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Die Vorstandssitzung begann kurz nach der normalen Wochentags-Morgenandacht, die an Sonntagen um neun statt wie sonst um sieben Uhr begann. In den wenigen Minuten zwischen dem Schluss der Andacht und dem Beginn der Sitzung standen die Mitglieder plaudernd, scherzend und diskutierend auf dem Korridor herum, dann schlenderten sie nach und nach zum Vorstandszimmer hinüber. An diesem Tag galten alle Gespräche dem Hauptpunkt der Tagesordnung.
«Wenn Bill Safferstein doch nur Aptakers Mietvertrag verlängern würde; dann gäb’s überhaupt kein Problem. Seid ihr euch darüber klar? Ich begreife nicht, warum er es nicht tun will. Aptaker ist ein guter Mieter.» Oscar Levy hatte eine hohe, winselnde Stimme, sodass alles, was er sagte, wie eine Beschwerde klang.
«Woher wissen Sie, dass er es nicht tut? Chet sollte ihn doch darum bitten.»
«Ich weiß es eben», antwortete Levy. «Jedenfalls bin ich ziemlich sicher, nach dem, was Chet neulich abends gesagt hat.»
«Nein, er tut es nicht», sagte Manny Levine entschieden.
Manny zweifelte nie an etwas. «Er wird ihm keinen Mietvertrag geben, weil er sauer auf ihn ist. Ganz einfach.»
«Woher wissen Sie das?»
«Erinnert ihr euch an unsere Mitgliederwerbung damals, vor ein paar Jahren?», sagte Manny. «Also, Billy zog Aptakers Namen. Unter anderem. Also suchte er ihn auf. Und Aptaker wies ihn nicht nur kurzerhand ab, sondern wurde auch noch ausfallend. Ich weiß noch genau, wie wütend Billy auf ihn war.»
«Nein, so einer ist Billy Safferstein nicht», widersprach Marvin Kalbfuss. «Der trägt keinem was nach, vor allem nicht, wenn’s um was Geschäftliches geht. Ich glaube vielmehr, er will den ganzen Block frei machen und einen einzigen Riesenladen einrichten, indem er sämtliche Trennwände einreißt. Das wird bestimmt einer von diesen großen Spirituosenläden, wisst ihr? Wo man den Alkohol nur in geschlossenen Behältern kaufen kann …»
«Woher haben Sie denn das?»
«Na ja», antwortete Kalbfuss, «da stand was in der Zeitung, die Lenox Corporation plane eine Niederlassung an der Nordküste. Wenn Billy den Block als normalen Geschäftsblock behalten wollte, warum will er dann so viel mehr dafür bezahlen, als das Einkommen rechtfertigt? Und dann wäre es für ihn doch nur von Vorteil, wenn er den Drugstore behielte, nicht wahr? Ein Drugstore möbelt den ganzen Block auf. Na schön, vielleicht will er die Miete erhöhen, aber ich glaube kaum, dass Aptaker deswegen Krach schlagen würde. Also muss man annehmen, dass Billy etwas anderes vorhat. Und dabei kann es sich nicht nur um einen anderen Laden handeln, denn dann könnte er einen von den anderen Mietern rauswerfen, die übrigens alle keinen Mietvertrag haben. Und ihr wisst ja, dass da ein Laden leer steht. Also geht es offensichtlich um einen Plan, der mit dem ganzen Block zu tun hat. Stimmt’s? Nun fragt ihr euch …»
«He, seht mal, wer da kommt! Al Becker.»
«Was hat das denn wohl zu bedeuten? Der ist seit Jahren nicht mehr zu den Sitzungen gekommen.»
«Darf ich um Ruhe bitten!» Kaplan schlug mit seinem Hämmerchen auf den Tisch. «Kommt, Leute, gehn wir an die Arbeit. Ruhe bitte!»
Es waren einundzwanzig Mitglieder anwesend, dieselbe Anzahl wie beim letzten Mal, aber es waren nicht dieselben einundzwanzig.
