Kapitel 17

Die Königin besaß einen ganzen Häuserblock in der Innenstadt von New Orleans, vielleicht drei Blocks vom French Quarter entfernt. Das allein schon machte deutlich, über welch horrende Summen sie verfügen musste. Wir aßen früh zu Abend - erst beim Essen merkte ich, wie hungrig ich war -, und dann setzte Claudine mich etwa zwei Blocks von der Residenz der Königin entfernt ab, weil dort der Verkehr groß und das Gedränge der Touristen dicht war. Auch wenn nicht allgemein bekannt war, dass Sophie-Anne Leclerq eine Königin war, wussten die Leute doch, dass sie eine sehr wohlhabende Vampirin sein musste, da sie eine Vielzahl Immobilien besaß und dem Gemeinwesen viel Geld spendete. Außerdem hatte sie eine bunt gemischte Truppe Bodyguards, denen eine Spezialerlaubnis erteilt worden war, innerhalb der Stadtgrenzen Waffen zu tragen. Die Residenz, in der die Königin nicht nur wohnte, sondern die auch ihre Geschäftsräume beherbergte, stand auf der Liste der touristischen Sehenswürdigkeiten und wurde vor allem bei Nacht häufig besichtigt.

Tagsüber herrschte in den Straßen rund um den Gebäudekomplex dichter Autoverkehr, doch nachts standen sie nur Fußgängern offen. Busse parkten einen Block entfernt, und die in den Reiseführern beschriebenen Besichtigungstouren durch New Orleans führten die auswärtigen Besucher auch an diesem Häuserblock vorbei. Kaum ein Tourist ließ aus, was in allen Reiseführern als »Vampir-Residenz« angepriesen wurde.

Sicherheit war daher ein wichtiges Thema. Dieser Block war ein natürliches Angriffsziel für Bombenanschläge der Bruderschaft der Sonne. In anderen Städten waren bereits einige Geschäftshäuser von Vampiren angegriffen worden, und die Königin hatte nicht vor, ihr Leben-nach-dem-Tod auf diese Weise zu verlieren.

Die Sicherheitsleute waren auf ihren Posten, und sie sahen höllisch furchterregend aus. Die Königin hatte ihre eigenen SEK-Teams. Obwohl Vampire an sich ja schon eine tödliche Gefahr bedeuteten, war die Königin der Ansicht, dass Menschen besonders aufmerksam auf wiedererkennbare Gestalten reagierten. Und so waren ihre Sicherheitsleute nicht nur schwer bewaffnet, sondern trugen alle die gleichen schwarzen schusssicheren Westen über den gleichen schwarzen Uniformen. Der reinste Killer-Schick.

Auf all das hatte Claudine mich beim Abendessen vorbereitet, und als ich aus ihrem Auto stieg, fühlte ich mich umfassend informiert. Ich fühlte mich allerdings auch, als würde ich zur Gartenparty der Königin von England gehen, so prächtig ausstaffiert, wie ich war. Wenigstens musste ich keinen Hut tragen. Doch mit den hochhackigen braunen Sandalen über den unebenen Gehweg zu stöckeln, war ein riskantes Unterfangen.

»Und hier sehen Sie die Residenz der berühmtesten Vampirin von New Orleans, Sophie-Anne Leclerq«, sagte ein Führer zu einer Touristengruppe. Er war malerisch in eine Art Kolonialanzug gekleidet: Dreispitz, Kniehosen, Strümpfe, Schnallenschuhe. Du meine Güte. Als ich kurz stehen blieb, um zuzuhören, musterte er mich von oben bis unten, registrierte mein Outfit und schien plötzlich interessiert.

»Wenn Sie bei Sophie-Anne Leclerq vorsprechen wollen, können Sie dies nicht in Alltagskleidung tun«, erzählte er der Gruppe und zeigte auf mich. »Diese junge Lady trägt die angemessene Kleidung für ein Interview mit einem Vampir ... mit der wichtigsten Vampirin Amerikas.« Er lächelte die Touristen an in der Hoffnung, dass sie seine Anspielung verstanden hatten.

Es gab noch fünfzig andere genauso wichtige Vampire. Doch das wusste die Öffentlichkeit nicht, denn sie führten nicht ein so öffentliches und schillerndes Leben wie Sophie-Anne Leclerq.

Die Residenz der Vampirkönigin umgab nicht so sehr eine Aura exotischer Schaurigkeit, sondern eher eine Disneyland-Atmosphäre dank all der fliegenden Souvenirhändler, kostümierten Touristenführer und neugierigen Schaulustigen. Sogar einen Fotografen gab es. Als ich mich dem ersten Ring der Sicherheitsleute näherte, sprang mir ein Mann vor die Füße und machte eine Aufnahme von mir. Ich erstarrte in dem grellen Blitzlicht und sah ihm hinterher - oder jedenfalls in die Richtung, wo ich ihn vermutete, da ich einen Moment lang nichts erkennen konnte. Als meine Augen sich wieder erholt hatten, sah ich einen kleinen schlampigen Mann mit großer Kamera und entschlossener Miene. Er eilte sofort davon, wohl zu seinem üblichen Standort, der Straßenecke gegenüber. Er forderte mich nicht auf, das Foto zu kaufen. Er gab gar keine Erklärung ab.

Ich hatte ein ziemlich ungutes Gefühl bei diesem Vorfall. Und als ich einen der Sicherheitsvampire darauf ansprach, bestätigte sich mein Misstrauen.

