2. Die Brüder

 

Auf der Fahrt in die Spielwelt wurde kaum gesprochen. Als Frank Wall entschied, das Auto anstelle seines Pferdes zu nehmen, war den anderen sofort klar, dass der Sheriff sehr beunruhigt war. Das Auto wurde nämlich grundsätzlich nur in äußersten Notfällen verwendet, wie zum Beispiel bei Krankenversorgungen oder im Rettungsdienst. Nur die öffentlichen Einrichtungen hatten noch Fahrzeuge dieser Art. Grundsätzlich bewegte man sich zu Fuß oder zu Pferd innerhalb einer Gemeinschaft.

Natürlich erregten sie auf der Fahrt großes Aufsehen, und erst als sie die Tore der Spielwelt erreichten, verschwanden sie in einer Art Anonymität. Direkt am Eingang wartete schon der Verbindungsoffizier. Ein kleiner sympathischer Mann Mitte fünfzig, der ein bisschen wie ein Kobold aussah.

Frank Wall kannte den Mann und begrüßte ihn kurz: »Das ist Bob Miller«, sagte Frank und wollte sein Team vorstellen. Doch Bob kam ihm zuvor und begrüßte Anne überschwänglich. Anne und Bob kannten sich durch Annes häufige Besuche in der Spielwelt. Was allerdings die wenigsten wussten, war, dass die Spielwelt ihre Existenz maßgeblich Anne zu verdanken hatte.

Als damals, nach den Aschentagen, die Welt neu erfunden wurde, war der Plan der Überlebenden gewesen, die perfekte Welt zu schaffen: ein Zuhause für die Kinder, in dem sie glücklich und behütet aufwachsen sollten. Anne fügte diesem Gedanken die Spielwelten hinzu. Und sie setzte sich gegen viele der anderen Überlebenden durch.

»Wir müssen sofort die Leiche sehen!«, sagte Frank Wall ungeduldig.

Bob Miller führte die kleine Gruppe in die Zentrale der Spielwelt. Das Gebäude war in der Traurigen Zeit eine Kirche gewesen. Anne fand die Vorstellung, dass sie nun das Zentrum der Spielwelt bildete, recht amüsant. Natürlich war die Kirche zum Teil umgebaut worden, aber viele schöne Elemente hatte man erhalten.

Bob eilte voraus. Die Zentrale war der Mittelpunkt des Lebens in der Spielwelt. Alle Bewohner und Besucher konnten ihre Angelegenheiten und Belange dort regeln. So ähnlich wie auf den Wachen außerhalb der Spielwelt. Aber eben nur so ähnlich. Und Anne liebte diesen Unterschied.

Die Zentrale hatte, wie auch die Wachen, rund um die Uhr geöffnet. Allerdings begann das Hauptgeschäft erst gegen 19.00 Uhr. Daher war die Halle noch relativ leer. Bob führte sie in einen der hinteren Räume. Ein kleiner, kalter Raum. In der Mitte war eine Gestalt aufgebahrt. Ein rotes Leinentuch bedeckte den Körper.

»Wo hat man den Leichnam gefunden?«, fragte Anne.

Bob sah in sein kleines Notizheftchen und las aus seinen Aufzeichnungen vor: »Eine der Streifen fand ihn in einem Müllcontainer in der Rosestreet. Das war vor ungefähr anderthalb Stunden. Der Sergeant hörte, wie er es ausdrückte, ein forderndes Miauen. Als ausgesprochener Katzenfan folgte er den Rufen und fand tatsächlich eine aufgebrachte Kätzin vor dem Container sitzen. Da er sich das Verhalten nicht erklären konnte, trat er näher an den Container heran und sah das Tier fragend an. Seiner Aussage nach hatte die Katze ihn quasi dazu aufgefordert, den Container zu überprüfen. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, einen Leichnam drin zu finden. Als er sich umdrehte, war die stolze Kätzin verschwunden. Eine Stunde später, und die Müllentsorger hätten die Container zur Leerung abgeholt. Wer weiß, ob man die Leiche dann überhaupt gefunden hätte. Der Inhalt der Container wird normalerweise verbrannt. Sie werden zur Anlage mitgenommen und hinein gekippt. Kontrollen werden nicht durchgeführt, da sich jeder an die Entsorgungsrichtlinien hält. Das war übrigens kein schöner Anblick, Schussverletzungen sind eine üble Sache, ich habe so etwas bisher nur in den alten Aufzeichnungen gesehen.«

»Eine Frage ...« Sergeant Milton hatte einen Frosch im Hals und brachte daher nur ein Piepsen heraus. Als ihn die anderen anstarrten, räusperte er sich und setzte nochmals an: »Eine Frage: Hat denn niemand Schüsse gehört?«

