Symbol des Zorns

Drizzt bezeichnete es ungern als Schrein. Aber der Helm von Bruenor Heldenhammer mit seinem einen Horn, den der Drow auf einem Stock gehängt hatte, war der wichtigste Gegenstand in der kleinen Höhle, in der er sich niedergelassen hatte. Der Stock mit dem Helm stand direkt vor der hinteren Höhlenwand, an der einzigen Stelle in dieser natürlichen Zuflucht, die hin und wieder von einem Sonnenstrahl erreicht wurde.

Drizzt wollte es so. Er wollte den Helm gut sehen können. Er wollte stets daran denken. Und er war nicht nur entschlossen, sich an Bruenor und an all seine anderen Freunde zu erinnern.

Vor allem wollte Drizzt nicht vergessen, wer ihm und seiner Welt das angetan hatte.

Er musste sich auf den Bauch legen, um zwischen zwei Felsen in die Höhle kriechen zu können, und selbst dann war es eng und schwierig. Doch das war Drizzt gleich; tatsächlich sagte es ihm sogar zu. Dieser vollkommene Mangel an Bequemlichkeit, diese beinahe tierhafte Existenz, tat ihm gut, und noch mehr als das: Es erinnerte ihn daran, was er werden musste, was er sein musste, wenn er überleben wollte. Er war nicht mehr Drizzt Do'Urden aus dem Eiswindtal, Freund von Bruenor und Catti-brie, Wulfgar und Regis. Er war nicht mehr Drizzt Do'Urden, den der Waldläufer Montolio deBrouchee im Geist von Mielikki über die Wege der Natur belehrt hatte. Er war wieder dieser einsame Drow, der Menzoberranzan verlassen hatte. Er war wieder ein Flüchtling aus der Stadt der Dunkelelfen, ein Abtrünniger vom Weg der Priesterinnen, die ihm solches Unrecht angetan und seinen Vater ermordet hatten.

Er war der Jäger, ein Geschöpf reinen Instinkts, das das mörderische Unterreich überlebt hatte und sich für den Tod seiner Freunde an den Ork-Horden rächen würde.

Er war der Jäger, ein Wesen, dem es nur noch ums Überleben ging und das den Schmerz und die Trauer um Ellifain beiseite geschoben hatte.

So kniete er eines Nachmittags vor seinem heiligen Symbol und beobachtete das Spiel des Sonnenlichts auf dem schief hängenden Helm. Bruenor hatte schon vor vielen Jahren, lange bevor Drizzt in sein Leben getreten war, eins der Hörner an diesem Kopfschutz verloren. Er hatte Drizzt erzählt, dass er das Horn nicht ersetzte, weil es ihn daran erinnerte, immer den Kopf einzuziehen.

Nun berührte der Drow den rauen Rand des abgebrochenen Horns mit seinen schlanken Fingern. Drizzt konnte am Lederband des Helms immer noch Bruenors charakteristischen Geruch wahrnehmen, als säße der Zwerg neben ihm in der dunklen Höhle, als wären sie gerade aus einem weiteren brutalen Kampf zurückgekehrt, beide immer noch schwer atmend, laut lachend und schweißüberströmt.

Der Drow schloss die Augen und hatte wieder einmal dieses letzte verzweifelte Bild von Bruenor vor sich. Er sah Withegroos weißen Turm, sah Flammen, die an den Seiten emporzüngelten, sah einen einzelnen Zwerg oben auf der Spitze, der bis zum bitteren Ende Befehle brüllte. Er sah, wie der Turm sich zur Seite neigte, einstürzte und den Zwerg unter den Trümmern begrub.

Er schloss die Augen noch fester, um die Tränen zurückzuhalten. Er musste sich wehren, musste seine Trauer weit, weit von sich schieben. Der Krieger, zu dem er geworden war, hatte keinen Platz für solche Gefühle. Drizzt öffnete die Augen wieder und schaute abermals den Helm an, bezog Kraft aus seinem Zorn. Er folgte der Linie eines Sonnenstrahls, der in die Felsennische hinter dem Helm fiel, wo seine Stiefel standen.