»Der ist ein Spion der Bruderschaft der Sonne«, sagte der Vampir, nickte in Richtung des kleinen Mannes und suchte meinen Namen auf der Checkliste seines Klemmbretts. Der Vampir selbst war ein kräftiger Mann mit brauner Haut und sichelförmig gebogener Nase. Er war im Nahen Osten geboren worden, irgendwann vor langer Zeit. Auf dem Namensschild an seinem Helm stand Rasul.

»Es ist uns verboten, ihn zu töten«, sagte Rasul, als würde er mir einen etwas peinlichen Volksbrauch erklären. Er lächelte mich an, was aber irgendwie beunruhigend wirkte.

Der schwarze Helm reichte ihm tief über die Stirn, und der Kinnriemen war so breit, dass ich nur einen Ausschnitt seines Gesichts zu sehen bekam. Und dieser Ausschnitt bestand vor allem aus scharfen weißen Zähnen. »Die Bruderschaft fotografiert jeden, der hier ein und aus geht. Und wir können nichts dagegen tun. Wir wollen uns ja das Wohlwollen der Menschen erhalten.«

Rasul ging ganz selbstverständlich davon aus, dass ich eine Verbündete der Vampire war, da mein Name auf der Besucherliste stand, und behandelte mich mit einer Ungezwungenheit, die ich sehr angenehm fand. »Es wäre schön, wenn diese Kamera irgendwie kaputtgehen würde«, schlug ich vor. »Die Bruderschaft ist bereits hinter mir her.« Auch wenn ich leichte Gewissensbisse hatte, weil ich einem anderen Menschen einen Vampir auf den Hals hetzte, war mir mein eigenes Leben doch lieb genug, um es retten zu wollen.

Seine Augen glühten, als wir unter einer Straßenlaterne entlanggingen. Das Licht fing sich in seinen Pupillen, die einen Augenblick lang rot aufleuchteten wie manchmal bei Menschen, wenn der Fotograf ein Blitzlicht benutzt hat.

»Komischerweise gehen seine Kameras öfter mal kaputt«, sagte Rasul. »Zwei waren so zertrümmert, dass sie nicht mal mehr zu reparieren waren. Wieso sollte nicht auch diese runterfallen? Ich garantiere für nichts, aber wir werden unser Bestes tun, schöne Lady.«

»Vielen Dank«, sagte ich. »Ich weiß Ihre Mühe sehr zu schätzen. Nach dem Besuch bei der Königin rede ich mal mit einer Hexe darüber, die kann Ihnen möglicherweise bei dem Problem helfen. Vielleicht bringt sie es fertig, dass die Fotos dieses Sonnenbruders alle überbelichtet sind oder so was. Sie sollten mal mit ihr telefonieren.«

»Hervorragende Idee. Das hier ist Melanie«, sagte er, als wir den Haupteingang erreichten. »Ich gebe Sie in ihre Obhut und gehe wieder auf meinen Posten. Und vergessen Sie nicht, mir nachher Namen und Adresse der Hexe zu geben.«

»Wird gemacht«, erwiderte ich.

»Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie ganz bezaubernd wie eine Elfe riechen?«, setzte Rasul noch hinzu.

»Oh, ich war in Begleitung einer Elfe, meines Schutzengels«, erklärte ich. »Sie ist mit mir einkaufen gefahren.«

»Und das Ergebnis ist wirklich wundervoll«, sagte er galant.

»Sie schmeicheln mir.« Ich konnte nicht anders, ich musste sein Lächeln erwidern. Mein Ego hatte am Abend zuvor einen Schlag in die Magengrube hinnehmen müssen (aber daran dachte ich schon gar nicht mehr), und ein bisschen Bewunderung wie die des Wachmanns war genau das, was ich brauchte - auch wenn sie eigentlich von Claudines Geruch ausgelöst worden war.

Melanie war eine zarte Frau, selbst in der martialischen Uniform. »Hmm, Sie riechen wirklich wie eine Elfe«, bestätigte sie und warf einen Blick auf ihr eigenes Klemmbrett. »Sie sind Miss Stackhouse? Die Königin hat Sie schon gestern Abend erwartet.«

»Ich wurde verletzt«, sagte ich und hielt ihr meinen verbundenen Arm hin. Dank jeder Menge Aspirin war der Schmerz nur noch ein dumpfes Klopfen.

»Ja, ich habe davon gehört. Der Neue hat inzwischen eine Einweisung bekommen, es gibt einen Mentor für ihn, und sie haben eine freiwillige Blutspenderin gefunden. Wenn er sich an seine neue Existenz gewöhnt hat, kann er uns vielleicht erzählen, wie er zum Vampir wurde.«

»Oh?« Ich hörte, wie meine Stimme schwankte, als ich erkannte, dass sie von Jake Purifoy sprach. »Kann er sich nicht erinnern?«

»Wenn es ein überraschender Angriff war, können sie sich manchmal eine Zeit lang nicht erinnern.« Melanie zuckte die Achseln. »Aber früher oder später kommt die Erinnerung zurück. Und in der Zwischenzeit gibt's erst mal freie Mahlzeiten.« Sie lachte über meinen fragenden Blick. »Die lassen sich sogar auf Listen eintragen, wissen Sie. Menschen können ja so dumm sein.« Wieder zuckte sie die Achseln. »Es macht keinen richtigen Spaß mehr, wenn man erst über den Kick des Blutsaugens hinweg ist. Der eigentliche Spaß war doch immer die Jagd.« Melanie war offenbar nicht allzu glücklich über die neuen Richtlinien zur Ernährung von Vampiren, die entweder durch freiwillige menschliche Spender oder synthetisches Blut versorgt werden sollten.