»Oh, mein Junge.« Bob Miller sah ihn erstaunt, fast mitleidig an. »Kennen Sie denn die Spielwelt nicht? Ich vermute mal, diese Tragödie ist letzte Nacht passiert. Nach 23.00 Uhr ist hier die Hölle los. Jede Menge Lärm. Außerdem liegt die Rosestreet direkt bei der Wassermühle, unserem Kraftwerk. Die Schüsse haben sicher keine Aufmerksamkeit erregt, da sie entweder nicht gehört wurden oder, wenn doch, nicht als solche erkannt wurden.«

Er hielt kurz inne und sagte dann: »Die Streifen haben ihn dann auf einem Karren hierher gebracht und einen Boten zur Wache Süd geschickt. Die Männer waren mehr als verunsichert, da weder ein Fall von Notwehr vorlag, noch ein Aschenhäufchen gefunden werden konnte. Außerdem waren in den Taschen des Toten nur ein paar Schokoladenkekse, keine Papiere.«

»Meine Güte«, dachte Anne, »das wäre definitiv der Auslöser eines mittelschweren Herzinfarkts für jeden ›Krimi-Kasper‹ aus der Traurigen Zeit gewesen!« So hatte Anne immer die Ermittler in den unzähligen Krimiserien genannt, die in der Lage waren, einen Täter aufgrund des übelriechenden Staubkörnchens, das sich am Zeh der Haushälterin des geschiedenen, in Alaska lebenden Onkels des Opfers befand, zu überführen. »Man sollte unbedingt in den Theatern einmal eine Folge davon nachspielen«, notierte sie gedanklich. Aber selbst wenn der Tatort nicht kontaminiert und die Leiche nicht bewegt worden wäre, hätten sie weder die Fachleute noch die Vorrichtungen um Auswertungen nach Art der »Krimi-Kasper« vorzunehmen.

»Gut«, sagte Frank Wall und atmete geräuschvoll aus, »sehen wir ihn uns an.«

Doktor Masters schlug das Tuch zurück. Doktor Masters, Sergeant Milton und Anne hatten das Gefühl eines Déjà-vus. Es bot sich ihnen das gleiche Bild wie auf der Waldlichtung am Morgen. Ein Körper ohne Gesicht und ein Loch in der Brust. Aber irgendetwas war dieses Mal anders. Anne war unsicher. Irgendetwas kam ihr bekannt vor. »Konzentriere dich«, sagte sie zu sich selbst.

Sie hinderte Doktor Masters mit einer Handbewegung daran, die Untersuchung zu beginnen. Sie trat einen Schritt vom Leichnam zurück. Ihr Blick wanderte scheinbar unkontrolliert hin und her. »Dave Lorden, das ist Dave Lorden!« Anne ließ sich auf einen Stuhl in der Ecke fallen.

»Was?« – Frank Wall war, ganz gegen seine Art, blass geworden. »Bist du sicher? Wie kannst du das sicher wissen?«

Anne erhob sich und trat nochmals an den Tisch mit dem Toten: »Das ist Dave Lorden, und ich erkenne ihn an seiner Tätowierung am Unterarm. Diese Tätowierung stammt aus der Traurigen Zeit. Das ist ein Überlebender, und sein Name ist Dave Lorden. Er hat sich den Namen seiner Frau und das Datum ihres Todes tätowieren lassen: Laura − 14. März 2018. Die Wache Süd hat diesen Fall untersucht. Ich habe diesen Fall untersucht. Er war einer der Ersten, der in die Aschentagebücher aufgenommen wurde. Ich habe mit Dave zusammengearbeitet, diese Tätowierung habe ich hunderte Male gesehen, und er selbst hat mir die Geschichte dazu erzählt. Hier liegt Dave Lorden, einer der aufrichtigsten und wertvollsten Menschen, die mir je begegnet sind. Und damit ist auch meine Theorie gestorben.

Sergeant Milton, Sie lagen vollkommen richtig mit ihrem »Aber«, ich hoffe, ich kann weiter auf Sie und Ihren klaren Verstand zählen. Dieser Mann hätte nie irgendetwas getan, was anderen geschadet hätte. Wir haben hier einen Mord, für den es keine Entschuldigung gibt. Das System hat versagt, aber ich werde das nicht so stehenlassen. Ich werde herausfinden, was hier passiert ist. Das ist ein Versprechen.

Sergeant Milton, versuchen Sie bitte zu klären, ob Joseph Lorden vermisst wird. Das ist der Bruder von Dave. Ich vermute, wir haben Joseph heute Morgen im Wald gefunden. Und jetzt entschuldigt mich bitte, ich brauche frische Luft!« Anne stürzte aus dem Raum und ließ ein völlig fassungsloses Männerquartett zurück.

 

Sergeant Milton kam gegen 22.00 Uhr nach Hause. Seine Frau Katie hatte ihm das Essen im Ofen warm gestellt. Er lächelte bei dem Gedanken an sie. Seit genau einem Jahr, drei Monaten und vier Tagen waren sie verheiratet. Und er war immer noch so verliebt wie am ersten Tag. Katie war toll. Sie hatte ihn immer unterstützt.

