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»Wieso ist Oli nicht mitgekommen?«

Beccie schreit mir die Frage ins Ohr, damit ich sie überhaupt verstehen kann. Noch immer ist mein Talent zum Lippenlesen rudimentär.

Wir stehen am Rand der Tanzfläche und versuchen, uns zu unterhalten, indem wir die Lautstärke der Musik übertönen. Um uns herum tanzen und springen Jugendliche, die mich durch ihren ewig jungen Teint daran erinnern, heute Abend mal wieder meine Anti-Cellulite-Creme aufzutragen.

Ich trage mein Werbe-T-Shirt und die Kamera um den Hals. Jeder Job ist gerade willkommen, da ich nicht genug Ablenkung von meinem Privatleben bekommen kann. Aber davon habe ich Beccie nichts erzählt. Noch nicht. Sie würde mir erklären, wie dumm ich bin und wie toll Oliver sei, wie perfekt wir zusammenpassen. Ich bin nicht in der Stimmung, das zu hören. Seit fast vier Tagen wohne ich in meinem Büro und schlafe auf einer Couch, auf der ich mich vielleicht im Alter von vierzehn hätte ausstrecken können. Das ist der Preis der Freiheit, wie ich annehme. Aber ich kann und will mich nicht beklagen, denn es fühlt sich irgendwie gut an. Richtig. Auch wenn die erste Nacht nicht so einfach war. Mein Kopf hat ständig verschiedene Versionen meiner Zukunft durchgespielt: Ich alleine in einer kleinen Wohnung und acht Katzen, die alle irgendwie gleich aussahen und mich nachts umbringen wollten. Wie gesagt, Katzen mögen mich nicht. Ich habe mich auf einer Farm in Afrika gesehen, verheiratet mit einem Massai-Krieger. Oder auf einer Demonstration gegen den Ausbau des Bahnhofs, mit einem strengen Kurzhaarschnitt und Buttons gegen Atomkraft auf meiner Jacke. Und nur ganz selten mit Tristan am Strand in Südfrankreich, wie er mir das Surfen erklären will. Das war aber einfach zu schön, um wahr zu werden. Ich habe seit dem Abendessen im Primafila nichts mehr von ihm gehört oder gelesen.

Das alles hat mir anfangs Angst gemacht, weil ich mir plötzlich so alleine vorkam. Einsam. Ich war kurz davor gewesen, Oliver anzurufen, aber nachdem er mir geholfen hatte, das Wichtigste aus unserer Wohnung in mein Büro »zwischenzulagern«, bis ich bei meiner angeblichen Freundin in die WG ziehen konnte, hatte er sich auch nicht gemeldet. Das habe ich auch nicht erwartet, aber ich habe auch nicht erwartet, dass er so vollkommen kampflos aufgeben würde. Ohne einen Anruf, eine Nachfrage. Ohne ein Lebenszeichen. Er gab mir recht.

»Wo ist Oli?«

Beccie schreit mir erneut ins Ohr. Sie mag Oliver, und ich bringe es einfach nicht übers Herz, ihr zu sagen, dass ich ausgezogen bin, mit nur ein paar Kartons, einer Reisetasche und meinem Kuschelkissen.

Sie steht tanzend vor mir und zappelt wie wild mit den Armen, als wäre alles egal, als würde sie die merkwürdigen Blicke der anderen gar nicht wahrnehmen. Gerne würde ich sie einfach umarmen, aber ich will nicht melancholisch werden, also schieße ich schnell ein paar Fotos von ihr. Sofort wirft sie ihre Haare durch die Luft, schenkt mir ein verführerisches Lächeln und posiert wie ein Profi.

Ein harter Stoß in meinem Rücken bringt mich aus dem Gleichgewicht und Beccie aus dem Fokus. Ich falle fast in ihre Arme und will mich schon wütend zum Täter umdrehen, als ich Beccies Gesicht sehe. Ein breites Lächeln überzieht ihre Lippen. Langsam drehe ich mich um – und da steht er. Tristan Wolf. Er hat ein halb volles Glas in der Hand und sieht mich überrascht an. Ich spüre den nassen Fleck auf meinem Rücken, der sich gerade langsam, aber dramatisch ausbreitet. So hatte ich mir unser Wiedersehen als Single nicht vorgestellt. Und bei einem Wet-T-Shirt-Contest habe ich ohnehin keine Chance. Auch nicht, wenn nur der Rücken nass wird.