Ich versuchte, höflich interessiert zu wirken.

»Es ist einfach nicht mehr dasselbe, wenn die Beute sich einem anbietet«, grummelte sie. »Die Leute heutzutage.« Leicht erbittert schüttelte sie den Kopf. Da sie so klein und zart war, dass ihr Helm beinahe wackelte, musste ich lächeln.

»Er wacht also auf, und Sie treiben ihm einen Freiwilligen zu? So wie wenn man eine Maus in einen Schlangenkäfig wirft?« Ich bemühte mich, eine ernste Miene aufzusetzen, damit Melanie nicht den Eindruck bekam, ich würde mich über sie persönlich lustig machen.

Nach einem misstrauischen Zögern sagte Melanie: »Mehr oder weniger. Er ist unterwiesen worden. Und es sind andere Vampire bei ihm.«

»Und die Freiwilligen überleben das?«

»Sie müssen vorher einen Vertrag unterschreiben«, klärte Melanie mich auf.

Ich schauderte.

Wir standen vor dem Haupteingang der Residenz der Königin. Es war ein dreistöckiges Geschäftsgebäude, aus den fünfziger Jahren vielleicht, und erstreckte sich über einen ganzen Block. In anderen Städten wäre das Untergeschoss als Tagesruheort für die Vampire genutzt worden, doch das war in New Orleans mit seinem hohen Grundwasserspiegel nicht möglich. Man hatte eine andere Lösung gefunden: Die Fenster waren auf unverwechselbare Weise verziert. Die geschlossenen Holzfensterläden zeigten Motive des berühmten Mardi Gras, des Karnevals in New Orleans, die das eher langweilige Backsteingebäude mit rosa, violetten und grünen Mustern auf weißem oder schwarzem Untergrund aufpeppten. Auch irisierende Farbkleckse waren zu sehen. Es wirkte verwirrend, beunruhigend.

»Gibt die Königin hier auch Partys?«, fragte ich. Trotz der bunten Fensterläden hatte das gesetzte, rechteckige Geschäftsgebäude einfach nichts Festliches.

»Oh, sie besitzt ein altes Kloster«, erzählte Melanie. »Sie können es sich in einer Broschüre ansehen, ehe Sie hinfahren. Dort werden alle formellen Staatszeremonien abgehalten. Einige der Älteren können die ehemalige Kapelle nicht betreten, aber trotzdem ... das Kloster ist von einer hohen Mauer umschlossen und kann gut überwacht werden, und es ist wirklich schön dekoriert. Die Königin hat eine Wohnung dort, aber es ist zu unsicher, um das ganze Jahr über dort zu leben.«

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Es war höchst unwahrscheinlich, dass ich dieses alte Kloster je zu sehen bekommen würde. Melanie schien sich zu langweilen und wollte gern weiterplaudern. »Sie sind Hadleys Cousine, nicht wahr?«, fragte sie.

»Ja.«

»Komischer Gedanke, richtige lebende Verwandte zu haben.« Einen Moment lang schien sie weit weg zu sein und sah so wehmütig aus, wie es einem Vampir nur möglich war. Dann rief sie sich wieder in die Gegenwart zurück. »Hadley war keine schlechte Vampirin, sie war ja noch so jung. Aber sie hielt ihr ewiges Untotsein für zu selbstverständlich.« Melanie schüttelte den Kopf. »Sie hätte nie einen so alten und gerissenen Vampir wie Waldo provozieren dürfen.«

»So viel ist mal sicher«, erwiderte ich.

»Chester«, rief Melanie. Chester war der nächste Wachmann in der Reihe, und bei ihm stand eine vertraute Gestalt, die auch in der schwarzen Kluft der Sicherheitsleute steckte.

»Bubba!«, rief ich, und gleichzeitig sagte der Vampir: »Miss Sookie!« Bubba und ich umarmten uns, zum großen Amüsement der anderen Vampire. Vampire geben sich üblicherweise nicht mal die Hand, und Umarmungen wirken höchst überspannt in ihrer Kultur.

Zum Glück hatten sie ihm keine Waffe gegeben, nur die restliche Ausrüstung der Sicherheitsleute. Er sah klasse aus in der Uniform, und das sagte ich ihm auch. »Schwarz passt wirklich gut zu deiner Haarfarbe«, sagte ich, und Bubba lächelte sein berühmtes Lächeln.

»Mächtig nett von Ihnen, Miss Sookie«, erwiderte er. »Vielen, vielen Dank.«

Damals, als Bubba noch tagsüber unterwegs war, hatte jeder auf der Welt sein berühmtes Lächeln gekannt. Doch dann war er im Leichenschauhaus von Memphis gelandet, und der Aufwärter, zufällig ein Vampir, hatte noch einen winzigen Funken Leben in ihm entdeckt. Als echter Fan von Love Me Tender übernahm er die Verantwortung für den Übergang des Sängers, und eine Legende war geboren. Unglücklicherweise war Bubbas Körper aber so mit Tabletten und anderem Zeug vollgestopft gewesen, dass die Prozedur nicht ganz erfolgreich verlief, und jetzt schob die gesamte Südstaaten-Vampir-Gemeinde Bubba als den PR-Albtraum herum, der er war.