Als er die Zusage bekam, hatte sie einen Witz gemacht: »Mir ist es lieber, du arbeitest den ganzen Tag für eine 300-Jährige als für eine 20-Jährige.«

Katie – sie hatte so gar nichts mit Anne Reeve gemeinsam. Anne Reeve war vollkommen unberechenbar. Außerdem hatte sie einen eigentümlichen Humor. Aber immerhin hatte sie Humor. Sie war sicher die außergewöhnlichste Überlebende, die er bis jetzt kennengelernt hatte. Die meisten waren würdevoll, so wie Frank Wall. Oft waren sie sehr sachlich mit gutmütigen Mienen. Als Kind hatte er sich immer vorgestellt, wie die Überlebenden in langen Gewändern durch die Hallen der öffentlichen Gebäude schritten, fast lautlos, unermüdlich bei dem Versuch, für sie alle das Leben besser zu machen. Interessanterweise wurden seine kindlichen Vorstellungen von der Realität bestätigt. Zumindest, bis er auf Anne Reeve traf. Sie fiel wirklich aus dem Rahmen. Wenn man es nicht wüsste, würde man sie keinesfalls für eine Überlebende halten.

Und trotzdem war sich Sergeant Milton noch nie so sicher gewesen wie in diesem Moment, dass er genau dort war, wo er hingehörte. Er war heute zum Teil einer großen, einer wichtigen Sache geworden. Die Ereignisse überschlugen sich. Zwei Morde an einem Tag. Dave und Joseph Lorden. Anne Reeves Verdacht bezüglich der Leiche auf der Waldlichtung hatte sich bestätigt. Zwei brutale Morde. Das war erschreckend und beängstigend. Die Gemeinschaft, die Welt wurde bedroht. Er empfand es als große Ehre, als seine Pflicht, dabei zu sein. Seine ganze Kraft wollte er in die Aufklärung dieser Gräueltaten stecken. Er liebte die Neue Welt und die Werte, für die sie stand. Er liebte die Welt, wie sie heute war, und so sollte sie bleiben. Er wollte Kinder in diese Welt setzen. Er wusste, auch sie würden hier glücklich sein. So viel Gutes wurde geschaffen seit den Aschentagen. Und er, Thomas Milton, wollte das bewahren. Für sich, für Katie und für seine Kinder. Er träumte den Traum vieler junger Menschen, den Traum, den zehn Generationen vor ihm schon geträumt hatten.

Den Traum einer Familie. Leider war das nicht so einfach. Die Fruchtbarkeit der Frauen und die Zeugungsfähigkeit der Männer waren nicht besonders gut entwickelt. Und obwohl die Forschungsmannschaft viele ihrer Kapazitäten in die Lösung dieses Problems steckte, konnte noch lange nicht von einer normalen Bevölkerungsentwicklung gesprochen werden.

Nach den Aschentagen hatte man bald festgestellt, dass sich etwas verändert hatte. Die Menschheit hatte sich in zwei Gruppen von Überlebenden geteilt. Die einen waren die Säuglinge, Kleinkinder und Jugendlichen – also die Kinder – gewesen, die nach den Aschentagen und den Kämpfen noch am Leben gewesen waren. Sie und ihre Nachkommen wurden fortan die »Neugeborenen« genannt. Die Neugeborenen entwickelten sich ganz normal. Die andere Gruppe nannte man die »Überlebenden«. Diese Gruppe bestand aus den überlebenden Erwachsenen, die am 31.12.2018 noch auf der Erde gewesen waren. Der Jüngste unter ihnen war zwanzig Jahre alt gewesen. Das Erstaunliche daran war, dass diese Überlebenden ab dem Ende der Aschentage, also ab dem 31.12.2018, nicht mehr alterten, das hieß körperlich fand keine Veränderung mehr statt. Sie starben nicht, zumindest nicht auf natürliche Weise. Allerdings waren sie nicht in der Lage, sich fortzupflanzen.

Die sogenannten Neugeborenen und ihre Nachkommen alterten wie die Menschen während der Traurigen Zeit. Allerdings war ihre Lebenserwartung im Vergleich zu damals wesentlich höher, was nicht zuletzt auch der Verdienst der Forschungsmannschaft war. Ein gesunder, vitaler Hundertjähriger war keine Seltenheit. Die Fortpflanzung war nur unter den Neugeboren möglich, aber nicht ganz einfach. Viele Paare blieben ohne Kinder. Ein Kind innerhalb einer Familie war ein Segen, zwei ein Wunder und drei Kinder grenzten schon an Zauberei.

Sergeant Milton seufzte, er vermutete, dass das mit dem »Genzeugs« zusammenhing, von dem Doktor Masters heute gesprochen hatte. Eine Art Restschuld, die sie alle noch aus der Traurigen Zeit abtragen mussten. Offensichtlich hatten die Überlebenden schon gleich beim Aufbau der Neuen Welt Befürchtungen in diese Richtung gehabt. Die Welt war damals zusammengerückt, und die wenigen Überlebenden weltweit hatten es in einem gewaltigen logistischen Kraftakt geschafft, die Versorgung der Kinder innerhalb kürzester Zeit zu organisieren.

