Kapitel 11

Am nächsten Morgen tauchte Tanya bei mir zu Hause auf. Es war Sonntag, ich hatte frei und war ziemlich guter Laune. Immerhin würde Crystal wieder gesund werden, Quinn schien mich zu mögen, und von Eric hatte ich nichts mehr gehört; vielleicht würde er mich nun endlich in Ruhe lassen. Ich versuche immer optimistisch zu sein. Der Lieblingsbibelspruch meiner Großmutter lautete: »Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.« Sie hatte mir erklärt, das würde bedeuten, man solle sich um das Morgen keine Sorgen machen und auch nicht um die Dinge, die man sowieso nicht ändern kann. Nach dieser Philosophie versuchte ich zu leben, auch wenn das an den meisten Tagen ganz schön schwierig war. Heute war es einfach.

Die Vögel zwitscherten und piepsten, die Insekten summten, und in der pollenschweren Luft lag so viel Frieden, dass man ihn glatt für eine weitere Pollenvariante hätte halten können. Ich saß in meinem rosa Bademantel auf der vorderen Veranda, trank Kaffee, hörte eine Talkshow auf Red River Radio und fühlte mich richtig gut, als ein kleiner Dodge Dart meine Auffahrt heraufgetuckert kam. Ich erkannte den Wagen nicht, aber ich erkannte die Fahrerin. Meine friedvolle Stimmung verpuffte in einem Anfall von Misstrauen. Jetzt, da ich wusste, dass die Bruderschaft der Sonne ganz in der Nähe eine neue Gemeinde hatte, machte mich Tanyas Neugier noch argwöhnischer. Es gefiel mir gar nicht, dass sie einfach zu mir nach Hause kam. Die Höflichkeit gebot es, sie nicht gleich wieder wegzuschicken - dafür hatte sie mir keinen Grund gegeben -, doch ich lächelte sie zur Begrüßung nicht an, als ich die Füße auf den Boden stellte und aufstand.

»Guten Morgen, Sookie!«, rief sie, als sie aus dem Auto stieg.

»Tanya«, sagte ich, nur um die Begrüßung nicht gänzlich zu ignorieren.

Auf halbem Weg zur Veranda hielt sie inne. »Äh, ist alles okay?«

Ich sagte kein Wort.

»Ich hätte wohl erst anrufen sollen, hm?« Sie versuchte gewinnend und reumütig zu wirken.

»Wäre besser gewesen. Ich mag keine unangemeldeten Besuche.«

»Entschuldigung, nächstes Mal ruf ich vorher an, versprochen.« Sie setzte den Weg zur Veranda fort und kam bis an die Stufen heran. »Hast du noch einen Schluck Kaffee übrig?«

Ich verstieß gegen eine der Grundregeln der Gastfreundschaft. »Heute Morgen nicht, nein«, erwiderte ich und stellte mich auf die oberste Stufe, um ihr den Zutritt zur Veranda zu verwehren.

»Nun... Sookie«, sagte sie unsicher. »Du bist ja ein richtiger Morgenmuffel.«

Unverwandt sah ich weiter zu ihr hinunter.

»Kein Wunder, dass Bill Compton sich eine andere gesucht hat«, meinte Tanya und lachte. Sie wusste sofort, dass sie einen Fehler gemacht hatte. »Entschuldigung«, fügte sie hastig hinzu. »Sieht aus, als hätte ich heute Morgen selbst einen Kaffee zu wenig getrunken. Das hätte ich nicht sagen sollen. Diese Selah Pumphrey ist doch ein richtiges Miststück, was?«

Zu spät, Tanya. Laut sagte ich: »Zumindest weiß man, woran man mit Selah ist.« Das war doch deutlich genug, oder? »Wir sehen uns bei der Arbeit.«

»Okay, nächstes Mal rufe ich vorher an, ja?« Sie schenkte mir ein strahlendes, aber leeres Lächeln.

»Hm.« Ich sah zu, wie sie wieder in das kleine Auto stieg. Sie winkte mir fröhlich zu, und nach viel umständlichem Herumgekurve hatte sie den Dodge Dart endlich gewendet und fuhr Richtung Hummingbird Road davon.

Ich sah ihr nach, bis das Motorengeräusch vollkommen verklungen war, erst dann setzte ich mich wieder. Mein Buch blieb auf dem Tisch neben meinem Liegestuhl liegen, ich trank den Rest des Kaffees aus, aber ohne den Genuss, den es mir vorher bereitet hatte.

Tanya führte irgendwas im Schilde.

