Kapitel 21

Zu zweit schafften sie es, mich zu überwältigen. Ich trat, schrie, biss, schlug mit jeder Faser Energie, die ich besaß. Für Quinn waren vier nötig, und diese vier behielten nur deshalb die Oberhand, weil sie einen Elektroschocker benutzten. Sonst hätte er auch sechs oder acht von ihnen außer Gefecht gesetzt statt der drei, die er erwischte, ehe sie ihn erwischten.

Ich wusste, dass sie mich überwältigen würden, und ich wusste, dass ich mir einige blaue Flecken und gebrochene Knochen ersparen konnte, wenn ich einfach nachgab. Doch ich hatte meinen Stolz. Und außerdem wollte ich, dass Amelia hörte, was hier oben vor sich ging. Sie würde sicher etwas unternehmen. Keine Ahnung was, aber irgendetwas würde sie tun.

Eilig wurde ich von zwei kräftigen Männern, die ich noch nie gesehen hatte, die Treppe hinuntergezerrt, meine Füße berührten kaum den Boden. Diese beiden hatten mir auch die Handgelenke mit Isolierband zusammengebunden. Ich tat mein Bestes, damit die Fessel so lose wie möglich wurde, doch leider hatten die beiden ebenfalls ihr Bestes gegeben.

»Mmm, riecht nach Sex«, sagte der Kleinere und kniff mir in den Hintern. Ich ignorierte seinen lüsternen Blick und war ziemlich zufrieden, als ich den Bluterguss an seiner Wange sah, den ich ihm mit der Faust verpasst hatte. (Meine Fingerknöchel schmerzten allerdings noch immer heftig. Tja, man zahlt für jeden Schlag, den man austeilt.)

Quinn mussten sie tragen, und sie gingen nicht gerade zimperlich mit ihm um. Sie stießen überall an, und einmal ließen sie ihn auf der Treppe sogar fallen. Ihn hatten sie auch mit Isolierband gefesselt, und ich fragte mich, wie sich das wohl mit Quinns Fell vertragen würde.

Wir standen im Hof kurz nebeneinander, und Quinn sah mich an, als wolle er mir unbedingt etwas sagen. Blut rann ihm von einer Platzwunde über dem Auge die Wange hinunter, und er wirkte groggy von der Betäubung. Seine Hände hatten sich wieder in normale Menschenhände verwandelt. Ich beugte mich zu ihm hinüber, doch die Werwölfe zerrten uns voneinander weg.

Zwei weiße, längliche Lieferwagen mit der Aufschrift BIG EASY ELECTRIC kamen in den Innenhof gefahren. Die Firmenlogos waren mit Dreck verschmiert, was ziemlich verdächtig wirkte. Die Fahrer sprangen heraus und rissen die hinteren Ladetüren auf.

Während sie Quinn und mich eilig zum ersten Wagen hindrängten, wurde der Rest des Überfallkommandos die Treppe heruntergebracht. Die Männer, die Quinn erwischt hatte, waren viel schwerer verletzt als Quinn selbst; ein Glück, konnte ich da nur sagen. Krallen können erheblichen Schaden anrichten, vor allem wenn sie mit der Kraft eines Tigers eingesetzt werden. Der Typ, dem ich die Lampe an der Kopf gedonnert hatte, war noch immer bewusstlos, und der, der Quinn als Erster erreicht hatte, war vermutlich tot. Er war über und über voll Blut, und aus seinem Bauch traten ein paar unappetitliche Dinge hervor, die eindeutig unter die Bauchdecke gehörten.

Ich lächelte zufrieden, als mich die Männer, die mich festhielten, in den Laderaum schoben, der furchtbar dreckig und vollgemüllt war. Die Vordersitze waren mit grobem Maschendraht vom hinteren Teil des Lieferwagens abgetrennt, und die Regaleinbauten hatten sie leergeräumt, wohl unseretwegen.

Ich wurde in den engen Gang zwischen den Regalen gestoßen und Quinn zwängten sie auch noch hinein. Das bereitete ihnen einige Mühe, denn er war noch sehr benommen. Meine beiden Aufpasser knallten die Hintertüren des Lieferwagens zu, gerade als die dem Kampf lebend entronnenen Werwölfe in den zweiten Wagen einstiegen. Wahrscheinlich waren die Wagen draußen an der Straße geparkt worden, damit wir sie nicht kommen hörten, und nur in den Innenhof gefahren worden, damit unsere Kidnapper uns unbemerkt verstauen konnten. Sogar in einer Stadt mit so vielen Prügeleien wie New Orleans würde es auffallen, wenn zusammengeschlagene Gestalten in einen Lieferwagen gestoßen wurden.

Ich hoffte nur, dass die Werwölfe sich nicht auch Amelia und Bob schnappen würden, und betete, dass Amelia schlau genug gewesen war, sich zu verstecken, statt hier womöglich die Hexenheldin zu spielen. Ich weiß, das widerspricht sich alles irgendwie, nicht wahr? Einerseits zu beten, Gott um einen Gefallen zu bitten, während man gleichzeitig hofft, dass die Feinde getötet werden. Ich kann nur sagen, mir kommt's so vor, als würden die Christen schon von je her diesen Widerspruch ausleben - zumindest die schlechten, so wie ich.