Zunächst einmal war der Rabbi natürlich nicht da. Und außerdem waren zwei von Kaplans engsten Anhängern abwesend. Der eine hatte geschäftlich verreisen müssen, der andere pflegte zu Hause eine starke Erkältung. Seine Frau hatte gedroht, ihn zu verlassen, wenn er den Fuß vor die Tür setzte, ‹nur um zu einer Vorstandssitzung zu gehen›. Der Sekretär hatte von jedem einen Brief, in dem er gegen den Antrag auf Neuabstimmung stimmte. Diese Briefe waren ihm auf Kaplans Anregung hin zugeschickt worden, der diese Vollmachten auch verwenden wollte, wenn es so aussah, als falle die Abstimmung nur knapp aus. Von den dreien, die an der letzten Sitzung nicht teilgenommen hatten, war einer ein normales Mitglied, das Kaplan versprochen hatte, ihn zu unterstützen. Die anderen beiden waren ehemalige Präsidenten: Ben Gorfinkle von vor ein paar Jahren, der gelegentlich zu den Sitzungen kam, und Al Becker, Nachfolger von Jacob Wasserman, dem Gründer der Synagoge, im Amt des Präsidenten, der seit Jahren nicht mehr dabei gewesen war. Chester Kaplan hieß ihn herzlich willkommen, war aber verwirrt über sein Erscheinen – und auch ein kleines bisschen beunruhigt.
Kaplan klopfte kräftig auf den Tisch und verkündete: «Wir werden nun über den Antrag des Rabbi auf Neuabstimmung über den Verkauf des Goralsky-Blocks diskutieren. Mitch?»
Mitch Danziger erhob sich schwerfällig. Er war ein massiger Mann mit einer erstaunlich sanften Stimme. Indem er ihn zuerst aufrief, wollte der Vorsitzende seine Fairness beweisen, denn Mitch gehörte nicht zu seinen aktiven Anhängern. «Ich möchte meine Position klarstellen. Ich bin zwar dafür, dass wir den Block an Safferstein verkaufen. Ich kann mir auch eigentlich nicht vorstellen, warum jemand dagegen sein sollte, denn es ist ein gutes Geschäft. Ich meine, wenn eine Aktie auf sechzig steht und ein Makler kommt an, der mir hundert bietet, würde ich das doch auch akzeptieren, nicht wahr? Aber ich bin weniger überzeugt, dass der Erwerb des Grundstücks in New Hampshire ein gutes Geschäft ist …»
«Haben Sie es gesehen?»
«Nein, aber …»
«Außerdem ist das nicht der Grund für den Antrag des Rabbi, über den wir diskutieren …»
«O doch! Wissen Sie nicht mehr? Der Rabbi sagte …»
«Aber es war, glaube ich, Paul Goodman, der darauf hingewiesen hat, dass …»
«Aber er sagte …»
«Nein, er sagte …»
«Ruhe! Ruhe!» Kaplan hämmerte auf den Tisch. «Hören Sie, hier bekommt jeder Gelegenheit, seine Meinung zu sagen, aber wir wollen uns damit doch an den Vorsitzenden wenden, ja? Also, bevor diese ganze Diskussion außer Rand und Band gerät, möchte ich versuchen, das Thema auf eine knappe Formel zu bringen, damit wir uns alle zum selben Punkt äußern können. Ich nehme an, alle sind mit Mitch einer Meinung, dass der Verkauf des Geschäftsblocks ein gutes Geschäft für die Synagoge ist. Und ich gebe gern zu, dass einige, die dafür stimmten, gar nicht so wild darauf waren, das Grundstück in New Hampshire zu kaufen. Wenn ihr unbedingt wollt, wenn ihr meint, das könnte zu einer Kontroverse führen, bin ich bereit, die beiden Punkte zu trennen, damit wir über jeden Antrag einzeln abstimmen können. Im Augenblick aber interessiert uns weder das eine noch das andere. Es handelt sich hier nicht so sehr um die Frage, ob wir den Goralsky-Block verkaufen sollen, sondern darum, ob wir das Recht dazu haben. Der Rabbi behauptet, das hätten wir nach dem jüdischen Recht nicht, oder wir müssten wenigstens Aptaker seinen Mietvertrag geben, bevor wir den Block verkaufen. Aber ich kann euch definitiv versichern, wenn wir das täten, würde aus dem Verkauf nichts werden. Nun gibt es noch einen anderen Rechtsgrundsatz im jüdischen Recht, den ich vorgebracht habe, nämlich dass dort, wo ein Konflikt zwischen dem jüdischen Recht und dem Landesrecht besteht, das letztere Anwendung zu finden hat. Der Rabbi behauptet, das treffe auf diesen Fall nicht zu. Nun gut, wo stehen wir also? Für mich ist das eine Frage der Prioritäten. Ich neige zu der Auffassung, wenn wir einen anderen Rabbi befragen würden, wäre es möglich, dass der entscheidet, der von mir erwähnte Rechtsgrundsatz sei hier doch anwendbar …»
«Warum fragen wir dann nicht einen anderen Rabbi», fragte Paul Goodman.