Die Kinder hatten absolute Priorität gehabt. Und wie beim Hausbau sollte ihre Zukunft ein festes Fundament haben. Und das Fundament hatte aus einer einheitlichen Sprache weltweit, gegenseitigem Respekt und Toleranz bestanden. Daraus war die wohl ungewöhnlichste Entscheidung der neuen Geschichte gefolgt, und zwar die Entscheidung, die Welt neu zu mischen. Die Kinder waren in den Zuhausehäuschen – wie man die Einrichtungen für sie genannt hatte – untergebracht worden. In jedem Zuhausehäuschen weltweit waren im gleichen Verhältnis Kinder verschiedener Hautfarben und Herkunft aufgewachsen, behinderte Kinder waren nicht ausgeschlossen, sondern integriert worden. Es sollte eine neue, bunte Welt entstehen. Kein Rassismus, keine Minderheiten. Das oberste Ziel war es gewesen, diesen Kindern, den Neugeborenen, alles Gute mit auf den Weg zu geben. Liebe und Wärme, aber auch die neuen Werte, waren fortan die Leitlinien der Zukunft.

Als die erste Generation der Kinder alt genug gewesen war, in eigenen Wohnungen zu leben, wurden die Zuhausehäuschen in Kindergärten und Schulen umfunktioniert. Aber trotz aller Bemühungen nach den Aschentagen, machte es der danach entstandene erweiterte Genpool den jungen Paaren nicht leichter, eine Familie zu gründen.

 

Sergeant Milton schüttelte wieder den Kopf. Was war das vor den Aschentagen für eine traurige Welt gewesen … Für ihn war es absurd, dass der Wert eines Menschen an der Hautfarbe oder Herkunft gemessen wurde. Nein, diese Zeiten durften nie wieder zurückkehren, Anne Reeve hatte vollkommen recht – wenn das System versagt hätte, müssten sie herausfinden, wieso.

Im Schlafzimmer hörte er Geräusche, Katie hatte ihn wohl kommen hören, denn nun betrat sie die Küche und lächelte ihn liebevoll an. Sie war wirklich hübsch. Sie hatte blaugrüne Augen, herrliches hellblondes Haar und eine schöne Figur.

»Alles gut?« Das war ihre Art, seinen gesamten Gemütszustand abzufragen.

Er lächelte zurück, schloss sie in seine Arme und erwiderte: »Jetzt ja.«

 

Als Sergeant Milton tags darauf in die Wache Süd kam, traute er seinen Augen kaum, als er seine Abteilung betrat. Sein Schreibtisch war verschwunden. Gerade wollte der Sergeant wegen dieser Tatsache zu grübeln beginnen, als Anne Reeve die Tür ihres Büros aufriss. Wie immer war ihr Anblick »spannend«. Ja, spannend war wohl das richtige Wort. Die Neue Welt sollte den Menschen so viele Freiheiten wie möglich bieten. Das wurde besonders bei der Bekleidung sichtbar. Ein Modediktat gab es nicht. Dieses Wort hatte in der neuen Sprache auch keine Übersetzung. Die Entwicklung von Individualität, solange diese nicht auf Kosten von anderen ging, wurde schon bei den kleinsten Neugeborenen gefördert.

Sehr zur Freude der »Baumeister« der Neuen Welt, spiegelte sich das schnell im Straßenbild wider. So sahen die Straßen oft aus wie die Farbpalette eines Künstlers. Die Menschen liebten es, Teil einer bunten Welt zu sein. Das positive Lebensgefühl zeigte sich auch in der Garderobe. Alles war erlaubt und erwünscht. Manche Mädchen hatten unglaubliche Hutwunder entworfen, die von anderen gerne bestaunt wurden. Frisuren wurden ausprobiert und ganz unterschiedliche Materialien verwendet. Der Mut, sich ausgefallen zu kleiden, wurde belohnt. Sicher, Schönheit lag im Auge des Betrachters, aber ein wohlwollender Betrachter konnte Schönheit leichter erkennen. Die zumeist wallenden Kleider, Röcke und Hosen waren sehr bequem und knöchellang. Das war eine Nachahmung des Stils der Überlebenden, denen man damit Respekt zollen wollte.

Allerdings sehr zum Ärger von Anne Reeve, die diese Art der keuschen Verhüllung für übertrieben hielt. Ihrer Meinung nach sollten junge Menschen ruhig auch kurze Kleider tragen.

