Die Ballade von Bruenor

Banak Starkamboss beobachtete den Gegenangriff – Tausende von Orks, die sich blutgierig auf die Zwerge stürzten – und wusste, dass es vorbei war. Diese Schlacht würde die letzte auf diesem Boden sein, ob er nun siegte oder verlor, durchbrach oder sich zurückzog. Als er die schiere Größe der Ork-Streitmacht sah, die gewaltige Masse an Verstärkung, war der Zwerg über die Aussichten alles andere als begeistert.

Kampfgeräusche hinter und unter ihm ließen ihn schnell zurück zum Klippenrand eilen, und auch dort sah der alte Zwerg nichts als Vernichtung.

Die Zwerge am Westrand des Tals der Hüter waren bereits dabei, sich zurückzuziehen. Und wie hätte es auch anders sein können? Die Armee, die gegen sie geführt wurde, war riesig, größer als alles, was Banak in seinen langen Jahren gesehen hatte.

»Wie viele Orks?«, fragte er atemlos, denn der Anblick hatte ihm die Kraft geraubt. »Fünftausend? Zehntausend?«

»Sie werden schon bald das gesamte Tal überfluten«, warnte Torgar Hammerschlag.

Und das wäre es dann, wusste Banak. »Bringt sie runter«, befahl er, und er musste sich zwingen, die gefürchteten Worte durch zusammengebissene Zähne auszuspucken. »Alle. Wir ziehen uns ins Tal und in die Halle zurück.«

Die Zwerge der Heldenhammer-Sippe und aus Mirabar waren an so etwas wie Befehle zum Rückzug nicht gewöhnt, und einen Augenblick lang starrten alle Kommandanten rings um Banak den alten Zwerg mit offenem Mund an.

»Aber die Riesen sind tot!«, protestierte einer. »Der Gnom hat den Kamm in die Luft gejagt und …«

Dann begriffen sie es, dann sahen sie, was die Ork-Angriffe aus dem Norden und hinter ihnen im Tal zu bedeuten hatten, und niemand widersprach mehr. Bevor der widerspenstige Zwerg seinen Satz auch nur vollendet hatte, waren Torgar und Shingles, Ivan und Tred und alle anderen schon unterwegs zu den Gruppen, für die sie verantwortlich waren, und organisierten einen vollständigen Rückzug von der Klippe.

Banak wandte seine Aufmerksamkeit dem nördlichen Hang zu, wo Thibbledorf Pwent und seine Knochenbrecher inmitten des Ork-Angriffs ein Chaos anrichteten. Der alte Zwerg nickte anerkennend – das Opfer der Schlachtenwüter verschaffte ihm kostbare Zeit zur Flucht.

»Mach sie fertig, Pwent«, murmelte er – eine reichlich überflüssige Aufforderung.

»Los! Runter mit euch!«, feuerte er dann die Zwerge an, die zu den Seilen rannten. »Und werdet nicht langsamer, bis ihr unten im Tal seid!«

Banak sah zu, wie die Zwerge, die den angreifenden Orks direkt gegenüberstanden, sich zu dichteren Karrees formierten und begannen, sich den Abhang hinauf zurückzuziehen.

»Wir müssen ihre ersten Reihen aufbrechen, um denen, die als Letzte gehen, Zeit zu verschaffen«, hörte er Tred von irgendwo unten rechts rufen.

Als Antwort auf diesen Ruf eilten zwei vertraute Gestalten, Wulfgar und Catti-brie, den Hang hinunter und trieben die linke Flanke der Orks vor sich her.

Banak hielt den Atem an. Tred hatte mit seiner Einschätzung Recht gehabt. Wenn sie den Schwung der Orks nicht aufhalten und diese ersten Reihen zu einem letzten kurzen Rückzug zwingen konnten, würden an diesem Tag viele Zwerge sterben.

Hinter sich hörte er, wie sich mehrere seiner Leute mit ihren Kameraden stritten und laut erklärten, dass sie nicht davonrennen würden, solange ihre Verwandten kämpften.

Banak fuhr wütend zu ihnen herum, die Augen zornig blitzend.

»Runter mit euch!«, schrie er über den Lärm den Streits hinweg, und alle starrten ihn an.

»Los!«, befahl der alte Zwerg. »Ihr Dummköpfe, wir müssen alle fliehen, und die hinter euch können damit nicht anfangen, ehe ihr weg seid.«

Einer aus der Gruppe schubste einen anderen barsch zum Rand und zu einem der Seile.

»Ich hab noch nie einen Freund im Stich gelassen«, knurrte der Zwerg weiter, aber er griff tatsächlich nach dem Seil und ließ sich vom Rand fallen.

Banak, der schon wieder den Hang hinunter zu der wilden Schlacht schaute, und noch weiter nach unten, dorthin, wo Pwent und seine Jungs offenbar vollkommen umzingelt waren, verstand den anderen Zwerg nur zu gut.

»Zerschmettert sie!«, rief König Obould seinen Leuten zu. Der Ork-König beschränkte sich jedoch nicht aufs Befehlen, sondern stürmte selbst nach vorn, drängte die Orks weiter und trat die Toten und Verwundeten beiseite, die bereits auf die vernichtende Verteidigung der Zwerge gestoßen waren.

Obould verfluchte sein Pech – er war sicher, seine Leute hätten schon beim ersten Angriff die von den Zwergen errichteten Wälle überrennen können, aber dann hatte der Boden unter ihren Füßen gebebt und ein Steinhagel war über sie hereingebrochen. Der Ork-König hatte keine Ahnung, was dort oben passiert war, aber im Augenblick konnte er auch nicht länger darüber nachdenken. Im Augenblick zählte nur eins.

»Zerschmettert sie!«

Der Ork-König drängte sich weiter vor, erreichte die ersten Reihen.

Er stand vor der vordersten Zwergenmauer und schwang sein Großschwert, um die Hellebarden der Zwerge beiseite zu schlagen. Ein paar wichen jedoch seinem wilden Angriff aus und richteten die Waffen rasch neu aus, um nach dem großen Ork zu stoßen.

Aber so gut die Qualität der Waffen aus Mithril-Halle auch war, sie verursachten auf der wunderbaren Rüstung des Ork-Königs kaum einen Kratzer, und er tobte weiter, riss das Schwert nach unten und entzündete dabei dessen Flammen. Ein unglücklicher Zwerg richtete sich gerade in diesem Augenblick auf, und sein Kopf wurde in zwei Hälften geschnitten. Oboulds Schwert bohrte sich in den Steinwall und riss einen beträchtlichen Brocken heraus.

Wieder und wieder schlug der Ork-König zu und fegte den Bereich in seiner Nähe leer. Dann sprang er auf die vier Fuß hohe Mauer.

Und dort stand er, das flammende Schwert gegen eine Hüfte gestützt und diagonal nach oben gerichtet, die andere Hand ausgestreckt und zur Faust geballt.

Pfeile und Armbrustbolzen schossen auf ihn zu und prallten ab. Die Zwerge in der Nähe stürzten sich auf ihn, hoben die Waffen und schlugen nach den Füßen des großen Orks, um ihn von der Mauer zu werfen.

»Zerschmettert sie!«, schrie Obould und wich keinen Zoll zurück.

Ermutigt von diesem Bild schwärmten die Orks über die Mauer, und die entsetzten Zwerge zögerten. Rechts hinter Obould näherten sich brüllende Riesen in Keilformation, schleuderten Steine gegen die Mauern und griffen mit voller Wucht an.

Unter seinem Schädelhelm grinste der Ork-König boshaft. Er hatte erwartet, dass sein mutiger Angriff Gerti und ihre zögernden Leute zwingen würde zu handeln.

Die erste Mauer gab nach. Die Zwerge drehten sich um und flohen, und jene, die nicht schnell genug waren, wurden überrannt und niedergetrampelt.