«Weil das etwas ganz anderes ist als die Möglichkeit, die unser System vorsieht, nämlich sich an einen höheren Gerichtshof zu wenden. Dabei hebt der Spruch des höheren Gerichtshofs automatisch das Urteil des niederen Gerichtes auf. Bei uns dagegen sind alle Rabbis gleich. Einige haben einen besseren Ruf als andere, ihre Autorität ist darum aber nicht größer. Also könnten wir von einem Rabbi zum anderen laufen, und der erste würde ja sagen, der zweite nein, der dritte wieder ja und so fort. Das kann ewig so weitergehen. Nach meiner Meinung ist es an uns zu entscheiden, ob der Rechtsgrundsatz, den ich angeführt habe, hier überhaupt nicht anwendbar ist, das von dem Rabbi erwähnte Gesetz dagegen bindend, weil dies eine Synagogengemeinde ist. In diesem Fall benachrichtigen wir Safferstein, dass wir unser Versprechen, den Block zu verkaufen, zurückziehen müssen. Natürlich kann er kehrt gegen uns machen und uns wegen Vertragsbruchs verklagen, aber das glaube ich eigentlich nicht. Oder wir können entscheiden, dass der von mir erwähnte Rechtsgrundsatz uns einen Ausweg bietet, obwohl es auf der Kippe steht, und den Antrag auf Neuabstimmung ablehnen. Darüber möchte ich nun gern Ihre Meinung hören. Paul?»
Paul Goodman erhob sich. «Ich möchte zunächst mal sagen, dass unser Präsident es geradezu meisterhaft verstanden hat, alle oberflächlichen Aspekte dieser Situation auszusondern und unsere Aufmerksamkeit auf das Kernproblem zu lenken. Nun gehört es zu den schwierigsten Dingen in der Rechtspraxis, und ich bin sicher, Chet wird mir da beipflichten, einem Klienten zu erklären, dass das Recht nicht schwarz und weiß ist. Der Klient will immer genau wissen, ob etwas legal ist oder nicht, und dann muss man ihm beibringen, dass der eine Präzedenzfall zeigt, dass es legal ist, und der andere, dass es vielleicht doch nicht ganz legal ist, man muss ihm beibringen, dass das Recht letztlich das ist, was Richter und Jury – das sind in diesem Fall wir – als solches bezeichnen. Und diese ihre Entscheidung wird mindestens ebenso wesentlich von der harten Realität der Situation bestimmt wie von allem anderen. Ich möchte darauf hinweisen, und der Rabbi hat es selbst zugegeben, dass der Rechtsgrundsatz, den Chet vorgebracht hat, ursprünglich nur von den Rabbis eingeführt wurde, weil das unter den gegebenen Umständen am praktikabelsten war. O ja, und eines noch: Nach allem, was ich verstanden habe, verlangt dieser din-tojre, von dem der Rabbi sprach, einen Rabbi von ganz oben und zwei Beisitzer. Nun, ich weiß nicht genau, wie das funktioniert, da ich so was nie selbst gesehen habe, aber ich könnte mir vorstellen, dass sie ein Dreiergericht bilden und ihr Urteil nach der Mehrheit fällen. Tja, aber warum brauchen wir drei Richter, wenn es sich um einen eindeutigen Fall handelt?»
