Mumm

Die zwölf müden und verdreckten Zwerge rannten so schnell sie konnten, sprangen über Risse im verwitterten Boden und wichen vorspringenden Felsen aus. Trotz ihrer offensichtlichen Angst hielten sie zusammen, und wann immer einer stolperte, waren gleich zwei andere zur Stelle, um ihm aufzuhelfen.

Hinter ihnen kam die Ork-Horde, mehr als zweihundert heulende, johlende und sabbernde Geschöpfe. Sie rasselten mit ihren Waffen und drohten mit erhobenen Fäusten. Hin und wieder warfen sie einen Speer nach den fliehenden Zwergen, der unvermeidlich danebenging. Die Orks holten die Zwerge nicht ein, aber sie fielen auch nicht zurück, und ihre Gier, ihre Feinde zu erwischen, war ebenso groß wie die offensichtliche Verzweiflung der fliehenden Zwerge. Anders als bei den Zwergen jedoch riskierte jeder stolpernde Ork, dass man ihn umstieß, auf ihn trat oder sogar auf ihn einstach. So hatte sich die Ork-Linie ein wenig auseinander gezogen, aber die Verfolger an der Spitze waren weiterhin kaum ein Dutzend Laufschritte von dem letzten fliehenden Zwerg entfernt.

Das Gelände, über das die Zwerge eilten, wurde rechts von ihnen, im Westen, von einem Gebirgsausläufer begrenzt, war aber nach links hin offen. Die Zwerge eilten schreiend davon, offensichtlich von Angst und Entsetzen geschüttelt, aber wenn die Orks sich mehr auf den Weg konzentriert hätten, den die Verfolgten einschlugen, und weniger darauf, ihre Beute einzuholen, wäre ihnen vielleicht aufgefallen, dass die Zwerge zielbewusst in eine einzige Richtung rannten, obwohl sie doch so viele andere Möglichkeiten gehabt hätten.

Dann verließen die Zwerge den Schatten des Gebirgsausläufers und eilten zwischen zwei weit auseinander stehenden Felsblöcken hindurch. Die verfolgenden Orks bemerkten kaum, dass diese beiden riesigen Steine den Beginn einer weiten Rinne im felsigen Boden markierten, weit genug, dass drei Orks nebeneinander herrennen konnten. Für die Orks bedeutete das nur, dass sich die Zwerge nicht verteilen konnten, und sie waren so auf die Verfolgung fixiert, dass ihnen auch die Nischen an den Seiten der Rinne entgingen, wo hinter geschickt aufgehäuften Steinen Zwergenaugen aus dem Dunkel spähten.

Die ersten Orks waren schon lange in dieser Rinne, und mehr als die Hälfte der Verfolger hatte die Felsen am Eingang hinter sich gebracht, als die ersten Zwerge hinter den Seitenmauern hervorbrachen, bewaffnet mit Spitzhacken, Hämmern, Äxten und Schwertern. Einige davon – Thibbledorf Pwents Knochenbrecher-Brigade, die zähesten und ungewaschensten Zwerge der ganzen Heldenhammer-Sippe – hatten keine Waffen außer den Stacheln an ihren Helmen, den scharfen Kanten an ihren Rüstungen und ihren stachelbesetzten Panzerhandschuhen. Sie warfen sich begeistert ins Getümmel, sprangen die Feinde an, die ihnen am nächsten waren, und schlugen wild um sich. Einige Orks waren nur zehn Tage zuvor am Rand der zerstörten Siedlung Senkendorf von der gleichen Truppe überrascht worden. Anders als damals drehten sie sich diesmal allerdings nicht um und flohen, sondern stellten sich dem Kampf.

Dennoch, die Zwerge waren besser bewaffnet und ausgerüstet, um in dieser schmalen Felsenrinne zu kämpfen. Sie hatten ihr Schlachtfeld gut vorbereitet, kannten ihre Strategie, und sie gewannen rasch die Oberhand. Jene ganz vorn, die sich am nächsten am Eingang zur Rinne versteckt hatten, bauten schnell ihre Verteidigung auf. Sie benutzten die Steine, die die Nischen verborgen hatten, um die Rinne hinter sich beinahe zu verschließen, was ihnen Zeit gab, mit den Orks, die ihnen direkt gegenüberstanden, fertig zu werden, bevor die nächsten durch die Barrikade schlüpften.

Die zwölf scheinbar fliehenden Lockvögel drehten sich selbstverständlich auch sofort um und bremsten den Andrang der verfolgenden Orks. Und die Zwerge in der Rinne arbeiteten gut zusammen, einer half dem anderen, so dass selbst jene, die unter einem Ork-Schlag niederstürzten, nicht getötet wurden.

