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Wäre Dr. Cohen nicht so sicher gewesen, dass Lanigan sein Freund war und ihm helfen wollte, er hätte nicht gewusst, was er davon halten sollte, dass ihm der Polizeichef abgeraten hatte, Aptaker wegen des Irrtums beim Anfertigen des Rezepts zur Rede zu stellen.

«Lassen Sie mich die Sache erst überprüfen, Doktor», hatte Lanigan gesagt.

«Aber das verstehe ich nicht. Was gibt’s da zu überprüfen?»

«Nun, es wurde ein Fehler gemacht. Daran besteht keinerlei Zweifel. Das könnte aus reiner Nachlässigkeit geschehen sein, aber es könnte auch etwas anderes sein …»

«Zum Beispiel?»

«Ich weiß es nicht. Das will ich ja gerade herausfinden.»

«Weshalb kann ich nicht einfach hingehen und es selbst herausfinden?», erkundigte sich Dr. Cohen.

«Nun, in gewissem Sinn ist die Polizei an diesem Fall auch beteiligt, weil wir die Pillen offiziell in Verwahrung haben. Ja, wir haben sie sogar abgeliefert. Ich bin zum Beispiel gar nicht sicher, ob ich sie Ihnen hätte zeigen dürfen. Ich meine, wenn wir an dem Fall beteiligt sind, dann steht das auch in der offiziellen Akte. Falls Kestler Klage wegen falscher Behandlung erhebt, könnte ein geschickter Anwalt etwa daraus konstruieren, dass Sie mein Arzt sind und ich Ihnen ohne Wissen und in Abwesenheit der anderen Partei und ihres Anwalts Beweisstücke gezeigt habe. Er könnte zum Beispiel durchblicken lassen, wir wären Komplizen beim Austausch der Pillen gewesen. Glauben Sie mir, ich habe schon eine Menge Fälle gehabt, die an so einer Kleinigkeit gescheitert sind. Nein, ich möchte erst einige Erkundigungen einziehen.»

«Wie lange würden Sie dazu brauchen?», fragte Dan.

«Ach, ich weiß nicht … Ein bis zwei Tage», antwortete der Chief.

«Nun, ein paar Tage könnte ich schon warten, aber ich möchte nicht, dass es sich länger hinzieht. Das könnte meiner Praxis schaden.»

«Ich verstehe. Ich werde sofort anfangen.»

Cohens erster Impuls beim Entdecken der Wahrheit war es gewesen, Dr. Muntz und seine anderen Kollegen anzurufen und ihnen alles zu erzählen. Nach einigem Nachdenken jedoch entschied er sich zunächst dagegen. Denn erstens nahm er ihnen die Art und Weise übel, wie sie auf die Nachricht von seinen Schwierigkeiten reagiert hatten, und zweitens wollte er sie nicht wissen lassen, dass er selbst an der Richtigkeit seiner Behandlung gezweifelt hatte. Gewiss, er wollte es ihnen sagen, aber ganz beiläufig, wenn die Angelegenheit bei einer normalen Unterhaltung zufällig zur Sprache kam.

Inzwischen war es jedoch Dienstagnachmittag, und noch immer hatte sich keine Gelegenheit ergeben. Er mochte es sich einbilden, aber er glaubte eine gewisse kühle Haltung seiner Kollegen ihm gegenüber zu entdecken. Gestern waren sie ohne ihn zum Lunch gegangen. Er war zwar noch mit einem Patienten beschäftigt gewesen, aber einer der Kollegen hätte ihn doch schnell anrufen und ihn fragen können, ob sie auf ihn warten sollten.

Und dann hatte er den ganzen Nachmittag das Gefühl gehabt, dass sie ihn mieden. Sicher, sie steckten alle bis über die Ohren in Arbeit, aber es gab doch immer zwischen dem einen Patienten und dem nächsten ein paar Minuten, in denen sie selbst an den hektischsten Tagen schnell zum Kollegen ins Sprechzimmer hinübergingen, um dort eine Zigarette zu rauchen und sich ein bisschen zu entspannen. Kein einziges Mal während des ganzen Nachmittags hatte ihm einer der anderen Ärzte auch nur von weitem zugewinkt. Dan hatte erwartet, dass Al Muntz sich bei ihm wenigstens nach der Klausur erkundigen würde. Schließlich hatte er auf dessen Drängen erst daran teilgenommen. Dann hätte er Gelegenheit gehabt, dem anderen von seinen Erlebnissen während des Wochenendes zu berichten, um anschließend auf die Unterredung in Chief Lanigans Büro überzuleiten. Aber Muntz erwähnte die Klausur mit keinem Wort.

Am Dienstag hatten Kantrovitz und Muntz Sprechstunde im Krankenhaus, waren aber gewöhnlich vor dem Mittagessen wieder in der Praxis. Heute jedoch war zu dem Zeitpunkt, da Cohen bereit war, zum Lunch zu gehen, keiner von beiden zurückgekommen. Und als er zu DiFrancesca hineinschaute, erhielt er zur Antwort: «Gehen Sie nur schon los, Dan. Meine Frau holt mich heute ab. Wir wollen uns einen neuen Teppich aussuchen.»

War das alles nur Zufall? War er überempfindlich, vielleicht sogar ein wenig paranoid? Er rief Lanigan an in der Hoffnung, von ihm etwas Neues zu hören. Aber Lanigan war nicht in seinem Büro.

«Würden Sie ihn bitten, mich anzurufen, wenn er kommt?»

«Sicher.»

Den ganzen Nachmittag wartete er auf den Anruf. Als er bei Praxisschluss immer noch nichts gehört hatte, beschloss er, auf eigene Faust etwas zu unternehmen. Es konnte doch bestimmt nicht schaden, wenn er zu Marcus Aptaker ging, sich einfach nur mit ihm unterhielt. Kestlers Rezept würde er nicht erwähnen. Er würde nur ein … ein paar Zigarren kaufen. Sie würden sich unterhalten über … nun, über alles Mögliche, wie sie es gewöhnlich taten, wenn er in den Laden kam und Aptaker Zeit hatte. Falls Aptaker dann auf Kestler zu sprechen kam …