Anarchie der Gefühle

Ich habe alles richtig gemacht.

Jeder Schritt auf meinem Weg aus Menzoberranzan heraus wurde von meinem inneren Kompass geleitet, von meinen Vorstellungen von Gut und Böse, von Gemeinschaft und Selbstlosigkeit. Selbst wenn ich versagte, wie es jedem passiert, lag das an Fehlurteilen oder schlicht an Schwäche und geschah nicht, weil ich mein Gewissen außer Acht gelassen hätte. Denn aus dem Gewissen erwachsen all jene höheren Prinzipien und Lehren, die uns unseren jeweiligen Göttern näher bringen, näher zu unseren Hoffnungen und Vorstellungen vom Paradies.

Ich bin stets meinem Gewissen gefolgt, aber ich fürchte, es hat mich getäuscht.

Ich habe alles richtig gemacht.

Und dennoch ist Ellifain tot, und damit wurde meine Tat vor so vielen Jahren, die ihr das Leben rettete, zu Hohn und Spott.

Ich habe alles richtig gemacht.

Und dennoch sah ich Bruenor sterben, und ich gehe davon aus, dass auch die anderen, die ich liebte, mit ihm umgekommen sind.

Gibt es dort draußen irgendwo eine Gottheit, die über meine Dummheit lacht?

Gibt es dort draußen überhaupt eine Gottheit?

Oder war alles Lüge und – schlimmer noch – Selbsttäuschung?

Ich habe oft darüber nachgedacht, was Gemeinschaft bedeutet und wie Einzelne bei ihren Versuchen, das große Ganze zu verbessern, persönlich ebenfalls vorankommen. Dies war das Leitprinzip meiner Existenz, die Erkenntnis, die mich aus Menzoberranzan herausgetrieben hat. Aber nun, in dieser Zeit des Schmerzes, begreife ich – oder vielleicht bin ich auch nur gezwungen zuzugeben –, dass mein Glaube auch einen viel persönlicheren Hintergrund hatte. Welche Ironie, dass ich mit meinen Ideen von Gemeinschaft tatsächlich vor allem mein eigenes verzweifeltes Bedürfnis genährt habe, zu etwas zu gehören, das größer war als ich selbst.

Indem ich mir selbst immer wieder vor Augen führte, wie richtig meine Ideen waren, tat ich nichts anderes als jene, die sich vor der Kanzel eines Predigers sammeln. Ich suchte Trost und Anleitung, nur dass ich danach in mir selbst suchte, während viele es außerhalb ihrer selbst tun.

Nach dieser Definition habe ich alles richtig gemacht. Und dennoch kann ich die wachsende Erkenntnis, die wachsende Befürchtung, die wachsende Angst nicht von der Hand weisen, dass letztendlich alles falsch war.

Denn worin soll die Bedeutung alles dessen bestehen, wenn Ellifain tot ist und sie in den kurzen Jahren ihres Lebens solche Qualen erleiden musste? Wo ist der Sinn, wenn meine Freunde und ich unseren Herzen folgten und auf unsere Schwerter vertrauten, nur damit ich zusehen musste, wie sie in den Trümmern eines einstürzenden Turms starben?

Wenn ich die ganze Zeit Recht hatte, wo bleibt dann die Gerechtigkeit und wo die Antwort eines dankbaren Gottes?

Noch während ich diese Frage stelle, erkenne ich, wie überheblich sie ist. Noch während ich diese Frage stelle, erkenne ich, wie meine Seele funktioniert, und ich frage mich unwillkürlich, ob ich wirklich so anders bin als die anderen Drow. Was die Technik angeht, zweifellos, aber was ist mit den Auswirkungen? Denn habe ich nicht mit all meiner Hingabe an Gemeinschaft und Engagement genau das Gleiche gesucht wie die Priesterinnen, die ich in Menzoberranzan hinter mir gelassen habe? Suchte ich nicht ebenso wie sie nach ewigem Leben und höherem Ansehen bei meinen Freunden?

Als die Grundmauern von Withegroos Turm schwankten und schließlich einstürzten, zerbrachen auch die Illusionen, die mich geleitet haben.

Ich wurde zum Krieger ausgebildet. Ohne meine Geschicklichkeit mit den Krummsäbeln hätte ich in meiner Welt eine erheblich kleinere Rolle gespielt, wäre weniger respektiert und akzeptiert worden. Diese Ausbildung und Begabung sind nun alles, was mir geblieben ist; sie sind die Grundlage, auf die ich diesen neuen Abschnitt des seltsamen, gewundenen Weges auftauen werde, den das Leben von Drizzt Do'Urden nimmt. Meine Fähigkeiten werden mir Gelegenheit geben, mich an diesen elenden Geschöpfen zu rächen, die alles zerstört haben, was mir am Herzen lag. Was ich tue, wird Ausdruck meiner Trauer um all jene sein, die ich verloren habe: Ellifain, Bruenor, Wulfgar, Regis, Catti-brie, und im Grunde auch Drizzt Do'Urden.

Diese Krummsäbel, Eistod und Blaues Licht, werden nun zur Definition meiner selbst, und wieder einmal ist niemand außer Guenhwyvar an meiner Seite. Ich verlasse mich auf sie und auf nichts anderes.

Drizzt Do'Urden