Die Orks jedoch waren allein, wenn sie fielen, und daher starben sie auch allein.

»Deine Jungs haben sich gut geschlagen, Torgar«, sagte ein hoch gewachsener, breitschultriger Zwerg mit wirrem rotem Haar und einem Bart, der ihm die Zehen gekitzelt hätte, hätte er ihn nicht in den Gürtel gesteckt. Eines seiner Augen war von mattem Grau – es war bei der Verteidigung von Mithril-Halle gegen die Drow verletzt worden –, während das andere blau leuchtete. »Aber du hast vielleicht ein paar verloren.«

»Es gibt keinen besseren Tod als den für die Sippe«, erwiderte Torgar Hammerschlag, der Anführer der mehr als vierhundert Zwerge, die vor kurzem aus Mirabar ausgewandert waren, weil sie sich darüber geärgert hatten, wie schäbig Markgraf Elastul König Bruenor Heldenhammer behandelt hatte – eine Behandlung, die schließlich auf alle Zwerge von Mirabar ausgedehnt worden war, die diesen entfernten Verwandten bei seinem Besuch in ihrer Stadt willkommen geheißen hatten.

Torgar fuhr sich durch den langen schwarzen Bart, während er den Kampf in der Ferne beobachtete. Selbst Pikel Felsenschulter, dieses seltsame Geschöpf, beteiligte sich nun und benutzte seine Druidenmagie, um die Steine am Eingang der Rinne zu bewegen und den Rest der Verfolger auszuschließen.

Das würde den Zwergen jedoch nur eine kurze Atempause verschaffen, denn viele der Orks hatten begonnen, andere Routen zu suchen, die sie von oben an die Ränder der Rinne bringen würden.

»Mithril-Halle wird nicht vergessen, dass ihr heute geholfen habt«, versicherte der alte Zwerg Torgar.

Torgar Hammerschlag nahm das Kompliment mit einem Nicken entgegen und sah den Sprecher nicht an, denn er wollte nicht, dass dieses wichtige Mitglied der Heldenhammer-Sippe – Banak Starkamboss hieß er – sah, wie gerührt er war. Torgar wusste, dass er selbst sich für den Rest seiner Tage an diesen Augenblick erinnern würde, sogar wenn er noch ein paar hundert Jahre leben sollte. Er hatte seine alte Heimat Mirabar nicht unbedingt leichten Herzens verlassen, und seine Befürchtungen waren noch gewachsen, als Hunderte seiner Verwandten, angeführt von seinem guten alten Freund Shingles McRuff, Markgraf Elastul gezwungen hatten, Torgar unbehelligt ziehen zu lassen, und dem Zwerg dann ohne einen Blick zurück gefolgt waren. Torgar hatte immer gewusst, dass diese Auswanderung für ihn selbst das Richtige war, aber galt das auch für alle anderen?

Nun hatte er seine Antwort erhalten, und er war überwältigt. Er und seine Leute hatten die Überreste von König Bruenors fliehender Streitmacht eingeholt, nachdem diese aus Senkendorf geflohen war. Die Zwerge aus Mirabar hatten auf dem Marsch bis zu diesem gut zu verteidigenden Punkt direkt nördlich des Tals der Hüter und des Eingangs nach Mithril-Halle die Nachhut gebildet. Während ihrer Flucht hatten sie schon mehrere Scharmützel mit verfolgenden Orks hinter sich gebracht und sogar einen Kampf gegen ein paar Eisriesen geführt, die erstaunlicherweise mit den Orks verbündet waren. Nachdem die Auswanderer aus Mirabar ohne sich zu beschweren überall mitgemacht hatten, hatten sich die Zwerge aus Mithril-Halle, Bruenors Adoptivkinder Wulfgar und Catti-brie und sein Halblingfreund Regis herzlich bei ihnen bedankt. Bruenor selbst jedoch war viel zu schwer verwundet gewesen, um irgendetwas zu sagen, und es ging ihm immer noch nicht besser.

Aber all das war nur ein Vorspiel gewesen, verstand Torgar nun. Da General Dagnabbit tot und Bruenor dem Tod nahe war, hatten die Zwerge aus Mithril-Halle einen ihrer ältesten und erfahrensten Veteranen an die Spitze der Armee hier im Norden gestellt.