»Los, los, los«, brüllte der kleinere Mann, als er auf den Beifahrersitz sprang. Der Fahrer gehorchte und fuhr ruckartig mit völlig unnötigem Reifenquietschen an. Wir rasten aus dem Hof hinaus, als wäre eben der Präsident Amerikas angeschossen worden und wir müssten ihn ins Krankenhaus fahren.

Quinn kam wieder richtig zu sich, als wir von der Chloe Street abbogen und auf unser Ziel losrasten, wo immer das sein mochte.

Die Hände waren ihm auf den Rücken gebunden worden (eine ziemlich schmerzhafte Sache), und die Wunde in seinem Gesicht hatte nicht zu bluten aufgehört. Ich hatte erwartet, dass er noch eine Weile groggy sein würde, doch seine Augen fixierten mein Gesicht, und er sagte: »Süße, die haben dich ja schlimm zugerichtet.« Ich sah wahrscheinlich nicht allzu toll aus.

»Scheint, als hätten wir da schon mal was gemeinsam«, erwiderte ich. Ich wusste, dass der Fahrer und sein Komplize uns hören konnten, aber das scherte mich einen Dreck.

Quinn bemühte sich zu lächeln. »Ein prima Verteidiger bin ich gewesen.«

Mich hielten die Werwölfe anscheinend für nicht allzu gefährlich, denn mir hatten sie die Hände vorn gefesselt. Ich drehte mich hin und her, bis ich mit den Fingern Druck auf die Wunde über Quinns Auge ausüben konnte. Das musste ihm noch stärker wehtun, aber er protestierte nicht mit einem Wort. Die Bewegungen des Wagens, die Nachwirkungen der Prügel und der Gestank des Mülls um uns herum machten die nächsten zehn Minuten nicht gerade zu einem Vergnügen. Wenn ich schlau gewesen wäre, hätte ich aufpassen und sagen können, wohin die Fahrt ging - doch ich fühlte mich nicht sonderlich schlau. Ich staunte, dass es in einer Stadt mit so vielen berühmten Restaurants wie New Orleans einen Lieferwagen gab, der fast überquoll von Burger-King-Tüten und Taco-Bell-Bechern. Wahrscheinlich würde ich unter all diesem ganzen Unrat sogar noch was Nützliches finden, wenn ich nur Gelegenheit zum Suchen bekam.

»Immer wenn wir zusammen sind, werden wir von Werwölfen angegriffen«, sagte Quinn.

»Das ist meine Schuld«, erwiderte ich. »Es tut mir so leid, dass ich dich in all das hineinziehe.«

»Oh, macht nichts«, meinte Quinn. »Ich habe sowieso den Ruf, mit den unmöglichsten Leuten herumzuhängen.«

Wir lagen Gesicht an Gesicht, und Quinn stieß mich leicht mit dem Bein an. Er versuchte mir irgendwas zu sagen, aber ich begriff es nicht.

Die beiden Männer auf den Vordersitzen redeten über ein hübsches Mädchen, das an einer Ampel gerade die Straße überquerte. Diesem Gespräch zuzuhören reichte fast schon, um den Männern insgesamt abzuschwören. Wenigstens hörten sie uns nicht zu.

»Weißt du noch, dass wir mal über mein besonderes Talent gesprochen haben? Erinnerst du dich, was ich dir da gesagt habe?«

Es dauerte eine Minute, Quinn hatte Schmerzen, doch dann verstand er den Hinweis. Konzentriert, als wollte er Bretter in Hälften hauen oder sonst etwas Kraftaufwendiges tun, kniff er die Augen zusammen, und dann kam ein Gedanke in meinem Kopf an. Handy in meiner Hosentasche, ließ er mich wissen. Das Problem war nur, dass es in seiner rechten Tasche war und er auf dieser Seite lag. Platz zum Umdrehen hatten wir nicht.

Also war Herummanövrieren angesagt, was unsere Kidnapper allerdings auf keinen Fall mitkriegen sollten. Irgendwie gelang es mir schließlich, die Finger in Quinns Tasche zu schieben; bei Gelegenheit musste ich ihm mal sagen, dass für solche Situationen seine Jeans wirklich viel zu eng war. (In anderen Situationen hatte ich natürlich kein Problem damit, dass sie so eng saß.) Da der Lieferwagen dauernd ruckelte und unsere Angreifer uns jede Minute einen prüfenden Blick zuwarfen, war es höchst schwierig, an das Handy heranzukommen.

Residenz der Königin auf Kurzwahl, sagte er wortlos zu mir, als er spürte, dass das Telefon aus seiner Tasche raus war. Aber das sagte mir nichts. Ich hatte keine Ahnung, wie man eine Kurzwahl aufrief. Es dauerte einige Minuten, bis ich Quinn das klargemacht hatte; ich weiß eigentlich jetzt noch nicht so genau, wie mir das gelungen ist. Schließlich dachte er die Telefonnummer, ich tippte sie ein und drückte den Knopf für die Verbindung. Vielleicht hatten wir das Ganze nicht gut genug durchdacht, denn als eine dünne Stimme am anderen Ende »Hallo?« sagte, hörten die Werwölfe es.

»Hast du ihn etwa nicht durchsucht?«, fragte der Fahrer seinen Beifahrer ungläubig.

