Es sei denn, ja, es sei denn, er zeigte ihnen gleich zu Anfang der Zusammenkunft, wer hier das Sagen hatte. Wenn er ihnen einen solchen Schrecken einjagte, dass ihnen ganz schlecht wurde vor Angst, würden sie es nicht wagen, über ihn zu lachen.

Er raffte seinen Mantel zusammen und fuhr sich übers Kinn. Sein buschiger weißer Bart war über der Brust gegabelt, darunter baumelte ein schweres Kreuz aus Bronze. Ein christliches Kreuz, in der Tat! Denn Abakus, der grausamste Hexenmeister der Welt, war zugleich auch der mächtigste Hexenjäger. Zumindest glaubten das alle. Während Abakus nämlich im Geheimen einen Bund aller Hexen unter seiner Führung ins Leben rief, gab er sich nach außen als Feind allen Zauberwerks und heidnischen Brauchtums aus. Er hatte die Macht, sein teuflisches Werk unter dem Mantel der Kirche zu verstecken. Er richtete nach eigenem Gutdünken alle, die ihm im Weg waren. Und so gelang es ihm, sein wahres Ich geheim zu halten.

Nach außen ein Mann der Kirche, im Inneren aber durch und durch verdorben – das war Abakus, höchster aller Hexer und künftiger Führer des Arkanums.

Das Arkanum war ein Traum, den er schon lange verfolgte: ein Geheimbund, dem Hexen auf der ganzen Welt angehören sollten. Nicht länger sollte jede für sich allein in ihrer Waldhütte oder Turmruine sitzen und missmutig vor sich hin zaubern – nein, sie sollten eine Gemeinschaft bilden, die sich mit ihrer geballten Macht die Welt unterwerfen würde.

Und an der Spitze dieser schrecklichen, blutdurstigen und Menschen verachtenden Vereinigung würde Abakus stehen, Richter und Vollstrecker zugleich.

Heute war der Tag, an dem die Gründung des Arkanums vollzogen werden sollte. Und schon morgen würden die Bestrebungen des Hexenbundes beginnen, sich die Menschheit Untertan zu machen.

Abakus lächelte bei diesen Gedanken, und darüber vergaß er sogar das Missgeschick mit der Laus. Sollte das Vieh doch irgendwo in einem dunklen Winkel der Festungsruine verenden! Abakus war ziemlich sicher, dass er nie wieder von ihr hören würde.

Mit würdevoller Miene schritt er die Stufen aus seinem Turmzimmer hinab in die unteren Teile der Ruine. Er hatte lange nach einem geeigneten Ort gesucht, um das Arkanum aus der Taufe zu heben, und er hätte keinen besseren dafür finden können als diese Feste. In weitem Umkreis lebte kein Mensch. Nur finstere, undurchdringliche Wälder erstreckten sich in alle Richtungen. Niemand würde bemerken, was in dem alten Gemäuer vor sich ging. Einst war dies die Grenzfestung eines reichen Fürstentums gewesen, doch vor einem halben Jahrhundert hatten feindliche Krieger sie im Zuge einer Familienfehde überrannt und in Schutt und Asche gelegt. Doch noch immer gab es genug halb zerfallene Türme und Hallen, um unterzuschlüpfen und von hier aus die Geschicke des Arkanums zu lenken.

Abakus schritt durch finstere Gänge und Säle. Alle Räume standen leer. Das Feuer der Angreifer hatte damals die gesamte Einrichtung vernichtet; was übrig geblieben war, hatten Wilderer und Wegelagerer hinausgeschleppt.

Der Hexenmeister erreichte ein Portal, dessen einziger Flügel schräg in den Angeln hing. Dahinter öffnete sich eine weite Säulenhalle. In ihrer Mitte stand eine lange Eichentafel, die eine der Hexen herbeigezaubert hatte. Sieben Stühle standen rund um die Tafel, außerdem ein erhöhter Thron – Abakus’ Platz. Auf den Stühlen saßen die sieben Hexen.