Er brauchte sie nicht mehr, ebenso wenig wie dieses Gefühl der Trauer, das ihn nur schwächte.

Er legte sich auf den Bauch und rutschte durch die enge Öffnung zwischen den Felsen ins Spätnachmittagslicht hinaus. Beinahe sofort richtete er sich auf und schnupperte. Er sah sich um, und seine scharfen Augen nahmen jeden Schatten und jedes Spiel der Sonne wahr; seine nackten Füße spürten den kühlen Boden. Nach einem weiteren abschätzenden Blick eilte der Jäger auf höheres Gelände.

Er erreichte die Bergflanke in dem Moment, als die Sonne hinter dem westlichen Horizont verschwand, und er blieb stehen und sah sich um, während die Schatten länger wurden und sich Zwielicht über das Land senkte.

Schließlich entdeckte er in der Ferne ein Lagerfeuer.

Seine Hand bewegte sich instinktiv zu der Onyxstatuette in seinem Beutel. Er holte sie jedoch nicht heraus, beschwor Guenhwyvar nicht herauf. Nicht an diesem Abend.

Er konnte besser sehen, je dunkler es wurde, und schließlich machte er sich auf den Weg, lautlos wie ein Schatten, flüchtig wie eine Feder an einem windigen Herbsttag. Er brauchte die Bergpfade nicht, denn er war viel zu geschickt, um sich von Geröll und zerklüftetem Boden aufhalten zu lassen. Er schlich problemlos durchs Unterholz, und so lautlos, dass viele Waldtiere, selbst das wachsame Rotwild, nicht einmal bemerkten, wie er sich näherte, und erst erkannten, dass er an ihnen vorbeigeschlichen war, als der sich drehende Wind seinen Geruch zu ihnen trieb.

Einmal kam er an einen kleinen Fluss, aber er sprang mit vollendeter Balance von einem Stein zum anderen, und selbst auf den glattesten Stellen kam er nicht ins Rutschen.

Er hatte das Lagerfeuer aus dem Blickfeld verloren, als er den Berghang verlassen hatte, aber er wusste, in welche Richtung er sich bewegen musste, so als würde der Zorn selbst seine langen und sicheren Schritte lenken.

Auf der anderen Seite eines kleinen Tals, direkt hinter einem dichten Hain, entdeckte der Drow das Lagerfeuer wieder, und nun war er nahe genug, um die Umrisse jener erkennen zu können, die sich dort bewegten. Er wusste sofort, dass es sich um Orks handelte, sah es an ihrer Größe, an den breiten Schultern und an ihrer leicht gebückten Haltung. Sie stritten sich – das war wenig überraschend –, und Drizzt beherrschte ihre gutturale Sprache gut genug, um zu verstehen, dass es bei dem Streit darum ging, wer Wache halten sollte. Offensichtlich war keiner dazu bereit, und sie hielten es alle für eine unnötige Schikane.

Der Drow duckte sich hinter ein Gebüsch ganz in der Nähe, und ein boshaftes Grinsen umspielte seine Lippen. Es war tatsächlich unnötig, Wache zu halten, dachte er, denn ob die Orks nun aufmerksam waren oder nicht, sie würden den Jäger ohnehin erst bemerken, wenn es zu spät war.

Der Wachposten lehnte den Speer an einen großen Stein, verschränkte die Finger und ließ die Knöchel knacken. Das Geräusch war lauter, als wenn Zweige zerbrachen.

»Immer Bellig«, murrte er und warf einen Blick zurück zum Lagerfeuer und zu den vielen Gestalten, die sich dort hingelegt hatten oder ihre widerwärtigen Rationen verspeisten. »Bellig hält Wache. Ihr schlaft. Ihr esst. Bellig hält Wache.«

Er murrte weiter, immer noch in Richtung Lager gewandt.