»Ach, Chief-Sergeant Reeve«, hatte ihr eine 25-jährige Neugeborene einmal gesagt, »das ist doch auch eine Art der Freiheit, zu sagen, dass ich meine Haut nicht zeigen will, und außerdem gibt es noch die Spielwelten.«

»Mag sein, aber manchmal habe ich das Gefühl, dass wir uns immer mehr zu einer Gemeinschaft gleich der des viktorianischen Englands des 19. Jahrhunderts entwickeln. Hauptsache ihr fangt nicht noch an, auf die Farben zu verzichten − wie die meisten Überlebenden. Dann würde die Welt nämlich aussehen, als wäre sie von lauter Leichentüchern mit Füssen bevölkert.«

»Aber nein«, hatte das Mädchen ernst geantwortet, »das würde uns doch auch nicht zustehen.«

Anne hatte darauf nicht geantwortet, sich aber gedanklich eine Notiz gemacht, bei nächster Gelegenheit einmal mit dem Rat über diese sich entwickelnde Unterwürfigkeit zu sprechen. Sie durfte natürlich nicht ungerecht sein. Die dunkle Kleidung der Überlebenden und deren schlichte Gestaltung war ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Als es gegolten hatte, die Kinder in den ersten Jahren nach den Aschentagen zu versorgen, hatten die Überlebenden alles daran gesetzt, ihnen den Start in die Neue Welt so schön wie möglich zu gestalten. So hatte es sich ergeben, dass man zum Beispiel bunte Stoffe und Kleidung, die man fand, als Erstes für die Kinder verwendete. Die Überlebenden selbst hatten für sich dann die gedeckten und dunklen Farben verwendet, was, davon abgesehen, auch dem Fleckenteufel seine Arbeit erschwert hatte. Viele der Überlebenden behielten diesen Stil später bei. Aus Pragmatismus wurde eine Art Heldenverehrung.

Anne zog sich gerne bequem an, liebte aber verrückte Kombinationen. Und obwohl man auf den ersten Blick dachte, sie hätte am Morgen wahllos in eine Kleidertruhe gegriffen, drückte ihre Art, sich zu kleiden, auf den zweiten Blick ihren ganz persönlichen Stil aus und der war, wie vieles an ihr, äußerst spannend.

 

»Sergeant, na endlich, kommen Sie gleich herein.«

Als Sergeant Milton ihr Büro betrat, war er überrascht. Sie hatte den Raum umgestellt, damit sein Schreibtisch noch darin Platz fand.

»Hören Sie Sergeant, wir werden die nächste Zeit viel Arbeit haben, wenn ich Sie also über Gebühr einspanne, dann zeigen Sie mir die rote Karte. In Ordnung?«

Sergeant Milton war unsicher und erwiderte: »Äh, die rote Karte, das ist ein Wortspiel?«

Anne musste unwillkürlich grinsen: »Ja, das ist es, aus einem albernen Spiel – vergessen wir das. Sie sagen mir, wenn Sie nach Hause müssen, wenn Ihr Privatleben unter unserem Fall leidet. Das ist nämlich etwas, das nie passieren darf, merken Sie sich das. Die Lebenden gehen vor. So, und jetzt setzen Sie sich. Ich habe unsere Arbeitsplätze zusammengelegt, damit wir besser vorankommen. Als Erstes: Keks?« Anne balancierte unter irgendeinem Stapel eine alte Blechdose mit selbstgebackenen Plätzchen hervor.

Sergeant Milton nahm etwas umständlich einen Keks heraus und sagte lakonisch: »Danke«.

»Also wo stehen wir, was wissen wir?«

Sergeant Milton holte sein Notizbuch heraus und Anne stellte sich vor die alte Tafel in ihrem Büro. Das Büro war so vollgepackt mit Büchern, Papieren und Ordnern, dass man den Fußboden nur erahnen konnte.

Sergeant Milton fasste das Geschehene zusammen, während Anne sich dazu Notizen auf der Tafel machte und sie anschließend vorlas:

»Der erste Tote, den wir gefunden haben, war Joseph Lorden auf der Waldlichtung. Der Zweite war Dave Lorden in der Spielwelt. Beides Überlebende. Mittlerweile habe ich den Bericht von Doktor Masters.« Anne sah kurz auf und fuhr fort: »Demnach sind beide in der Nacht vom 27. auf den 28. Mai gestorben. Die Leiche von Joseph wurde am Morgen des 28. Mai gegen 6.00 Uhr von Doktor Walter Mau beziehungsweise seinem Hund gefunden. Der Biologe war gegen 24.00 Uhr mit seinem Team in der Nähe der Waldlichtung angekommen, sie wollten die Bewegungen der Wildtiere beobachten. Gegen morgen, also bei Sonnenaufgang, wurde der Einsatz beendet. Als sich die Mitglieder seines Teams die Beine vertraten, schlug plötzlich der Hund von Doktor Mau an, und sie fanden die Leiche von Joseph. Danach haben sie sofort die Wache verständigt. Andere Personen hätte er nicht bemerkt. Allerdings sei um diese Zeit rege Bewegung in der Tierwelt, sodass ihm das Geräusch von Pferdehufen nicht aufgefallen wäre. Weiterhin ungeklärt bleibt, wie Joseph Lorden zu der Waldlichtung kam, zumindest haben wir kein Pferd gefunden. Im Gegensatz zu dem Pferd von Dave Lorden, das haben wir gefunden. Dave hatte es in einer der Pferdestationen in der Spielwelt abgegeben.«

Sie sprach weiter: »Die Waffe war eine Schrotflinte, nichts Besonderes. Vermutlich hat sie sich der Täter in einem der alten Schrottlager besorgt. Die werden nicht bewacht, weil bei uns normalerweise nicht gestohlen wird. Nachts werden die Hallen zwar verschlossen, aber da kommt man leicht rein. Schwieriger wird es mit der Munition, die erhält man nicht so einfach. Hergestellt und verkauft wird sie nicht. Es gibt noch Bestände, die sind aber unter Verschluss.«

Anne betrachtete die Notizen auf der Tafel.