»Wie lange bist du schon hier, Bubba?«

»Oh, zwei Wochen, es gefällt mir richtig gut«, erzählte er bereitwillig. »Hier gibt's jede Menge streunende Katzen.«

»Ah ja«, sagte ich und versuchte, es mir nicht zu bildhaft vorzustellen. Ich mochte Katzen sehr gern. Bubba auch, aber auf eine ganz andere Weise.

»Wenn ein Mensch ihn mal entdeckt, glaubt er, es sei ein Imitator«, sagte Chester leise. Melanie war wieder auf ihren Posten gegangen, und jetzt war ich in Chesters Obhut gelandet, der bei seinem Übergang ein sandblonder junger Hinterwäldler mit schlechten Zähnen gewesen war. »Das ist meistens schon okay. Aber manchmal nennen sie ihn bei seinem einstigen Namen. Oder sie bitten ihn zu singen.«

Bubba sang inzwischen nur noch sehr selten, auch wenn er sich hin und wieder überreden ließ, ein oder zwei bekannte Songs zum Besten zu geben. Das war jedes Mal ein denkwürdiges Ereignis. Meistens bestritt er jedoch, dass er auch nur eine Note fehlerfrei singen könne, und er regte sich immer fürchterlich auf, wenn man ihn mit seinem richtigen Namen ansprach.

Er zuckelte hinter uns her, als Chester mich weiter ins Gebäude führte. Wir waren abgebogen, ein Stockwerk höher gegangen und trafen auf mehr und mehr Vampire - und ein paar Menschen -, die mit wichtiger Miene geschäftig an uns vorbeieilten. Es war wie in jedem anderen Geschäftsgebäude an einem beliebigen Werktag auch, nur dass die Angestellten Vampire waren und der Himmel draußen so dunkel wie der Himmel über New Orleans nur werden konnte. Unterwegs fiel mir auf, dass einige Vampire gelassener wirkten als andere. Die gestressteren Vampire trugen alle die gleiche Anstecknadel am Kragen, eine Anstecknadel in Form des Staates Arkansas. Das mussten Mitglieder aus dem Gefolge des Ehemanns der Königin, Peter Threadgill, sein. Als ein Louisiana-Vampir zufällig mal einen Arkansas-Vampir anstieß, fauchte der aus Arkansas den anderen wütend an, und einen Augenblick lang glaubte ich, es würde wegen dieser Nichtigkeit einen handfesten Kampf auf dem Büroflur geben.

Puh, wenn ich hier bloß erst wieder raus wäre. Die Atmosphäre war ziemlich angespannt.

Chester blieb schließlich vor einer Tür stehen, die sich kein bisschen von all den anderen geschlossenen Türen unterschied, wenn man von den beiden großen Vampir-Schlägertypen davor absah. Die beiden mussten zu ihrer Zeit wahre Riesen gewesen sein, denn sie waren über 1,90 Meter groß. Sie sahen aus wie Brüder, aber vielleicht legten nur ihre Größe, ihre Mienen und ihre kastanienbraunen Haare diese Vermutung nahe: wuchtig wie Felsbrocken, bärtig und mit langen Pferdeschwänzen den Rücken hinunter, wirkten sie wie Nachschub fürs Wrestling. Dem einen zog sich eine Narbe quer durchs Gesicht, die natürlich aus der Zeit vor seinem Tod stammte. Der andere musste in seinem echten Leben irgendeine Hautkrankheit gehabt haben. Doch sie standen da nicht einfach nur zur Dekoration, sie waren absolut tödliche Killermaschinen.

(Übrigens, vor zwei Jahren hat ein Veranstalter wirklich mal versucht, Vampir-Wrestling einzuführen, aber das Ganze endete umgehend in einer Katastrophe. Beim ersten Kampf schon hat der eine Vampir dem anderen einen Arm abgerissen, live im Fernsehen. Vampire begreifen das Konzept von Schaukämpfen einfach nicht.)

Diese beiden Vampire waren behängt mit Messern, und jeder hatte eine Streitaxt im Gürtel stecken. Wahrscheinlich dachten sie, wenn einer bis zu ihnen durchdrang, würde eine Pistole nicht mehr viel ausrichten. Schon allein ihre Körper waren Waffe genug.

»Bert. Bert«, sagte Chester und nickte jedem einmal zu. »Das ist Miss Stackhouse, die Königin möchte sie sehen.«

Und damit drehte er sich um und ging. Tja, und da stand ich jetzt mit diesen beiden Bodyguards der Königin.

Schreien schien mir keine so gute Idee zu sein, daher sagte ich: »Ich kann gar nicht glauben, dass Sie beide denselben Namen haben. Da hat Chester sich doch bestimmt geirrt, oder?«

Zwei Paar brauner Augen konzentrierten sich höchst aufmerksam auf mich. »Ich bin Sigebert«, sagte der mit der Narbe mit einem schweren Akzent, den ich nicht erkannte. Chester hatte eine amerikanisierte Version dieses Namen benutzt, der wohl uralt sein musste. »Dieses ist mein Bruder, Wybert.«

»Hallo«, erwiderte ich und bemühte mich, nicht nervös zu blinzeln. »Ich bin Sookie Stackhouse.«

Das schien sie nicht weiter zu beeindrucken. Just in diesem Augenblick ging eine Vampirin mit Anstecknadel vorbei, warf den Brüdern einen Blick voll kaum verhohlener Verachtung zu, und eine geradezu tödliche Atmosphäre breitete sich aus. Sigebert und Wybert fixierten die Vampirin, eine große Frau im Businesskostüm, bis sie um die Ecke verschwunden war. Dann wandten sie ihre ungeteilte Aufmerksamkeit wieder mir zu.