Als er sich schließlich doch wieder umdrehte, hatte er ein wie aus Ebenholz gemeißeltes Gesicht vor sich, dichtes weißes Haar und Augen … diese Augen! Lila Augen! Glühende Augen!

Bellig griff instinktiv nach seinem Speer – oder setzte jedenfalls dazu an, bis er das Aufblitzen glitzernder Klingen links und rechts bemerkte. Dann versuchte er, die Arme an sich zu ziehen, um den Angriff abzuwehren, aber er war viel zu langsam, um die Krummsäbel des Dunkelelfen noch blockieren zu können.

Er versuchte zu schreien, aber die gekrümmten Klingen hatten bereits zugeschlagen und seine Luftröhre durchtrennt.

Bellig drückte die Hände auf die tödliche Wunde, und die Säbel kehrten zurück.

Der sterbende Ork drehte sich um, um zu seinem Kameraden zu rennen, aber wieder schlugen die Säbel zu. Diesmal trafen sie Belligs Beine und durchtrennten mühelos Muskeln und Sehnen.

Der Ork spürte, wie eine Hand ihn packte, als er fiel, und ihn ruhig auf den Boden herunterließ. Er lebte immer noch, obwohl er keine Luft mehr holen konnte. Er lebte immer noch, obwohl sein Lebensblut sich bereits in einer dunklen Lache auf dem Boden sammelte.

Sein Mörder schlich lautlos weiter.

»Bellig, du Blödmann, gib endlich Ruhe da drüben!«, rief Oonta, der unter den Ästen einer großen Ulme am Rand des Lagers saß. »Ich unterhalte mich hier mit Figgle.«

»Er hat wirklich ein großes Maul«, stimmte Figgle der Hässliche ihm zu.

Mit seiner fehlenden Nase, einer abgerissenen Lippe und graugrünen Zähnen, die sich nach außen bogen, war Figgle selbst für Ork-Verhältnisse kein schöner Anblick. Er hatte sich in jungen Jahren einmal zu dicht zu einem besonders bösartigen Worg gebeugt und teuer dafür bezahlt.

»Ich bringe ihn um«, drohte Oonta, und sein Kamerad grinste schief.

Ein Speer bohrte sich in den Baumstamm zwischen ihnen.

»Bellig!«, brüllte Oonta, als er und Figgle zur Seite taumelten. »Ich bringe dich jetzt sofort um!«

Mit einem Knurren griff er nach dem bebenden Speer, und Figgle nickte zustimmend.

»Hände weg«, erklang eine Stimme, die zwar die Ork-Sprache verwendete, aber viel zu wohlklingend war, um einem Ork zu gehören.

Beide Wachposten erstarrten und schauten in die Richtung, aus der der Speer gekommen war. Dort stand eine schlanke, anmutige Gestalt, die schwarzen Hände auf den Hüften, der dunkle Umhang im Nachtwind wehend.

»Ihr werdet ihn nicht brauchen«, erklärte der Dunkelelf.

»Häh?«, sagten beide Orks gleichzeitig.

»Was'n los?«, fragte der dritte Wachposten, Oontas Vetter Broos. Er näherte sich von der Seite, war links von Oonta und Figgle und rechts von dem Dunkelelfen. Als Erstes sah er die beiden anderen Orks, folgte dann ihren starren Blicken zu dem Drow und blieb selbst wie angewurzelt stehen. »Wer ist das?«

»Ein Freund«, sagte der Dunkelelf.

»Freund von Oonta?«, fragte Oonta und wies auf seine Brust.

»Ein Freund von denen, die ihr in der Siedlung mit dem Turm umgebracht habt«, erklärte der Dunkelelf, und bevor die Orks diese Worte wirklich begriffen, erschienen die Krummsäbel in seinen Händen.