Sergeant Milton räusperte sich: »Sie haben gesagt, Sie kannten Dave Lorden und dass er einer Ihrer ersten Aschenfälle war ...«

Anne fuhr herum: »Natürlich, Sie kennen die Hintergründe noch nicht. Vielleicht sagt Ihnen der Fall »beihon-Versicherungen« etwas? Eventuell haben Sie davon in der Akademie gehört.«

Sergeant Milton verlor für einen Moment die Fassung und gab ein »Ach du Schande« von sich, hielt sich dann aber sofort die Hand vor den Mund.

»Nein, Sergeant, ach du Schande ist noch die Untertreibung des Jahrhunderts. An was erinnern Sie sich noch?«

»Na ja, die beihon-Versicherungen waren ein riesiger Konzern mit diversen Nebengeschäften und Verbindungen in andere Branchen. Das Unternehmen war zum Ende der Traurigen Zeit eines der größten und mächtigsten. Was anfangs alles legal aussah, entpuppte sich bei der Untersuchung der Aschenfälle als ein kriminelles Unternehmen ohne Skrupel. Zudem gab es Bespitzelungen der Mitarbeiter, Psychoterror, miese Bezahlung usw. Es gab einen Todesfall, die Frau eines Mitarbeiters...«, der Sergeant stockte. »Laura, 14.3.2018«, sagte er betroffen.

»Ganz genau: Laura, sie war die Frau von Dave Lorden, der damals als Bilanzbuchhalter in der Gesellschaft gearbeitet hatte. Im Jahre 2016 fing alles an. Die Ungerechtigkeiten spitzten sich zu. Die Geschäftsführer weigerten sich die Löhne auf ein faires Niveau anzuheben. Sie drohten sogar mit Stellenabbau und Schließungen, falls die Arbeitnehmerschaft nicht zum Verzicht bereit sei. Begründet haben die Bosse ihre Haltung mit den schlechten Geschäftszahlen. Dafür legten sie Berge von Unterlagen vor, die jedoch keiner der Betriebsräte entschlüsseln konnte.

Also kamen diese auf die Idee, sich jemanden wie Dave Lorden in den Betriebsrat zu holen. Denn sie brauchten seine Fähigkeiten. Schließlich verstand er die Geschäftsberichte und Bilanzen, die von den Vorständen vorgelegt wurden. Seine Kenntnisse sollten es möglich machen, das Zahlenwerk der Geschäftsleitung zu zerpflücken und auszuwerten. Und Dave war bereit zu helfen. Wie erwartet, wurde das von der Geschäftsleitung nicht gerne gesehen, und mit massiven Mitteln versuchten die obersten Bosse, das zu verhindern. Trotzdem wurde Dave Lorden in den Betriebsrat gewählt. Innerhalb der ersten Monate erreichte er mehr für seine Kollegen als irgendein anderer Betriebsrat in vergleichbarer Position vor ihm. Die Geschäftsführer konnten ihm nichts vormachen. Die Branche horchte auf, und in anderen Betrieben wollten die Mitarbeiter dem beihon-Vorbild folgen. Es lief richtig gut, die Menschen wurden aufmerksam auf die Missstände und Lügen.

Heute wissen wir aufgrund unserer Untersuchungen, dass schon zu diesem Zeitpunkt Dave Lordens Grab geschaufelt wurde. Die Geschäftsleitung fing an, sich Verbündete zu kaufen. Plötzlich waren ehemalige Mitstreiter, also die, die ihn zuerst um Hilfe gebeten hatten, zu Dave Lordens Gegnern geworden. Geschickt machten sich die Geschäftsführer auch den Egoismus und die Dummheit der Belegschaft zunutze.

Hinzu kam, dass man zu der Zeit über das Internet unheimlich viel über seine Mitarbeiter in Erfahrung bringen konnte, um es dann gegen sie zu verwenden. Leider war der Drang, in verschiedenen Foren seine privaten und beruflichen Belange einem Millionenpublikum zu präsentieren, größer als das Interesse an der eigenen Privatsphäre. Es kam, wie es kommen musste: Dave verlor an Boden. Es folgten ›Betriebsrats-Mobbing‹ und Kündigungsversuche der hinterhältigsten Art. Zeugen wurden bestochen, die bestätigen sollten, dass er sich ungebührlich verhalten hatte. Sie unterstellten ihm Diebstahl und sexuelle Belästigung. Dann stellten sie die Gehaltszahlungen ein.«

Sergeant Milton blickte Anne an: »Aber das war doch gegen das Gesetz, auch damals ...«

»Das war es, aber was nützt das beste Gesetz, wenn es nicht durchgesetzt wird? Natürlich war er im Recht, aber das wiederum musste er erst einmal einklagen. Bei einem so mächtigen Gegner konnte das sehr schwer werden. Wenn der Vorstand von beihon den vorsitzenden Richter in dem Fall kennt, der die Klage erst einmal zurückweist, dann am Verhandlungstag krank ist etc. Dave ging langsam das Geld aus.