»Die Königin ist... fleißig«, sagte Wybert. »Wenn sie Zeit hat, das Licht wird leuchten.« Er zeigte auf eine kleine runde Leuchte in der Wand rechts von der Tür.

Na klasse, ich war hier auf unbestimmte Zeit gestrandet - hoffentlich ging das Licht überhaupt irgendwann an. »Haben Ihre Namen irgendeine Bedeutung? Ich vermute, die sind, äh, altenglischen Ursprungs, oder?« Meine Stimme verlor sich.

»Wir waren Sachsen. Unser Vater ging von Sachsen nach England, so heißt es heute«, erklärte mir Wybert. »Mein Name bedeutet Im Kampf glänzend«

»Und meiner Im Sieg glänzend«, fügte Sigebert hinzu.

Ich erinnerte mich an eine Sendung, die ich auf »History Channel« gesehen hatte. Die Sachsen waren irgendwann mal zu Angelsachsen geworden und später dann von den Normannen besiegt worden. »Dann sind Sie also unter Kriegern aufgewachsen«, sagte ich und versuchte, intelligent zu gucken.

Sie tauschten einen Blick. »Nichts anderes gab es«, klärte Sigebert mich auf. Das eine Ende seiner Narbe bewegte sich so ulkig, wenn er sprach, und ich versuchte, nicht immer hinzustarren. »Wir waren Söhne vom Kriegerhäuptling.«

Mir wären sicher noch hundert Fragen zu ihrem Leben als Menschen eingefallen, doch mitten auf dem Büroflur eines Geschäftsgebäudes am voranschreitenden Abend schien mir dafür weder der rechte Ort noch die rechte Zeit zu sein. »Wie sind Sie denn zu Vampiren geworden?«, fragte ich. »Oder ist das eine indiskrete Frage? Wenn es so sein sollte, vergessen Sie sie bitte gleich wieder. Ich möchte niemandem auf die Zehen treten.«

Sigebert sah tatsächlich auf seine Füße hinunter, und da wurde mir klar, dass die normale Umgangssprache wohl nicht ihre größte Stärke war. »Diese Frau ... sehr schön ... sie kommt zu uns, vor Kampf«, sagte Wybert stockend. »Sie sagt... wir sind stärker, wenn ... sie hat uns.«

Fragend sahen sie mich an, und ich nickte, um ihnen zu signalisieren, dass ich verstanden hatte. Wybert wollte mir wohl sagen, die Frau habe mit ihnen ins Bett gehen wollen. Oder hatten die beiden verstanden, dass sie ihr Blut wollte? Keine Ahnung. Das musste eine mächtig ehrgeizige Vampirin gewesen sein, wenn sie es mit diesen beiden auf einmal aufgenommen hatte.

»Seitdem kämpfen wir nur noch in Nacht, das sagt sie vorher nicht«, sagte Sigebert achselzuckend und gab zu erkennen, dass ihnen da wohl doch etwas Entscheidendes entgangen war. »Wir fragen nicht viel. Vor lauter Begier!« Und er lächelte. O Schreck! Nichts ist gruseliger als ein Vampir, dem nur noch die Fangzähne im Mund geblieben sind. Chesters vollzählige Sammlung krummer und schiefer Exemplare hatte einfach super ausgesehen im Vergleich dazu.

»Das muss vor sehr langer Zeit gewesen sein«, sagte ich, denn mir fiel nichts anderes ein. »Seit wann arbeiten Sie denn für die Königin?«

Sigebert und Wybert sahen einander an. »Seit der Nacht«, erwiderte Wybert erstaunt, weil ich es nicht begriffen hatte. »Sie hat uns.«

Mein Respekt, und vielleicht auch meine Furcht, vor der Königin stieg enorm. Sophie-Anne - wenn das überhaupt ihr richtiger Name war - hatte mutig, strategisch und energisch ihre Karriere als Vampirkönigin betrieben. Sie hatte die beiden zu Vampiren gemacht und bei sich behalten, in einer Bindung, die - so hatte mir der Mann, dessen Namen ich nicht mal mehr mir selbst gegenüber aussprach, erklärt - stärker war als jede andere emotionale Beziehung, für einen Vampir jedenfalls.

Erleichtert sah ich, dass das Licht an der Wand grün aufleuchtete.

Sigebert sagte nur: »Nun« und drückte die schwere Tür auf. Er und Wybert nickten mir zum Abschied simultan zu, als ich über die Türschwelle einen Raum betrat, der wie ein beliebiges Chefbüro irgendwo auf der Welt aussah.