»Sorry.«

Zumindest glaube ich, dass Tristan das sagt, denn verstehen kann ich ihn nicht besonders gut – dafür aber plötzlich spüren, denn die Menge hat uns inzwischen verschluckt, aneinandergepresst, und sie hat wohl auch nicht vor, uns so schnell wieder auszuspucken. Tristans Hand liegt an meiner Schulter, während wir hin und her geschaukelt werden wie auf einer Fähre bei starkem Wellengang. Er beugt sich zu mir herab, seine Lippen streifen meine Wange und landen in der Nähe meines Ohrs. Die Welt um mich herum verschwindet, und alles, was ich noch wahrnehme, ist sein Mund an meinem Ohr – und seine Nähe. Außerdem weiß ich, dass eine Armada Insekten in meinem Bauch nur darauf wartet, jeden Moment aus dem Winterschlaf zu erwachen.

»Das war keine Absicht!«

Ich nicke nur.

»Schon klar.«

Sein Kinn streift meine Wange. Er riecht unglaublich gut, und sein Körper hat noch immer diese Wirkung auf mich. Seine Hand an meiner Schulter fühlt sich alles andere als falsch an. Das Lied neigt sich seinem Ende zu und wird leiser. Jetzt ist der Moment für eine Erklärung gekommen.

»Oliver und ich …«

Da greift plötzlich eine junge Frau nach seinem Arm.

»Tristan! Da bist du ja! Ich dachte schon, ich hätte dich verloren!«

Sie hat kurze blondierte Haare, wunderschöne Augen und volle Lippen. Sie lächelt mich kurz an.

»Hi, ich bin Nina.«

Ich nicke. Sie hakt sich bei Tristan unter und greift nach dem halb vollen Glas. Ihr Ausschnitt zeigt mehr, als ich sehen will. Okay, viel mehr, als ich sehen will. Sie hat eine gute Figur und lange Beine in einem kurzen Rock. Sie sieht aus wie alle jungen Frauen hier, die die Aufmerksamkeit der Männer auf sich ziehen wollen. Bei Tristan scheint es funktioniert zu haben, was mich traurig macht. Sie passt nicht zu ihm. Optisch. Er trägt wie immer nur seinen schlichten Stil. Dunkle Jeans, ein schwarzes T-Shirt und Turnschuhe. Es sieht umwerfend aus. Er braucht nicht, wie die anderen Jungs hier, die perfekte Frisur, den glänzenden Ohrring und das grelle T-Shirt mit Strass-Bestickung. Er fällt auch so auf. Nina hingegen scheint im Moment alles zu tun, um sich und ihre Figur in den Mittelpunkt zu rücken. Ich werde langsam, aber sicher wütend. Sie legt ihre Hand auf Tristans Brust, während sie ihm etwas ins Ohr schreit. Leider kann ich es nicht hören, was mich sofort noch wütender macht.

Er nickt und sieht wieder zu mir. Kein warmes Lächeln, nichts.

Er kommt mir plötzlich so fremd vor.

»Man sieht sich. Und sorry wegen dem T-Shirt.«

Das ist wie ein beschissener Albtraum, aus dem ich bitte sofort aufwachen möchte. Sofort. Aber vor meinen Augen zieht Tristan mit Nina an seinem Arm durch die Menge davon. Ich kann es nicht fassen.

»Was war das denn?«

Beccie schiebt sich wieder neben mich und folgt dem ungleichen Paar mit ihren Blicken.

»Ich habe keine Ahnung!«

Zum Glück hört man bei diesem Lärmpegel nicht, wie schrill meine Stimme klingt, als ich schreie. Denn genau das möchte ich: schreien!

»Die Tussi passt gar nicht zu ihm. Ich dachte, er ist wählerisch.«

Beccie spricht aus, was ich denke. Und sie hat noch nicht einmal das Hintergrundwissen, das ich habe.

»Idiot.«

Damit drehe ich mich weg und schieße Frustfotos. Unzählige Frustfotos. Ich kümmere mich nicht um einen schönen Bildausschnitt, gutes Licht oder fotogene Motive. Ich knipse einfach drauflos. So wie ein wütender Sportler einfach losspurtet und nicht mehr aufhören will zu rennen. Egal wohin. Ich knipse so lange, bis meine zweite Speicherkarte voll ist. Beccie folgt mir wie ein treuer Hund, der spürt, dass ich leide, und schließlich gönnen wir uns an der Bar einen Drink.