Obould blieb oben auf der Mauer stehen, brüllend und mit flammendem Schwert und geballter Faust. Er blickte zurück zu dem Gebirgskamm im Nordosten und fragte sich abermals, was es mit dieser Explosion auf sich gehabt hatte. Aber er nahm sich nicht die Zeit, lange darüber nachzudenken, sondern wandte sich wieder seiner überwältigenden Streitmacht und den fliehenden Feinden zu. Selbst wenn Urlgen im Norden versagen sollte, Obould wusste, dass er die Schlacht im Tal der Hüter gewinnen würde.

Er würde das Tor nach Mithril-Halle versiegeln, und dann würden die Zwerge, die sich noch über der Erde befanden, in der Falle sitzen und nicht mehr nach Hause können.

Drizzt konnte die Frontlinie nicht sehen, aber das Gedränge von Ork-Kriegern in den mittleren Teilen der Armee und in der Nachhut sagte ihm, dass die Zwerge nahe der Klippe heftigen Widerstand leisteten. Er nahm auch gewaltige Unruhe etwa hundert Schritt südlich seiner Position wahr, mitten in der Ork-Horde. Als er sah, wie ein aus vielen Wunden blutender Ork in die Luft geworfen wurde, nahm der Drow an, dass das irgendwie mit Thibbledorf Pwent zu tun haben musste.

Drizzt gestattete sich nicht einmal ein Grinsen, denn er näherte sich der Nachhut der Orks und hatte die Aufmerksamkeit vieler Nachzügler erregt.

»Sie werden dich prüfen«, sagte er zu seiner Begleiterin, die vor ihm herstolperte, die Arme auf dem Rücken gefesselt. »Du musst dich auf mich verlassen.«

Innovindil stolperte abermals und fiel, und Drizzt verbiss sich die instinktive Reaktion, versagte sich auch nur den kleinsten Hinweis darauf, was er empfand, und ließ zu, dass sie stürzte. Dann packte er sie an der Schulter und riss sie grob wieder hoch – und musste abermals gegen das Bedürfnis ankämpfen, das Gesicht zu verziehen, als er die Schwellung an ihrer Wange sah.

Es ging nicht anders.

Drizzt schubste sie energisch vorwärts, und sie wäre beinahe wieder gestolpert. Orks kamen auf die beiden zugerannt, die gelben Augen weit aufgerissen, die Zähne gefletscht, die Waffen bereit. Einer rannte direkt vor Innovindil, die den Blick senkte.

»Eine Gefangene für Urlgen«, knurrte Drizzt in gebrochenem Orkisch.

»Für Urlgen!«, wiederholte er lauter, als der Ork sich Innovindil in den Weg stellte.

»Eine Gefangene von Donnia«, fügte der Drow hinzu, als ihn viele zweifelnd ansahen.

Der Ork vor ihm gab einem seiner Kameraden ein Zeichen, der daraufhin hinter Innovindil trat, an ihren Armen zog und die Fesseln prüfte. Drizzt scheuchte ihn weg, nachdem er ihn hatte sehen lassen, dass die Fesseln echt waren.

»Für Urlgen!«, schrie er noch einmal.

Ob es nun eine weitere Prüfung sein sollte oder reine Bosheit – der Ork vor Innovindil stach plötzlich mit dem Speer zu, zielte direkt auf den Bauch der Elfenfrau.

Drizzt fuhr herum, sprang vor Innovindil, und die Krummsäbel zuckten und beförderten den Speer mit drei schnellen Berührungen zur Seite.

Wieder drehte sich der Drow, schrie: »Für Urlgen!«, und ließ die Krummsäbel wirbeln.

Der Ork zuckte zweimal zusammen und taumelte zurück.

Der Drow stand vor der Elfenfrau, die Klingen an der Seite. Der Ork schaute ihn an, dann betrachtete er seinen eigenen Oberkörper, der aus mehr als einem Dutzend heller Linien blutete. Dann fiel er vornüber.

»Bringt mich zu Urlgen!«, verlangte Drizzt von den anderen. »Bringt mich zu ihm.«

Der Drow drängte sich hinter Innovindil und schob sie rasch vorwärts, und die Ork-Reihen teilten sich vor ihnen wie Wasser vor dem Kiel eines schnellen Segelschiffs.

Rasch gingen sie weiter und wurden dabei von allen Seiten angestarrt – aber nur wenige Orks wagten sich in ihre Nähe, erkannte Drizzt hoffnungsvoll.

Dann blickte er den Abhang hinauf und entdeckte einen hoch gewachsenen Ork, der Befehle brüllte und barsch alle beiseite schob, die ihm zu nahe kamen.

Der Anführer. Offensichtlich der Anführer.

Drizzt fiel in sich selbst, suchte seine Mitte, suchte seinen Zorn, suchte dieses urtümliche Geschöpf, das in ihm existierte, den Jäger, und bewegte sich dann durch den Jäger hindurch in ein Reich reiner Konzentration. Inmitten unzähliger Orks hatte er keine Hoffnung, dass er und Innovindil lebend aus dieser Situation herauskommen würden, und vor diesem Hintergrund entschied er sich, das Gedränge schlicht zu ignorieren.

Er warf Innovindil einen raschen Blick zu. Ihre blauen Augen waren zu Stein geworden, starrten mit unendlichem Hass den Ork-Anführer an, den Sohn des Ungeheuers, das ihr ihren Tarathiel so brutal genommen hatte.

Bevor sie sich zu diesem Unternehmen aufgemacht hatten, hatte Drizzt Innovindil versprechen müssen, dass er es ihr überlassen würde, Urlgen, Sohn des Obould, zu töten.

Der Schlachtenlärm toste um sie her, das Gebrüll des Ork-Anführers zerriss die Luft, und die Orks drängten weiter den Hang hinauf, wo die Zwerge störrisch weiterkämpften.

Drizzt Do'Urden verschloss sich gegenüber dem Lärm und konzentrierte sich stattdessen auf ein einziges Bild.

Ein einstürzender, brennender Turm und ein Zwerg, der auf der Spitze des Turms stand und bis zum letzten Augenblick Befehle gab.

Der Jäger rief nach Guenhwyvar.

Sie wussten, dass sie standhalten mussten. Um ihrer Verwandten oben auf der Klippe willen durften die Zwerge die angreifenden Horden nicht weiter vorrücken lassen. Wohin sollte Banak Starkamboss fliehen, wenn sie sich nach Mithril-Halle zurückzwingen ließen?

Für die Verteidiger im Westen des Tals der Hüter verhinderte dieses Wissen jede Spur von Zweifel – sie hatten keine Wahl, sie mussten standhalten.

Aber sie konnten es nicht, und überall an der Front blieb ihnen bald nur die Wahl, entweder zu fliehen oder zu sterben. Viele entschieden sich für das Letztere, oder der Tod fand sie, während andere tatsächlich zur nächsten verteidigbaren Position zurückfielen.

Und die Ork-Horde folgte ihnen, drängte weiter, brach durch jede Mauer und schwärmte über jedes Hindernis.

Wie Treibholz wurden die Zwerge hinweggeschwemmt.

Sie schickten Läufer zum Fuß der Klippe im Norden, die Banak zuschreien sollten, sich zurückzuziehen, und tatsächlich entdeckten sie schon auf dem Weg dorthin, dass die ersten Zwerge bereits die Strickleitern und Seile herunterkamen. Sofort begannen jene am Fuß der Klippe, einen Plan zur Verteidigung dieses Bereichs zu entwickeln, und winkten die Zwerge, die von oben kamen, zu sich.

Andere liefen weiter nach Osten und benachrichtigten die Wachen am Tor von Mithril-Halle, dass eine Katastrophe drohte.

Schon bald waren die verbliebenen Verteidiger des Tals der Hüter in Sichtweite des großen Westtors, und jede mutige Anstrengung, sich umzudrehen und standzuhalten, wurde zunichte gemacht, und sie wurden noch weiter nach Westen getrieben.