Er hatte vielleicht einfach nur so schnell und mit einer derart fließenden Bewegung nach ihnen gegriffen, dass die Orks der Bewegung nicht folgen konnten, aber den dreien kam es so vor, als wären die Waffen plötzlich aus dem Nichts erschienen.

Broos warf Oonta und Figgle einen fragenden Blick zu und sagte: »Häh?«

Und die dunkle Gestalt huschte an ihm vorbei.

Dann war er tot.

Der Dunkelelf griff die beiden anderen an. Oonta riss den Speer aus dem Baumstamm, während Figgle zwei kleine Klingen zog, eine mit einer gespaltenen Spitze, die andere leicht gebogen.

Oonta schwang den Speer geschickt nach vorn und riss die Spitze fest nach unten, um den angreifenden Drow abzuwehren.

Aber der Dunkelelf war schon unter dem Speer hindurch und zwischen die Orks geglitten. Oonta rang noch mit dem Speer, als Figgle bereits seine beiden Waffen nach unten riss.

Der Drow jedoch war nicht mehr, wo er sein sollte, denn er war hochgesprungen, schien sich zwischen ihnen in die Luft zu erheben. Beide Orks waren gut ausgebildete Kämpfer und hoben die Waffen sofort.

Aber die Krummsäbel warteten bereits. Einer fing den Speer ab, der andere blockierte Figgles Schläge. Und noch während das geschah, trat der Dunkelelf zu, ein Fuß nach hinten, einer nach vorn, und traf jeweils ein Ork-Gesicht.

Figgle taumelte nach hinten und bewegte dabei die Klingen vor sich hin und her, um alle Angriffe abzuwehren, solange er derart desorientiert war. Oonta wich ebenfalls zurück und hob den Speer schützend vor sich. Es gelang ihnen etwa zur gleichen Zeit, sich wieder zu fassen, und als sie sich umsahen, fanden sie nichts als einander.

»Häh?«, sagte Oonta, denn der Drow war nirgendwo zu sehen.

Figgle zuckte plötzlich zusammen, und die Spitze eines Krummsäbels drang mitten aus seiner Brust. Sie verschwand beinahe sofort wieder, der Drow erschien an der Seite des Orks und schnitt ihm im Vorbeieilen die Kehle durch.

Oonta, der nichts mit einem solchen Feind zu tun haben wollte, warf den Speer weg, drehte sich um und rannte vor Angst schreiend auf das Hauptlager zu. Orks sprangen aufgeregt auf, verschütteten ihr widerliches Essen – rohes und verdorbenes Fleisch – und eilten zu den Waffen.

»Was hast du getan?«, brüllte einer Oonta zu.

»Was ist das?«, schrie ein anderer.

»Ein Drow! Ein Drow!«, rief Oonta. »Ein Drow hat Figgle und Broos umgebracht! Ein Drow hat Bellig erwischt!«

Drizzt gestattete dem flüchtenden Oonta, in den vom Feuer beleuchteten Bereich des eigentlichen Lagers zu gelangen, und nutzte die Ablenkung, um sich in den Schatten eines großen Baums am Rand des Lagers zurückzuziehen. Er steckte die Krummsäbel ein, sah sich rasch um und zählte mehr als ein Dutzend Orks.

Rasch kletterte er auf den Baum und hörte sich Oontas Bericht über den Tod der drei anderen Orks an.

»Ein Drow?«, fragten mehrere Orks verblüfft, und einer erwähnte den Namen Donnia, den Drizzt schon öfter gehört hatte.