Es hing ja praktisch ein grelles Neonschild über ihrem Kopf. Das Neonschild hätte mir freundlicherweise nur noch verraten müssen, wer sie war, für wen sie arbeitete und was sie im Schilde führte. Aber das musste ich wohl selbst herausfinden. Ich würde jede Gelegenheit nutzen, um ihre Gedanken zu lesen, und wenn es nicht funktionierte - was vorkommen konnte, nicht nur weil sie Gestaltwandlerin war, sondern auch weil ich niemanden zwingen kann, an das zu denken, was ich gerade wissen will - wenn es also nicht funktionierte, würde ich drastischere Maßnahmen ergreifen müssen.

Wie die aussehen sollten, wusste ich allerdings selbst noch nicht.

Im Laufe des vergangenen Jahres war mir so was wie die Rolle der Zuständigen für alle unheimlichen Gestalten in meiner Ecke von Louisiana zugefallen. Ich war die Botschafterin für ein tolerantes Miteinander aller Arten von Lebewesen und hatte vieles über die andere Welt gelernt, die von den meisten Menschen, obwohl sie ständig um sie herum war, gar nicht wahrgenommen wurde. Irgendwie war's klasse, Dinge zu wissen, die sonst keiner wusste. Aber es komplizierte mein Leben ganz schön, und es hatte mich schon in gefährliche Situationen mit Wesen gebracht, die ihre Existenz unbedingt geheim halten wollten.

Im Haus klingelte das Telefon, und ich stand auf, ließ diese trüben Gedanken hinter mir und hob ab.

»Hey, Süße«, sagte eine warme Stimme am anderen Ende der Leitung.

»Quinn.« Ich versuchte nicht zu erfreut zu klingen. Nein, ich war mit diesem Mann nicht emotional verstrickt, aber ich konnte es einfach gut gebrauchen, dass mal was Positives in meinem Leben geschah, und Quinn war nicht nur eindrucksvoll, sondern auch attraktiv.

»Was machst du gerade?«

»Oh, ich sitze im Bademantel auf der vorderen Veranda und trinke Kaffee.«

»Da würde ich gern einen mittrinken.«

Hmmm. War das jetzt nur so dahingesagt oder der Wunsch nach einer Einladung?

»Es ist noch genug Kaffee in der Kanne«, sagte ich vorsichtig.

»Ich bin in Dallas, sonst käme ich jetzt sofort zu dir.«

Schon war die Luft wieder raus. »Wann bist du denn abgereist?«, fragte ich, weil mir das noch am wenigsten neugierig erschien.

»Gestern. Die Mutter eines Typen, der hin und wieder mal für mich arbeitet, hat angerufen. Er ist vor Wochen mitten in einem Auftrag, den wir in New Orleans hatten, einfach nicht mehr aufgetaucht. Ich war ziemlich sauer auf ihn, habe mir allerdings nicht wirklich Sorgen gemacht. Er arbeitet immer freiberuflich und hat eine Menge Eisen im Feuer, die ihn durchs ganze Land führen. Doch seine Mutter sagt, er hat sich nirgends wieder gemeldet, und sie glaubt, dass ihm was zugestoßen ist. Ich sehe mich in seinem Haus um und gehe seine Unterlagen durch, um ihr zu helfen. Bisher führt alles immer nur an einen toten Punkt. Sieht so aus, als würden seine Spuren in New Orleans enden. Morgen fahre ich nach Shreveport zurück. Musst du da arbeiten?«

»Ja, ich habe Frühschicht, bis um fünf.«

»Darf ich mich dann selbst zum Abendessen einladen? Ich bringe Steaks mit, hast du einen Grill?«

»Ja, sicher. Er ist ziemlich alt, funktioniert aber.«

»Und Holzkohle?«

»Da muss ich erst nachsehen.« Ich hatte nicht mehr draußen gegrillt, seit meine Großmutter gestorben war.

