9. Kapitel

Ich bog wie geplant links ab, ließ den Golf an Geschäften und einkaufenden Passanten vorbei durch das Städtchen rollen und gelangte an die Abzweigung zur Bundesstraße Richtung Gummersbach. Sobald ich abgebogen war, nahm ich mein Handy und drückte auf Mölichs Nummer. Es tutete und tutete. Als ich schon dachte, er sei nicht da, bellte er endlich seinen Namen in die Leitung.

»Rott hier«, sagte ich.

»Was gibt's?«

»Ich hatte Sie doch um eine Halteranfrage gebeten.«

»Und?«

»Was ist dabei rausgekommen?«

»Mensch, Rott, ich habe auch noch was anderes zu tun. Außerdem habe ich Ihnen gesagt, dass ich -«

»Ich weiß, ich weiß. Dass Sie vielleicht nicht dazu kommen und dass Sie Ärger kriegen. Ist mir klar.«

»Natürlich. Halteranfragen sind nur möglich, wenn es den Verdacht auf eine Straftat gibt. Und - gibt's die in Ihrem Fall?«

Ich sah in den Rückspiegel. Der Opel hing mir an der Stoßstange. »Der Typ ist gerade wieder hinter mir.«

»Wo sind Sie denn?«

»Ich fahre jetzt aus Wiehl raus. Richtung Gummersbach.«

»Hat er schon auf Sie geschossen?«

»Wie bitte?«

»Ein Scherz. Ich meine - was ist so schlimm daran, wenn das Fahrzeug hinter Ihnen fährt? Tut der Mann in dem Wagen irgendwas Ungesetzliches?«

»Genau genommen, nicht.«

»Na also. Melden Sie sich wieder, wenn es so weit ist.«

»Aber …«

Mölich hatte aufgelegt.

Die Hauptstraße führte ein gutes Stück durch das enge Flusstal. Links musste hinter Bäumen die Wiehl verlaufen, rechts ging ein steiler Hang nach oben. Der Verkehr war dicht, und es waren viele Laster unterwegs. Der Opel hatte sich gleich hinter mir eingeordnet, ließ aber jetzt eine gute Wagenlänge Platz. Wahrscheinlich hatte der Typ mit der Hängelippe dazugelernt, als ich ihn auf der A4 abgehängt hatte. Ich musste ihn irgendwohin locken, wo wir uns ungezwungen aussprechen konnten. Aber wohin?

Ich zockelte weiter hinter einem Laster her. Plötzlich tauchte rechts ein gelbes Schild mit einem orangefarbenen Eichhörnchen darauf. Die Ausschilderung zu einem Obi. Im Vorbeifahren hatte ich noch den Ortsnamen »Dieringhausen« entziffert. Er kam mir bekannt vor, ich hatte ihn im Atlas gesehen, als ich mich über den Weg nach Wiehl informiert hatte. Ich warf einen kurzen Blick auf den Beifahrersitz, wo die Karten lagen. Ich überlegte, ob ich rechts ranfahren und Dieringhausen suchen sollte, doch dann wurde die Straße vierspurig, und es gab keine Haltemöglichkeit mehr. Es ging den Berg hinauf. Die schnelleren Pkw begannen links zu überholen, ich schaltete in den dritten Gang zurück und blieb hinter dem Brummi. Der Opel machte ebenfalls keine Anstalten, vorbeizufahren.

Die Auffahrt zur A4 kam in Sicht. Man konnte sehen, wie die Autos über die quer verlaufende Brücke rasten. Ich bog weder nach Olpe noch nach Köln ab, sondern hielt mich stur geradeaus. Ich kam an einer Tankstelle und an einem Gartencenter vorbei, aber einen Obi sah ich nicht.