Drizzt kroch auf einen Ast hinaus, was ihn etwa fünfzehn Fuß über den Boden und beinahe direkt über die Orks brachte. Sie hatten sich nun alle nach außen gedreht und spähten in den Schatten der Bäume. Unsichtbar über ihnen versenkte sich Drizzt in sich selbst und beschwor jene Magie herauf, die den Drow angeboren ist. Er warf eine Kugel undurchdringlicher Dunkelheit mitten ins Lager, direkt über das Feuer. Dann sprang er von Ast zu Ast wieder nach unten. Er spürte mit seinen nackten Füßen jede Unebenheit und blieb vollkommen im Gleichgewicht, denn die verzauberten Bänder an seinen Fußgelenken erlaubten ihm, sich schneller zu bewegen und Zwischenschritte zu machen, wann immer es notwendig wurde, die Füße genau unter seinen Schwerpunkt zu bringen.

Er kam im Laufen auf, rannte auf die Kugel aus Dunkelheit zu, und die Orks, die außerhalb davon standen, bemerkten die schwarzhäutige Gestalt und griffen ihn schreiend an. Einer warf einen Speer.

Drizzt rannte an dem ungeschickt geschleuderten Wurfgeschoss vorbei – er hätte den Speer wahrscheinlich sogar fangen können, wenn er es gewollt hätte. Er begrüßte den ersten Ork, der aus der Kugel von Dunkelheit kam, mit weiterer Drow-Magie: lilablaue Flammen, die seinen Gegner umzüngelten. Die Flammen verbrannten nichts, aber sie kennzeichneten die Ziele für den geschickten Drow – nicht, dass er diese Hilfe wirklich gebraucht hätte.

Eine weitere Auswirkung war, dass sie den Ork ablenkten: Das ziemlich dumme Geschöpf schaute erschrocken an sich hinab, sah die Flammen und schrie entsetzt auf. Es wandte sich Drizzt gerade noch rechtzeitig zu, um einen Säbel aufblitzen zu sehen.

Ein zweiter Ork erschien direkt hinter diesem ersten, und der Drow bewegte sich ohne Unterbrechung weiter, glitt unter der zuschlagenden Keule des Orks hindurch, zog seinen Säbel, bewegte ihn geschickt um das Bein seines Gegners und trennte die Kniesehne durch. Als der heulende Ork zu Boden fiel, befand sich der Jäger bereits in der Kugel aus Dunkelheit.

Er folgte nur noch seinem Instinkt; Muskeln und Bewegungen reagierten ausschließlich auf die Geräusche ringsumher und auf seinen Tastsinn. Ohne sich dessen auch nur bewusst zu werden, entnahm der Jäger der Wärme des Bodens unter seinen nackten Füßen, wo sich das Feuer befand, und jedes Mal, wenn er spürte, dass ein Ork in der Nähe vorbeistolperte, bewegten sich seine Krummsäbel schnell und wütend und schlugen zu, während er weitereilte.

Einmal spürte oder hörte er den Ork nicht einmal, aber sein Geruchssinn sagte ihm, dass sich einer neben ihm befand. Ein kurzes Zustoßen mit Blaues Licht, dann erklang ein Schrei, und ein weiterer Gegner fiel zu Boden.

Ebenfalls ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein, wusste Drizzt der Jäger auch, wann er die Kugel aus Dunkelheit beinahe vollkommen durchquert hatte. Irgendwo tief drinnen hatte er jeden Schritt registriert und gemessen.

Er kam rasch heraus, vollkommen im Gleichgewicht, und konzentrierte sich sofort auf die vier Orks, die auf ihn zurannten. Sein Kriegerinstinkt zog im Geist eine Angriffslinie, auf die er bereits reagierte.

Er bewegte sich vorwärts und nach unten, begegnete einem zustoßenden Speer mit einer blendenden Doppelabwehr. Jeder von Drizzts Krummsäbeln hätte den Speer durchtrennen können, aber er schlug mit dem ersten nicht fest genug zu und drehte den zweiten zur flachen Seite. Sollte der Speer doch ganz bleiben; es zählte nicht mehr, nachdem er die zweite Klinge in einer diagonalen Bewegung nach oben gestoßen hatte, denn Drizzt bewegte sich bereits rasend schnell weiter, was ihn neben den aus dem Gleichgewicht geratenen Ork brachte, und Blaues Licht durchtrennte die Kehle des Geschöpfs.