Sophie-Anne Leclerq, die Königin von Louisiana, und ein Vampir saßen an einem runden Tisch, auf dem sich Papiere stapelten. Ich war der Königin schon einmal begegnet, als sie zu mir nach Hause kam, um mir vom Tod meiner Cousine zu berichten. Zu dem Zeitpunkt hatte ich gar nicht bemerkt, wie jung sie bei ihrem Tod noch gewesen sein musste, vermutlich nicht viel älter als fünfzehn. Sie war eine elegante Frau, vielleicht zehn Zentimeter kleiner als ich und perfekt bis zur letzten Wimper gestylt. Make-up, Kleid, Frisur, Strümpfe, Schmuck - das ganze Programm.

Der Vampir am Tisch bei ihr war ihr männliches Pendant. Er trug einen Anzug, dessen Gegenwert meine Rechnung fürs Kabelfernsehen ein ganzes Jahr lang beglichen hätte, und er war sorgfältig rasiert, manikürt und parfümiert. Bei mir draußen auf dem Land bekam ich selten so gepflegte Männer zu Gesicht. Ich vermutete, dass dies der neue König war, und fragte mich, ob er in diesem Zustand gestorben war. Oder hatte das Beerdigungsinstitut ihn für die Beerdigung so hergerichtet, ohne zu wissen, dass sein Abstieg unter die Erde nur zeitlich begrenzt war? Wenn das stimmte, dann war er jünger als seine Königin. Vielleicht war das Alter nicht das ausschlaggebende Kriterium, wenn man zu königlichen Würden kommen wollte.

Außer den beiden waren noch zwei andere im Raum. Ein kleiner Mann mit kurzem, weißblondem Haar und hellblauen Augen, der in einigem Abstand hinter dem Stuhl der Königin stand, breitbeinig und die Hände vor sich gefaltet. Seinem Gesicht fehlte die Reife, er sah aus wie ein großes Kind, hatte aber die breiten Schultern eines Mannes. Er trug einen Anzug und war bewaffnet mit Säbel und Pistole.

Hinter dem am Tisch sitzenden Mann stand eine ganz in Rot gekleidete Vampirin in langen Hosen, T-Shirt und Converse-Turnschuhen. Eine unglückliche Wahl, denn Rot war so gar nicht ihre Farbe. Sie war Asiatin, ich vermutete, aus Vietnam - auch wenn das damals wohl noch anders geheißen hatte. Ihre Fingernägel waren sehr kurz, und auf dem Rücken trug sie ein furchterregendes Schwert. Ihr Haar war anscheinend mit einer stumpfen Schere auf Kinnlänge abgeschnitten worden, und sie zeigte uns ihr Gesicht ungeschminkt, wie Gott es geschaffen hatte.

Da mich niemand in Fragen des Protokolls eingewiesen hatte, neigte ich den Kopf vor der Königin, sagte: »Schön, Sie wiederzusehen, Ma'am« und versuchte, dem König einen freundlichen Blick zuzuwerfen, während ich ihm auf dieselbe Weise zunickte. Die beiden Stehenden, wohl Diener oder Bodyguards, grüßte ich mit einem knapperen Kopfnicken. Es kam mir ziemlich idiotisch vor, aber ich wollte sie nicht ignorieren. Sie hatten allerdings kein Problem damit, mich zu ignorieren, nachdem sie mich von oben bis unten gemustert hatten.

»Sie haben schon einige Abenteuer in New Orleans erlebt«, begann die Königin, ein unverfänglicher Gesprächsauftakt. Sie lächelte nicht, aber ich hatte sowieso den Eindruck, dass sie nicht der ständig lächelnde Typ war.

»Ja, Ma'am.«

»Sookie, das ist mein Ehemann. Peter Threadgill, König von Arkansas.« In ihrem Gesicht lag keine Spur Zuneigung. Genauso gut hätte sie mir den Namen ihres Schoßhündchens nennen können.

»Guten Abend«, sagte ich, wiederholte mein Kopfnicken und fügte hastig noch »Sir« hinzu.

Okay, das Ganze nervte mich jetzt schon.

»Miss Stackhouse«, sagte der König nur und wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Papieren vor sich zu. Der große runde Tisch war über und über mit Computerausdrucken, Briefen und einer Auswahl anderer Papiere - Kontoauszüge? - bedeckt.

Obwohl es mich erleichterte, dass der König sofort das Interesse an mir verlor, fragte ich mich langsam, wieso ich überhaupt dort war. Das erfuhr ich gleich darauf, als die Königin mir über den vergangenen Abend Fragen zu stellen begann. So genau wie möglich erzählte ich ihr, was passiert war.

Sie sah mich sehr ernst an, als ich von Amelias Tempus-Stasis-Zauber sprach und welche Auswirkungen er auf die Leiche gehabt hatte.

»Sie glauben, die Hexe wusste nicht, dass die Leiche dort war, als sie das Apartment mit dem Zauber belegte?«, fragte die Königin. Der König hatte, obwohl er den Blick auf die Papiere vor sich gerichtet hielt, noch nicht ein Blatt umgedreht, seit ich zu sprechen begonnen hatte. Natürlich konnte es sein, dass er einfach nur ein verflixt langsamer Leser war.

»Ja, Ma'am. Ich weiß, dass Amelia es nicht wusste.«

»Aufgrund Ihrer telepathischen Begabung?«

»Ja, Ma'am.«

Da blickte Peter Threadgill mich an, und ich sah, dass seine Augen von einem eigentümlich eisigen Grau waren. Er hatte sehr scharfgeschnittene Gesichtszüge: eine Nase wie eine Klinge, schmale gerade Lippen, hohe Wangenknochen.

