Kapitel 24

»Und wie war das mit Jade Flower?«, fragte Amelia am nächsten Tag. Everett fuhr die Umzugskartons aus Hadleys Apartment, und Amelia und ich folgten ihm in ihrem Auto. Quinn war schon weg gewesen, als ich morgens aufstand. In einem kleinen Brief hatte er mir geschrieben, dass er mich anrufen würde, sobald er einen Ersatz für Jake Purifoy gefunden und seinen nächsten Job in Huntsville, Alabama, erledigt hatte - einen Himmelfahrtsritus, wie er schrieb, auch wenn ich keine Ahnung hatte, was ich mir darunter vorstellen sollte. Er hatte die Zeilen mit einer sehr privaten Bemerkung über das limonengrüne Kleid beendet, die ich hier lieber nicht wiedergeben möchte.

Amelia hatte ihre Reisetasche gepackt, während ich mich anzog, und Everett hatte zwei stämmige Männer angewiesen, die Umzugskartons einzuladen, die ich mit nach Bon Temps nehmen wollte. Wenn er wieder nach New Orleans zurückkam, würde er die Möbel, die ich nicht haben wollte, zur Wohlfahrt bringen. Ich hatte sie ihm angeboten, doch er hatte die falschen Antiquitäten nur angesehen und höflich geantwortet, sie seien nicht sein Stil. Dann hatte ich meine eigenen Sachen in Amelias Kofferraum geworfen, und wir waren losgefahren. Der Kater Bob saß auf dem Rücksitz, in einem geräumigen Käfig, der mit Handtüchern ausgelegt und mit Futter und Wasser ausgestattet war. Bobs Katzenklo stand im Fußraum.

»Meine Mentorin hat herausgefunden, was ich getan habe«, sagte Amelia düster. »Sie ist sehr, sehr verärgert.«

Das wunderte mich nicht, aber es schien mir zu unhöflich, das auszusprechen, zumal Amelia mir so geholfen hatte.

»Na ja, er verpasst jetzt sein normales Leben«, bemerkte ich so zurückhaltend wie möglich.

»Ja, stimmt schon. Aber er macht doch auch eine verdammt spannende Erfahrung«, wandte Amelia ein, entschlossen, die Dinge positiv zu sehen. »Ich werde es wiedergutmachen. Irgendwie.«

Ich war mir nicht sicher, dass man so etwas einfach »wiedergutmachen« konnte. »Du kannst ihm bestimmt bald wieder zu seiner normalen Gestalt verhelfen«, sagte ich und versuchte, zuversichtlich zu klingen. »In Shreveport gibt es ein paar richtig nette Hexen, die dir vielleicht helfen können.« Jedenfalls wenn Amelia ihre Abneigung gegen Wiccas ablegen würde.

»Das wäre prima«, erwiderte Amelia und sah etwas fröhlicher aus. »Aber jetzt erzähl erst mal, was gestern Abend eigentlich passiert ist. Und ich will jedes Detail wissen.«

Wahrscheinlich machten in der Gemeinde der Supranaturalen sowieso schon Gerüchte die Runde, da konnte ich Amelia auch gleich die ganze Geschichte erzählen. Und so tat ich es.

»Woher wusste Cataliades denn nun, dass Jade Flower Gladiola getötet hat?«, fragte Amelia.

»Na ja, ich hab's ihm gesagt«, erwiderte ich ziemlich leise.

»Und woher hast du es gewusst?«

»Da die Pelts mein Haus nicht überwachen ließen, musste Peter Threadgill den Mörder geschickt haben, damit ich Cataliades' Brief verspätet erhalte. Threadgill wusste die ganze Zeit, dass die Königin Hadley das Armband gegeben hatte. Vielleicht hatte er sogar Spione unter den Leuten der Königin, oder einer ihrer Anhänger, Wybert etwa, hat sich verplaudert. Es war sicher nicht schwierig, die beiden jungen Dämoninnen zu überwachen, die die Königin als Kuriere benutzte. Und als Gladiola mir den Brief brachte, folgte Jade Flower ihr und tötete sie. Die Verletzung war ziemlich ungewöhnlich, und nachdem ich Jade Flowers Schwert gesehen und beobachtet hatte, mit welch wahnwitziger Geschwindigkeit sie es ziehen konnte, hielt ich es für sehr gut möglich, dass sie die Mörderin war. Außerdem hatte die Königin mir mal erzählt, dass in New Orleans jeder annimmt, sie sei in der Stadt, solange Andre zu sehen ist... und das musste doch auch andersherum gelten, nicht wahr? Solange der König in New Orleans zu sehen ist, nimmt jeder an, dass sich auch Jade Flower in der Stadt aufhält. Aber sie schlich in den Wäldern um mein Haus herum.« Ich schauderte bei der Erinnerung an jenen Abend. »Sicher war ich mir allerdings erst, nachdem ich jede Menge Tankstellen angerufen und mit einem Typen gesprochen hatte, der sich eindeutig an Jade Flower erinnerte.«