Ohne langsamer zu werden, drang der Drow weiter vor und drehte sich bei jedem Schritt ein wenig, so dass er, als er dem zweiten Ork nahe genug war, abermals seitlich mit Blaues Licht zuschlagen konnte, den Schwertarm des Orks am Handgelenk traf und ihm die Waffe aus der Hand schmetterte. Als er die Drehung vollendete, ließ er den zweiten Säbel folgen und versetzte dem Geschöpf einen Stich zwischen die Rippen.

Dann hatte der Jäger auch diesen Gegner hinter sich gelassen.

Er duckte sich unter einer zuschlagenden Keule und sprang hoch über einen zustoßenden Speer, landete mit den Füßen auf dem Schaft und drückte die Waffe mit seinem Gewicht nach unten. Blaues Licht zuckte, aber der Ork wich aus. Drizzt wurde kaum langsamer, warf den Säbel hoch, fing ihn wieder auf, stieß ihn nach hinten und traf den überraschten Keulenschwinger in die Brust, als dieser von hinten angreifen wollte.

Gleichzeitig arbeitete die andere Hand des Drow weiter, und Eistod biss mehrmals in den erhobenen, abwehrenden Arm des Orks mit dem Speer. Dann zog Drizzt Blaues Licht nach vorn, wich zur Seite aus, und der sterbende Ork stolperte hinter ihm hervor und riss den zweiten, der dastand und seinen zerschnittenen Arm umklammerte, mit sich um.

Der Jäger war bereits weitergeeilt und stieß nun auf zwei Orks, die offenbar zusammenarbeiteten. Drizzt warf sich nach vorn und auf die Knie, und die Orks reagierten, indem sie Speer und Schwert senkten. Sobald seine Knie den Boden berührten, katapultierte sich der Drow jedoch in einen Vorwärtssalto, kam danach sofort wieder auf die Beine und vollendete die Drehung. So befand er sich weit über und hinter dem überraschten Paar, das die Bewegung kaum hatte mitverfolgen können.

Immer noch vollendet im Gleichgewicht, drehte sich Drizzt nach links, Blaues Licht ausgestreckt zu einem Stoß, der die Orks taumelnd zurückweichen ließ. Dann schwang er beide Waffen weit nach den Seiten und wieder zurück, so dass sie sich vor ihm und direkt zwischen den beiden Orks kreuzten. Er fasste beide Klingen neu und kehrte sie zu einem doppelten Rückhandschlag um.

Keiner der beiden Orks hatte die eigene Waffe auch nur schnell genug herumziehen können, um sich zu wehren. Beide Orks taumelten, beide in der Kreisbewegung von beiden Krummsäbeln getroffen.

Der Jäger war bereits wieder verschwunden.

Orks flohen in alle Richtungen, denn sie begriffen, dass sie gegen diesen Feind nicht bestehen konnten. Keiner griff Drizzt mehr an, als er auf dem Weg zurückeilte, den er gekommen war, dabei dem Ork mit dem zerschnittenen Arm den Kopf abtrennte und dann wieder in der Kugel aus Dunkelheit verschwand, wo er zumindest einen Ork gehört hatte, der sich auf den Boden duckte und versuchte, sich zu verstecken. Wieder tauchte er ganz in die Welt seiner Sinne ein, spürte die Wärme, hörte jedes Geräusch. Seine Waffen trafen einen Ork direkt vor ihm, dann hörte er einen zweiten, der am Rand der Kugel hockte.

Ein rascher Schritt brachte ihn zum Feuer, wo der Kochtopf auf einem Dreifuß stand. Er trat das hintere Bein des Gestells weg und eilte in die Gegenrichtung.