»Sag mal, ist alles okay mit dir?«

Ich nicke. Vielleicht etwas zu ruckartig. Wieso benehme ich mich so? Wem mache ich etwas vor? Was ärgert mich so sehr? Ist es wirklich wegen Tristan und Nina? Natürlich ist es das. Tristan und Layla müsste es eigentlich heißen, verdammt! Ich sehe zu Beccie, die mich besorgt ansieht. Sie kennt mich zu gut, und ich befürchte, meine Reaktion erinnert zu sehr an das eifersüchtige Schulmädchen von früher, dem gerade der Schwarm ausgespannt wurde. Also entscheide ich mich für ein Lächeln.

»Ich war sauer wegen dem T-Shirt.«

Lüge. Beccie sieht mich noch immer an. Bitte, bitte, glaub es mir. Ihre Lippen verziehen sich zu einem Lächeln.

»Das war ja auch doof.«

Sie greift in ihre winzig kleine Handtasche und zieht ein noch kleineres weißes Bündel hervor.

»Zieh das an.«

»Was ist das?«

»Ein Notfall-Shirt.«

Beccie ist einfach unglaublich. Ich drücke sie fest an mich und will sie einfach nur festhalten. Eines Tages, und das schon bald, muss ich es ihr sagen. Sie hat meine absolute Aufrichtigkeit verdient, nicht meine feigen Lügen. Ich muss sie ansehen und sagen: »Oli und ich, das ist nicht mehr«, und ich muss ihr sagen, was mit Tristan ist – und war, obwohl ich damals genau wusste, dass sie ihn gut findet. Ich hoffe nur, sie will dann noch etwas mit mir zu tun haben. Sie ist immerhin alles, was mir im Moment noch bleibt.

»Danke!«

»Ach, Süße, das ist nur ein T-Shirt. Schon okay.«

Beccie weiß manchmal einfach, was sie sagen oder tun muss, damit es mir besser geht.

»Pass nur auf, dass dich das nächste Mal keiner von vorne erwischt. Das Shirt ist weiß …«

Und dann gibt es die glorreichen Momente, in denen sie genau das nicht kann. Aber auch dafür liebe ich sie. Zu gerne würde ich ihr alles erzählen. Aber das kann ich nicht, nicht jetzt. Also schnappe ich mir das Shirt, lasse meine Kamera in ihren sicheren Händen und wühle mich durch die Menge in Richtung Damentoilette.

Dort hat sich wie so oft eine beträchtliche Schlange gebildet. Daran bin ich gewöhnt. Manchmal darf ich die Toilette der Belegschaft benutzen, das spart Zeit – so wie heute. Ich schiebe mich also an den jungen Damen vorbei in den Backstage-Bereich. Natürlich ernte ich merkwürdige Blicke – nicht nur wegen des scheinbar unbefugten Zutritts, sondern auch wegen meines für diesen Bereich überraschend unspektakulären Outfits. Aber auch das bin ich gewöhnt. Der Trick bei meinem Job ist, das habe ich schnell gelernt, dass man nie besser aussehen darf als die Partymeute. Sie will fotografiert werden und sich nicht eingeschüchtert fühlen, weil der Fotograf besser aussieht. Aber machen wir uns nichts vor: Bei mir ist die Gefahr da nicht allzu groß. Selbst wenn ich einen guten Tag erwische, gibt es auf jeder Party genug Frauen, die aussehen, als wären sie gerade von Heidi Klums Topmodelbühne in diesen Club gestolpert. Ich sehe aus, als würde ich arbeiten.

Zu meiner Überraschung hat sich aber auch vor dem Backstage-Klo eine kleine Schlange gebildet. Ich lehne mich also an der Wand an, übe mich in Geduld und überlege mir, wie ich meine neue, noch nicht vorhandene Wohnung einrichten könnte.

»Hey.«

Ich bin so sehr in Gedanken, dass ich es nicht bemerkt habe, wie sich Tristan neben mich gestellt hat. Ich kann nur erahnen, auf wen er hier wartet, und das gefällt mir nicht.