»Kein Problem. Bringe ich auch mit.«

»Okay«, sagte ich. »Ich kümmere mich um alles andere.«

»Dann ist das abgemacht.«

»Wie war's mit sechs Uhr?«

»Um sechs also.«

»Okay, dann also tschüs.«

Eigentlich hätte ich gern länger mit ihm geredet, aber ich wusste nicht recht, worüber, denn mit flirtendem Geplauder hatte ich nicht allzu viel Erfahrung. Meine Karriere als Frau, die Verabredungen und richtige Freunde hat, ging eigentlich erst letztes Jahr los, als ich Bill kennen lernte. Da hatte ich jede Menge nachzuholen. Aber ich war eben keine, sagen wir mal, Lindsay Popken, die Miss Bon Temps war, als ich die Highschool verließ. Lindsay konnte alle Jungs in sabbernde Dummköpfe verwandeln, die wie hypnotisiert hinter ihr herliefen. Ich habe sie oft beobachtet, konnte das Phänomen aber einfach nicht begreifen. Sie schien nie über irgendwas Besonderes zu reden. Ich habe sogar mal ihre Gedanken gelesen, aber außer einem weißen Rauschen war in ihrem Kopf nicht viel gewesen. Lindsay ging instinktiv vor, folgerte ich, und das Grundprinzip war, bloß nie irgendwas Ernsthaftes zu sagen.

Ach, Schluss mit diesen Erinnerungen. Ich ging ins Haus und sah nach, was ich noch alles für Quinns Besuch am nächsten Abend vorzubereiten hatte. Und eine Einkaufsliste musste ich auch noch schreiben. Eine angenehme Art, den Sonntagnachmittag zu verbringen - ich würde einkaufen gehen. Unter der Dusche malte ich mir den Tag schon in den schönsten Farben aus.

Ein Klopfen an der Vordertür riss mich ungefähr eine halbe Stunde später, als ich gerade Lippenstift auftrug, aus meinen Tagträumen. Diesmal sah ich zuerst durchs Guckloch. Mir sank das Herz. Egal, ich war verpflichtet, die Tür zu öffnen.

Eine lange schwarze Limousine parkte in meiner Auffahrt. Die Erinnerung an das, was passiert war, als ich diese Limousine das erste Mal sah, ließ mich nichts anderes als unerfreuliche Neuigkeiten und Schwierigkeiten erwarten.

Der Mann - das Wesen, das da auf meiner Veranda stand, war der Bevollmächtigte und Rechtsanwalt der Vampirkönigin von Louisiana, Mr Cataliades, Betonung auf der zweiten Silbe. Ich war Mr Cataliades zum ersten Mal begegnet, als er zu mir kam und mir mitteilte, dass meine Cousine Hadley gestorben sei und mir ihr Apartment hinterlassen habe. Hadley war nicht einfach so gestorben, sie war ermordet worden, und der Vampir, der diesen Mord verübt hatte, war direkt vor meinen Augen bestraft worden. Der Abend hatte eine Vielzahl Schrecken bereitgehalten: Es war ja nicht so, dass Hadley bloß gestorben war, sie war auch noch als Vampirin gestorben, und noch dazu war sie eine Gefährtin der Königin gewesen, im biblischen Sinn des Wortes.

Hadley war eine der wenigen verbliebenen Angehörigen meiner Familie gewesen, und ich empfand ihren Tod als Verlust. Allerdings musste ich auch zugeben, dass Hadley ihrer Mutter und meiner Großmutter als Teenagerin viel Kummer und Sorgen bereitet hatte. Vielleicht hätte Hadley, wenn sie alle noch leben würden, es wieder gutgemacht - vielleicht auch nicht. Aber die Möglichkeit hatte ja gar nicht bestanden.

Ich holte tief Luft und öffnete die Tür. »Mr Cataliades«, sagte ich und spürte, wie sich dieses nervöse, wenig überzeugende Lächeln auf meinen Lippen breitmachte. Der Rechtsanwalt der Königin war ein Mann, der aus lauter Rundungen zu bestehen schien: rundes Gesicht, noch runderer Bauch und runde, fast schwarze Knopfaugen. Ich glaubte nicht, dass er ein Mensch war - oder wenigstens nicht nur; aber was er war, wusste ich auch nicht genau. Ein Vampir jedenfalls nicht, denn da stand er, im hellen Sonnenschein; und auch kein Werwolf oder Gestaltwandler, denn von seinem Gehirn ging nicht dies typische pulsierende Rot aus.

»Miss Stackhouse«, sagte er und lächelte mich strahlend an. »Was für eine Freude, Sie wiederzusehen.«

»Ganz meinerseits«, erwiderte ich, eine glatte Lüge. Ich zögerte, denn plötzlich spürte ich diesen gewissen Schmerz, diesen gewissen Druck. Ich hätte schwören können, dass auch Mr Cataliades wie alle anderen Supras, die ich kannte, haargenau wusste, dass es bei mir diesen Monat mal wieder so weit war. Großartig, wirklich. »Wollen Sie nicht hereinkommen?«

»Danke, meine Liebe«, sagte er, und voller böser Vorahnungen trat ich zur Seite und ließ dieses Geschöpf in mein Haus hinein.