Dafür kam gleich hinter der Autobahnunterführung die Abbiegung nach Dieringhausen. Ich wartete vor der Linksabbiegerampel; der Typ hinter mir tat das Gleiche. Danach führte der Weg wieder ins Tal. Ich bekam einen weiten Blick über den Ort geboten, aus dessen Häusern eine eigenartige Kirche aufragte. Das Dach glänzte rötlich, als hätte es jemand mit Blut Übergossen.

Ich erreichte das Tal. Immer noch kein Obi. Dafür ein anderer Baumarkt mit einem Tor davor. Er sah aus, als sei er geschlossen. Nicht das Richtige für meinen Plan.

Schließlich stieß ich wieder auf eine Hauptstraße und wartete lange, bis endlich eine Lücke im Hauptverkehr entstand. Eine Ampel gab es nicht. Als ich durchkam, sah ich im Rückspiegel, dass es der Opel nicht geschafft hatte, direkt hinter mir zu bleiben. Ich drosselte das Tempo und rollte mit vierzig Sachen die schnurgerade Straße entlang. Als die Einbiegung schon fast nicht mehr im Rückspiegel zu erkennen war, schaffte es der Opel endlich auf die Hauptstraße. Er gab mächtig Gas und holte rasant auf. Ich fuhr wieder schneller und kam an der merkwürdigen Kirche vorbei, dann passierte ich einen alten Bahnhof, und einen Obi gab es immer noch nicht. Wahrscheinlich war ich falsch abgebogen.

Ich wollte die Hoffnung schon aufgeben, da fand ich endlich, was ich brauchte: Auf der rechten Seite der Durchgangsstraße lag ein gigantischer Supermarkt mit riesigem Parkplatz. Neben dem Gebäude, das wie eine riesige Schuhschachtel in der Landschaft ruhte, stand ein monumentales Schild: »Familia«. Und darunter: »Aus Familia wird Kaufland«.

Ich ließ den Opel langsam herankommen und scherte auf den Parkplatz ein. Kunden kreuzten mit ihren Einkaufswagen die kleinen Sträßchen zwischen den Autoreihen. Ich ließ mir mit der Auswahl Zeit und hielt erst auf das Gebäude zu, in dessen Nähe die meisten Plätze besetzt waren. Dann fuhr ich in die erstbeste Lücke. Der Opel parkte ein gutes Stück näher an der Ausfahrt.

Ich stieg aus und ging langsam auf den Supermarkt zu. Hinter der Glastür gelangte man zunächst in einen Verkaufsraum mit langer Bäckereitheke, einem Fotogeschäft und einem Frisör. Gleich dahinter bot eine Glaswand einen Eins-A-Panoramablick über den Parkplatz. Ich blieb ein bisschen im Hintergrund und überprüfte die Lage. Die Hängelippe stand neben seinem Opel. Aufmerksam wie die Wacht am Rhein behielt er den Markteingang im Auge.

Ich stellte mich an der Schlange der Bäckerei an; als ich an der Reihe war, orderte ich einen Kaffee. Während ich ihn an einem der Tische trank, rührte sich der Opelfahrer nicht vom Fleck und glotzte nur auf die Glastür. Es dauerte mindestens eine Viertelstunde, bis er unruhig wurde und sich verstohlen ein Stück dem Eingang näherte. Er schlenderte zwischen den einkaufswagenschiebenden Leuten herum und schien einfach nicht glauben zu können, dass ich partout nicht wieder zum Vorschein kam.

Ich stellte die leere Kaffeetasse auf die Theke, ging um die Ecke zu dem Fotogeschäft und tat so, als wollte ich den Markt verlassen. Ich kam genau in sein Blickfeld. Als er mich bemerkte, ging er einen Schritt zur Seite.

Ich tat so, als hätte ich etwas vergessen, drehte auf dem Absatz um und ging zurück in den Markt. So schnell ich konnte, lief ich hinüber auf die andere Seite der Bäckereitheke. Durch die Scheibe sah ich, wie der Typ schnell in Richtung seines Autos ging, dort Aufstellung nahm und wieder den Eingang anglotzte. Er rechnete damit, dass die Verfolgungsjagd jeden Moment weiterging. Jetzt bloß keine Zeit verlieren, dachte ich. Hoffentlich bleibt er an seinem Auto.