»Nein, verdammt. Ich habe den da hinten hineinbugsiert und wollte so schnell wie möglich aus dem Regen raus«, knurrte der Mann, der mir in den Hintern gekniffen hatte. »Jetzt halt schon an, verdammte Scheiße!«

Hatte jemand dein Blut?, fragte Quinn mich schweigend, obwohl er diesmal auch laut hätte sprechen können. Nach einer kostbaren Sekunde schaltete ich endlich. »Eric«, sagte ich, denn die Werwölfe waren ausgestiegen und rannten zu den hinteren Ladetüren.

»Quinn und Sookie wurden von Werwölfen entführt«, sagte Quinn ins Handy, das ich ihm an den Mund hielt. »Eric der Wikinger kann ihre Spur aufnehmen.«

Hoffentlich war Eric noch in New Orleans, und hoffentlich waren die Leute, die da in der Residenz Telefondienst hatten, auf Zack. In diesem Moment rissen die beiden Werwölfe schon die Türen auf, zerrten uns heraus, prügelten auf mich ein und verpassten Quinn einen Hieb in die Magengrube. Sie zerrten mir das Handy aus den angeschwollenen Fingern und warfen es ins dichte Gestrüpp des Seitenstreifens. Der Fahrer hatte vor einem unbebauten Grundstück angehalten, doch ansonsten war die Straße zu beiden Seiten gesäumt von geräumigen Häusern auf Pfählen in einem Meer aus Gräsern. Der Himmel war bewölkt und gab keinen Anhaltspunkt, in welche Richtung wir gefahren waren. Aber ich hätte schwören können, dass wir tiefer im Süden in den Sumpfgebieten waren. Es gelang mir, einen Blick auf die Armbanduhr des Fahrers zu werfen, und ich staunte, dass es schon nach drei Uhr nachmittags war.

»Du blöder Mistkerl, Clete! Wen hat er angerufen?«, schrie jemand vom zweiten Lieferwagen herüber, der ebenfalls angehalten hatte. Unsere beiden Kidnapper sahen einander mit absolut identischen betroffenen Mienen an, und ich hätte laut gelacht, wenn ich nicht solche Schmerzen gehabt hätte. Es sah aus, als übten sie, dämlich aus der Wäsche zu schauen.

Diesmal wurde Quinn gründlich durchsucht und ich ebenfalls, obwohl ich gar keine Taschen hatte und auch sonst nichts, wo ich etwas hätte verstecken können - und die Körperöffnungen wollten sie ja wohl nicht überprüfen, oder? Eine Schrecksekunde lang glaubte ich, Clete - Mr Arschkneifer - würde es doch tun wollen, denn er begann, den dünnen, elastischen Stoff meiner Radlerhose an einer ganz bestimmten Stelle zu befingern. Ich gab einen erstickten, angstvollen Laut von mir. Was daraufhin aus Quinns Kehle drang, konnte man schon kein Knurren mehr nennen. Ein tiefes, kehliges Krächzen, das absolut bedrohlich klang.

»Lass sie in Ruhe, Clete. Los, fahren wir weiter«, sagte der Fahrer, und in seiner Stimme schwang so ein Mir-reicht's-jetzt-Tonfall mit. »Ich weiß ja nicht, wer dieser Typ hier ist, aber ich glaube nicht, dass der sich in ein Wiesel verwandelt.«

Ich fragte mich, ob Quinn ihnen mit seiner Person wohl drohen konnte - die meisten Werwölfe schienen ihn zu kennen oder von ihm zu wissen -, aber da er seinen Namen nicht preisgab, tat ich es auch nicht.

Clete schubste mich wieder in den Wagen und murmelte verärgert vor sich hin: »Bist du etwa Gott? Du bist ja nicht mal mein Boss.« Doch der Fahrer, der größere der beiden Männer, war ganz eindeutig Cletes Boss, und das war auch gut so. Ich wollte unbedingt jemanden mit Hirn und einem Rest Anstand zwischen mir und den forschenden Fingern dieses Clete haben.

Quinn wieder in den Lieferwagen zu bugsieren bereitete ihnen allergrößte Mühe. Er weigerte sich einzusteigen, und schließlich kamen sehr widerwillig zwei Männer vom anderen Wagen herüber, um Clete und dem Fahrer zu helfen. Sie banden Quinns Beine an den Knöcheln mit einem dieser Plastikdinger zusammen, bei denen man das spitz zulaufende Ende durch ein Loch zog und dann ruckartig in die entgegengesetzte Richtung festzurrte. So was Ähnliches hatten wir benutzt, um den Bratschlauch zu schließen, in dem wir letztes Jahr den Truthahn zu Thanksgiving gemacht hatten. Das Ding, mit dem sie Quinn fesselten, war aus schwarzem Hartplastik und wurde sogar mit so einem Schlüssel wie für Handschellen abgeschlossen.

Mir banden sie die Beine nicht zusammen.

Es freute mich zwar, dass Quinn über das Verhalten dieses Mr Arschkneifer so wütend geworden war, dass er sogar den Aufstand geprobt hatte. Doch als Ergebnis lag er jetzt mit gefesselten Beinen da, und ich nicht - denn ich stellte keine Bedrohung für sie dar, zumindest glaubten sie das.