Henry Vogel meldete sich zu Wort. «Was mich angeht, ich sehe überhaupt nicht ein, warum wir Aptaker so viel Rücksichtnahme zukommen lassen. Er hat sie gar nicht verdient. Ich kenne ihn zufällig, weil der Supermarkt nebenan zu meinen Kunden gehört. Wenn ich dann in der Gegend bin, um meinen Kunden aufzusuchen, schaue ich schon mal in den Town-Line Drugstore hinein. Also eines Tages gerieten wir ins Gespräch, und ich erzählte ihm, ich bin von der CPA. Ich wollte ihn nicht als Kunden werben, wisst ihr. Ich habe es nur einfach erwähnt, und er antwortet, als hätte ich ihn danach gefragt oder wäre auch nur interessiert gewesen, dass er mit Kavanaugh and Otis arbeitet, die erstens eine christliche Firma sind, und außerdem ist dieser Otis ein hundertfünfzigprozentiger Antisemit. Das ist es, worauf ich hinweisen wollte. Aptaker war einer der ersten Juden in dieser Stadt. Aber ist er Mitglied der Synagoge? Nein. Wir haben ihn bei unseren Mitgliederwerbungen immer wieder angesprochen, und jedes Mal hat er abgewinkt. Als Mitglied des Mitgliederausschusses weiß ich genau, wovon ich rede. Er sagt sich vermutlich, da oben in der Salem Road, wo es fast keine jüdischen Einwohner gibt, wo die Gegend fast hundertprozentig christlich ist, braucht er nicht zu uns zu gehören. Aber ich sage euch noch was. Er hat seinen Sohn nicht mal zur Bar Mizwa geschickt, weder bei uns in der Synagoge noch anderswo. Das weiß ich genau. Wenn er sich also für nichts interessiert, was jüdisch ist, warum sollten wir uns die Mühe machen und ihn in den Genuss eines ausgefallenen jüdischen Gesetzes kommen lassen?»
Murray Isaacs warf die Frage von Marcus Aptakers Gesundheitszustand auf. «Es könnte sein, dass wir schließlich dastehen wie das Kind beim Dreck. Dieser Mann hat gerade einen Herzanfall gehabt. Keine Versicherung würde ihm eine Police geben, und da wollen wir uns auf zehn Jahre an ihn binden? Angenommen, wir geben dem Rabbi nach, verlängern seinen Mietvertrag und stoppen den Verkauf. Und dann, nach ein paar Monaten, stellt er fest, er kann nicht mehr weitermachen, und schließt seinen Laden. Was haben wir dann? Ich sage es euch: einen zweiten leer stehenden Laden.»
Mehrere Hände wurden gehoben, aus Höflichkeit einem ehemaligen Präsidenten gegenüber nickte Kaplan jedoch Ben Gorfinkle zu. «Ich war bei der letzten Sitzung nicht da», sagte Gorfinkle, «aber nach allem, was ich so hörte, habe ich den Eindruck gewonnen, dass der Rabbi sich bei dieser Sache so stark engagiert hat, dass er sie zu einem Test machen will, der entscheiden soll, ob er bleibt oder nicht. In diesem Fall wirft das ein ganz neues Licht auf das Problem. Denn wenn er sich so dafür engagiert, muss es dabei um Dinge gehen, die viel grundlegender sind für das Judentum, als meine Vorredner sich anscheinend klarmachen.»
«Ich glaube, da sind Sie nicht richtig informiert, Ben», sagte der Vorsitzende. «Der Rabbi hat nichts davon gesagt, dass er zurücktreten will, wenn wir gegen eine Neuabstimmung stimmen. Der Grund dafür war vielmehr, dass er nicht mit unseren Klausuren in New Hampshire einverstanden ist. Er fand, die Gottesdienste, die wir dort halten, stünden nicht im Einklang mit dem traditionellen Judaismus, und wenn die Synagoge diesen Weg einschlüge, erklärte er, wolle er nichts damit zu tun haben.»
«Ich möchte etwas sagen», meldete sich Paul Goodman und fuhr fort, ohne auf die Erlaubnis des Vorsitzenden zu warten: «Ich glaube, die Frage, wie der Rabbi darauf reagieren würde, darf keinen Einfluss auf unsere Erwägungen haben. Vor allem nicht auf das gegenwärtige Problem. Es ist an uns zu entscheiden, denn wir sind der gewählte Vorstand der Synagoge. Wenn wir jedes Mal, wenn wir über etwas entscheiden, erst lange überlegen wollten, ob es dem Rabbi gefällt oder nicht, wären wir kein Vorstand mehr, und er wäre der einzige Leiter der Gemeinde. Und wenn es das wäre, was die Gemeinde will, dann hätte sie ihn zum Synagogenmanager gewählt. Ich denke, wir alle wissen genau, was wir wollen, und ich stelle Antrag auf Entscheidung über die anstehende Frage.»