Und wie der Zufall es wollte, war der zuständige Kreditsachbearbeiter der Bank, bei der Dave seinen Kredit für sein Haus laufen hatte, sehr daran interessiert, aufzusteigen. Da wurde mal ein Aufschub der Ratenzahlung abgelehnt, wenn dafür eine Mitgliedschaft im Golfclub winkte. Also, sie trieben Dave in finanzielle Engpässe, seine Frau wurde von den Nachbarn gemieden, es drohte die Zwangsversteigerung des Hauses. Aber Dave gab nicht nach. Er war bereit, für sein Recht zu kämpfen. Die beihon-Bosse wurden sich ebenfalls darüber klar, dass er nicht aufgeben würde, also brachen sie ihn. Am 14.03.2018 starb Laura, angeblich an einer Überdosis Schlaftabletten. Alle gaben Dave die Schuld: ›Laura würde noch leben, wenn er sich nicht eingemischt hätte.‹

Selbst Lauras Eltern waren infiziert von diesem Geschwätz. Dave wusste, dass die Situation nicht leicht war für seine Frau, er wusste aber auch, dass sie niemals Selbstmord begangen hätte. Und wieder zurück auf Anfang. Er forderte polizeiliche Untersuchungen, wollte eine Obduktion: ›Ach, so ein Pech, versehentlich wurde der Leichnam Ihrer Frau schon im Krematorium verbrannt.‹ Und wieder trafen sich die Freunde von beihon, der Arzt, der den Tod festgestellt hatte, und der Polizeichef. Dieses Mal gab es ein Wellness-Wochenende im teuersten Hotel vor Ort. Nur nebenbei bemerkt, waren das natürlich absetzbare Spesen für beihon.

Und die Belegschaft von beihon sah zu, wie einer von ihnen, einer, der ihnen helfen wollte, vernichtet wurde. Dass die anderen Betriebsratsmitglieder plötzlich mit neuen Autos auf den Firmenparkplatz fuhren, wunderte keinen. Dass die Sekretärin Nachrichten fand, die sich die Geschäftsführer geschickt hatten, wie zum Beispiel: ›Jetzt wird der Falke zur Taube, sein Täubchen ist tot, damit ist der Fall abgeschlossen ...‹, wunderte ebenfalls keinen. Als einen Monat nach Lauras Tod 3000 von ihnen entlassen wurden, da erst fingen sie an, sich zu wundern. Aber da war es sowieso zu spät ... Sie wissen, wie die Geschichte weitergeht.

Bei unseren Untersuchungen haben wir dann festgestellt, dass Laura tatsächlich ermordet wurde. Es gab jede Menge Aufzeichnungen, auch darüber, dass die Entlassungen schon lange geplant waren und dass Dave Lorden der Firma beinahe einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte. Dave Lordens Bruder Joseph war Journalist, und zwar ein richtig guter. Investigativ, das heißt, er hat sauber recherchiert, alle Seiten zu einem Thema befragt und objektive Berichterstattung war für ihn Ehrensache. Joseph ist es in dieser Zeit auch nicht besser gegangen. Die Verleger – man kennt sich halt – haben ihm keine Artikel mehr abgekauft. Ach, und übrigens, von den beihon-Mitarbeitern gab es außer Dave Lorden keinen einzigen, der die Aschentage überlebt hat.«

Nach kurzem Schweigen sagte Sergeant Milton: »Sie haben ihn gut gekannt?«

»Ja – aber wie gut kennt man einen Menschen? Offensichtlich war er der Meinung, mich nicht gut genug zu kennen, denn er hat sich mir nicht anvertraut«, antwortete Anne und verzog dabei enttäuscht die Mundwinkel.

»Aber was hätte er Ihnen anvertrauen sollen?« Sergeant Milton konnte den Gedankengängen Anne Reeves wieder einmal nicht folgen und war deshalb unsicher.