Banak Starkamboss hatte sich sofort an die Arbeit gemacht, und es war bezeichnend, dass er Torgar um ein paar Läufer gebeten hatte, um als Lockvögel für die Falle zu fungieren, die sie für die Ork-Horde vorbereitet hatten, die ihnen am nächsten war. Spätestens in diesem Augenblick hatte Torgar gewusst, dass es wirklich das Richtige gewesen war, seine Freunde von Mirabar nach Mithril-Halle zu führen. Er wusste, dass man ihn und seine Delzoun-Verwandten nun wirklich als Teil der Heldenhammer-Sippe anerkannte.

»Gib ihnen das Zeichen«, sagte Banak zu Felsenfuß, dem Priester, der sich in vielen langen Stunden unter dem zerstörten Turm des Zauberers in Senkendorf um das Überleben von Bruenor gekümmert hatte.

Felsenfuß bewegte die knorrigen Finger und betete zu Moradin. Er beschwor einen Schauer bunter Lichter herauf, kleiner Feuerstreifen, die nichts verbrannten, aber von der Rinne aus gut zu sehen sein würden.

Beinahe sofort kletterten Torgars Jungs, Pwents Knochenbrecher, die anderen Kämpfer und die Brüder Felsenschulter aus der Rinne, wobei sie zuvor festgelegte Routen benutzten und keinen Zwerg zurückließen, nicht einmal die wenigen, die schwer oder vielleicht sogar tödlich verwundet worden waren.

Und nun rumpelte ein weiteres Werk von Pikel Felsenschulter, ein riesiger Felsblock, den der grünbärtige Zwerg mit Hilfe seiner Druidenmagie zu einer Kugel geformt hatte, aus einem Versteck hinter einem Steinhaufen nahe dem Gebirgsausläufer. Drei starke Zwerge manövrierten ihn mit langen, schweren Stangen und spannten die Muskeln an, um ihn über unebenen Boden und sogar eine kleine Anhöhe hinauf zu schaffen. Weitere Zwerge verließen ihre Verstecke oben am Rand der Rinne und halfen ihren Kameraden, die riesige Steinkugel so zu führen, dass sie ins hintere Ende der Rinne rollte, wo eine Art Rampe für sie aufgebaut worden war, um sie zu beschleunigen.

Der polternde, rollende Stein ließ den Boden erbeben, und die Orks in der Rinne stießen entsetzte Schreie aus und fielen beim Rückzug über ihre eigenen Füße. Einige wurden zu Boden gestoßen, und dann rollte der Stein über sie hinweg. Wieder andere wurden sogar von ihren entsetzten Genossen vor den Stein geschleudert, weil diese hofften, die schwere Kugel damit zu verlangsamen.

Als der Stein schließlich gegen die Barrikaden am anderen Ende der Rinne krachte, hatte er nur ein paar Orks getötet. Höher oben am Hang nickten Banak, Torgar und die anderen dennoch zufrieden, denn sie verstanden, dass die Wirkung viel größer gewesen war als der tatsächliche Schaden, den ihre Feinde genommen hatten.

»Der erste Teil eines Kampfes besteht stets darin, die Herzen der Feinde zu besiegen«, sagte Banak, und diesen Zweck hatte ihr kleiner Trick sehr gut erfüllt.

Banak zwinkerte Torgar und Felsenfuß mit seinem vernarbten Auge zu, dann streckte er die Hand aus und tätschelte dem Einwanderer aus Mirabar die Schulter.

»Ich höre, dein Freund Shingles hat schon einige Kämpfe an der Oberfläche hinter sich«, sagte Banak. »Ebenso wie du.«

»Mirabar hat oberirdische und unterirdische Stadtteile«, erwiderte Torgar.

»Nun, meine Leute und ich sind mit der Kriegsführung über der Erde nicht so gut vertraut«, antwortete Banak. »Ich werde auf den Rat von euch beiden und den von Ivan Felsenschulter angewiesen sein …«

Torgar nickte begeistert.

Die Zwerge hatten gerade erst begonnen, ihre Verteidigungslinien auf dem hoch gelegenen Gelände südlich der Felsenrinne zu errichten, als Wulfgar und Catti-brie auf Banak und die anderen Anführer zugerannt kamen.