Sowohl der König als auch die Königin sahen gut aus, doch keiner von beiden zog mich in irgendeiner Weise an. Und ich hatte das Gefühl, dass das auf Gegenseitigkeit beruhte. Gott sei Dank.

»Sie sind also die Telepathin, die meine liebe Sophie auf der Konferenz dabeihaben möchte«, sagte Peter Threadgill.

Da er mir etwas erzählte, was ich bereits wusste, fühlte ich mich nicht zu einer Antwort verpflichtet. Doch der Anstand gewann die Oberhand über meine Gereiztheit. »Ja, das bin ich.«

»Stan hat auch einen«, sagte die Königin zu ihrem Ehemann, als würden Vampire Telepathen sammeln wie Hundeliebhaber eine bestimmte Art Spaniels.

Der einzige Stan, den ich kannte, war ein führender Vampir in Dallas, und der einzige andere Telepath, den ich je getroffen hatte, lebte auch dort. Den wenigen Worten der Königin entnahm ich, dass Barry Bellmans Leben sich stark verändert hatte, wenn er jetzt für Stan Davis arbeitete. »Du versuchst jetzt also, dein Gefolge dem von Stan anzugleichen?«, fragte Peter Threadgill seine Ehefrau in ausgesprochen unfreundlichem Ton. Aus den vielen Anzeichen, die mir da präsentiert wurden, schloss ich, dass es sich keinesfalls um eine Liebesheirat handelte. Und wenn mich jemand aufgefordert hätte, ein Urteil abzugeben, hätte ich gesagt, dass auch Lust keine Rolle spielte. Ich wusste, dass die Königin etwas mit meiner Cousine Hadley gehabt hatte, und die beiden Bodyguards hatten mir zu verstehen gegeben, die Königin hätte ihre Welt erschüttert. Peter Threadgill gehörte weder auf die eine noch auf die andere Seite dieses Spektrums. Aber vielleicht bewies das nur, dass die Königin omnisexuell war, wenn es das Wort überhaupt gab. Das musste ich mal nachschlagen, wenn ich wieder zu Hause war. Falls ich je wieder nach Hause kommen würde.

»Wenn Stan es als Vorteil betrachtet, so eine Person anzustellen, sollte ich es wenigstens in Erwägung ziehen - zumal wenn sie so leicht verfügbar ist.«

Aha. Ich war also leicht verfügbar. Interessant.

Der König zuckte die Achseln. Ich hatte zwar keine konkreten Erwartungen gehabt, aber den König eines netten, armen, landschaftlich schönen Bundesstaats wie Arkansas hätte ich mir weniger hochgestochen, dafür aber umgänglicher vorgestellt, mit Humor. Vielleicht war Threadgill aus New York City eingewandert. Vampire waren über das ganze Land verstreut, daher konnte man so etwas nie an ihrer Sprachfärbung festmachen.

»Was ist denn Ihrer Ansicht nach in Hadleys Apartment passiert?«, fragte die Königin, womit wir wieder beim ursprünglichen Thema waren.

»Ich weiß nicht, wer Jake Purifoy angegriffen hat«, sagte ich. »Aber in der Nacht, in der Hadley sich mit Waldo auf dem Friedhof traf, landete Jakes ausgeblutete Leiche in ihrem Schrank. Wie es dazu kam, weiß ich auch nicht. Deshalb macht Amelia heute Nacht ja diese Ekto-Sache.«

Der Gesichtsausdruck der Königin veränderte sich, jetzt wirkte sie tatsächlich interessiert. »Sie macht eine ektoplasmische Rekonstruktion? Ich habe schon davon gehört, bin aber noch nie bei einer anwesend gewesen.«

Der König wirkte mehr als nur interessiert. Für den Bruchteil einer Sekunde wirkte er extrem wütend.

Ich zwang mich, mich wieder auf die Königin zu konzentrieren. »Amelia lässt anfragen, ob Sie vielleicht die, äh, Finanzierung übernehmen würden?« Hätte ich noch »Hoheit« oder so was anfügen müssen? Nein, dazu konnte ich mich einfach nicht durchringen.

»Das dürfte eine lohnende Investition sein, da unser neuester Vampir uns alle in größte Schwierigkeiten hätte bringen können. Wenn er auf die Öffentlichkeit losgelassen worden wäre... diese Rekonstruktion zahle ich gern.«

Erleichtert atmete ich auf.

»Und ich werde auch zusehen«, fügte die Königin hinzu, ehe ich noch ausgeatmet hatte.

Das klang wie die schlimmste Idee der Welt. Die Anwesenheit der Königin würde Amelia sicher vollkommen plätten, bis alle Magie aus ihr herausgequetscht wäre. Allerdings konnte ich der Königin unmöglich sagen, dass sie nicht willkommen war.

Peter Threadgill hatte mit scharfem Blick aufgesehen, als die Königin verkündet hatte, dass sie zusehen wolle. »Ich finde, das solltest du nicht tun«, sagte er sanft, aber gebieterisch. »Es ist für die Zwillinge und Andre viel zu schwierig, dich in einer solchen Gegend zu schützen.«

Woher wollte der König eigentlich wissen, in welcher Gegend Hadley gewohnt hatte? Es war eine ganz ruhige Mittelklasse-Gegend, vor allem im Vergleich zu dem Zoo dieser Vampir-Residenz hier, mit dem ständigen Strom an Touristen, Protestierenden und Fanatikern mit Kameras.