»Was denken Sie, warum er und Joseph ermordet wurden? Und bevor Sie antworten, denken Sie daran, was ich Ihnen über den Charakter der beiden erzählt habe.«

Der Sergeant überlegte kurz und sah Anne dann mit großen Augen an: »Sie meinen, sie haben irgendeine Sache verfolgt oder so? Trotzdem verstehe ich nicht, wieso wir keinen Täter oder ein Aschenhäufchen haben.«

»Sergeant Milton, damit geben Sie doch schon die Antwort. Nehmen wir einmal an, dass Dave oder Joseph wussten oder ahnten, dass es jemandem gelungen ist, die Einäscherung zu umgehen. Dass jemand eine Möglichkeit gefunden hat, das System auszuhebeln. Natürlich wäre dieser jemand daran interessiert, dass das niemand erfährt. Damit hätten wir ein ziemlich gutes Motiv. Und da Dave und sein Bruder Joseph eine sehr enge Bindung hatten, ist auch klar dass sie in so einer Sache zusammenarbeiten würden.

Nachdem wir den Fall beihon abgeschlossen hatten, bot Frank Wall den Lorden-Brüdern an, für die Wache Süd zu arbeiten und die Aschenfälle aufzuklären. Sie lehnten ab. Dave sagte mir damals, dass er mit der Traurigen Zeit abschließen wollte, seine ganze Kraft wollte er in den Aufbau der neuen, besseren Welt stecken.

Zusammen mit seinem Bruder übernahm er den Vorsitz der Schulkommission. Sein Ziel war es, jungen Menschen die richtigen Werte zu vermitteln.«

Anne seufzte und nahm sich noch einen Keks. Mittlerweile waren schon überall Kekskrümel verteilt. Auf ihrem Schreibtisch, dem Fussboden und auf Anne selbst.

»Sergeant, irgendwelche Vorschläge, wie wir weiter vorgehen sollten?«

Sergeant Milton hatte sich die ganze letzte Nacht darüber Gedanken gemacht, deshalb antwortete er prompt: »Ich würde vorschlagen, die Wohnung und die Arbeitsplätze der Opfer zu durchsuchen und sich dann mit dem zuständigen Archivar für Waffen und Ähnliches zu treffen, um mehr über die Munition zu erfahren.«

»Sergeant Milton Eins Plus − setzen!« Anne war beeindruckt. Der Sergeant hatte wirklich mitgedacht und das, obwohl er weder eine Ausbildung zur Aufklärung von Mordfällen genossen hatte, noch ihm die Möglichkeit gegeben worden war, sich unzählige einfältige Krimiserien anzusehen.

Sergeant Milton errötete und war stolz auf sich, obwohl er mit der Eins-Plus-Geschichte nichts anfangen konnte. Aber dazu schwieg er lieber, um den Augenblick nicht zu verderben.

»Brechen wir auf, die Lordens hatten ein Haus Richtung Gebirge. Ich habe schon gestern Abend veranlasst, dass uns heute Morgen zwei Pferde zur Verfügung stehen. Danach reiten wir zu ihren Arbeitsplätzen, die Schulkommission ist nicht weit von dem Haus der Lordens entfernt. Zum Schluss sprechen wir noch mit dem Archivar.«

Anne schnappte sich ihre Jacke und fingerte umständlich an ihren Haaren herum, um ein paar Kekskrümel zu entfernen, als plötzlich die Tür aufging und Frank Wall, der Oberste Sheriff, das Büro betrat. Wie immer trug er seinen langen, feinen, schwarzen Mantel und wirkte wie die Apokalypse persönlich, denn ihm war anzusehen, dass er nicht bester Laune war. Schroff, was eigentlich nicht seine Art war, sagte er Guten Morgen und fragte gleich nach den Ermittlungsfortschritten.

»Mal sehen«, sagte Anne, »wir haben zwei Morde, wir wissen davon seit 24 Stunden, das heißt, der Fall ist gelöst. Der Täter sitzt unten im Kerker. Wir haben alle Beweise eingesammelt, unsere Berichte geschrieben, und jetzt gönnen wir uns eine Heißwachsbehandlung der Bikinzone und danach ein kleines Mittagessen.«

»Chief-Sergeant Reeve, gehen Sie mir heute nicht auf die Nerven!« Als Frank Wall dies sagte, bewegten sich seine Augenbrauen in wildem Staccato hoch und runter.

Sergeant Milton war sich zwar bewusst, dass sich Anne damit eine Unverschämtheit erlaubt hatte, aber um seine Beherrschung war es geschehen. Er drehte Frank Wall den Rücken zu, während er so tat, als würde er auf dem Boden Aktenordner zusammensuchen. Die ganze Zeit schüttelte ihn ein Lachkrampf, den er zu unterdrücken versuchte, und zu allem Überfluss liefen ihm jetzt noch Tränen über das Gesicht und seine Nase fing an zu tropfen.

Frank Wall, immer noch auf Anne Reeve fixiert, fuhr fort: »Rabea will uns sehen, heute um 18.00 Uhr in meinem Büro. Pünktlichkeit wäre erwünscht, Chief-Sergeant.« Damit drehte er sich zackig auf seinem Absatz um, hielt aber nochmals unter der Tür an und wandte sich an Sergeant Milton: »Ach, Sergeant, heute Abend wäre es dann erfreulich, wenn Sie sich mit den anderen Erwachsenen an den Tisch setzen würden.« Dann schloss er die Tür und rauschte davon.