Etwa auf der Höhe der Stelle, wo die Seile von der Klippe endeten, taten sie sich ein weiteres Mal zusammen und versuchten standzuhalten, denn sie wussten, wenn sie sich noch weiterdrängen ließen, würde Banaks Rückzug ein rasches Ende finden.

»Das Tor geht auf!«, rief ein Zwerg, der nach hinten geschaut hatte.

Jeder Zwerg in der Reihe fand einen Moment Zeit, um in diese Richtung zu blicken, wo sich tatsächlich das große Tor von Mithril-Halle auf ihren Hilferuf hin öffnete. Heraus kamen Dutzende von ihrer Sippe, viele nicht einmal in Rüstung, sondern mit vorgebundenen Schmiedeschürzen oder in Alltagskleidung. Es sah aus, als hätten alle verbliebenen Zwerge die Halle verlassen, selbst viele Verwundete, die eigentlich ins Bett gehörten.

Sie alle kamen auf diesen Hilferuf hin; sie alle gaben die Sicherheit ihrer Höhlen auf, um ihren Verwandten zu helfen.

Aber es waren immer noch nicht genug für einen Sieg, vielleicht nicht einmal genug, um die Orks zu verlangsamen.

Unter diesen Zwergen, die aus dem Tor gestürmt kamen, war jedoch einer, der nicht ignoriert werden konnte und dessen Gegenwart mehr als die eines weiteren einfachen Kriegers zählte. Hier eilte ein überlebensgroßer Zwerg an der Spitze der Verstärkung heran: Bruenor Heldenhammer war gekommen, um seiner Sippe beizustehen.

Banak knirschte mit den Zähnen, als er die Szene unter sich beobachtete, und er konnte kaum glauben, wie schnell die Verteidiger des Tals der Hüter überrannt und zurückgeschoben wurden. Die schiere Größe und Wildheit der neu eingetroffenen Ork-Armee raubte ihm den Atem. Der alte Zwerg schickte seine Schutzbefohlenen weiterhin über die Klippe, wo sie wie Ameisen die vielen Strickleitern hinunterkletterten. Es war eine Entscheidung, die er schnell getroffen hatte, und nachdem es geschehen war, fragte sich Banak unwillkürlich, ob er nicht einen Fehler gemacht hatte.

Denn die dunkle Flut, die im Tal der Hüter von Westen nach Osten floss, konnte offenbar nicht eingedämmt werden. Würde auch nur ein Einziger seiner fliehenden Leute die Talsohle erreichen, bevor das Ork-Heer vorbeigeströmt war? Und wenn das der Fall war, würden sie sich verteidigen können, während sich mehr und mehr ihrer Kameraden neben ihnen von der Klippe herunterließen?

Banak Starkamboss wusste jedoch auch, dass die Alternative eine vollkommene Katastrophe wäre, vielleicht das Ende aller tapferen Seelen, die seiner Obhut anvertraut waren.

Er feuerte die sich zurückziehenden Zwerge an, sich zu beeilen. Er brüllte hinunter zu Pwent und seinen Jungs, sich wieder zum Rand zurückzukämpfen, und dann ging er selbst zur letzten Fluchtroute: der Rutsche, die Torgars Ingenieure gebaut hatten.

Dort stießen auch Wulfgar und Catti-brie zu ihm, und kurz darauf Torgar, Tred und Shingles.

»Ihr beide macht euch auf den Weg«, befahl Banak den Menschen, von denen einer viel zu groß war, um die schmale Rutsche zu benutzen. »Geht zu den Seilen und seht, dass ihr runterkommt.«

»Wir werden gehen, wenn Pwent wieder hier ist«, sagte Catti-brie.

Um das zu unterstreichen, hob sie Taulmaril und schickte einen zischenden Pfeil ins Gedränge der Orks. Er verschwand dort vollkommen, aber keiner, der zusah, zweifelte daran, dass er eines der Geschöpfe tödlich getroffen hatte.

Wulfgar zog indessen zwei lange Seile näher zu der Stelle, wo sie standen, und verknotete sie mehrmals, damit sie schwieriger zu zerschneiden waren.

»Seid nicht dumm«, erklärte Banak. »Ihr seid die Kinder von König Bruenor, und als solche werdet ihr in der Halle gebraucht.«

»So, wie wir hier oben gebraucht werden«, entgegnete Wulfgar.

»Wir gehen, wenn Pwent hier ist«, wiederholte Catti-brie. Dann schoss sie einen weiteren Pfeil ab. »Und keinen Augenblick früher.«

Banak wollte widersprechen, aber dann schluckte er seine Worte herunter, denn er hatte dieser schlichten Logik nichts entgegenzusetzen. Auch er würde selbstverständlich nach diesem Tag in Mithril-Halle ein wichtiger Mann sein, und dennoch hatte er nicht vor zu gehen, bevor die Knochenbrecher auf dem Weg in die Fluchtrutsche waren.

Er trat vor. Catti-brie, Torgar und Shingles blieben links von ihm, Tred und Ivan Felsenschulter, der sich ihnen angeschlossen hatte, nachdem er den widerstrebenden Pikel nach unten geschickt hatte, hielten sich zu seiner Rechten.

»Benutz meinen Kopf, um deinen Bogen auszurichten«, sagte Banak zu Catti-brie.

Sie tat wie geheißen und traf den nächsten in einer Gruppe von Orks, die auf sie zustürmten.

Ihre anmutigen, fließenden Bewegungen standen in scharfem Kontrast zu Urlgens plötzlichen, ruckartigen Vorstößen und Schlägen. Innovindil glitt um ihn herum und begann mit einer Serie von Schwertstößen, die überwiegend darauf abzielten, den hoch gewachsenen Ork auf ein plötzliches, vernichtendes Ende vorzubereiten.

Urlgen drehte sich mit ihr, bewegte die in schwerer Rüstung steckenden Arme hektisch und wehrte jeden Angriff ab. Seine Füße hielten ihn stets im Gleichgewicht, während die Elfenfrau um ihn herumwirbelte und stetig weiter nach rechts kreiste.

Dann war sie verschwunden, hatte sich plötzlich nach links bewegt, vollführte eine vollständige Drehung, um Schwung zu nehmen, und legte diesen Schwung in einen einzigen Stoß, der das Herz des Orks treffen sollte.

Aber Urlgen, Sohn des Obould, sah den Angriff kommen und hatte ihn schon abgewehrt, bevor er auch nur begann. Sobald er die Elfenfrau aus dem Blickfeld verlor, drehte der Ork sich in der Hüfte und brachte die Arme vor sich nach unten. Der Schwertstoß, der beinahe jeden anderen Ork aufgespießt hätte, traf nicht einmal annähernd.

Innovindil ließ sich ihre Überraschung nicht anmerken, wich auch nicht zurück, um neu anzusetzen. Sie wusste, dazu hatte sie keine Zeit, denn Drizzt Do'Urden war in ihrer Nähe angestrengt damit beschäftigt, jeden Ork abzuwehren, der sich zu nähern wagte. Er sprang, er drehte sich, und seine tödlichen Krummsäbel schnitten, schlugen zu, stießen vor. Auf der anderen Seite der Elfenfrau und des Ork-Kommandanten erhob sich der mächtige schwarze Panther auf die Hinterbeine und riss einem Ork, der verzweifelt fliehen wollte, mit mächtigen Klauen das Gesicht ab. Dann wandte Guenhwyvar sich in die Gegenrichtung und warf dabei einen weiteren Ork um.

Diese beiden tapferen Freunde gaben Innovindil Gelegenheit, gegen Urlgen zu kämpfen, aber die Zeit arbeitete gegen sie.

Die Elfenfrau griff nun heftiger an, stach in schneller Folge nach links, rechts, in die Mitte. Funken flogen, als ihr Schwert hart auf einen metallenen Armschutz traf, dann auf den zweiten, und abermals, als beide Armschützer sich über ihrer Klinge kreuzten und sie nach unten und seitlich an Urlgens linker Hüfte vorbeiführten.