Und wahrscheinlich hatten sie recht damit. Mir fiel rein gar nichts ein, um zu verhindern, dass sie uns dorthin brachten, wo sie hinwollten. Ich hatte keine Waffe; und auch wenn ich an dem Isolierband um meine Handgelenke zerrte, schien ich mit den Zähnen nicht genug Kraft zu haben, um es zu lockern. Einen Moment blieb ich still liegen und schloss die Augen. Von dem letzten Schlag ins Gesicht hatte ich eine Platzwunde an der Wange. Da fuhr eine lange, raue Zunge durch mein blutendes Gesicht. Und noch einmal.

»Weine nicht«, sagte eine seltsam kehlige Stimme, und ich öffnete die Augen, um zu sehen, ob das tatsächlich Quinn war.

Quinn war so machtvoll, dass er die Verwandlung, auch wenn sie sich schon vollzog, noch aufhalten konnte. Vermutlich konnte er sie sogar selbst auslösen, aber ein Kampf bewirkte bei den meisten Gestaltwandlern die Verwandlung, wie mir schon öfter aufgefallen war. Während des Kampfes in Hadleys Apartment hatte er Krallen gehabt und damit den Ausgang beinahe zu unseren Gunsten entschieden. Und seit er vorhin am Straßenrand über Clete so wütend geworden war, hatte sich Quinns Nase abgeflacht und verbreitert. Ich warf einen genaueren Blick auf die Zähne in seinem Mund, sie waren allesamt zu kleinen Dolchen geworden.

»Warum hast du dich nicht vollständig verwandelt?«, fragte ich flüsternd.

Weil dann hier nicht mehr genug Platz für dich wäre, Süße. Nach der Verwandlung bin ich zwei Meter lang und wiege über zweihundert Kilo.

Ich schluckte; aber da müsste wohl jeder schlucken. Ich konnte nur froh sein, dass Quinn so weit vorausgedacht hatte.

Gar nicht schockiert?

Clete und der Fahrer stritten vorne und gaben sich gegenseitig die Schuld an dem Zwischenfall mit dem Handy. »Ei, Großvater, was hast du für große Zähne«, wisperte ich. Die oberen und unteren Eckzähne waren so lang und scharf, dass er wirklich zum Fürchten aussah.

Scharf... sie waren sehr scharf. Ich brachte meine Hände nahe an seinen Mund und bat ihn mit den Augen um einen Gefallen. Soweit ich das in seinem veränderten Gesicht erkennen konnte, war Quinn verwirrt. So wie er mich in der Situation vorhin instinktiv verteidigt hatte, so regte sich bei dieser Idee jetzt ein anderer Instinkt. Ich werde dich verletzen, deine Hände werden bluten, warnte er mich. Die Konzentration auf die Worte fiel ihm zunehmend schwerer. Er war bereits zu großen Teilen ein Tier, und die Gedanken des Tieres entsprachen nicht notwendigerweise den Gedanken des Menschen.

Ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht aufzuschreien, als Quinn in das Isolierband biss. Er musste eine Menge Druck ausüben, um mit den fünf Zentimeter langen Eckzähnen das Isolierband zu durchtrennen. Und das hieß, dass die kürzeren, ebenfalls scharfen Schneidezähne sich in meine Haut gruben, ganz egal, wie vorsichtig er war. Tränen strömten mir über die Wangen, und ich spürte, wie er zögerte. Ich schüttelte meine gefesselten Hände, forderte ihn auf, weiterzumachen, und widerwillig wandte er sich wieder seiner Aufgabe zu.

»Hey, George, er beißt sie«, sagte Clete, der sich auf dem Beifahrersitz umgedreht hatte. »Ich kann sehen, wie er die Kiefer bewegt.«

Doch wir lagen so dicht beieinander und das Licht war so schlecht, dass er nicht genau erkennen konnte, in was Quinn da hineinbiss. Das war gut. Verzweifelt klammerte ich mich an alles Gute, das ich finden konnte. Mir erschien die Welt wie ein düsterer, trostloser Ort in diesem Moment, da ich in einem Lieferwagen liegend auf einer unbekannten Straße irgendwo in Südlouisiana durch den strömenden Regen dahinraste.

Ich war wütend und blutete und hatte Schmerzen und lag auf meinem bereits verwundeten linken Arm. Mein Wunschtraum wäre gewesen, gewaschen und mit frischen Verbänden in einem hübschen, mit weißem Leinen bezogenen Bett zu liegen. Okay, gewaschen, mit frischen Verbänden und in einem sauberen Nachthemd. Und Quinn läge auch da in diesem Bett, in seiner menschlichen Gestalt, und auch er wäre gewaschen und hätte frische Verbände. Und er hätte sich bereits etwas ausgeruht und würde gar nichts anhaben. Dann wurden die Schmerzen meiner blutenden Handgelenke so stark, dass ich sie nicht länger ignorieren konnte. Ich konnte mich einfach nicht mehr auf meinen wunderbaren Tagtraum konzentrieren. Ich wollte gerade anfangen zu wimmern - oder einfach laut zu schreien -, da spürte ich, wie sich meine Handgelenke voneinander lösten.