Ich enterte den eigentlichen Supermarktbereich und durchquerte ihn bis zur anderen Stirnseite. Dabei hatte ich einen kleinen Slalom hinzulegen und erntete verwunderte Blicke. Ich stieß auf eine große Flügeltür aus dickem Plastik, durch die die Waren aus dem Lager in den Verkaufsraum transportiert wurden.

Ohne zu zögern, ging ich durch. Ich kam auf einen breiten, neonbeleuchteten Flur. Irgendwo musste es direkten Zugang zur Anlieferrampe geben. Und damit einen Hinterausgang. Ich passierte einen kleinen Gabelstapler und ein paar fahrbare Regale, mit denen die Waren in den Verkaufsraum geschafft werden. Kurz darauf kam durch eine breite Öffnung in der Wand der Parkplatz für die Anlieferer ins Blickfeld, der hinter dem Gebäude lag. Ich wollte gerade von der Rampe springen, da stellte sich mir ein Mann im weißen Kittel in den Weg.

»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er.

»Ich bin auf dem Weg nach draußen«, erklärte ich und wollte an ihm vorbei.

»Einen Moment. Bitte gehen Sie durch den Verkaufsraum. Hier darf sich nur Personal aufhalten.«

»Ich habe es eilig«, sagte ich.

Er legte mir die Hand auf die Schulter. Ich machte mich von ihm los und fummelte meine Lizenz hervor. Dabei gab ich Acht, dass er die Beretta nicht sah.

»Ich bin Privatdetektiv«, sagte ich und zeigte das Plastikkärtchen. »Ich verfolge jemanden. Und jetzt lassen Sie mich bitte in Ruhe.«

Sein Blick wurde verschwörerisch. »Sind Sie der Kaufhausdetektiv, den uns die neue Zentrale geschickt hat?«

»Ja, der bin ich. Und wenn Sie mich jetzt noch länger aufhalten, dann ist der erste Fang über alle Berge.«

»Alles klar, kapiert«, sagte er, und ich hatte das Gefühl, er würde gleich die Hacken zusammenschlagen. »Ich hole sofort die Polizei zur Unterstützung.«

Er wollte schon verschwinden, doch ich konnte ihn gerade noch an seinem Kittel festhalten. »Bloß das nicht«, rief ich. »Das macht die doch nur misstrauisch, wenn plötzlich ein Streifenwagen auf den Parkplatz gefahren kommt. Ich sage Ihnen schon Bescheid, wenn es so weit ist. Tun Sie so, als wäre nichts. Ganz unauffällig, klar?«

Er nickte dienstbeflissen. »Klar.«

Ich verließ das Gebäude, überquerte die Zufahrt für die Anlieferer und stieß wieder auf die Straße. Schnell lief ich zurück zum Kundenparklatz. Hängelippe stand neben seinem alten Opel. Er schaute noch immer zum Eingang und drehte mir den Rücken zu.

Mit ein paar Schritten war ich hinter ihm. Ich zog meine Beretta und rammte sie ihm in den Rücken. Ich spürte, wie er zusammenzuckte und sich im ersten Reflex wehren wollte, doch ich war schneller und stieß ihm mein Knie in die Nieren. Er stöhnte leise und hielt still. Ziemlich professionelles Verhalten, registrierte ich. Der erlebte so was nicht zum ersten Mal.

»Sehr gut machst du das«, sagte ich leise und blickte kurz in die Runde. Die Waffe hatte ich verborgen, aber wie wir so dastanden, sah es schon ein bisschen merkwürdig aus. Noch nahm jedoch niemand Notiz von uns.

Ich wechselte die Waffe in die linke Hand und durchsuchte mit der Rechten seine Lederjacke. Sofort brachte ich eine andere Wumme zum Vorschein.