Dann griff der Ork an, nicht indem er die Arme hob, sondern indem er seinem Namen Dreifaust gerecht wurde. Er beugte sich über das blockierte Schwert und riss den Kopf nach unten. Innovindil war gelenkig genug, ihren Kopf einem direkten Treffer zu entziehen, aber selbst vom metallenen Kopfschutz des Orks nur gestreift zu werden, ließ sie halb betäubt rückwärts taumeln.

Instinkt allein sorgte dafür, dass sie ihr Schwert rechtzeitig wieder hochriss und die schweren Schläge der stachelbesetzten Handschuhe des Orks abwehrte. Nach und nach fiel die Betäubung von Innovindil ab, und sie konnte wieder festen Stand finden und sich verteidigen. Sie trieb den Ork zurück in seine vorherige Stellung.

»Lektion gelernt«, murmelte sie und schwor sich, auf den nächsten Kopfstoß besser gefasst zu sein.

Bruenor baute sich oben auf einem Felsblock auf.

Die Beine leicht gespreizt, die vielfach gekerbte Axt hoch erhoben, rief der König von Mithril-Halle nach seiner Sippe, rief nach allen Delzoun-Zwergen und befahl ihnen, standzuhalten. Und hier, um diesen Felsblock, sammelten sich die Zwerge. Ob es nun Glück war oder die schützende Hand seiner Ahnen und seines Gotts, an diesem Tag wurde Bruenor von keinem Speer getroffen.

Umtost von dem wirbelnden Ork-Meer stand er da, Leuchtzeichen der Hoffnung für die Zwerge, ein Symbol schierer Entschlossenheit. Speere wurden nach ihm geworfen, Ork-Hände zerrten an seinen kräftigen Beinen, aber nichts und niemand konnte König Bruenor umwerfen. Eine fliegende Keule traf ihn im Gesicht, riss eine lange Wunde, ließ ein Auge zuschwellen …

Bruenor brüllte weiter.

Ein Ork sah die Möglichkeit, neben den Zwerg zu springen, und schlug fest mit einem Kriegshammer zu.

Bruenor steckte den Schlag ein, ohne mit der Wimper zu zucken. Dann hackte er dem Ork mit einer tödlichen Bewegung den Kopf ab.

Ein weiterer Ork war schnell neben ihm, dann wieder einer und wieder einer, und einen Augenblick lang sah es so aus, als würde der Zwergenkönig unter Orks begraben werden.

Aber dann flogen sie einer nach dem anderen von dem Felsblock, heruntergeschleudert von der Kraft und Entschlossenheit von Bruenor Heldenhammer, der nicht fiel, der nicht versagte. Blut lief aus vielen Wunden, von denen einige offensichtlich ernst waren. Aber Bruenor brüllte nicht vor Schmerz oder vor Angst. Es war Trotz, störrisch und stark, und eine Entschlossenheit, die über die Grenzen der Sterblichkeit hinausging.

Noch nie waren Delzoun-Herzen so von Stolz erfüllt gewesen wie an diesem Tag, als König Bruenor Heldenhammer auf dem Felsblock stand und seinen Trotz herausbrüllte!

Sie hatten keine Wahl. Hinter Bruenor zurückzufallen hätte bedeutet, Hunderte von Zwergen zurückzulassen, die im Augenblick von der Klippe kletterten. Und nach Zwergenlogik war es immer noch besser zu sterben, als Verwandte im Stich zu lassen.

Bruenor war ihre stetige Erinnerung daran. Seine Anwesenheit allein, und dass er plötzlich vom Totenbett auferstanden war, erinnerte sie alle daran, wer sie waren, was sie waren und was mehr zählte als alles andere: die Verwandtschaft und die Sippe.

Und so drehten sich die Zwerge mitten im Rückzug um und bildeten ein Bollwerk gegen die Orks, hielten den Speeren ihre Hämmer und Äxte entgegen, begegneten der Blutgier ihrer Feinde mit zwergischer Entschlossenheit.

Und dort, rings um den Felsblock, auf dem der König von Mithril-Halle stand, brach die Ork-Welle und kam zum Stehen.

Schulter an Schulter und mit Banak Starkamboss in ihrer Mitte begegneten die fünf Zwerge den ersten angreifenden Orks mit reiner Wut, stürzten wie ein einziger Mann vorwärts und schlugen mit Hammer und Axt zu. Hinter ihnen benutzte Catti-brie Taulmaril auf vernichtende Weise und stimmte ihre Schüsse mit Wulfgar ab, der hin und her eilte und verhinderte, dass irgendwelche Orks sich hinter die fünf drängten.

»Pwent, beeil dich! Die anderen sind alle schon unten!«, schrie Banak der kleinen Truppe von Knochenbrechern zu, denen es schließlich gelungen war, in ihrem verzweifelten Versuch, den Klippenrand zu erreichen, ein Stück weiterzukommen.

Banak konnte nicht einmal erkennen, ob sich Pwent unter den Überlebenden befand.

»Mädchen, bring deinen Bogen hier rüber!«, rief Ivan Felsenschulter Catti-brie zu.

»Geh!«, fügte Wulfgar hinzu, um ihr deutlich zu machen, dass er die Situation unter Kontrolle hatte.

Und genau so sah es aus, denn kein Ork wollte sich mit dem schrecklichen Barbaren anlegen.

Catti-brie rannte nach vorn und blieb direkt hinter Ivan stehen. Rasch überblickte sie die Situation, sah eine Gruppe von Orks, die sich umgedreht hatte und den zurückkehrenden Knochenbrechern den Weg abschneiden wollte.

Hoch kam Taulmaril, der Herzenssucher, und zischende Silberpfeile rasten auf den Feind zu. Catti-brie schoss nach links und rechts, wagte aber nicht, ihre Pfeile in die Mitte zu richten, denn sie befürchtete, dass ihre verzauberten Geschosse direkt durch einige Orks in die sich zurückziehenden Zwerge fahren würden. Sie fand ihren Rhythmus, schwang den Bogen nach links und rechts, jeder Schuss mit vernichtender Wirkung. Die Orks zwischen den ununterbrochenen Reihen tödlicher Pfeile fanden keine Verstärkung bei ihrem Versuch, die wütenden Knochenbrecher aufzuhalten, und als die Schlachtenwüter das erkannten, schlossen sie sich fester zusammen und eilten weiter den Hang hinauf.

»Und jetzt über die Klippe mit euch!«, verlangte Banak von Catti-brie und Wulfgar. »Wir haben einen schnelleren Weg nach unten.«

Widerstrebend, aber unfähig, dieser Logik etwas entgegenzusetzen, rannte Catti-brie zu Wulfgar, und die beiden eilten zurück zum Klippenrand. Sie schulterten ihre Waffen, griffen nach ihren Seilen und ließen sich Seite an Seite nach unten.

Sie hörten die Knochenbrecher in die Rutsche springen und freuten sich darüber. Sie hörten, wie Banak seinen Gefährten hektisch zuschrie, ebenfalls zu verschwinden, und sie hörten Orks, so viele Orks!

Wulfgars Seil ruckte plötzlich, dann noch einmal, und Catti-brie streckte die Hand nach ihm aus und er nach ihr.

Sein Seil ruckte ein weiteres Mal, dann hatten die Orks es durchtrennt, und er fiel…

Obould sah nicht, wie seine Armee an dem Felsblock, auf dem König Bruenor stand, aufgehalten wurde, denn seine Aufmerksamkeit war in diesem Augenblick abgelenkt. Er schaute zu der Steilwand im Norden, an der die Zwerge sich rasch abseilten. Ihre Verwandten im Tal hielten störrisch stand. Damit war zu rechnen gewesen, aber Oboulds Armee hätte sie trotzdem hinwegfegen sollen.