»Wir kommen aus dem Osten«, erklärte Catti-brie atemlos. Sie war einen halben Fuß größer als die größten Zwerge, wenn auch nicht annähernd so kräftig gebaut, aber sie wirkte dennoch unter ihnen nicht fehl am Platze. Ihr Gesicht war breit, aber doch zart, ihr rötlich braunes Haar dicht und glänzend, und es fiel ihr bis über die Schultern. Sie hatte selbst nach menschlichen Maßstäben große blaue Augen, und für die Zwerge, die stets zu blinzeln und unter gerunzelten Stirnen und dichten Brauen hervorzuspähen schienen, mussten sie riesig wirken. Trotz ihrer Schönheit war diese junge Frau, die von Bruenor Heldenhammer aufgezogen worden war, ebenso zäh, pragmatisch und bodenständig wie die besten Zwergenkrieger.

»Dann ist euch hier der ganze Spaß entgangen«, sagte der begeisterte Felsenfuß, und seine Erklärung wurde mit Jubel und dem Heben von Bierkrügen begrüßt.

»Ei, ei!«, stimmte Pikel Felsenschulter zu, und zwischen seinem grün gefärbten Bart und dem Schnurrbart blitzten weiße Zähne.

»Wir haben sie in der Rinne erwischt, wie wir es geplant hatten.« Banak Starkamboss war erheblich sachlicher als die anderen. »Wir haben ein paar umgebracht und noch mehr in die Flucht geschlagen …«

Er brach ab, als er sah, dass Catti-brie heftig abwinkte.

»Ihr habt mit euren Lockvögeln nur ihre Lockvögel erwischt«, erklärte die Frau und machte eine weit ausgreifende Bewegung nach Osten. »Eine riesige Streitmacht marschiert gegen uns. Sie bewegen sich weiter südlich, um uns von der Seite anzugreifen.«

»Nördlich von uns befindet sich ebenfalls eine große Armee«, stellte Banak fest. »Wir haben sie gesehen. Wie viele stinkende Orks kommen von Osten?«

»Mehr, als wir Zwerge haben, um gegen sie zu kämpfen. Viel mehr«, erklärte der riesige Wulfgar mit grimmiger Miene. Er war mehr als einen Fuß größer als seine Adoptivschwester und ragte hoch über den Zwergen auf. Wulfgar, Sohn des Beornegar, hatte eine schlanke Taille und war geschmeidig und gelenkig, aber sein Oberkörper war breiter als der eines Zwergs, seine Arme hatten den Umfang eines kräftigen Zwergenbeins, und sein Kinn war fest und kantig. Das alles brachte ihm selbstverständlich den Respekt des zähen bärtigen Volkes ein, aber es war vor allem das Licht in Wulfgars kristallblauen Augen, die Klarheit eines Kriegers, was ihm die höchste Anerkennung gewann, und als er fortfuhr, lauschten alle angestrengt. »Wenn ihr sie an beiden Flanken bekämpfen müsst, wie es zweifellos geschehen wird, wenn ihr hier bleibt, werden sie euch überrennen.«

»Pah!«, schnaubte Felsenfuß. »Ein Zwerg ist fünf von diesen Stinkern wert!«

Wulfgar drehte sich um und sah den Priester eindringlich an.

»So viele?«, fragte Banak.

»Und mehr«, antwortete Catti-brie.

»Sag unseren Leuten, sie sollen sich in Bewegung setzen«, wies Banak Torgar an. »Wir ziehen so schnell wie möglich nach Süden, so hoch nach oben, wie wir können.«

»Aber das bringt uns an den Rand des Steilhangs über dem Tal der Hüter«, wandte Felsenfuß ein.

»Eine gute Verteidigungsstellung«, wischte Banak die Bedenken des Priesters beiseite.

»Aber ohne eine Möglichkeit auszuweichen«, sagte Felsenfuß. »Wir werden allerdings einen steilen Hang vor uns haben.«

»Und die Feinde werden nicht weit genug nach Süden ziehen können, um uns von dort angreifen zu können«, sagte Banak.

»Wenn wir geschlagen werden, können wir nirgendwo mehr hin«, wiederholte Felsenfuß. »Wir stehen mit dem Rücken an der Wand.«

»Nicht an der Wand, sondern am Rand einer steilen Klippe«, warf Torgar Hammerschlag ein. »Meine Jungs und ich werden uns gleich daranmachen, genug Seile anzubringen, um uns alle schnell zur Talsohle zu befördern.«

»Es sind dreihundert Fuß«, wandte der Priester ein.

Torgar zuckte die Achseln, als wäre das kein Problem.

»Was immer ihr tut, ihr solltet euch lieber beeilen«, riet Catti-brie.