»Sieh an«, sagte ich.

Die Pistole war kleiner als meine; ich parkte sie in meinem Hosenbund und setzte die Durchsuchung fort. Ich fand sein Handy, die Wagenpapiere, eine abgewetzte Geldbörse, einen Schlüsselbund und ein Springmesser. Ich verstaute alles in meinen Taschen; dann riskierte ich einen Blick auf die Autotür. Das Knöpfchen war oben.

»Setz dich in deine Karre«, sagte ich. »Mach schon.«

Eine Frau mit Kind schob ihren gefüllten Einkaufswagen an uns vorbei. Ich nickte freundlich in ihre Richtung und klopfte dem Lulatsch zweimal auf die Schulter.     

»Alter Junge«, rief ich, fleißig weitergrinsend. »Jetzt mach doch mal, dass du in dein Auto kommst.«

Die Frau lächelte mich an. Wahrscheinlich fand sie es großartig, Zeugin einer wunderbaren Männerfreundschaft zu sein.

Hängelippe bewegte sich nicht. Ich riss die Tür auf und drückte ihn nach unten. »Rein jetzt!«

Der Mann starrte verbissen vor sich hin, bückte sich endlich und setzte sich hinters Steuer.

»Anschnallen«, befahl ich.

Er glotzte mich verständnislos an, zog aber tatsächlich den Gurt aus der Halterung. Dann senkte er den Blick auf das Armaturenbrett.

Ich knallte die Fahrertür zu und holte sein Messer aus der Tasche. Es war ein hübsches Ding - mit Perlmuttgriff. Es klackte, als die Klinge hervorschnellte. Ich umrundete das Auto und steckte das Messer bis zum Heft jeweils einmal kurz in jeden Reifen. Unter vierstimmigem Zischen ging der Opel langsam in die Knie, während der Lulatsch böse vor sich hin glotzte. Dann ging ich zu meinem Golf. Wer mir entgegenkam, blickte zur Seite - wahrscheinlich aus Angst, ich könnte mich an weiteren Fahrzeugen vergreifen. Als ich ins Auto stieg und mich noch einmal umdrehte, war der Lulatsch ausgestiegen und sah sich gerade die Bescherung an.

Ich folgte der Hauptstraße in westlicher Richtung und ertappte mich dabei, wie ich mehrmals in den Rückspiegel schaute. Mir ging der Gedanke durch den Kopf, dass der Junge vielleicht nicht allein gewesen war und mir jetzt im Wagen eines Komplizen folgte.

Aber das war Unsinn. Der Komplize hätte nie zugelassen, dass ich Hängelippe seinen Kram wegnahm und seiner Karre vier Plattfüße verschaffte. Nach zwei Kilometern kam links der gesuchte Obi in mein Blickfeld. Ich fuhr auf den Parkplatz und untersuchte meine Beute.

In der Geldbörse fand ich außer hundertdreißig Euro in Scheinen und etwas Kleingeld seinen Personalausweis: Hannes Dückrath, wohnhaft in Solingen, Landwehrstraße. Geboren am 10. Oktober 1971.

Ich überprüfte die Wagenpapiere. Sie waren ebenfalls auf Hannes Dückrath ausgestellt, allerdings war das Geburtsdatum des Fahrzeughalters der 5. April 1945. Ich tippte darauf, dass der Sohn mit Papis Wagen unterwegs war. Und Papi hatte seinem Stammhalter seinen Vornamen mit auf den Lebensweg gegeben.

Fehlte nur noch die Erklärung, was das Ganze sollte.

Die Landwehrstraße ist eine dieser typischen Vorstadtpisten, auf denen unablässig der Verkehr rollt - von der Innenstadt zur Autobahn und wieder zurück. Das Haus, in dem Hannes Dückrath senior und junior lebten, war unscheinbar. Es stammte noch aus einer Zeit, als Menschen gerne an Durchgangsstraßen gewohnt hatten -nicht ahnend, dass sie ein paar Jahrzehnte später von Autohäusern, kleinen Industrieunternehmen, Supermärkten, Tankstellen, Brachland und massenhaft Verkehrslärm eingekeilt sein würden.