Einige Sekunden lang lag ich bloß da, atmete keuchend und versuchte, den Schmerz unter Kontrolle zu bringen. Leider konnte Quinn seine eigenen Fesseln nicht durchbeißen, da ihm ja die Hände auf den Rücken gebunden waren. Es gelang ihm aber, sich umzudrehen, so dass ich seine Handgelenke sehen konnte.

»Was tun sie?«, fragte George.

Clete drehte sich wieder zu uns um, und ich hielt meine Hände aneinander. Da es ein trüber Tag war, konnte er nicht allzu viel erkennen. »Sie tun gar nichts. Er hat aufgehört, sie zu beißen«, sagte Clete, regelrecht enttäuscht.

Es gelang Quinn, eine Kralle in das silbrige Isolierband zu bohren. Seine Krallen waren nicht wie ein Säbel an der gekrümmten Längsseite scharf, sie entwickelten ihre Gefährlichkeit erst, wenn ein Tiger sie mit der ganzen Kraft seines Gewichts in ein Opfer schlug. Doch Quinn hatte keine Möglichkeit, hier solche Kräfte zu entfesseln. Wir würden also Zeit brauchen, und vermutlich würde es ein lautes Geräusch geben, wenn das Isolierband endlich riss.

Aber wir hatten keine Zeit. Selbst ein Idiot wie Clete musste jeden Moment bemerken, dass irgendetwas faul war.

Ich begann mit dem schwierigen Manöver, meine Hände zu Quinns Füßen hinunterzubewegen, ohne zu verraten, dass sie nicht mehr zusammengebunden waren. Clete sah sich um, als er meine Bewegung bemerkte, und ich sank gegen das leere Regal, die verschränkten Hände im Schoß. Ich versuchte, verzweifelt zu wirken; eine meiner leichtesten Übungen. Nach ein, zwei Sekunden interessierte es Clete mehr, sich eine Zigarette anzuzünden, was mir Gelegenheit gab, einen Blick auf den Plastikriemen um Quinns Knöchel zu werfen. Obwohl er mich an den Verschluss des Bratschlauchs für unseren Thanksgiving-Truthahn erinnert hatte, war dieses Plastik doch von einem anderen Kaliber: schwarz, dick und sehr fest. Und ich hatte weder ein Messer, um es zu zerschneiden, noch einen Schlüssel, um die Fessel aufzuschließen. Aber Clete hatte beim Festzurren etwas übersehen. Ich beeilte mich, mir das zunutze zu machen. Quinn trug natürlich noch immer seine Schuhe. Ich löste die Schnürsenkel und zog sie ihm aus. Dann hielt ich den einen Fuß so, dass die Zehenspitzen nach unten zeigten. Und diesen Fuß schob ich jetzt ganz vorsichtig nach oben durch den harten Plastikring. Wie vermutet, hatten die recht breiten Schuhe die Füße weiter als üblich voneinander getrennt, so dass die Fessel ohne Schuhe lockerer saß.

Auch wenn meine Handgelenke und Hände bluteten und Quinns Socken volltropften (die hatte ich ihm angelassen, damit das harte Plastik ihn nicht kratzte), klappte es doch ziemlich gut. Stoisch ertrug er mein drastisches Zerren an seinem Fuß, bei einer extremen Verdrehung hörte ich einmal sogar seine Knochen knacken. Doch der Fuß glitt aus dem Plastikring hinaus. Oh, danke, lieber Gott.

Es hatte länger gedauert, mir das auszudenken, als es durchzuführen. Aber mir schien, als hätte es Stunden gedauert.

Ich entfernte den Plastikgurt, schob ihn zwischen den herumliegenden Müll, sah Quinn an und nickte. Seine Kralle mühte sich noch mit dem Isolierband ab und durchbohrte es endlich. Ein Loch war zu sehen. Und es hatte nicht mal ein Geräusch gegeben. Vorsichtig streckte ich mich wieder der Länge nach an Quinns Seite aus, um unsere Aktivitäten mit meinem Körper zu verdecken.

Ich bohrte meinen Daumen in das Loch und zerrte daran, erreichte aber nicht viel. Es hat schon seine Gründe, warum Isolierband so beliebt ist. Ein sehr zuverlässiges Material.

Wir mussten raus aus diesem Lieferwagen, ehe er sein Ziel erreichte, und wir mussten verschwinden, ehe der zweite Lieferwagen anhalten konnte. Ich wühlte zwischen den Burger-Tüten und Fast-Food-Kartons auf dem Boden herum und fand schließlich in einer kleinen Lücke zwischen dem Boden und dem Regal einen vergessenen Schraubenzieher. Er war lang und dünn.

Ich sah ihn an und holte tief Luft. Ich wusste, was ich tun musste. Quinns Hände waren gefesselt, er konnte es nicht tun. Tränen rannen mir über die Wangen. Ich wurde schon zu einer richtigen Heulsuse, aber ich konnte einfach nichts dagegen machen. Einen Augenblick lang sah ich Quinn an, seine Miene war stählern. Er wusste genauso gut wie ich, dass es getan werden musste.

In diesem Moment verlangsamte der Lieferwagen die Fahrt und bog von der gut geteerten Landstraße auf einen kleinen Weg ab, der mit Kies bestreut zu sein schien und in einen Wald hineinführte. Eine Auffahrt, das hätte ich schwören können. Wir näherten uns dem Ziel. Das war die beste Gelegenheit, vielleicht sogar unsere letzte Gelegenheit.