»Was sollten wir eurer Ansicht nach tun?«, fragte Banak. »Ihr habt die Orks gesehen – glaubt ihr nicht, dass wir ihnen standhalten können?«

»Ich fürchte, es wäre das Klügste, zum Rand des Tals der Hüter zu gehen, vielleicht auch gleich ins Tal hinein«, sagte Wulfgar, und Catti-brie nickte zustimmend. »Und weiter bis nach Mithril-Halle.«

»So viele?«, fragte ein anderer Besucher, der auf dem Weg nach Mithril-Halle auf die kämpfenden Zwerge gestoßen war: der blondbärtige Ivan Felsenschulter, Pikels zäherer und konventionellerer Bruder. Der Zwerg drängte sich an seinen Freunden vorbei zu den Anführern.

»So viele«, versicherte Catti-brie. »Aber wir können uns nicht einfach nach Mithril-Halle zurückziehen. Noch nicht. Bruenor ist inzwischen mehr als nur König von Mithril-Halle. Er ist nach Senkendorf gegangen, weil er es für seine Pflicht hielt, ebenso wie es jetzt die unsere ist, uns nicht einfach in unser Loch zu verkriechen.«

»Zu viele werden sterben, wenn wir das tun«, stimmte Banak ihr zu. »Also ziehen wir uns bis zum höchsten Punkt zurück, und dann sollen sie kommen. Wir werden sie in die Flucht schlagen, daran habe ich keine Zweifel.«

»Ei, ei!«, jubelte Pikel.

Alle sahen den seltsamen kleinen Pikel an, ein grünhaariges und grünbärtiges Geschöpf, das sich den Bart hinter die Ohren gezogen und in sein langes Haar geflochten hatte, das ihm bis auf den Rücken hing. Er war rundlicher als sein Bruder und wirkte sanftmütiger, und anders als Ivan, der wie die meisten Zwerge ein Flickwerk aus zähem und klobigem Leder und Metall trug, hatte sich Pikel in ein schlichtes, hellgrünes Gewand gehüllt. Statt der schweren Stiefel, der üblichen Fußbekleidung von Zwergen, die Schutz gegen die Funken in einer Schmiede bot und zum Niederstampfen von Orks geeignet war, trug Pikel Sandalen. Dennoch, der gutmütige Zwergendruide hatte sich als ausgesprochen nützlich erwiesen. Das hohle Götterbild, das die Retter dicht genug an Senkendorf herangebracht hatte, war seine Idee und Schöpfung gewesen, und bei den darauf folgenden Kämpfen hatte er stets mitgemacht und Magie angewandt, die sich für seine Feinde ausgesprochen unangenehm auswirkte und seine Verbündeten staunen ließ. Einer nach dem anderen begannen die Zwerge über seine Begeisterung zu lächeln.

Nach den schlechten Nachrichten, die Wulfgar und Catti-brie gebracht hatten, hatte ihre eigene Freude über den Sieg in der Felsenrinne deutlich nachgelassen.

Die Zwerge brachen rasch ihr Lager ab, und das taten sie keinen Augenblick zu früh, denn sie hatten sich kaum über die nächste Hügelkuppe bewegt, als die Orks im Norden auch schon mit ihrem Angriff begannen und die Streitmacht im Osten sich ebenfalls näherte.

Beinahe tausend Zwerge eilten über den steinigen Boden und bewegten sich unermüdlich den steilen Berghang hinauf. Bald schon waren sie auf dreitausend Fuß Höhe, dann waren es viertausend, und sie rannten immer noch, und ihre Formation blieb fest und stark. Nun hatten sie im Osten höhere Berge an ihrer Flanke, die verhinderten, dass die Orks sie von der Seite her angriffen, aber die Feinde hinter ihnen verfolgten sie weiter. Die Zwerge hatten sich mehr als eine Meile aufwärts bewegt, und nun keuchten sie bei jedem Schritt, aber diese Schritte wurden nicht langsamer.

Schließlich erreichten die Ersten die letzte Anhöhe und den Rand der Klippe, die steil zum Tal der Hüter abfiel, das abrupte Ende des Hangs, das aussah, als wäre das Land hier einfach aufgerissen. Unter ihnen, volle dreihundert Fuß tiefer, lag das Tal der Hüter, durch das der westliche Weg nach Mithril-Halle verlief. An diesem Morgen hing Nebel in der Luft und wand sich um die vielen Steinsäulen, die sich von dem beinahe unfruchtbaren Boden des Tals erhoben.

