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Von den kurzen Besuchen bei seinem Vater im Krankenhaus abgesehen, verbrachte Akiva jede freie Minute mit Leah. Er kam nicht nur des Abends nach Ladenschluss, sondern fuhr auch an den Tagen, an denen McLane morgens aufschloss, nach dem Frühstück hinüber, um eine Tasse Kaffee mit ihr zu trinken. Gelegentlich, wenn seine Arbeitszeit im Geschäft es erlaubte, holte er sie ab und fuhr mit ihr zum Lunch in ein koscheres Restaurant in Boston. Nie rief er sie vorher an; immer erschien er unangemeldet. Er setzte voraus, dass sie zu Hause war und ihn gern sehen wollte.
«Warum rufst du nicht vorher an?», beschwerte sie sich. «Wenn ich nun gerade Besuch habe?»
«Wie gestern Vormittag?»
«Du warst gestern hier? Meine Mutter …»
Er grinste. «Natürlich war ich hier. Aber ich hab den Wagen in der Einfahrt gesehen und bin umgekehrt.»
«Aber warum kannst du denn nicht …»
Akiva legte seine Hände auf die ihren. «Macht es dir wirklich etwas aus, Leah? Stört es dich? Für mich ist das nämlich wunderschön. Es verleiht mir das Gefühl, zu Hause zu sein.»
«Hier, meinst du? In diesem Haus?»
«Nein, ich meine, wo du bist. Wo immer du dich gerade aufhältst.»
Rose Aptaker machte sich natürlich ihre Gedanken, doch nach der Szene letztes Mal, als er zu Hause war, hütete sie sich, ihm Fragen zu stellen, die er als Einbruch in seine Privatsphäre auffassen mochte.
Als sie dann sah, dass er am Morgen seine Gebete sprach, fragte sie ihn dann doch. «Gehst du nicht mehr zum minjen in die Synagoge?»
«Ach, weißt du, am Morgen brauche ich doch etwas mehr Schlaf, und abends bin ich fast immer im Laden.» Der wahre Grund war, dass Leahs Vater in der Synagoge sein würde, und es war ihm peinlich, dem Vater zu begegnen, während er mit seiner Tochter intim war.
Akiva sprach mit Leah nie über die Zukunft, über seine Pläne und ihren Platz darin. Nach der ersten Woche sagte er jedoch mit entwaffnender Beiläufigkeit: «Ich habe meiner Mutter von uns erzählt.»
«Ach! Und was hat sie gesagt?»
«Sie wollte wissen, ob du ein nettes Mädchen seist, das, was sie als nettes Mädchen bezeichnet.»
«Und was hast du geantwortet?»
Er grinste. «Ich habe gesagt, du wärst eine Schlampe, die ihre Krallen in mich geschlagen hat, du wolltest mich unbedingt heiraten, und ich sähe keinen Ausweg.»
«Hmm. Hast du ihr auch von Jackie erzählt?»
«Hab ich. Und sie war natürlich beglückt über diesen Beweis deiner Fruchtbarkeit …»
«Nein, im Ernst!», bat sie ihn.
Akiva wurde sofort ernst. «Nun gut, also im Ernst. Meine Mutter hat nicht gerade Zustände gekriegt, vermutlich, weil sie im Augenblick so viel Sorgen um Vater hat, aber sie war … äh …»
«Empört? Enttäuscht?»
«Das und noch mehr», antwortete Akiva.
«Wegen Jackie?»
«Nun, deine Scheidung war auch nicht gerade ein Grund zum Jubeln für sie. Das musst du verstehen, Leah, sie …»
«Oh, ich verstehe!», sagte sie bitter. «Meine Mutter hätte im umgekehrten Fall genauso reagiert.»
«Sie wird schon zur Besinnung kommen», erklärte Akiva philosophisch.
«Wirklich?»
«Natürlich wird sie. Sie muss einfach.»
«Vielleicht hättest du lieber noch warten sollen», meinte Leah. «Es ist erst so kurze Zeit her.»
«Man wartet, bis man sicher ist. Ich bin sicher. Du nicht?»
«Doch, aber … Wirst du es deinem Vater sagen?», fragte sie ihn.
«Das wird vermutlich Mutter tun.» Er lächelte matt. «Sie war auf dem Weg zum Krankenhaus, als ich die Bombe platzen ließ. Vielleicht nimmt der Alte es gnädiger auf.»