»Zieh die Handgelenke auseinander«, murmelte ich und stach mit dem Schraubenzieher zu, in das Loch im Isolierband. Es wurde größer. Erneut stach ich zu. Die beiden Männer vorn, die meine wilden Bewegungen bemerkt hatte, drehten sich um, gerade als ich ein letztes Mal zustach. Während Quinn sich abmühte, das durchlöcherte Isolierband vollends durchzureißen, rappelte ich mich auf die Knie, griff mit der linken Hand in den groben Maschendraht und rief: »Clete!«

Er drehte sich um und beugte sich vor, näher an die gitterartige Abtrennung heran, um besser sehen zu können. Ich holte tief Luft und stieß dann mit der rechten Hand den Schraubenzieher durch das Metallgitter. Er landete direkt in seiner Wange. Clete schrie und blutete, George konnte kaum schnell genug bremsen und anhalten. Mit einem Brüllen befreite Quinn seine Handgelenke. Dann bewegte er sich blitzschnell, und als der Wagen mit einem Ruck zum Stehen kam, waren wir beide auch schon durch die Ladetüren raus und in den Wald hineingerannt. Gott sei Dank begann der Wald direkt neben dem Weg.

Mit Kristallsteinen verzierte Riemchensandalen eignen sich überhaupt nicht zum Rennen, möchte ich hier mal loswerden, und Quinn war auf Socken unterwegs. Doch wir legten eine gute Geschwindigkeit vor, und ehe der entsetzte Fahrer des zweiten Lieferwagens anhalten, aussteigen und uns folgen konnte, waren wir schon außer Sichtweite. Wir rannten immer weiter, da sie Werwölfe waren und sicher unsere Spur aufnehmen würden. Den Schraubenzieher hatte ich wieder aus Cletes Wange herausgezogen. Ich hielt ihn noch in der Hand und dachte daran, wie gefährlich es doch war, mit einem so spitzen Gegenstand in der Hand so schnell zu rennen. Dann dachte ich an Cletes dicke Finger, die zwischen meinen Beinen herumtasteten, und fühlte mich schon nicht mehr so schlecht wegen dem, was ich getan hatte. Im nächsten Augenblick, als ich über einen in dornigem Gestrüpp liegenden Baumstamm springen musste, fiel mir der Schraubenzieher aus der Hand, und ich hatte keine Zeit, danach zu suchen.

Wir rannten weiter und weiter und kamen schließlich in die Sümpfe. Sümpfe und morastige Flüsse gibt's in Louisiana natürlich reichlich. Diese Sumpflandschaften sind reich an wildlebenden Tieren und sehr schön anzuschauen, vielleicht auf einer Kanutour. Aber einfach so hineinzugehen, und dann auch noch im strömenden Regen, das ist echt Mist.

Ein Gutes hatte der Sumpf ja: Er verwischte unsere Spuren. Wenn wir erst mal im Wasser waren, hinterließen wir keinen Geruch mehr, dessen Witterung die Werwölfe aufnehmen konnten. Davon abgesehen fand ich den Sumpf einfach schrecklich: Er war dreckig und voller Schlangen, Alligatoren und Gott weiß was noch allem.

Ich musste mich überwinden, um hinter Quinn herzuwaten. Das Wasser war dunkel und kühl, es war ja noch Frühling. Im Sommer würde es sich anfühlen wie eine warme Brühe. An einem so bewölkten Tag würden wir, wenn wir erst mal die bis ins Wasser hängenden Bäume erreicht hatten, für unsere Verfolger beinahe unsichtbar sein. Sehr gut. Das hieß aber auch, das wir jedes lauernde Wildtier frühestens dann sahen, wenn wir drauftraten oder gebissen wurden. Nicht so gut.

Quinn lächelte breit, und ich erinnerte mich, dass für manche Tigerarten Sümpfe zu ihrem natürlichen Lebensraum gehörten. Na, wenigstens einer von uns war glücklich.

Das Wasser wurde tiefer und tiefer, und schon bald mussten wir schwimmen. Quinn schwamm mit einer so großartigen Eleganz, dass es fast einschüchternd war. Ich hatte schon die größte Mühe, mich im Wasser ruhig und leise fortzubewegen. Eine Sekunde lang spürte ich solche Angst und mir war so kalt, dass ich dachte, es wäre... Nein, es wäre nicht besser, immer noch in diesem Lieferwagen zu liegen... Doch eine Sekunde lang war es eine nahezu verlockende Vorstellung gewesen.

Ich war so müde. Meine Muskeln zitterten von den Nachwirkungen des Adrenalinschubs unserer Flucht; und dann war ich durch den Wald gerannt; und davor hatte der Kampf im Apartment stattgefunden; und davor ... o mein Gott, davor hatte ich Sex mit Quinn gehabt. So was in der Art jedenfalls. Ja, eindeutig Sex. Mehr oder weniger.

Wir hatten noch kein Wort gewechselt, seit wir geflohen waren. Ich erinnerte mich plötzlich, dass Blut an seinem Arm zu sehen war, als wir aus dem Lieferwagen sprangen. Ich musste ihn also doch mit dem Schraubenzieher getroffen haben, als ich auf das Isolierband einstach, um seine Hände zu befreien.