Sophie-Anne bereitete sich bereits zum Ausgehen vor. Diese Vorbereitung bestand in einem Blick in den Spiegel, mit dem sie prüfte, ob die makellose Fassade immer noch makellos war. Dann schlüpfte sie in Schuhe mit sehr, sehr hohen Absätzen, die unter dem Tisch gestanden hatten. Offensichtlich hatte sie barfuß am Tisch gesessen. Dieses Detail ließ mir Sophie-Anne Leclerq gleich sehr viel realer erscheinen. Es gab also doch eine Persönlichkeit unter dieser glänzenden Oberfläche.

»Sie wünschen vermutlich, dass Bill uns begleitet«, sagte die Königin zu mir.

»Nein«, fauchte ich.

Okay, es gab eine Persönlichkeit - aber sie war unerfreulich und grausam.

Die Königin wirkte aufrichtig überrascht. Ihr Ehemann war empört über meine Grobheit - ruckartig hob er den Kopf und fixierte mich mit einem vor Wut glühenden Blick aus den seltsam grauen Augen. Die Königin aber war einfach erstaunt über meine Reaktion. »Ich dachte, Sie seien ein Paar«, sagte sie in absolut ruhigem Ton.

Ich schluckte meine erste Antwort hinunter und versuchte mir noch einmal klarzumachen, mit wem ich hier sprach. Schließlich sagte ich fast flüsternd: »Nein, das sind wir nicht.« Ich holte einmal tief Luft und riss mich zusammen. »Ich entschuldige mich für meine Unhöflichkeit. Verzeihen Sie.«

Die Königin sah mich einfach ein paar Sekunden lang an, und ich hatte nicht die leiseste Ahnung, welche Gedanken, Gefühle oder Absichten sie hegte. Es war, als betrachtete ich ein antikes Silbertablett - mit kunstvollen Mustern auf der Oberfläche, aber hart und kalt, wenn man es berührte. Woher Hadley den Mut genommen hatte, mit dieser Frau ins Bett zu gehen, war mir ein Rätsel.

»Ich verzeihe Ihnen«, sagte sie schließlich.

»Du bist zu nachsichtig«, bemerkte ihr Ehemann, und auch seine Oberfläche schien etwas durchlässiger zu werden. Er verzog den Mund, dass es beinahe wie ein Zähnefletschen wirkte, und ich wollte keine Sekunde länger diesen glühenden Blick auf mich gerichtet haben. Wie die Asiatin in Rot mich ansah, gefiel mir auch nicht. Und jedes Mal, wenn ich ihre Frisur ansah, überlief es mich kalt. Herrgott, selbst die ältere Dame, die meiner Großmutter dreimal im Jahr eine Dauerwelle gelegt hatte, hätte es besser gemacht als der Schnitter, der diesen Haarschnitt verbrochen hatte.

»In ein oder zwei Stunden bin ich zurück, Peter«, sagte Sophie-Anne sehr deutlich und in einem Ton, der einen Diamanten in Scheibchen geschnitten hätte. Der kleine Mann mit dem kindlichen, ausdruckslosen Gesicht eilte im Nu an ihre Seite und reichte ihr den Arm, um ihr beim Aufstehen zu helfen. Das war vermutlich Andre.

Die Atmosphäre war zum Schneiden. Ich wünschte mir inbrünstig, irgendwoanders zu sein.

»Ich wäre sehr viel beruhigter, wenn Jade Flower dich begleiten würde«, sagte der König und ging auf die Frau in Rot zu. Jade Flower, das war wohl ein Witz: Sie sah aus wie Killer-Lotus. Ihr Gesicht veränderte sich kein bisschen beim Vorschlag des Königs.

»Aber dann wärst du ganz allein«, erwiderte die Königin.

»Wohl kaum. Die Residenz ist voller Sicherheitsleute und treuergebener Vampire«, sagte Peter Threadgill.

Okay, das hatte sogar ich auf Anhieb verstanden. Die Sicherheitsleute, die alle zur Königin gehörten, wurden fein säuberlich getrennt genannt von den treuergebenen Vampiren, die vermutlich Peter mitgebracht hatte.

»Dann wäre ich natürlich erfreut und stolz, eine Kämpferin wie Jade Flower an meiner Seite zu haben.«

Klar doch. Keine Ahnung, ob die Königin das ernst meinte, ob sie ihren Ehemann mit dem Einlenken nur beschwichtigen wollte oder ob sie sich ins Fäustchen lachte über diesen lahmen Versuch von Peter, einen seiner Spione bei der ektoplasmischen Rekonstruktion einzuschleusen. Die Königin ließ sich über die Gegensprechanlage mit dem gesicherten Raum verbinden, in dem Jake Purifoy im angemessenen Vampirverhalten unterrichtet wurde. »Stellen Sie Extrawachen für Jake Purifoy ab«, befahl sie. »Und informieren Sie mich umgehend, sobald er sich an etwas erinnert.« Eine unterwürfige Stimme versicherte Sophie-Anne, dass sie das sofort erfahren würde.

Ich fragte mich, warum Jake Purifoy Extrawachen brauchte. Mir fiel es ziemlich schwer, mich um sein Wohlergehen zu sorgen. Aber die Königin tat es ganz offensichtlich.