Das Haus besaß zwei Stockwerke. Im Erdgeschoss zum Bürgersteig hin erkannte ich im Vorbeifahren ein dunkles Schaufenster. Ich parkte den Golf schräg gegenüber und packte Dückraths Krempel in eine von den Plastiktüten, die in meinem Wagen herumflogen. Nur die Pistole und das Messer ließ ich zurück. Ich wartete eine Weile auf eine Lücke im Verkehr, die mir erlaubte, die Straße zu Fuß zu überqueren.

Als ich meine Nase an die Schaufensterscheibe presste, konnte ich hinter dem Glas ein paar lose Fliesen in dunkler, rötlicher Farbe erkennen, die auf grünlichem Teppichboden lagen. Vielleicht täuschte ich mich, aber es kam mir so vor, als läge auf dem Stillleben eine dicke Staubschicht.

Neben dem Schaufenster war eine Eingangstür ohne Klingel. Sie bestand aus geriffeltem Glas. Diagonal waren aufklebbare Buchstaben befestigt. Sie ergaben das Wort »Fliesenleger«.

Ich ruckelte ein paarmal an dem quadratischen Plastikgriff. Der Laden hatte offenbar keine Kunden nötig. Er war geschlossen.

Im oberen Stock hatte ich von der anderen Straßenseite aus Gardinen hinter den Fenstern gesehen. Neben der Ladentür war keine Klingel und kein Briefkasten. Ich machte mich auf die Suche nach dem Privateingang und betrat die Hofeinfahrt, die auf die Rückseite des Hauses führte.

Nach ein paar Schritten stand ich vor einer Garage, vor der ein kleiner Transporter parkte. Wenn man sich den Dreck wegdachte, konnte er durchaus mal weiß gewesen sein.

Auch eine weitere Tür ins Haus gab es. Diesmal mit einer Klingel, auf der »Dückrath« stand. Ich drückte, und im Haus ertönte ein Schellen.

Der Mann, der öffnete, war ein kleiner, glatzköpfiger Fettwanst in Jogginghose und Hemd. Die Knöpfe auf dem Bauch drohten jeden Moment ihren Dienst zu verweigern.

»Was gibt's?«, fragte er.

»Sind Sie Herr Dückrath?«

Er sah mich argwöhnisch an. »Wer will das wissen?«

»Haben Sie einen Sohn, der Hannes heißt?«

»Warum?«

»Er hat ein paar Kleinigkeiten verloren«, sagte ich. »Zum Beispiel das hier.« Ich hielt ihm die Tüte hin. Er nahm sie, sah aber nicht hinein.

»Was ist das?«, fragte er.

»Gehört es nun Ihrem Sohn oder nicht? Schauen Sie doch mal nach!«

Er streckte mir die Tüte entgegen. »Ich glaub, Sie haben sich an der Tür geirrt.«

»Das kann nicht sein«, sagte ich und holte die Beute hervor. »Hier sind die Papiere des Wagens, mit denen Ihr Sohn unterwegs war. Angegeben ist die Adresse dieses Hauses. Die Papiere sind ausgestellt auf Hannes Dückrath - und zwar auf einen Hannes Dückrath, der 1945 geboren wurde. Ich habe eben bei Dückrath geklingelt, und Sie machen auf. Also?«

Er versuchte, die Tür zuzuschlagen, doch ich hatte längst den Fuß dazwischen. »Hau ab!«, rief er.