Mit der Disziplin, die für Zwerge so typisch war, machten sie sich sofort an die Arbeit und begannen sich zu verschanzen; einige errichteten Wälle aus Steinen, andere fanden größere Blöcke, die man auf die Feinde zurollen konnte, und wieder andere suchten nach den besten Positionen und dachten sich Möglichkeiten aus, diese Stellungen miteinander zu verbinden. Torgar hatte in der Zwischenzeit seine besten Ingenieure zusammengerufen und sie mit dem Problem vertraut gemacht: Falls sie sich zurückziehen mussten, musste die gesamte Streitmacht so schnell wie möglich ins Tal transportiert werden.

Mehr als hundert Zwerge aus Mirabar begannen, die einfachsten Routen an der Steilwand zu suchen und die Simse zu bestimmen, auf denen die Zwerge ihren Abstieg unterbrechen und Seile für den nächsten Abschnitt vorfinden sollten. An vielen Stellen prüften sie die Haltbarkeit des Steins. Schon bald waren die ersten Seile angebracht, und Torgars Leute rutschten daran nach unten, um die besten Plätze für den Beginn des nächsten Abschnitts zu finden. Dort, wo die Klippe am niedrigsten war, würde es vier getrennte Abschnitte brauchen, und am höchsten Punkt mindestens fünf. Diese abschreckende Aussicht hätte viele verzweifeln lassen.

Nicht jedoch die Zwerge. Nicht dieses störrische Volk, das häufig Jahre damit verbrachte, einen Tunnel zu graben, und dann am Ende doch nicht das erhoffte kostbare Erz fand. Nicht diese energischen und mutigen Geschöpfe, die Hammer und Meißel auch in den unerforschtesten Bereichen der tiefsten Höhlen ansetzten, wo sie nicht sicher sein konnten, ob die Funken gefährliche Gase zum Explodieren bringen würden. Nicht diese stets gemeinschaftlich denkenden Geschöpfe, die sich überschlugen, um Verwandten in Not zu helfen. Für die Zwerge, die König Bruenors nördlichste Verteidigungslinie bildeten, ob sie nun aus Mithril-Halle oder aus Mirabar stammten, stellte der gemeinsame Familienname Delzoun mehr dar als nur eine Herkunftsbezeichnung: Es war ein Appell an Ehre und Pflichtgefühl.

Einer der absteigenden Ingenieure blieb an einem Vorsprung hängen, und als er versuchte, sich zu befreien, entglitt ihm das Seil und er fiel mehr als zweihundert Fuß tief in den Tod. Die anderen hielten inne und sprachen ein kurzes Gebet zu Moradin, dann machten sie sich wieder an die Arbeit.

Tred McKnuckles steckte den blonden Bart in den Gürtel, rückte seinen voll gestopften Rucksack zurecht und wandte sich dem Gang zu, der ihn zum westlichen Tor von Mithril-Halle führen würde.

»Na, kommst du endlich?«, fragte er seinen Freund, der ebenso wie er aus der Zitadelle Felbarr stammte.

Nikwillig nahm eine nachdenkliche Haltung an und starrte in den dunklen Gang.

»Nein, ich glaube nicht«, antwortete er dann zu Treds Überraschung.

»Spinnst du?«, fragte der Zwerg. »Du weißt genauso gut wie ich, dass Obould Todespfeil hier seine dreckigen Finger im Spiel hat. Dieser Hund beißt und bellt immer noch! Und du weißt genauso gut wie ich, wenn Obould in den Kampf marschiert, dann will er Felbarr haben! Das ist sein eigentliches Ziel.«

»Das bezweifle ich ja gar nicht«, erwiderte Nikwillig. »König Emerus muss davon erfahren.«

»Also, dann komm endlich.«

»Nein. Diese Heldenhammers haben deinen haarigen Arsch gerettet, und meinen ebenfalls. Hier werden die Orks als Erstes angreifen, und daher bleibe ich, um ein paar von ihnen fertig zu machen. Seite an Seite mit König Bruenors Leuten.«

Für Tred war Nikwilligs Pose ebenso aussagekräftig wie seine kleine Ansprache. Nikwillig war immer so etwas wie ein Denker gewesen – soweit ein Zwerg ein Denker sein konnte –, und sein Denken fiel mitunter ein wenig unkonventionell aus. Aber diese Begründung, wieso er nicht zur Zitadelle Felbarr zurückkehren wollte, wenn doch so viel auf dem Spiel stand, schien selbst für Nikwilligs Verhältnisse ein bisschen zu exzentrisch.