Dann explodierte ein Feuerball mitten in seiner Armee, und unerklärlicherweise wandte sich eine Gruppe angreifender Orks zur Seite und begann gegen … gegen gar nichts zu kämpfen, wie der Ork-König feststellen musste, oder gegeneinander oder gegen die Felsen.

Ein rascher Blick zeigte Obould, was geschehen war: Zwei weitere Kämpfer, eine Menschenfrau und ein Gnom, hatten sich den Verteidigern angeschlossen, bewegten die Finger und wirkten ihre Magie.

Weitere Zwerge kamen von der Klippe herunter, und sobald sie die Talsohle erreichten, zogen sie die Waffen und schlossen sich den Verteidigern an.

Seine Orks standen kurz davor, die Flucht zu ergreifen!

Ein blauer Lichtblitz in die Richtung, wo die Orks sich am dichtesten drängten, und ein Dutzend von Oboulds Leuten fiel tot zu Boden, während zwanzig weitere wie betäubt schienen.

Sein wunderschöner Plan, die Zwerge nicht einfach in ihre Löcher zu treiben, sondern die gesamte Streitmacht auf der Klippe und im Tal niederzumetzeln, fiel vor Oboulds zornigen Augen in sich zusammen. Mit einem Brüllen protestierte er gegen diese unerträgliche Wendung. Mit einem Knurren und einer Faust, die so fest geballt war, dass sie sogar Stein hätte zerschmettern können, begann der große Ork-König seinen eigenen Angriff, entschlossen, die Gezeiten der Schlacht abermals zu wenden.

Die Zwerge würden seiner Falle nicht entkommen. Nicht noch einmal.

Banak sprang mit dem Kopf voran und als Letzter ins Loch, nachdem er den erschöpften und blutenden Thibbledorf Pwent gewaltsam hineingestopft hatte. Er erwartete, in die steile Rutsche zu fallen, war aber kaum gesprungen, als er auch schon hängen blieb.

Erst jetzt erkannte der alte Zwerg, dass ihm ein Speer im Rücken steckte und ihn am Rand der Rutsche festhielt. Orks drängten sich um das Loch über ihm, schlugen nach seinen Füßen, stachen mit ihren widerwärtigen Speeren zu.

Banak trat wild um sich, aber er wusste, dass er so gut wie tot war, wusste, dass er sich nicht aus eigener Kraft befreien konnte.

Dann packte eine Hand seinen Kragen, und der übel riechende Pwent zog sich neben ihm wieder hoch.

»Komm schon, du Idiot!«, brüllte Pwent.

»Speer«, versuchte Banak zu erklären, aber Pwent hörte nicht einmal zu, sondern zerrte weiter an ihm.

Glühendes Feuer brannte im Rücken des armen Banak, als der Speer sich drehte, und er heulte gequält auf.

Pwent zerrte nur noch fester, denn er begriff, dass es keine andere Möglichkeit gab.

Der Speerschaft brach, und Banak und Pwent rutschten die steile, gewundene Bahn hinunter, die Torgars Ingenieure gebaut hatten. Dann folgte ein steiler Fall, und schließlich stürzten sie durch eine Öffnung mehrere Fuß tief auf einen Heuhaufen, der in der Ausgangskammer platziert worden war. Selbstverständlich war zu diesem Zeitpunkt der größte Teil des Heus von denen, die vorher hier heruntergefallen waren, verstreut worden, und die beiden Zwerge prallten ziemlich hart auf und blieben stöhnend liegen.

Grobe Hände packten sie und ignorierten ihre Schmerzensschreie. Sie hatten keine Zeit, auf Wunden Rücksicht zu nehmen.

»Verschließt das Loch!«, schrie Pwent, aber es war zu spät, denn schon fiel ein Verfolger herab, ein kleiner Goblin, der wahrscheinlich von den Orks als Köder ins Loch geworfen worden war. Das Geschöpf landete direkt auf dem immer noch am Boden liegenden Banak, der abermals gequält stöhnte. Pwent drehte sich um und trieb seinen stachelbesetzten Handschuh in das verdutzte Gesicht des Goblins, und dabei schrie er den anderen abermals zu, sie sollten das Loch schließen.

Torgar Hammerschlag hatte sich bereits in Bewegung gesetzt. Er drückte einen Hebel nach unten, was einen Klotz löste, dann griff er nach oben und führte die Verschlussplatte unter die Öffnung.

Die Oberseite der Verschlussplatte war mit langen Stacheln besetzt, und sie forderten ihr erstes Opfer beinahe sofort, nachdem die Rutsche geschlossen war: einen Ork oder Goblin, der auf der Platte landete und durchbohrt wurde.

Die Zwerge waren zu beschäftigt, um sich darüber zu freuen; sie drängten Pwent vor sich her und trugen den schwer verwundeten Banak weiter. Die Fluchtkammer öffnete sich auf ein Sims, wo weitere Strickleitern begannen, die den Rest der Klippe – etwa drei Viertel des Weges – hinunterführten. Viele Knochenbrecher waren bereits auf dem Weg nach unten und beeilten sich, sich der Schlacht unten im Tal anzuschließen.

Sobald er das sah, schüttelte Thibbledorf Pwent seinen Schwindel ab – oder er stürzte sich tiefer hinein; so etwas war bei Pwent nicht leicht zu unterscheiden –, kletterte über den Rand des Simses und ließ sich an den Seilen hinunter.

»Ich war zuerst bei ihm, also trage ich ihn auch«, erklärte Ivan Felsenschulter.

Vorsichtig hob er Banak auf die Schulter und ging zur Strickleiter. Tred kletterte vor ihm vom Sims und versuchte so gut es ging, ihm von unten zu helfen.

Torgar und Shingles zogen ihre Waffen und hielten am Ausgang des Fluchtraums Wache, bereit, ihre Freunde zu verteidigen, falls die Verschlussplatte versagen sollte und die Orks ihnen folgen würden. Erst als Ivan und die anderen schon tief unten und zur zweiten Reihe von Strickleitern gelangt waren, drehten sich auch die beiden Zwerge aus Mirabar um und flohen.

Er griff instinktiv zu, als sie die Hand nach ihm ausstreckte. Sie hielten einander an den Handgelenken, als der Barbar stürzte, dann rollten sie herum und krachten gegen die Steilwand. Der Ruck von Wulfgars Gewicht hätte Catti-brie beinahe von ihrem Seil gerissen, aber sie hielt sich mit aller Kraft und Entschlossenheit weiter fest.

Wulfgars Seil fiel an ihnen vorbei, schlug gegen den Barbaren, und wieder hätte er Catti-brie beinahe losgelassen.

Aber sie ließ ihn nicht gehen. Ihre Muskeln schmerzten, und es fühlte sich an, als würden die Arme aus den Schultergelenken gerissen.

Aber sie ließ nicht los. Wulfgar blickte zu ihr auf, die Augen groß vor Angst – ebenso sehr um sie wie um sich selbst, denn es sah aus, als würde er sie tatsächlich mit sich in den Tod reißen.

Aber sie ließ nicht los. Und wenn es sie ihr Leben kosten sollte, Catti-brie würde ihren Freund nicht fallen lassen.

Es kam ihnen wie Minuten vor, obwohl sich tatsächlich alles im Bruchteil einer Sekunde ereignete. Schließlich gelang es Wulfgar, Catti-bries Seil mit der freien Hand zu fassen und sich daran festzuhalten.

»Geh!«, rief Catti-brie, sobald sie die Situation begriffen hatte, sobald sie verstand, dass ihr Seil das nächste sein würde, das die Orks durchschnitten.

Wulfgar ließ sich Hand über Hand nach unten, lief praktisch an dem dicken Seil entlang. Er erreichte ein Sims, kletterte darauf und suchte dann einen möglichst festen Stand.