Mehrere Anwesende applaudierten, einige andere klopften zustimmend auf den Tisch. Der Vorsitzende zog es vor, Goodmans Bemerkungen zu überhören, griff aber den Antrag auf. «Paul beantragt Entscheidung über die anstehende Frage …»
«Ja, stimmen wir ab.»
«Ich unterstütze den Antrag.»
«Einen Moment, Herr Vorsitzender.» Das war die laute, harte Stimme von Al Becker. «Ich komme nicht so oft hierher, aber ich möchte jetzt doch ein paar Worte sagen.»
«Selbstverständlich, Mr. Becker.»
Becker erhob sich und stützte seinen schweren Körper auf die beiden auf die Tischplatte gestemmten Fäuste. «Ich bin heute hergekommen, weil Jake Wasserman mich darum bat. Er wäre selbst gekommen, aber er verlässt kaum noch das Haus. Er hörte, dass man den Rabbi gebeten hatte, nicht an dieser Sitzung teilzunehmen, und fand, irgendjemand müsse hier sein, um seine Interessen wahrzunehmen. Nun weiß ich nicht allzu viel über das zur Debatte stehende Thema, aber ich weiß einiges über unseren Rabbi. Während der ersten Zeit nach der Synagogengründung, als Jake Wasserman Präsident war, und dann, als ich Präsident war, und noch Jahre danach, als ich mich aktiv an den Angelegenheiten der Synagoge beteiligte, hat sich der Rabbi niemals in geschäftliche Dinge eingemischt. Er kam zu den Sitzungen, beteiligte sich aber nie an den Diskussionen, es sei denn, das Thema betraf ihn direkt. Hin und wieder jedoch kam eine Angelegenheit zur Sprache, die er tatsächlich für seine Sache hielt, dann sagte er seine Meinung und blieb dabei, egal, was kam. Jake Wasserman sagt, er hat eine Art eingebautes Radar, das ihn warnt, wenn die Gemeinde von unserer Tradition abzuweichen droht, und dass er dann seine Meinung vertritt. Und nach meinen Erfahrungen hat es sich immer herausgestellt, dass er Recht hatte. Nun möchte ich meinen, auch ohne all das Für und Wider dieser Angelegenheit zu kennen, wenn der Rabbi in dieser Hinsicht seine Meinung dargelegt hat, dann nur, weil sein Radar ihm sagt, dass wir abzugleiten drohen. Ich möchte, dass ihr das bedenkt, wenn ihr abstimmt.»
«Vielen Dank, Mr. Becker», sagte Kaplan höflich. «Ich denke, wir können jetzt zur Abstimmung schreiten.»
Der Sekretär räusperte sich, um den Präsidenten auf sich aufmerksam zu machen, dann deutete er mit einer Kopfbewegung auf die Vollmachten, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Kaplan schüttelte unmerklich den Kopf. Er war zuversichtlich. «Wir stimmen ab durch Handaufheben. Alle, die für eine Neuabstimmung sind. Alle, die dagegen sind.» Kaplan strahlte. Die Abstimmung fiel fünfzehn zu fünf gegen eine Neuabstimmung aus.
Später, als sie zu ihren Wagen hinausgingen, fragte ihn Dr. Muntz: «Werden Sie beim Rabbi vorbeifahren und ihm sagen, wie die Abstimmung ausgefallen ist?»
Kaplan machte unvermittelt Halt. «Meinen Sie, dass ich das tun sollte?»
«Wäre es Ihnen lieber, dass er eine völlig verdrehte Version zu hören bekommt, weil seine Frau vielleicht im Supermarkt gehört hat, wie sich zwei andere Frauen darüber unterhielten?»
«Sie haben Recht. Aber das ist keine besonders angenehme Aufgabe. Das wird sehr peinlich für mich werden.»
«Möchten Sie lieber, dass ich es ihm beibringe?»
«Würden Sie das tun? Dann ernenne ich Sie hiermit zu einem Einmannausschuss. Werden Sie jetzt gleich hinfahren?»
«Nein», antwortete Dr. Muntz. «Ich will ihm nicht das Mittagessen verderben. Ich werde ihn heute Nachmittag aufsuchen.»