»Quinn«, sagte ich ganz kläglich. »Soll ich dir helfen?«

»Mir helfen?«, fragte er. Ich konnte seinen Ton nicht deuten; und da er vor mir her durch das dunkle Wasser schwamm, konnte ich auch seine Miene nicht deuten. Aber seine Gedanken... oh, die waren wirr und zornig. »Habe ich dir denn geholfen? Habe ich dich befreit? Habe ich dich vor den verdammten Werwölfen beschützt? Nein, ich musste zusehen, wie dieser Scheißkerl dich begrabschte, und konnte nichts dagegen tun.«

Ah, der männliche Stolz war verletzt. »Du hast meine Hände befreit«, bemerkte ich. »Und du könntest mir jetzt helfen.«

»Wie?« Als er sich nach mir umdrehte, sah ich, dass er richtig verstört war. Er war ein Mann, der seine Beschützerrolle sehr ernst nahm. Es war eine der von Gott gegebenen rätselhaften Unausgewogenheiten, dass Männer körperlich stärker waren als Frauen. Meine Großmutter sagte immer, das sei Gottes Art, die Waagschalen wieder auszugleichen, da Frauen zäher und belastbarer seien. Keine Ahnung, ob das wirklich stimmte, aber ich wusste, dass Quinn - vielleicht gerade weil er ein großer, eindrucksvoller Mann war, weil er sich in einen Wertiger, dieses schöne, gefährliche Tier, verwandeln konnte - verstört war, da er nicht alle unsere Angreifer hatte töten und mich vor ihren aufdringlichen Berührungen beschützen können.

Mir wäre das auch lieber gewesen, vor allem wenn ich an unsere gegenwärtige missliche Lage dachte. Aber so waren die Ereignisse nun mal nicht gelaufen. »Quinn«, sagte ich, und meine Stimme war genauso erschöpft wie der ganze Rest von mir, »irgendwo hier in der Gegend muss der Ort sein, an den sie uns bringen wollten. Irgendwo hier in den Sümpfen.«

»Deshalb sind wir ja geflohen«, erwiderte er. Ich sah eine Schlange, die sich um einen ins Wasser hängenden Ast genau hinter ihm gewunden hatte. Mein Gesicht muss so entsetzt ausgesehen haben, wie ich mich fühlte, denn Quinn fuhr schneller herum, als ich denken konnte, hatte die Schlange in der Hand, schlug sie ein-, zweimal durch die Luft, und dann war die Schlange tot und trieb im träge dahinfließenden Wasser davon. Danach schien er sich gleich viel besser zu fühlen. »Wir wissen nicht, wohin wir gehen, aber auf jeden Fall weg von den anderen, oder?«

»Hier gibt's keine anderen, die Gedanken aussenden, zumindest nicht in meiner Reichweite«, sagte ich, nachdem ich mich einen Augenblick lang prüfend umgehört hatte. »Aber ich weiß nicht so genau, wie groß meine Reichweite ist. Mehr kann ich nicht sagen. Lass uns einen Moment aus dem Wasser gehen und mal nachdenken, okay?« Ich zitterte am ganzen Körper.

Quinn pflügte durchs Wasser und hielt mich fest. »Leg deine Arme um meinen Hals.«

Klar, wenn er den starken Mann geben wollte, gern. Ich schlang meine Arme um seinen Hals, und er bewegte sich weiter durchs Wasser.

»Wäre es nicht leichter, wenn du dich in einen Tiger verwandelst?«, fragte ich.

»Könnte sein, dass ich das später noch tun muss. Ich habe mich heute schon zweimal teilverwandelt, da sollte ich meine Kräfte besser aufsparen.«

»Welche Art Tiger bist du?«

»Ein bengalischer Tiger.« Und in diesem Moment hörte endlich der Regen auf, der unablässig auf das Wasser geprasselt war.

Wir hörten Stimmen rufen, blieben im Wasser stehen und drehten die Köpfe in die Richtung, aus der sie kamen. Während wir so still dastanden, hörte ich rechts von uns noch etwas anderes, ein Geräusch, als würde etwas sehr Großes ins Wasser gleiten. Ich wandte den Blick zur Seite, voller Angst, was ich zu sehen bekommen würde - doch das Wasser war beinahe unbewegt, nur ein paar kleine Wellen kräuselten die Oberfläche. Ich wusste, dass die Einheimischen gutes Geld damit verdienten, Touristen auf das dunkle Wasser hinauszufahren und ihnen die Alligatoren zu zeigen. Es war ja schön, dass die Bewohner so ihren Lebensunterhalt verdienen konnten und die Fremden Dinge zu sehen bekamen, die sie sonst nie zu sehen bekämen. Schlecht war, dass die Bewohner manchmal Leckerbissen ins Wasser warfen, um die Alligatoren anzulocken. Und ich fürchtete, die Alligatoren assoziierten Menschen mit Leckerbissen.