Catti-brie folgte ihm schnell, aber nicht schnell genug, denn ihr Seil wurde tatsächlich abgeschnitten, und sie fiel. Wulfgar fing sie auf und zog sie aufs Sims, und beide pressten sich flach gegen die Felswand.

»Noch nicht mal der halbe Weg«, sagte Wulfgar einen Augenblick später.

Er deutete zur anderen Seite des schmalen Simses, wo die nächsten Strickleitern hingen.

Drizzt vollführte einen Doppelstich, dann trat er vor und zwang den Ork damit, sich rückwärts zu bewegen, was jede weitere Annäherung seiner Gefährten, die hinter ihm kamen, verhinderte.

Der Drow wandte sich sofort ab, drehte sich um und riss die Krummsäbel weit zur Seite; jeder Schlag war präzise, jeder Schnitt verhinderte, dass sich die Orks bei Innovindils Kampf mit ihrem Anführer einmischten.

Wieder drehte sich der Drow und warf dabei einen kurzen Blick auf die Szene gegenüber, wo Guenhwyvar einen Ork angriff, sofort weitersprang und einen weiteren unter sich begrub.

Als er sich erneut umdrehte, um dem Angriff zweier weiterer Orks zu begegnen, konnte er einen Blick auf Innovindil und den Ork-Anführer werfen. Er bemerkte, dass Urlgen seine Elfenfreundin schwer bedrängte und dass Innovindil rückwärts gestolpert war. Er musste zu ihr gelangen, aber das war unmöglich, weil zwei Orks zwischen ihnen standen.

»Lass dich in deinen Zorn fallen!«, rief er Innovindil zu. »Erinnere dich an Tarathiel! Erinnere dich an deinen Verlust und benutze den Schmerz!«

Bei jedem Wort, das er rief, musste der Drow zuschlagen oder einen Schlag abwehren, und er arbeitete angestrengt, um die immer dreister werdenden Orks zurückzudrängen.

»Finde einen Ort des Gleichgewichts«, versuchte er Innovindil zu erklären. »Ein Gleichgewicht zwischen Zorn und Entschlossenheit! Benutze den Schmerz, um dich zu konzentrieren!«

Er wusste, dass er sie damit aufforderte, zum Jäger zu werden. Er bat sie, ihre Vernunft für diesen Augenblick zu vergessen und in einen urtümlicheren Zustand zu verfallen, einen Zustand von unmittelbarer Wahrnehmung, von Emotion und Angst. So, wie sie daran gearbeitet hatte, ihn aus diesem Zorn herauszulocken, versuchte er nun, sie hineinzureden.

Gab es eine andere Möglichkeit?

Drizzt schob die Angst um seine Freundin weit weg und wurde selbst wieder zum Jäger. Die Orks bedrängten ihn, und seine Krummsäbel bewegten sich in wildem Tanz, trieben sie zurück, mähten sie nieder.

Trotz der plötzlich verzweifelten Situation, trotz des Tumults und der Feinde, die sie bedrängten, hörte Innovindil, was Drizzt Do'Urden sagte. Sie arbeitete hektisch mit dem Schwert, wehrte Schlag um Schlag ab, aber der wilde Ork folgte ihr bei jeder Bewegung und schwang immer wieder die Fäuste in den stachelbesetzten Handschuhen.

Die Elfenfrau setzte ihre Füße ebenso verzweifelt ein wie die Klinge und versuchte, im Gleichgewicht zu bleiben, wenn sie gezwungen war, sich zu ducken und auszuweichen. Sie versuchte, ihren Rhythmus zu finden, aber der Kampfstil des Orks war bestenfalls unkonventionell, und Angriffe erfolgten schnell und in unterschiedlichen Winkeln und nutzten jede Schwäche Innovindils aus. Sie zweifelte nicht daran, dass sie Urlgens Kampfstil nach und nach verstehen und eine logische Gegenwehr entwickeln könnte, aber sie wusste, dass sie dazu nicht die Zeit hatte.

Also folgte sie dem Rat von Drizzt Do'Urden, der sich so heldenhaft schlug, um die anderen Orks von ihr fern zu halten. Sie gestattete ihrem Geist, die Straße der Erinnerung zu betreten und sah wieder Tarathiels schrecklichen Tod vor sich. Sie spürte, wie ihr Zorn größer wurde, und nährte damit ihre Entschlossenheit.

Sie riss das Schwert nach links, wehrte einen rechten Haken ab und brachte es dann sofort wieder zur Mitte, um eine linke Gerade zu blockieren.

Innovindil schob alle bewussten Gedanken beiseite und ergab sich dem Fluss des Kampfes und ihrer Wahrnehmung. Funken flogen, als ihr Schwert auf eine gepanzerte Faust stieß, und dann erneut, als der Ork ihren eigenen Vorstoß mit dem anderen gepanzerten Handschuh abwehrte.

Sie kämpfte mit neu erwachter Intensität, ging wieder in die Offensive und entdeckte endlich ein Muster in den Abwehrbewegungen ihres Gegners.

Sie erkannte, dass er einen weiteren Stoß mit dem Kopf vorbereitete und darauf wartete, dass sie in ihrer Verteidigung einen tödlichen Fehler machte.

Innovindil ließ sich tiefer in ihre Instinkte fallen und verharrte irgendwo zwischen Zorn und vollkommener Konzentration.

Sie wich einem Schlag aus und schien beinahe das Gleichgewicht zu verlieren, sackte so heftig zur Seite, dass ihre freie Hand gegen ihren Hirschlederstiefel stieß. Sofort schlug der Ork zu, und dieser Schlag hätte die Elfenfrau wirklich ernsthaft verletzen können. Aber sie wusste, er hatte nicht vor, sie selbst zu treffen. Urlgen wollte ihr Schwert erwischen, und tatsächlich gelang es ihm, die Klinge beiseite zu stoßen.

Damit hatte er seine Gelegenheit. Er schoss vorwärts, legte die ganze Kraft seines Rückens in den Stoß mit dem Kopf.

Innovindil riss die freie Hand hoch über die Stirn, um den Angriff abzuwehren, und spürte den Aufprall erst an der Hand, dann am Schädel. Sie taumelte rückwärts, versuchte, im Gleichgewicht zu bleiben, aber sie fiel und saß dann hilflos am Boden.

Aber Urlgen nutzte das nicht aus, denn er hatte seinen Kopf nicht nur gegen die abwehrende Hand der Elfenfrau getrieben, sondern auch weit in das kleine Messer, das sie geschickt aus ihrem Stiefel gezogen hatte – er hatte sich bis zum Handschutz hineingeworfen. Der Ork taumelte rückwärts, und der Messergriff ragte aus seiner Stirn wie ein seltsames Horn. Die Hände in den schwarzen Panzerhandschuhen tasteten in der Luft herum, und er drehte sich um sich selbst, den Kopf zurückgeworfen, so dass der Messergriff zum Himmel aufragte.

In diesem Augenblick der Ablenkung, als alle Orks in der Nähe ungläubig ihren Anführer anstarrten, eilte Drizzt Do'Urden zu Innovindil, riss sie grob auf die Beine, schob sie vor sich her nach Norden und begann zu laufen. Vor der stolpernden, immer noch halb betäubten Innovindil ließ er die Krummsäbel hin und her zucken und bahnte ihnen einen Weg. Als sie auf eine besonders dichte Gruppe von Feinden stießen, sprang Guenhwyvar an dem Paar vorbei, stürzte sich mitten in die Orks, riss einige zu Boden und vertrieb den Rest.

Drizzt rannte weiter und zerrte Innovindil hinter sich her. Er holte ein schlankes Seil heraus, gab ihr ein Ende in die Hand, und dieses Gefühl brachte sie wieder zu sich und erinnerte sie an ihre Pflichten. Sie drängte Drizzt weiterzulaufen, dann hob sie die freie Hand an die Lippen und stieß einen schrillen Pfiff aus.

