, was zu tun ist. Meistens wird ein Kompensationsbetrag vereinbart, der vom Liebhaber an den Betrogenen zu zahlen ist. Auch für den weiteren Verlauf der Affäre ist der Liebhaber dazu verpflichtet, kleinere Geschenke an den Ehemann abzutreten.

Diese Verpflichtung soll für die Zukunft ein gutes Verhältnis zwischen beiden sichern. In der Praxis sieht es so aus, daß auch der Ehemann dem Liebhaber seiner Frau Geschenke macht; auf diese Weise können sie beide durchaus zu besten Freunden werden.

Als Weiteres ist die Eifersucht bei den Turu durch starke Clan-Zusammenhänge eingedämmt. Über fünf Generationen bleiben die Turu-Männer miteinander verwandt. Sämtliche Männer einer Generation betrachten sich als Brüder. Durch die Regelung, daß Brüder ihre eigene Familien untereinander teilen können, ergibt sich eine hohe Legitimität bei der Wahl einer Konkubine. Diese Legitimität wird längst nicht ausgeschöpft. Als Grund für das Nichtausschöpfen geben die Turus selbst die Eifersucht an. Das Teilen der Familien zwischen den Brüdern hat natürlich nicht nur den Sinn, ein eventuelles Fremdgehen gutzuheißen, sondern ist vor allem eine Maßnahme zur Witwenabsicherung.

Doch nicht nur in Afrika, sondern auch andernorts hat sich ein, aus unserer Sicht scheinbar unorthodoxes, Denken hinsichtlich Treue und Fremdgehen entwickelt. „Der Ruf einer Insel reist auf des Mannes Penis.“ Woher sonst als aus der Südsee könnte dieser Spruch stammen.

„Auf Mangaia rennen Frauen regelrecht um die Wette, um Neuankömmlinge auf der Insel als erste zu verführen.“ Solche Geschichten wußten zumindest noch die ersten europäischen Seefahrer aus der Südsee zu berichten. Auf den Marquesas wird Sex mit dem Schwager beziehungsweise der Schwägerin geradezu erwartet. Doch katholische Missionare wußten diese Sitte mit Erfolg zu bekämpfen. Weniger erfolgreich waren die Missionare auf Trobriand. Auch wenn heute die Insulaner christlich sind, ihre ursprüngliche Sexualgesinnung ist noch ziemlich intakt. Das größte Kompliment, das man einem Südseeinsulaner machen kann, lautet „Oh, du Brecher der Ehe“. Im übertragenen Sinne könnte man auch „Casanova“ oder „Don Juan“ sagen. Vor allem das Verführen unverheirateter Frauen gilt auf Trobriand als eine sehr prestigevolle Betätigung. Auch feuchte Träume gelten den Trobriandern als positiver Zauber der Angebeteten. Sie sind allemal Grund, der Libido freien Lauf zu lassen, auch wenn man bereits verheiratet ist.

Die Südsee, bei all ihren liberalen Einstellungen zur Liebe, kennt die Eifersucht trotzdem. Mythen auf Mangaia wissen darüber zu berichten, daß bei langen Handelsexpeditionen die Seemänner ihren Frauen die Klitoris verschnürten, um sie keusch zu halten. Dahinter verbirgt sich der Gebrauch einer Art Keuschheitsgürtel.

Auch ein Aberglaube auf Mangaia spricht dafür, daß Eifersüchteleien den Eingeborenen nicht unbekannt sind. Zum Beispiel gilt ein fliegender Fisch, der auf dem Deck eines Fischerbootes landet, als deutliches Indiz für das Fremdgehen der Ehefrau.

„Fremdgehen“, so sagen die Stammesältesten der Mundugumor auf Neuguinea, „führe zu Unfruchtbarkeit und einem schnellen Altern.“ Diese Geschichten waren und sind rein verbale Mittel, um den Ehebruch zu bannen oder einzudämmen. Doch diese Beherrschung fällt den Mundugumor ziemlich schwer. Ständig verziehen sich irgendwelche Paare in den Wald, um sich hier so richtig gehen zu lassen. Dabei lieben die Mundugumor brutale Vorspiele sehr, so daß sich Hautabschürfungen beim Sex nicht vermeiden lassen. Auch während des eigentlichen Aktes gilt Kratzen und Beißen als ein Beweis der Leidenschaft. Und was die Wildheit der Liebenden nicht schaffen sollte, schafft das Lager aus Reißig. Zumindest der Rücken ist ständig von irgendwelchen Blessuren bedeckt. Seltsam ist nur, daß die Mundugumor sich immer wieder auf das Neue darüber amüsieren können. Wenn jemand von einem Ausflug zurückkehrt, mit den verräterischen Blessuren, dann lacht das ganze Dorf. Wohl ahnen die Lachenden, daß sie bereits morgen selber zum Gespött ihrer Stammesgenossen werden können, trotzdem gilt die Schadenfreude den Mundugumor als das höchste Gut. Überdies ist Sex für den Stamm das Hauptthema aller Unterhaltungen. Sie scheinen keinerlei Tabus zu kennen und nennen die Dinge beim Namen. Meine sämtlichen Erfahrungen mit den Sitten und Gebräuchen der Südseeinsulaner wurden bei diesem Stamm mit einem Male über den Haufen geworfen. Während ich in Sachen Liebesleben überall sonst recht mühselig meine Informanten ausfragen mußte, plauderten diese Leute offen über die letzten Intimitäten ihrer Mitmenschen. Nur über persönliche Praktiken war keiner bereit irgend etwas zu erzählen. Also lag für mich der Schluß nahe, daß alles Erzählte lediglich auf irgendwelche Legenden zurückzuführen ist. Selbst erlebt und damit authentisch war demnach so gut wie nichts.

Unerbittlich verfolgten die Schwarzfußindianer den Ehebruch. Die ersten europäischen Siedler an der Ostküste Amerikas wunderten sich über verstummelte Nasen. Ehebruch bestraften die Schwarzfußindianer nämlich äußerst grausam mit dem Abschneiden der Nase.

Bei den Inuit wird Ehebruch bis heute nicht durch sexuellen Verkehr mit anderen Partnern definiert; das Vergehen liegt eher in seiner Verheimlichung oder der fehlenden Anfrage. Während angekündigtes Fremdgehen bei den Inuit toleriert wurde, galt Ehebruch hinter dem Rücken des Ehegatten als ein Vergehen höchster Ordnung. Er konnte mit dem Tode bestraft werden. War allerdings der Partnertausch angesagt und vom Ehepartner bewilligt, so wurde er als eine Art Urlaub betrachtet. Er stillte das Bedürfnis nach Abwechslung, bei einem sonst eintönigen Lebensrhythmus als Jäger und Sammler der Arktis beziehungsweise als Näherin und Köchin.