»Denk doch nach, Tred«, bat Nikwillig, als hätte er die Gedanken seines Freundes gelesen. »Sie können einfach einen Boten nach Felbarr schicken, und das weißt du auch.«

»Und du glaubst, dass irgendein Bote König Emerus dazu bringen könnte, aus der Zitadelle Hilfe zu schicken, wenn wir sie brauchen? Du denkst, dass irgendein Bote König Emerus dazu bringen könnte, die Leute in Adbar zu benachrichtigen, damit König Harbromm seine Eiserne Garde zusammenruft?«

Nikwillig zuckte die Achseln und sagte: »Die Orks greifen an, und die Jungs von der Heldenhammer-Sippe bekämpfen sie – und dabei stehen zwei Zwerge aus Felbarr, Tred und Nikwillig, felsenfest neben Bruenors Leuten. Wenn überhaupt etwas König Emerus auf die Beine bringen wird, dann die Tatsache, dass wir beide diesen Kampf für wichtig genug halten, um uns daran zu beteiligen. Vielleicht wird es ihn sogar veranlassen, schneller zu handeln, wenn wir hier bleiben und Schulter an Schulter mit Bruenors Leuten kämpfen.«

Tred starrte den anderen Zwerg lange und forschend an und versuchte, Nikwilligs überraschende Worte zu verdauen. Er selbst wollte Mithril-Halle ebenfalls nicht verlassen. König Bruenor Heldenhammer hatte sich kopfüber in die Gefahr gestürzt, um Tred und Nikwillig zu helfen. Zusammen hatten sie die Siedler gerächt, die gestorben waren, weil sie den beiden Zwergen aus Felbarr geholfen hatten, und auch für den Tod von Treds und Nikwilligs Verwandten – darunter Treds kleiner Bruder – Rache genommen.

Der blonde Zwerg seufzte tief und blickte noch einmal über die Schulter zu dem dunklen Unterreich-Gang, der sich nach Westen wand.

»Vielleicht sollten wir mit Regis sprechen«, sagte er schließlich. »Vielleicht wird er jemanden finden, der König Emerus eine Botschaft überbringt.«

»Und dann gehen wir wieder raus zu Bruenors Menschenkindern und Torgars Jungs«, erklärte Nikwillig immer noch mit diesem Unterton trotzigen Eifers.

Tred musste seinen alten Freund einfach bewundern. Er hatte noch nie erlebt, dass Nikwillig so begierig gewesen war, sich in einen Kampf zu stürzen.

Diese offensichtliche Veränderung hätte allerdings zu keinem günstigeren Zeitpunkt geschehen können. Treds resignierte Miene wich einem breiten Grinsen, und er setzte den schweren Rucksack wieder ab.

»Ich würde dich ja fragen, woran du denkst, aber das ist wohl nicht nötig«, sagte Wulfgar, als er Catti-brie eingeholt hatte.

Sie stand neben den schwer arbeitenden Zwergen und blickte den Hang hinunter – nicht zu den sich sammelnden Orks, hatte Wulfgar festgestellt, sondern in das wilde Land hinter ihnen. Catti-brie strich ihre dichte Haarmähne zurück und drehte sich um, um Wulfgar aus Augen anzusehen, die viel dunkler waren als seine eigenen kristallblauen.

»Ich würde auch gerne wissen, wo er ist«, erklärte der Barbar. »Er ist nicht tot – davon bin ich überzeugt.«

»Wie kannst du so sicher sein?«

»Weil ich Drizzt kenne«, erwiderte Wulfgar, und um seiner alten Freundin willen rang er sich ein Lächeln ab.

»Wir wären alle tot, wenn Pwent nicht gekommen wäre«, erinnerte ihn Catti-brie.

»Aber wir saßen auch in der Falle«, entgegnete Wulfgar. »Drizzt war draußen, und er lässt sich nicht so schnell erwischen. Er lebt noch, das weiß ich einfach.«

Catti-brie erwiderte das Lächeln des Barbaren und griff nach seiner Hand.

»Ich weiß es auch«, gab sie zu. »Schon, weil ich sicher bin, dass es mir das Herz zerreißen würde, wenn er gefallen wäre.«

»Mir geht es ebenso«, flüsterte Wulfgar.

»Aber er wird nicht so bald zu uns zurückkehren«, fuhr Catti-brie fort. »Und ich glaube, das sollten wir uns auch nicht wünschen. Hier wäre er nur ein weiterer Krieger in einer ganzen Armee – wenn auch zweifellos der Beste in dem Haufen –, aber da draußen …«

»Da draußen wird er unseren Feinden schrecklichen Schaden zufügen«, stimmte Wulfgar zu. »Obwohl es mir wehtut zu denken, dass er allein ist.«

»Er ist nicht allein. Er hat die Katze bei sich.«

Nun war es an Catti-brie, tröstend zu lächeln. Wulfgar drückte ihre Hand fester und nickte zustimmend.