Sie rannten hangabwärts, auf einen einigermaßen ebenen Bereich zu, und tief im Schutz der aufgehenden Sonne entdeckten sie ihre einzige Hoffnung: ein geflügeltes Pferd, das direkt auf sie zugeflogen kam.

Mond landete, rannte über den felsigen Boden und trieb dabei ein paar Orks vor sich her. Drizzt und Innovindil fingen den Pegasus ab, einer auf jeder Seite, das Seil zwischen ihnen gespannt. Mond rannte direkt in das Seil hinein, und beide, Drow und Elfenfrau, nutzten den Schwung nach dem plötzlichen Ruck, um sich an die Flanken des Pegasus zu drücken, unter die hoch erhobenen Flügel. Innovindil sprang als Erste auf den Rücken des Tieres, Drizzt hinter sie, während Mond keinen Augenblick langsamer wurde. Seine breiten Flügel hoben und senkten sich, und er eilte davon, halb laufend, halb fliegend und schon bald außer Reichweite der Verfolger.

»Geh nach Hause, Guenhwyvar!«, rief Drizzt dem Panther zu, der immer noch Orks in die Flucht trieb, immer noch leidenschaftlich kämpfte.

Hoch in die Luft erhoben sie sich und flogen direkt nach Norden. Speere wurden nach ihnen geworfen, aber wenige kamen ihnen auch nur nahe, und diese wenigen wehrte der Drow mit seinen Krummsäbeln ab. Schließlich waren sie in Sicherheit, und Drizzt blickte zurück auf das kleiner werdende Schlachtfeld.

Die Orks hatten inzwischen den Klippenrand erreicht, und der Drow verstand, dass die Zwerge ins Tal der Hüter getrieben worden waren.

Wäre er nur eine Minute zuvor am Himmel gewesen, hätte er vielleicht das charakteristische Silberblitzen von Taulmarils Pfeilen gesehen.

Die Augen von Shoudra Sternenglanz blitzten, als sie sah, wie ihr Feuerball eine Hand voll Orks traf und sie alle in die Flucht trieb.

Die Zauberin schlug ein zweites Mal zu, und abermals mit vernichtender Wirkung: ein Blitz, der eine Reihe von Orks mitten im Angriff niederstreckte.

Viele Zwerge warfen ihr einen kurzen Blick zu und nickten anerkennend, was die stolze Sceptrana noch mehr anspornte. Auch sie gehörte jetzt zur Heldenhammer-Sippe und kämpfte so leidenschaftlich, als wäre Mithril-Halle ihr Zuhause und die Sippe ihre Familie.

Neben ihr wirkte der kleine Nanfoodle seine Wunder und verwirrte eine ganze Kompanie von Orks mit einer Illusion, die sie mit dem Kopf voran gegen eine Felswand rennen ließ.

»Gut gemacht«, gratulierte ihm Shoudra. Sie ließ seinem Angriff auf den Geist einen körperlichen folgen, schleuderte einen weiteren Blitz, der die verwirrte Gruppe zerstreute und viele niederstürzen ließ. Dann zwinkerte sie Nanfoodle zu und schaute danach nervös zur Steilwand, wo immer noch Zwerge abstiegen. Hinter sich hörte sie die Ersten, die nach unten gekommen waren, den Verteidigungsplan zu entwickeln, der sie alle sicher zum großen Tor von Mithril-Halle bringen sollte. Aber sie mussten aushalten, bis alle unten waren.

Die Sceptrana drehte sich um und schnappte nach Luft, als ein Zwerg vor ihr nach hinten geschleudert wurde, einen Speer tief in der Brust. Da im Augenblick kein anderer in die Bresche trat, machte Shoudra ein paar Schritte vorwärts, streckte einen Arm aus und beschwor eine Reihe magischer Wurfgeschosse herauf, die die Orks zurücktrieben. Aber so viele drängten gleich wieder nach!

Shoudra seufzte erleichtert, als zwei Zwerge an ihr vorbeieilten, einer zu seinem verwundeten Verwandten, der andere, um die Stellung des Verwundeten an der niedrigen Steinmauer einzunehmen. Die Orks griffen weiter an. Als Shoudra sich umsah, um den wirkungsvollsten Bereich für ihre Zauber zu finden, fiel ihr ein einzelner Ork auf, ein riesiges Geschöpf in einer Rüstung, das ein Schwert schwang, das beinahe so groß war wie es selbst. Der Ork-Anführer watete durch seine eigenen Leute, die sich beeilten, ihm aus dem Weg zu gehen, und er kam entschlossen auf die Mauer zu.

Ein Armbrustbolzen raste auf ihn zu und traf den metallenen Brustharnisch, drang aber nicht ein und verlangsamte den Ork kein bisschen. Tatsächlich schien er noch schneller zu werden und sprang brüllend vorwärts.

Shoudra beschwor ihre magische Kraft herauf und traf ihn mit einem Blitz, der ihn von den Füßen riss und zurück auf seine Leute warf. Die Sceptrana ging davon aus, dass der Ork tot war, wandte ihre Aufmerksamkeit wieder den anderen Feinden zu, die das bärtige Volk bedrängten, und warf einen weiteren Feuerball direkt vor die Linie der Heldenhammers, so dicht, dass selbst die Zwerge die Hitze spürten.

Wieder rannten brennende Orks davon und fielen zu Boden, aber durch die Öffnung kam eine vertraute Gestalt – der große Ork mit dem riesigen Großschwert.

Shoudra riss die Augen auf, als sie ihn sah, denn kein gewöhnlicher Ork hätte einen Treffer mit einem ihrer Blitze überlebt.

Aber es war der gleiche Ork, und er kam wütend angestapft, pflügte durch die Orks, die ihm nicht rechtzeitig aus dem Weg gingen, erreichte die Mauer und die Linie der Zwerge und schlug mit dem Schwert zu. Die Zwerge rannten davon, und er drehte sich seitwärts und pflügte weiter, rammte die Schulter gegen den eilig errichteten Steinwall und stieß die schweren Steine mühelos beiseite.

Zwerge griffen ihn an, und Zwerge flogen durch die Luft, getroffen vom Schwert, weggeschlagen von seinem freien Arm, hoch in die Luft getreten.

Und nun wurde der Sceptrana klar, dass der Ork dabei die ganze Zeit sie anstarrte.

Nanfoodle stieß einen Schrei aus. Shoudra hörte, wie der Gnom rasch einen Zauber wirkte, aber sie wusste instinktiv, dass das Ungeheuer sich nicht würde ablenken lassen. Sie hob die Hände hoch vor sich, so dass die Daumen einander berührten.

»Weiche, kleiner Dämon«, sagte sie, und ein Bogen orangefarbener Flammen ging von ihren Fingern aus.

Die Sceptrana drehte sich um, wollte die Ablenkung nutzen, um zu verschwinden, aber dann versetzte ihr jemand einen Stoß – jedenfalls hielt sie es für einen Stoß. Sie versuchte sich zu bewegen, aber sie wurde auf seltsame Weise an Ort und Stelle gehalten. Als sie sich umschaute, verstand sie, was geschehen war: Es war kein Stoß, der sie erwischt hatte, sondern das Großschwert. Shoudra blickte an sich herab und sah, dass ungefähr die Hälfte der Klinge vor ihrer Brust aufragte – das Schwert war direkt durch sie hindurchgegangen.

Immer noch mit nur einer mächtigen Hand am Schwertgriff hob der Ork Shoudra Sternenglanz hoch in die Luft.

Sie hörte Nanfoodle kreischen, aber es klang, als wäre er weit entfernt. Sie hörte die Zwerge schreien und sah sie verängstigt fliehen. Sie sah ein plötzliches Aufblitzen von Silber und spürte den Ruck, als der große Ork rückwärts taumelte.