Die Frauen waren alle sehr jung und sehr schön. Freilich war dies kein Zufall. Wahre Hexen haben die Macht, ihr Äußeres zu verändern. Mit einem Fingerschnippen richten sie krumme Nasen, hexen sich volle Kussmünder herbei oder machen sich schlank und wohlgeformt. Die sieben, die sich hier versammelt hatten, waren die mächtigsten aller Hexen – Abakus ausgenommen –, und natürlich hatten sie sich selbst in die bezauberndsten und liebreizendsten Frauen weit und breit verwandelt. Wahrscheinlich war dies die einzige ihrer Zaubereien, die man ihnen nicht verübeln konnte.

Alle sieben hatten langes glattes Haar, so rabenschwarz wie ihre Seelen. Auch ihre aufwändigen Kleider waren schwarz. Um ihre Beine strichen bucklige Hexenkater, starrten mit glühenden Augen aus den Schatten und fauchten bösartig bei jeder ungewohnten Bewegung.

Das Geflüster der Hexen verstummte schlagartig, als Abakus die Halle betrat. Alle Augen richteten sich auf ihn. Doch er nahm nicht auf dem Thron Platz, den man zu seinen Ehren bereitgestellt hatte. Vielmehr ging er langsam um die Tafel herum, blickte von einer Hexe zur anderen und blieb schließlich hinter einer von ihnen stehen. Langsam legte er ihr von hinten beide Hände auf die Schultern.

»Ich hörte, du lachst über mich«, sagte er zu ihr. Seine Stimme klang gefährlich leise und lauernd.

»Ich … lache?«, stammelte die Hexe verwundert. »Über Euch, Herr?« Alle spürten, dass sie Angst vor dem Hexenmeister hatte.

»So trug man es mir zu«, log Abakus kühl. Er wusste, dass die Frau gar nicht über ihn gelacht hatte – er wusste über vieles Bescheid, von dem seine Untergebenen nichts ahnten –, und doch sah er sich genötigt, ein Exempel zu statuieren. Er musste ihnen zeigen, dass mit ihm nicht zu spaßen war.

»Aber, Herr –«, begann die Hexe, brachte den Satz jedoch nicht zu Ende. Abakus hob seine Arme. Ein grelles Blitzen schoss aus den Händen des Hexenmeisters, legte sich um den Körper der Frau – und verwandelte sie innerhalb eines Augenblicks in ein rußiges Gerippe. Klappernd und scheppernd brachen die Knochen in sich zusammen. Auf dem Stuhl blieb nur ein Haufen dunkler Gebeine zurück. Obenauf lag der blanke Schädel der Hexe.

Die sechs übrigen Frauen schrien entgeistert auf.

»Schweigt!«, brüllte Abakus in die Runde.

Sofort setzte Ruhe ein. Angstvolle Blicke trafen erst ihn, dann die Knochen der Toten.

»So wird es jedem ergehen, der mir widerspricht«, rief Abakus lautstark. Seine Worte hallten von den Steinwänden wider. Und leiser, beinahe sanft, setzte er hinzu: »Ich hoffe, meine Botschaft bleibt euch in Erinnerung!«

Die sechs Hexen schluckten schwer, dann nickten sie der Reihe nach.

Abakus lächelte zufrieden, dann hob er den Knochenschädel der toten Hexe mit beiden Händen hoch über seinen Kopf.

»Hiermit«, rief er aus, »verkünde ich die Gründung unseres Bundes – und die baldige Unterwerfung der Welt. Ein Hoch dem Arkanum!«

»Ein Hoch dem Arkanum!«, wiederholten die Hexen. Sie erholten sich rasch von ihrem Schrecken, schließlich gehörten Mord und Elend zu ihrem Alltag. Wilde Euphorie machte sich breit.

»Ein Hoch dem Arkanum!«

Abakus lachte. Dann ließ er den Totenschädel zwischen seinen Händen zerplatzen und die Splitter als Schwarm schwarzer Schmetterlinge zur Hallendecke aufsteigen.

 

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