»Und warum hat Hadley das Armband gestohlen?«

»Aus Eifersucht vermutlich, und sie wollte der Königin wohl einen Streich spielen. Ich glaube nicht, dass Hadley zu Anfang wirklich die Folgen ihrer Tat überblickt hat, und als sie sie erkannte, war es zu spät. Da hatte der König bereits Pläne. Jade Flower hat Hadley bestimmt eine Weile überwacht und die Gelegenheit ergriffen, Jake Purifoy umzubringen. Wahrscheinlich hatten sie gehofft, dieser Mord würde Hadley angelastet. Und alles, was Hadley belastete, hätte die Königin belastet. Sie konnten ja nicht ahnen, dass sie ihn herüberholen würde.«

»Was wird denn jetzt aus Jake?« Amelia wirkte besorgt. »Ich mochte ihn gern. Er war ein netter Kerl.«

»Vielleicht ist er das ja noch immer. Jetzt ist er eben ein netter Vampirkerl.«

»Ich bin nicht sicher, dass es so etwas gibt«, sagte sie leise.

»An manchen Tagen bin ich da auch nicht sicher.« Eine Weile fuhren wir schweigend dahin.

»Ach, erzähl doch mal von Bon Temps«, meinte Amelia schließlich, um das Gespräch wieder aufzunehmen.

Und so sprach ich über die Stadt, in der ich lebte, die Bar, in der ich arbeitete, und die Junggesellinnenparty, auf die ich eingeladen war, und über die bevorstehenden Hochzeiten.

»Klingt richtig gut«, sagte Amelia. »Hey, ich weiß, dass ich mich mehr oder weniger selbst eingeladen habe. Du hast doch hoffentlich nichts dagegen - ich meine, ganz ehrlich?«

»Nein«, erwiderte ich so unverzüglich, dass ich selbst staunte. »Nein, ich freue mich, wenn ich mal Gesellschaft habe ... eine Zeit lang«, fügte ich vorsichtig hinzu. »Was machst du eigentlich mit deinem Haus in New Orleans, während du weg bist?«

»Everett sagt, er würde gern im oberen Apartment wohnen. Mit seiner Mutter wird es wohl immer schwieriger. Da er bei Cataliades einen ziemlich guten Job hat, kann er es sich leisten. Er gießt meine Pflanzen und kümmert sich um alles, bis ich wieder da bin. Und er kann mir ja auch immer Mails schreiben.« Amelia hatte ihr Notebook mitgenommen. Es würde also zum ersten Mal ein Computer im Hause Stackhouse Einzug halten. Eine kurze Pause trat ein, und dann sagte sie mit einem Zögern in der Stimme: »Wie geht es dir denn jetzt? Ich meine, wegen deines Ex und all dem?«

Ich dachte nach. »Ich habe ein großes Loch im Herzen. Aber es wird wieder zuwachsen.«

»Ich will ja nicht wie so ein Psychoheini klingen, aber pass auf, dass unter der Narbe der Schmerz nicht weiterfrisst, okay?«

»Ein guter Rat«, erwiderte ich. »Ich werde darauf achten.«

Ich war nur ein paar Tage lang weg gewesen, aber es waren ereignisreiche Tage gewesen. Während wir uns Bon Temps näherten, fragte ich mich, ob Tanya es wohl geschafft hatte, mit Sam auszugehen, und ob ich Sam von Tanyas Rolle als Spionin erzählen sollte. Eric würde sich meinetwegen keine Gedanken mehr zu machen brauchen, denn unser großes Geheimnis war keines mehr, und er hatte keinen Zugriff mehr auf mich. Ob die Pelts ihr Versprechen wohl halten würden? Bill würde vielleicht auf eine lange Reise gehen, und vielleicht würde ihm unterwegs irgendwo ein Pfahl in die Brust getrieben.

Von Jason hatte ich während meines Aufenthalts in New Orleans gar nichts gehört. Ob er noch immer plante zu heiraten? Hoffentlich hatte sich Crystal wieder erholt. Ich fragte mich nur, wie sie Dr. Ludwig bezahlt haben mochten, über die Krankenversicherung? Und die Doppelhochzeit im Hause Bellefleur würde sicher ein interessantes Event werden, sogar wenn ich auf der Feier arbeiten musste.

Ich holte tief Luft. Mein Leben war gar nicht so schlecht, sagte ich mir selbst, und langsam begann ich zu glauben, dass das wirklich stimmte. Ich hatte einen neuen Freund - na ja, vielleicht; ich hatte eine neue Freundin - auf jeden Fall; und es gab Ereignisse, auf die ich mich freuen konnte. Das war doch alles in allem ziemlich gut, und dafür sollte ich dankbar sein.

Was war also schon dabei, wenn ich verpflichtet war, im Gefolge der Königin an einer Vampirkonferenz teilzunehmen? Wir würden in einem eleganten Hotel wohnen, uns schick anziehen und eine Menge langweilige Besprechungen erleben, wenn das, was ich über Konferenzen gehört hatte, stimmte.

Meine Güte, das konnte ja wohl nicht so schlimm sein, oder?

Besser gar nicht erst darüber nachdenken.