»Haben Sie nun einen Sohn, der Hannes Dückrath heißt?«

»Wenn schon!«

»Wollen Sie Ihn vielleicht anrufen?«

»Mach ich, wie ich will!«

»Ich denke, Sie werden ihn nicht erreichen, denn er vermisst im Moment auch das hier.« Ich griff in die Tüte und holte das Handy heraus. »Ich kann Ihnen übrigens verraten, dass er gerade ein Mobilitätsproblem hat. Hier, sein Autoschlüssel. Und es hat auch keinen Zweck, ihm einen anderen Schlüssel zu bringen. Leider hat sich sein Messer in alle vier Reifen des braunen Opels verirrt.«

»Was soll das?«

»Ja, sehen Sie, zu meinem Bedauern war er ein bisschen zu viel hinter meinem Wagen unterwegs. Und da dachte ich, ich unterhalte mich mal mit ihm, aber er wollte leider nicht.«

Während ich redete, lief Dückraths Gesicht rot an. Mit einem Schritt ging er auf mich zu, und mit einer Kraft, die ich ihm nicht zugetraut hätte, packte er mich am Kragen. Zum Glück war er einen Kopf kleiner als ich, und es gelang ihm nicht, richtig zuzufassen. Ich wehrte ihn ab, und er torkelte ein paar Schritte in den Flur.

»Jetzt schauen Sie mal, was Sie gemacht haben«, sagte ich und deutete auf die Plastiktüte, die zu Boden gefallen war.

»Weg!«, brüllte Dückrath laut wie ein Stier und drosch mir die Tür entgegen. Die Klinke knallte gegen meinen Ellbogen, dann war der Eingang zu. Die Tüte lag vor mir auf dem Fußabtreter.

Ich atmete ein paarmal durch, den Blick auf die Tür gerichtet. Okay, sagte ich mir. Das war nicht gerade die beste Strategie gewesen. Ich hatte mich vielleicht etwas zu sehr von den Fernsehdetektiven beeinflussen lassen, die für den schnieken Zwirbelbart arbeiteten. Bei denen fielen die bösen Buben immer gleich um. Ich musste anders vorgehen.

Ich kehrte zu meinem Golf zurück und rangierte ihn so, dass ich von der gegenüberliegenden Straßenseite Dückraths Haus und seine Einfahrt gut überblicken konnte. Der kleine Fettwanst konnte mich vielleicht durch die Fenster beobachten, aber das war mir egal. Dann rief ich Jutta an.

»Ahrens.«

»Remi hier. Es kommt Bewegung in die Sache. Ich hab nur ein Problem …«

»Ja?«

»Hast du ein Auto?«

»Natürlich.«

»Wieso natürlich? Ich erinnere mich an Zeiten, da hast du alle möglichen Leihwagen ausprobiert, weil du dich nicht entscheiden konntest. Und dann hattest du auch manchmal nur ein Motorrad …«

»Remi! Bleib ruhig. Ich habe ein Auto, okay? Wie du vielleicht weißt, ist im November die Motorradsaison längst zu Ende, und dann schafft man sich gewöhnlich ein Auto an. Was genau ist dein Problem?«

Ich sagte, dass sie jetzt wieder mal die ganz besondere Chance hatte, sich als Detektivassistentin zu betätigen. Dann gab ich ihr die Adresse meines Standortes durch. »Es geht um eine Beschattung«, erklärte ich.

»Warum nimmst du dafür nicht deinen Golf?«

»Weil sie den schon kennen. Sie sollen ja nicht wissen, dass ich hinter ihnen her bin. Es wäre also günstig, wenn wir das mit deinem Wagen übernehmen könnten. Wann kannst du hier sein?«

»Ich beeil mich.«

»Pass aber auf, wenn du hier vorbeikommst. Der Typ beobachtet mich vielleicht. Fahr ein Stück weiter Richtung Innenstadt. Ich komme dann hinterher und steige bei dir ein. Wenn ich weg bin, denkt er hoffentlich, ich hätte die Observierung aufgegeben.«

»Quatsch nicht so viel und lass mich losfahren. Du wirst dich wundern, wie schnell ich bei dir bin.«