»Hi.«

Mehr habe ich ihm im Moment nicht zu sagen. Besser gesagt: Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Irgendwie bekomme ich den Typen neben mir, der auf seine neue Freundin wartet, nicht mit dem Tristan zusammen, der mir auf dem Weinberg ein Ständchen gebracht hat, und »Layla« für mich gespielt hat. Mit meinem Tristan.

»Sorry noch mal wegen dem Shirt.«

»Kein Problem.«

Ich winke mit Beccies T-Shirt und hoffe, darin gleich nicht wie eine komplette Idiotin auszusehen. Immerhin haben wir beide nicht zwingend die gleiche Figur.

»Nina scheint … nett.«

Das wollte ich nicht sagen, aber nun ist es zu spät, also kann ich ihn jetzt auch genauso gut ansehen. Er nickt, will mir aber nicht so recht zustimmen, habe ich den Eindruck.

»Wie alt ist sie? Zwölf?«

Auch das wollte ich nicht sagen. Moment. Nein, das wollte ich sagen.

»Sie ist neunzehn.«

»Oh, wow! Dann hat sie also schon ihren Führerschein.«

»Hast du ein Problem damit?«

Ja, verdammt, das habe ich.

»Nö. Ist deine Sache.«

»Richtig! Ist es auch!«

Oha, er wird richtig fuchsig. Die Mädchen vor mir in der Schlange drehen sich zu uns um und verdrehen genervt die Augen. Genau das brauche ich jetzt. Genervte Teenager im Backstage-Bereich.

»Habt ihr ein Problem?«

Ein bisschen könnte man meinen, ich bin auf Streit aus, aber ich bekomme keine Reaktion. Nur Tristan sieht mich überrascht an. Ja, so kennt er mich nicht.

»Was?!«

»Wieso bist du sauer?«

»Ich bin nicht sauer.«

Das würde ich nämlich niemals zugeben.

»Doch. Bist du. Ist es wegen Nina?«

»Nina ist mir egal.«

»Du hast doch gesagt, ich sei der, der seine tote Freundin nicht loslassen kann. Waren das nicht deine Worte? Ich hänge an der Vergangenheit und bewege mich kein Stück weiter.«

»Das habe ich nicht gesagt.«

»Aber gemeint, und jetzt bist du sauer, wenn ich loslasse.«

Ich bin nicht sauer, weil er loslässt. Ich bin sauer, weil er mich loslässt und sofort Ersatz findet. Er hat verdammt noch mal »Layla« für mich gesungen!

»Du hast gar keinen Grund, sauer auf mich zu sein, Layla. Sei lieber sauer auf dich selbst. Du lässt dich wie ein Kind behandeln und dir von diesem Kerl lieber einreden, dass du nichts kannst, als dass du mit dem Idioten Schluss machst. Ganz toll!«

Er wird persönlich. Ich baue mich vor ihm auf – und reiche immerhin bis knapp über seine Schultern.

»Du hast keine Ahnung, wovon du sprichst!«

Dabei funkele ich ihn böse an und hoffe, er sieht den verräterischen Glanz in meinen Augen nicht, der meine Tränen ankündigt, die ich langsam aufsteigen fühle.

»Ach nein? Lässt du dir von Oliver morgens auch deine Klamotten raussuchen? So von wegen: ›Nein, kleine Layla, das lassen wir schön im Schrank, das machst du nur schmutzig. Zieh lieber das hier an, darin sieht du immer so hübsch aus.‹«

So gemein habe ich Tristan noch nie erlebt, und ich hätte auch nicht gedacht, dass er so sein könnte. Zumindest nicht zu mir. Alles, was ich ihm wortgewaltig entgegenschleudern könnte, will mir nicht mehr über die Lippen kommen, weil ich Angst habe, er würde an meiner Stimme hören, wie nahe ich den Tränen bin. Meine Unterlippe will schon bedrohlich zittern.

»Du bist ein Arschloch, Tristan.«

Damit will ich gehen, raus aus diesem Club und weg von ihm. Vollkommen egal, was dann kommt.

»Na und? Du stehst doch auf Arschlöcher.«

Ich bleibe stehen, würde ihm am liebsten ins Gesicht springen. Stattdessen drehe ich mich langsam wieder zu ihm um.

»Du hast recht, Tristan. Ich stehe auf Arschlöcher. Mein Pech. Und du solltest Nina vögeln gehen und mich endlich in Ruhe lassen.«

Er lacht kurz auf, scheint wenig beeindruckt von meinen Worten, aber ich kenne ihn besser. Sein Kiefer ist angespannt, seine Hände sind in seinen Hosentaschen zu Fäusten geballt.