Catti-brie hing mit dem Kopf nach unten vor der Steilwand, ein Seil um die Füße gewickelt, legte erneut einen Pfeil an die Sehne und schoss abermals auf das Ungeheuer, das Shoudra hoch in die Luft hielt. Ihr erster Pfeil hatte die Brust des Orks getroffen und ihn einen einzigen Schritt zurücktaumeln lassen. Aber der Pfeil war nicht durch die Rüstung gedrungen.

»Treib ihn weg da!«, rief Catti-brie Wulfgar zu.

Der Barbar hatte die Talsohle erreicht und griff den Ork bereits an. Er stieß seinen Kriegsschrei aus und schwang den Hammer, setzte den ganzen Körper ein. Er warf sich auf den Ork, versuchte, ihn beiseite zu stoßen.

Plötzlich jedoch war es Wulfgar, der nach hinten flog, aufgehalten und zurückgeschlagen von einer einzigen Armbewegung des großen Orks. Der riesige Barbar, der sogar Schläge von Riesen eingesteckt hatte, taumelte rückwärts und stürzte zu Boden.

Der Ork hob den Arm höher, hob die sich windende Shoudra hoch in die Luft und brüllte. Das Schwert erwachte zu feurigem Leben, und Shoudra schrie auf. Der mächtige Ork riss den Arm zur Seite.

Shoudra Sternenglanz zerfiel in zwei Teile.

Catti-brie schoss einen weiteren Pfeil auf das Ungeheuer ab, dann einen dritten, aber bei diesem letzten Schuss brachte die Wucht des Aufpralls den Ork nicht einmal mehr ins Taumeln. Er drehte sich um und kam auf Wulfgar zu.

Aegis-fang traf ihn hart an der Brust. Der Ork taumelte ein paar Schritte rückwärts und wäre beinahe nach hinten gefallen.

Beinahe.

Aber er fing sich und griff Wulfgar abermals an.

Der Barbar rief Aegis-fang zurück, begegnete dem Angriff des Orks mit einem weiteren Schrei zu seinem Gott Tempus und einem Schlag seines mächtigen Hammers. Schwert gegen Hammer kämpften sie, zwei Titanen, die alle anderen hoch überragten.

Wulfgar riss Aegis-fang nach unten und schmetterte ihn gegen die Schulter des Orks, was diesen zur Seite schwanken ließ. Dann schlug der Ork mit dem flammenden Großschwert zu, und Wulfgar musste aus der Hüfte ausweichen und schaffte es kaum, sich in Sicherheit zu bringen.

Der Ork ließ diesem weit ausholenden Schlag einen Sprung nach vorn folgen; Wulfgar stürmte ebenfalls vorwärts, und die beiden stießen zusammen, Muskel gegen Muskel. Ein Faustschlag ließ Wulfgar rückwärts fliegen und gegen die Mauer taumeln.

Der Ork folgte, das Schwert mit beiden Händen gepackt, und setzte zu einem mörderischen Schlag an, den der Barbar niemals würde abwehren können.

Ein Pfeil traf den Ork ins Gesicht und ließ Funken über den Glasstahl fliegen, aber er griff weiter an und schlug nach dem Barbaren.

Oder er glaubte zumindest, Wulfgar vor sich zu haben, denn wo Kraft und Feuer versagt hatten, hatte Nanfoodle Erfolg gehabt und den Schlag fehlgeleitet, indem er eine Illusion von Wulfgar erschaffen hatte, was zum Tod eines weiteren Orks führte, der seinem zornigen König zu nahe kam.

Catti-brie eilte auf Wulfgar zu, packte ihn am Arm und schob ihn weg.

Der Ork wollte ihnen folgen, aber es gelang ihm nicht, denn plötzlich verwandelte sich der Stein rings um seine Füße in Schlamm, der ihm bis zu den Knöcheln reichte und schnell wieder zu Stein wurde.

»Pah!«, rief ein grünbärtiger Zwerg, dem eine Hand fehlte, und fuchtelte mit den Fingern der verbliebenen Hand in Oboulds Richtung.

Der wütende Ork brüllte und wand sich, dann streckte er die Faust nach unten und schlug nach dem Stein, und mit schier unglaublicher Kraft bekam er einen Fuß frei.

»Oooh«, sagte der grünbärtige Zwerg.

Nun kam Hilfe in Gestalt der Knochenbrecher, die sich von allen Seiten in den Kampf stürzten. Aber jeder, der dem großen Ork zu nahe kam, wurde schnell und schmerzhaft zurückgeschlagen.

Hinter ihnen folgten Torgar und Tred, Shingles und Ivan und der verwundete Banak, packten Catti-brie und Wulfgar, den verblüfften und weinenden Nanfoodle und alle anderen und begannen, auf die Tore von Mithril-Halle zuzurennen.

Erst jetzt bemerkte Catti-brie, aus welcher Quelle die erneute Kraft gekommen war, die den Zwergen noch einmal solche Standfestigkeit verliehen hatte: Ihr unermüdlicher Vater stand immer noch auf seinem Felsblock, fegte mit seiner Axt die Orks weg und sammelte seine Leute um sich.

»Bruenor«, hauchte sie und konnte einfach nicht fassen, wie das möglich sein sollte.

Bruenor, der mitten im Tal stand, entging nicht, wie schnell sich Banak, sein Sohn und seine Tochter zurückzogen, und er war froh, sie alle lebendig zu sehen.

Seine Leute hatten irgendwie standgehalten, selbst gegen diese überwältigende Übermacht, hatten sich der Flut der Orks entgegengestemmt.

Das war sie teuer zu stehen gekommen, das wusste der Zwergenkönig, und er wusste auch, dass das Ork-Meer nicht ewig aufgehalten werden konnte – besonders nicht, da sich nun auch die Riesen einmischten.

Also rief der Zwergenkönig zum Rückzug, wies seine Jungs an, umzukehren und zum Tor zurückzurennen. Er selbst jedoch rührte sich nicht, keinen Zoll, ehe nicht alle anderen unterwegs waren.

Die Axt in der Hand, jagte er ihnen nach. Er spürte Speere und Schwerter, die nach ihm ausgestreckt wurden, aber Bruenor Heldenhammer bot ihnen keine Schwachstelle. Er wirbelte herum und wich aus, floh weiter zum Tor, blieb dann plötzlich stehen, fuhr herum, mähte den nächststehenden Ork nieder und trieb die anderen in der Nähe in entsetzte Flucht.

Er drängte all seine Leute hinter sich, als sie näher zum Tor kamen, weigerte sich, selbst hineinzugehen, bevor alle anderen drinnen waren. Er kämpfte mit der Kraft von zehn Zwergen und dem Herzen von Tausenden, und seine so oft gekerbte Axt verdiente sich an diesem Tag mehr Kerben als in vielen vorangegangenen Jahren. Hoch häuften sich die Ork-Leichen um ihn herum, und das Blut färbte den Boden rot.

Aber nun war es Zeit zu gehen, und die Zwerge am Tor riefen nach Bruenor. Ein weiterer Schwung mit der Axt trieb die Ork-Mauer zurück, und Bruenor drehte sich um und rannte.

Oder er versuchte es, denn hinter ihm stand ein Ork und stieß mit dem Speer in einem Winkel zu, dem der Zwergenkönig nicht ausweichen konnte. Er sah seinen Tod kommen und stieß ein trotziges Brüllen aus.

Dann sackte der Ork nach hinten, und ein Stachel drang aus seiner Brust. Ein Helmstachel, wie Bruenor erkannte, als Thibbledorf Pwent sich hinter dem Angreifer aufrichtete und den Ork damit über seinen Kopf in die Luft hob.

Bevor Bruenor noch ein Wort sagen konnte, hatte Pwent ihn am Bart gepackt und riss ihn in einen stolpernden Lauf, der ihn zur Halle brachte.

Und so war Thibbledorf Pwent der Letzte, der an jenem schicksalhaften Tag die Zwergenfeste betrat, die großen Tore schlossen sich dröhnend hinter ihm, während der tote Ork noch immer auf seinem Helm hing, gepfählt von dem langen Stachel.