In der Dunkelheit der magischen Kugel konnte der Ork, der vor Drizzt stand, das Lächeln des Drow nicht sehen, als der andere Ork von der kochenden Brühe getroffen wurde, aufheulte und floh.

Der Ork vor Drizzt griff ungestüm an und rief dabei um Hilfe. Der Jäger konnte den Wind spüren, den die hektischen Bewegungen seines Gegners verursachten.

Er maß eine solche Bewegung ab, und es fiel ihm nicht schwer, die richtige Stelle zum Zustoßen zu finden.

Wieder verließ er die Kugel, und hinter ihm sackte ein tödlich verwundeter Ork zu Boden.

Drizzt eilte um die Kugel herum und fand nur noch zwei Orks vor, einen, der sich blutend am Boden wand, und einen weiteren, der sich heulend herumwälzte, um den Schmerz der Verbrennungen von der heißen Brühe zu lindern.

Seine Krummsäbel beendeten die Bewegungen beider.

Dann eilte der Jäger in die Nacht hinaus, wo es noch mehr für ihn zu tun gab.

Der arme Oonta ließ sich schwer atmend gegen einen Baum sacken. Er winkte ab, als sein Genosse ihn anflehte weiterzurennen. Sie hatten mehr als eine Meile zwischen sich und das Lager gebracht.

»Wir müssen weiter!«

»Du vielleicht«, widersprach Oonta keuchend.

Oonta war auf Befehl des Schamanen seines Stamms aus dem Grat der Welt gekrochen, um sich dem ruhmreichen König Obould Todespfeil anzuschließen und jene zu bekriegen, die nicht weit von hier entfernt das Abbild von Gruumsh entweiht hatten.

Oonta war gekommen, um gegen Zwerge zu kämpfen, nicht gegen Drow!

Der andere Ork packte ihn erneut und versuchte ihn weiterzuziehen, aber Oonta schlug seine Hand weg. Er senkte den Kopf und rang mühsam nach Atem.

»Lass dir Zeit«, sagte hinter ihm eine leise Stimme in gebrochenem Orkisch – aber mit einem Wohlklang, den kein Ork hätte erreichen können.

»Nein, wir müssen fliehen!«, widersprach der andere Ork und wandte sich dem Sprecher zu.

Oonta, der wusste, woher die Worte gekommen waren, und sich für so gut wie tot hielt, blickte nicht einmal auf.

»Wir können reden«, hörte er den anderen Ork zu dem Dunkelelfen sagen, und er hörte auch, wie er die Waffe fallen ließ.

»Ich kann«, erwiderte der Dunkelelf, und ein teuflischer, messerscharfer Säbel zuckte vor und schnitt dem Ork die Kehle durch. »Aber ich bezweifle, dass du deine Stimme noch finden wirst.«

Zur Antwort keuchte und röchelte der Ork.

Und fiel um.

Oonta richtete sich auf, aber er wandte sich seinem Todfeind nicht zu. Er drückte sich an einen Baum und hoffte, dass der Todesstoß schnell erfolgen würde.

Er spürte den heißen Atem des Drow an seinem Hals, spürte die Spitze einer Klinge an seinem Rücken, die andere in seinem Nacken.

»Geh zum Anführer dieser Armee«, flüsterte der Drow. »Und sag ihm, dass ich ihn aufsuchen werde, und zwar bald. Sag ihm, ich werde ihn töten.«

Ein Schnippen des oberen Säbels schnitt Oontas rechtes Ohr ab – der Ork verzog das Gesicht, aber er war diszipliniert und klug genug, keinen Fluchtversuch zu unternehmen und sich auch nicht umzudrehen.

»Sag es ihm«, flüsterte die Stimme. »Sag es allen.«

Oonta wollte antworten, wollte dem Angreifer versichern, dass er genau das tun würde.

Aber der Jäger war bereits verschwunden.