»Vielleicht werde ich das sogar machen.«

Er dreht sich um und will gehen, mich hier einfach so stehen lassen.

Es heißt: Nur Menschen, die sich gut kennen und sehr lieben, können einander wirklich wehtun. Er hat es gerade getan. Und ich bin noch nicht fertig mit ihm. Zwar kullert die erste Träne über meine Wange, aber … ich bin noch nicht fertig.

»Viel Spaß! Helen wäre unheimlich stolz auf dich.«

Es durchschlägt seinen Rücken, zerfetzt seine Haut, seine Muskeln, vermutlich sogar seine Knochen und zersplittert seinen ganzen Hass und die Wut. Ebenso sein Herz. Er bleibt stehen, bewegt sich keinen Zentimeter mehr, und ich weiß genau: Das war ein Volltreffer, der keine Schlachten, sondern Kriege beendet. Und Freundschaften.

Bevor er sich umdrehen kann und sieht, dass ich weine, flüchte ich. Ich renne über den Flur, durch die Menge, ich eile die Treppe nach oben und will nur noch eines: raus.

Da packt mich jemand am Handgelenk und hält mich zurück, dreht mich zu sich. Tristan. Ich versuche, ihn von mir wegzustoßen, während er mich mit seinem Körper gegen die Wand und das Treppengeländer drückt. Obwohl alles sehr schnell passiert und er jetzt auch mein anderes Handgelenk festhält, spüre ich keine Wut in ihm. Nichts von seiner Handlung wirkt aggressiv. Ganz im Gegenteil, er scheint sich an mir festhalten zu wollen. Er scheint verzweifelt.

»Verdammt, Layla. Ich weiß, dass das alles nicht sein soll …«

Seine grünen Augen funkeln verwundet, so nah an meinem Gesicht. Ich kann seinen Atem auf meinen Lippen spüren.

»… aber es geht nicht anders. Es geht nicht mehr.«

»Was …«

Und dann küsst er mich. Einfach so. Als wäre es das Normalste der Welt, als wäre dieser Kuss die Antwort auf alle Fragen. Als müsste es so sein. Und als sich unsere Lippen berühren, scheint die Welt für einen Moment den Atem anzuhalten. Er schmeckt so gut, nach mehr, und endlich küsse ich Tristan zurück – als gäbe es kein Morgen und auch kein Heute mehr, als wäre dieser Moment alles, was mir bleibt, und sofort stürmen Tausende Schmetterlinge mein Herz. Er zieht mich näher zu sich, und ich gebe mich diesem Kuss hin, lasse los, lasse ihn endlich zu. Ich nehme sein Gesicht in meine Hände und will ihn nie wieder loslassen. Ich kann ihn nie wieder loslassen. Mein Herz durchschlägt gleich meinen Brustkorb, und ich weiß, so sollte es sich immer anfühlen. So müssen sich Küsse anfühlen. So und nicht anders.

»Layla! Hör auf! Was zum Henker soll der Scheiß?!«

Sofort löse ich mich von Tristan, denn es fühlt sich an, als hätte mich meine Mutter mit fünfzehn beim Knutschen erwischt. Ich blicke erschrocken die Treppe nach unten. Beccie steht wie erstarrt vor uns. Meine Kamera und ihre Handtasche in der Hand. Ihr Blick tut weh, weil er pure Enttäuschung widerspiegelt. Tristan bringt Abstand zwischen uns und sieht beschämt auf den Boden.

»Beccie … ich kann …«

Sie stürmt auf mich zu, packt mich am Arm und zerrt mich davon, bevor ich die Chance habe, ihr zu erklären, was gerade passiert ist, was vor vier Tagen passiert ist und wieso Oliver nicht hier ist. Sie zerrt mich einfach weg. Ich werfe noch einen Blick zu Tristan zurück, der sich mit jedem Schritt weiter entfernt. Er lächelt ein kleines bisschen, auch wenn mir die Traurigkeit in seinem Blick wehtut.

»Tut mir leid.«

Das will ich nicht hören.

»Das muss es nicht! Nicht mehr!«

Das Letzte, was ich sehe, ist sein überraschter Gesichtsausdruck.