Ich legte den Kopf auf Quinns Schulter und schloss die Augen. Die Stimmen kamen nicht näher, wir hörten kein Wolfsgeheul, kein Maul schnappte nach mir und versuchte mich unter Wasser zu ziehen. »So machen das die Alligatoren«, erzählte ich Quinn. »Sie ziehen dich unter Wasser, damit du ertrinkst, und dann verstecken sie dich irgendwo und kommen immer mal auf einen Snack vorbei.«

»Süße, die Werwölfe werden uns heute nicht verspeisen und die Alligatoren auch nicht.« Er lachte, es klang wie ein tiefes Dröhnen in seiner Brust. Als ich es hörte, ging es mir gleich besser. Dann bewegten wir uns weiter durchs Wasser. Die Bäume und die Ufer rückten immer näher, die Flüsse verengten sich, und schließlich kamen wir an ein Stück festes Land, gerade groß genug, dass eine Hütte darauf stehen konnte.

Quinn half mir, aus dem Wasser herauszuwaten.

Als Zufluchtsort war die Hütte nicht gerade ideal. Vielleicht war sie irgendwann mal eine primitive Jagdhütte gewesen, mit drei Wänden und einem Dach, mehr nicht. Jetzt war sie halb verfallen. Das Holz rottete vor sich hin, und das Blechdach war verbeult und voll rostiger Löcher. Ich ging hin und sah mir alles aufmerksam an. Doch es schien hier nichts zu geben, was sich als Waffe eignete.

Quinn war damit beschäftigt, die Reste des Isolierbands von seinen Handgelenken abzuziehen, und verzog keine Miene, als hin und wieder ein Stückchen Haut mit abging. Ich war sehr viel vorsichtiger mit den Resten auf meiner Haut. Dann klappte ich einfach zusammen.

Ich ließ mich zu Boden fallen und lehnte mich an den rauen Stamm einer Eiche. Ihre harte Rinde grub sich tief in meinen Rücken. Ich dachte an all die Bakterien und Keime im Wasser, die zweifellos seit dem Moment durch meinen Körper rasten, in dem die offenen Wunden an meinen Handgelenken ihnen so großzügig Zutritt gewährt hatten. Der nicht verheilte Vampirbiss an meinem Arm, den noch immer ein jetzt verdreckter Verband bedeckte, hatte sicher auch seinen Anteil ekliger Partikel hereingelassen. Mein Gesicht schwoll an von den Prügeln, die ich eingesteckt hatte. Gestern erst hatte ich in den Spiegel geschaut und mich gefreut, dass die Blutergüsse, die von den jungen Werwölfen in Shreveport stammten, schon fast nicht mehr zu sehen waren. Die Freude hatte nicht lange gewährt.

»Amelia hat inzwischen sicher was unternommen«, sagte ich in dem Versuch, optimistischer zu denken. »Wahrscheinlich hat sie in der Vampir-Residenz angerufen. Selbst wenn wir mit unserem eigenen Anruf nichts erreicht haben, suchen sie jetzt bestimmt schon nach uns.«

»Höchstens ihre menschlichen Angestellten. Es ist ja noch Tag, auch wenn der Himmel so dunkel ist.«

»Na ja, wenigstens hat's aufgehört zu regnen«, sagte ich. In diesem Moment setzte der Regen wieder ein.

Ich hätte einen Anfall kriegen können! Aber ehrlich gesagt, das schien mir reine Energieverschwendung. Ich konnte sowieso nichts ändern. Es würde regnen, ganz egal, wie viele Anfälle ich kriegte. »Tut mir leid, dass du in all das reingeraten bist«, sagte ich zu Quinn. Mir schien, als müsste ich mich für eine ganze Menge entschuldigen.

»Sookie, ich bin mir nicht sicher, ob du dich bei mir entschuldigen musst.« Quinn betonte die Pronomen. »Das ist alles uns beiden zusammen passiert.«

Das stimmte. Ich versuchte mir einzureden, dass es nicht allein meine Schuld war. Aber ich war überzeugt, dass es das irgendwie doch war.

Und dann sagte Quinn völlig unerwartet: »Welche Beziehung hast du eigentlich zu Alcide Herveaux? Wir haben ihn letzte Woche im Hair of the Dog getroffen, mit einer jungen Frau. Und der Detective in Shreveport hat gesagt, du wärst mal mit ihm verlobt gewesen.«

»Das war Blödsinn«, sagte ich nur. Hier saß ich nun also, mitten im Matsch, in den Sümpfen von Südlouisiana, und der Regen prasselte auf mich nieder. Da konnte ich mich doch auch gleich erschießen...

Hey, Moment mal. Ich sah Quinn an; sah, wie sich sein Mund bewegte; hörte, dass er etwas sagte; wartete aber darauf, dass mein flüchtiger Gedanke sich in einen Zusammenhang fügte. Hätte eine Glühbirne über meinem Kopf geschwebt, wäre sie leuchtend hell aufgeblitzt. »Jesus Christus«, sagte ich ehrfürchtig. »Jetzt weiß ich, wer das war.«

Quinn ging vor mir in die Hocke. »Jetzt weißt du, wer was war? Wie viele Feinde hast du denn?«

»Zumindest weiß ich jetzt, wer uns die jungen Werwölfe in Shreveport auf den Hals gehetzt und uns gekidnappt hat«, sagte ich, ohne mich ablenken zu lassen. Wir saßen zusammengekauert wie zwei Höhlenmenschen im Regen, und Quinn hörte zu, während ich redete.

Danach diskutierten wir Wahrscheinlichkeiten.

Und dann fassten wir einen Plan.