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Das Telefon läutete; Rabbi Small nahm den Hörer ab. «David? Hier ist Mort Brooks. Können Sie mich zur Synagoge mitnehmen? Mein Wagen hat einen Platten.»

«Ja gut, aber lassen Sie mich nicht warten.»

«Ich werde draußen sein, wenn Sie kommen.»

Tatsächlich stand der Direktor der jüdischen Schule bereits am Bordstein, als der Rabbi seinen Wagen mit quietschenden Bremsen zum Halten brachte. «Wann werden Sie endlich diesen Schrotthaufen verkaufen?», erkundigte sich Brooks verächtlich, als er auf dem Beifahrersitz Platz nahm.

Der Rabbi warf einen kurzen Blick auf das Cabrio in der Einfahrt und erwiderte ein wenig bissig: «Ich nehme Sie mit, nicht Sie mich.»

«Einen Platten kann jeder mal haben.» Brooks hatte ausgestellte Hosen und ein Hahnentritt-Sportjackett an. Er trug den Hemdkragen geöffnet und ein seidenes, seitlich geknotetes Halstuch dazu.

«Wollen Sie zu einer Gartenparty?», fragte der Rabbi säuerlich.

«Allerdings. Nach der Sonntagsschule. Das heißt zu einer Grillparty.» Er verrenkte sich auf seinem Sitz, um sich im Rückspiegel zu betrachten, und warf seinem Spiegelbild ein zufriedenes Lächeln zu. «Der Sonntag ist für mich ein Ruhetag, und ich ziehe mich gern entsprechend an.»

«Nicht der Samstag?»

«Der Samstag auch. Bei den heutigen Nervenanspannungen und dem Stress braucht man zwei Ruhetage pro Woche.»

«Welchem Stress sind Sie denn unterworfen?», fragte der Rabbi.

«Machen Sie Witze? Bei einer ganzen Schule voll verwöhnter Blagen mit ihren fürsorglichen Eltern?» Er schüttelte sich. «Wenn ich abends nach Hause komme, bin ich ein absolutes Wrack. Caroline drängt mich ständig, ich soll endlich aufhören.»

«Und zum Theater zurückkehren?»

«Genau», antwortete Brooks. «Aber Sie wissen ja, wie es am Broadway heute aussieht. Frauen denken so unpraktisch.» Er drehte sich um und sah den Rabbi an. «Aber sie sind nicht die einzigen, David. Wie ich gerüchteweise hörte, wollen Sie bei der Vorstandssitzung Einspruch gegen die Abstimmung letzte Woche über den Verkauf des Goralsky-Blocks erheben. Das ist unpraktisch gedacht, ganz und gar unpraktisch.»

«Diese Gerüchteküche, aus der Sie schöpfen …»

«Wollen Sie sagen, dass das nicht stimmt?»

«O doch, es stimmt», erwiderte der Rabbi. «Ich möchte bloß wissen, wie diese Gerüchteküche arbeitet.»

Brooks lächelte. «Sie haben es Kaplan gesagt, und der hat es einigen Vorstandsmitgliedern gesagt, unter anderem meinem Nachbarn Cy Feinstone. Es war ein einstimmiger Beschluss. Wieso glauben Sie, daran noch etwas ändern zu können?»

«Ja, er war einstimmig», entgegnete der Rabbi. «Aber nur, weil Kaplan ihn durchgepeitscht hat. Das bedeutet nicht, dass es keine Opposition gab. Ich weiß, wie so was gemacht wird. Es wird abgestimmt, und dann sagt einer: ‹Kommt, wir machen den Beschluss einstimmig.› Also stimmen sie nochmal ab, und dann ist er tatsächlich einstimmig.»

«Machen Sie sich nichts vor, David. Cy stimmt normalerweise nicht mit Kaplan, aber diesmal hat er dafür gestimmt. Und warum? Weil es ganz natürlich ist. Was will die Synagoge mit einem Häuserblock? Das gibt nur Scherereien. Und dann kommt jemand und bietet einen hervorragenden Preis. Da ist es doch nur natürlich, dass sie den akzeptieren.»

«Aber sie haben auch für den Kauf des Grundstücks in New Hampshire gestimmt», wandte der Rabbi ein.

«Warum auch nicht? Was sollen sie denn mit dem vielen Geld anfangen? Die Gehälter erhöhen? Die Abgaben senken? Die Hypothek ist abbezahlt. Die Gebäude sind in gutem Zustand. Einige Synagogen richten, wie ich gehört habe, Reservefonds ein, auf die sie in Notfällen zurückgreifen, aber die Leute sind der Ansicht, dass das nur einer Aufforderung an den Rabbi, den Kantor und die Lehrer der Schule gleichkommt, höhere Gehälter zu verlangen. Außerdem hat Kaplan äußerst clever die beiden Anträge zu einem Paket verschnürt. Das hätten Sie nur mit einem sehr großen politischen Einfluss stoppen können. Und den Beschluss aufzuheben wird Ihnen noch schwerer fallen.»

«Ach, ich weiß nicht.»

«Seien Sie realistisch, David! Wen haben Sie schon auf Ihrer Seite? Im Vorstand keinen, bis auf zwei ehemalige Präsidenten, die fast an keiner Sitzung mehr teilnehmen.»

«Nun, im Vorstand vielleicht nicht, aber in der Gemeinde …»

Brooks schüttelte den Kopf. «Die meisten kennen Sie ja nicht mal», sagte er mitleidig.

«Jetzt hören Sie aber auf!»

«Nein, wirklich, David! Gewiss, sie wissen, wer Sie sind, aber damit hat sich’s auch schon. Die sehen Sie nur an den hohen Feiertagen, das sind nur ein paar Tage im Jahr. Na schön, diejenigen, die regelmäßig die Freitagabendgottesdienste besuchen, werden Sie kennen, aber mehr als fünfundsiebzig, höchstens hundert werden Sie nie zusammenkriegen. Außerdem müssen Sie berücksichtigen, dass Sie kennen nicht gleichbedeutend ist mit Sie mögen. Im günstigsten Fall steht es in dieser Hinsicht fünfzig-fünfzig, denn Sie machen’s den Leuten nicht leicht, Sie zu mögen, David. Wissen Sie, wer Ihr bester Bundesgenosse ist? Die Trägheit. Das ist Ihr Trumpf im Ärmel. Einen Rabbi abservieren bedeutet Ärger, heißt, dass man aktiv handeln muss. Und die Menschen sind nun mal geistig und gefühlsmäßig träge. Sie werden Sie nicht abservieren, aber das heißt nicht, dass sie Sie bei einer Auseinandersetzung mit dem Vorstand unterstützen werden. Und vergessen Sie bitte nicht, dass es in diesem Jahr noch schlechter steht als sonst.»

«Warum steht es in diesem Jahr schlechter, Morton?»

«Weil Sie in den anderen Jahren auf das orthodoxe Element zählen konnten, aber das sind Kaplan und seine Gruppe, und die sind in diesem Jahr Ihre Gegner.»

Der Rabbi lächelte. «Was raten Sie mir also?»

«Stellen Sie sich nicht gegen sie, David. Lassen Sie’s gut sein. Die haben Sie geschlagen, nehmen Sie die Niederlage wie ein guter Sportsmann.»

«Warum sind Sie so besorgt, Morton? Inwiefern sind Sie davon betroffen?»

Brooks starrte ihn verwundert an. «Ich bin Ihr Freund.»

«Ach so.»

«Außerdem haben wir uns im Laufe der Jahre aneinander gewöhnt. Wer weiß, wie ein anderer Rabbi wäre.»