»Ich brauche euch beide an der rechten Flanke«, erklang eine barsche Stimme seitlich von ihnen, und die beiden drehten sich um und sahen, dass Banak Starkamboss, der Priester Felsenfuß und zwei weitere Zwerge auf sie zukamen. »Die Orks sind schon auf dem Weg«, versicherte ihnen der Zwergenkommandant. »Sie wollen uns erledigen, bevor wir uns verschanzen können, und wir müssen sie aufhalten.«

Catti-brie und Wulfgar nickten grimmig.

Banak wandte sich einem der anderen Zwerge zu und befahl: »Du gehst zu Torgars Ingenieuren. Sag ihnen, sie sollen den Schlachtenlärm ignorieren und weiterarbeiten. Und sobald die Seile bis zur Talsohle reichen, gehst du runter.«

»Aber …«, protestierte der Zwerg stotternd.

Er schüttelte den Kopf und fuchtelte abwehrend mit den Armen, als hätte Banak ihn gerade zu einer schweren Strafe verurteilt. Banak brachte ihn einfach zum Schweigen, indem er ihm den Mund zuhielt.

»Deine Mission ist die schwierigste und wichtigste von allen«, erklärte der Kommandant. »Wir werden uns hier oben um die Orks kümmern, und welcher Zwerg würde das nicht mit Freuden tun? Aber du musst zu Regis gehen und dem Kleinen ausrichten, dass wir tausend Männer mehr brauchen – zweitausend, wenn er sie entbehren kann.«

»Du willst tausend Mann Verstärkung an den Seilen heraufbringen?«, fragte Catti-brie zweifelnd, denn es schien hier oben nicht genug Platz für so viele Krieger zu geben.

Wulfgar warf ihr einen Seitenblick zu, denn ihm war aufgefallen, dass ihr Zwergenakzent viel intensiver geworden war, seit sie mit Banak sprachen.

»Nein, im Augenblick haben wir hier genug Leute«, erklärte der Kommandant. Er ließ den anderen Zwerg los, der inzwischen leicht bläulich angelaufen war. »Wir müssen die Stellung halten, also werden wir es tun. Aber der Ork, mit dem wir es hier zu tun haben, ist schlau. Zu schlau.«

»Du glaubst, der Feind wird eine Streitmacht um diesen Gebirgsausläufer im Westen bringen«, schloss Wulfgar, und Banak nickte.

»Wenn die stinkenden Orks vor uns im Tal sind, sind wir erledigt«, erklärte der Zwergenkommandant. »Sie werden uns nicht mal angreifen müssen; sie können uns einfach festnageln, bis wir vor Hunger von der Klippe fallen.« Banak bedachte seinen Boten mit einem grimmigen Blick und fügte hinzu: »Du gehst und sagst Regis, dass er alle schicken soll, die er entbehren kann, und zwar ins Tal, um sich dort am westlichen Ende einzugraben. Kein Ork darf ins Tal gelangen, verstehst du mich?«

Plötzlich schien es dem Boten nicht mehr so sehr zu widerstreben, dass er gehen musste. Er richtete sich gerade auf, reckte die breite Brust vor, nickte allen noch einmal zu und ging.

Kaum hatte er sich auf den Weg zur Klippe gemacht, als auch schon der Ruf ertönte, dass der Feind angriff.

»Du gehst wieder zu Torgars Ingenieuren«, wies Banak Felsenfuß an. »Sorge dafür, dass sie während des Kampfs weiterarbeiten. Sie sollen nicht aufhören, ehe die Orks uns nicht alle umgebracht haben und zum Rand kommen, um sie anzugreifen.«

Mit einem entschlossenen Nicken machte sich auch der Priester auf den Weg.

»Und ihr beide haltet diese Seite der Front«, bat Banak.

Catti-brie nahm ihren tödlichen Bogen Taulmaril, den Herzenssucher, von der Schulter. Sie zog einen Pfeil aus dem Köcher und legte ihn an die Sehne. Neben ihr schlug Wulfgar den mächtigen Kriegshammer Aegis-fang in seine offene Handfläche.

Als Banak und der zweite Zwerg an der Verteidigungslinie entlang weitergingen, sahen die beiden Menschen sich an und nickten einander zu. Dann wandten sie sich dem felsigen Hang zu, auf dem der dunkle Schwarm bereits heranstürmte.