»Nehmen Sie doch bitte Platz.« Höflich wollte ich wenigstens bleiben. »Möchten Sie etwas trinken?«

»Nein, danke. Wollten Sie etwa gerade weggehen?« Stirnrunzelnd betrachtete er meine Handtasche, die ich auf dem Weg zur Tür auf einen Stuhl geworfen hatte.

Okay, irgendwas schien mir hier wohl entgangen zu sein. »Ja«, sagte ich und hob fragend die Augenbrauen. »Ich hatte vor, Lebensmittel einzukaufen, aber das kann ich auch noch eine Stunde oder so verschieben.«

»Sie haben noch nicht gepackt, um mit mir nach New Orleans zu fahren?«

»Was?«

»Haben Sie meinen Brief nicht bekommen?«

»Welchen Brief?«

Bestürzt starrten wir einander an.

»Ich habe Ihnen einen Brief meines Rechtsanwaltsbüros per Kurier zustellen lassen«, erklärte Mr Cataliades. »Sie hätten ihn schon vor vier Tagen bekommen müssen. Der Brief war mit Magie versiegelt. Niemand außer Ihnen kann ihn öffnen.«

Ich schüttelte den Kopf, meine verwirrte Miene machte jedes Wort überflüssig.

»Soll das heißen, dass Gladiola nicht hier gewesen ist? Sie hätte spätestens am Mittwochabend hier sein müssen. Nicht mit dem Auto allerdings, sie läuft lieber.« Eine Sekunde lang lächelte er nachsichtig. Doch das Lächeln verschwand sofort wieder. Hätte ich in dem Moment gezwinkert, wäre es mir wohl entgangen. »Mittwochabend«, sagte er noch einmal.

»Das war der Abend, an dem ich draußen etwas gehört habe«, erwiderte ich. Ich schauderte, als ich mich an die angespannte Atmosphäre dieses Abends erinnerte. »Es kam niemand an die Tür. Und es hat auch niemand nach mir gerufen oder versucht einzubrechen. Da war nur dieses Gefühl, dass sich da draußen irgendetwas bewegte. Die Tiere waren alle verstummt.«

Für einen so mächtigen Supra wie den Rechtsanwalt der Königin war es natürlich ganz und gar unmöglich, erschrocken auszusehen, doch er wirkte sehr nachdenklich. Einen Augenblick später erhob er sich schwerfällig, verbeugte sich vor mir und zeigte zur Tür. Wir gingen nach draußen. Auf der vorderen Veranda drehte er sich nach der Limousine um und winkte.

Auf der Fahrerseite stieg eine sehr schlanke Frau aus. Sie war jünger als ich, vielleicht Anfang zwanzig, und wie Mr Cataliades war auch sie nur zum Teil ein Mensch. Ihr dunkelrotes Haar stand in kurzen Igelstacheln vom Kopf ab, und ihr Make-up war anscheinend mit dem Spachtel aufgetragen worden. Selbst das auffällige Outfit der Teenagerin im Hair of the Dog verblasste im Vergleich zu dieser jungen Frau. Sie trug gestreifte Strümpfe in Knallpink und Schwarz, und ihre Stiefeletten waren schwarz und extrem hochhackig. Ihr Rock war ebenfalls schwarz, ziemlich durchscheinend und gerüscht, und ein ärmelloses pinkfarbenes Trägertop war das Einzige, was sie obenherum anhatte.

Mir stockte beinahe der Atem.

»Hi-wie-geht's-so?«, sagte sie gutgelaunt. Ihr Lächeln ließ zwei Reihen sehr scharfer, sehr weißer Zähne sehen, in die jeder Zahnarzt sich sofort verlieben würde - ehe er den ersten Finger verlor.

»Hallo«, sagte ich und hielt ihr die Hand hin. »Ich bin Sookie Stackhouse.«

Sie kam unglaublich flink auf uns zu, sogar in diesen lächerlich hochhackigen Stiefeletten. Ihre Hand war klein und knochig. »Freu-mich-Sie-kennen-zu-lernen«, entgegnete sie. »Diantha.«

»Schöner Name«, sagte ich, nachdem ich mir klargemacht hatte, dass das wirklich ihr Name und nicht eine weitere Aneinanderreihung halbverschluckter Silben war.

»Danke.«

»Diantha«, sagte Mr Cataliades. »Du musst jemanden für mich suchen.«

»Wen?«

»Ich fürchte, wir suchen nach den sterblichen Überresten von Gladiola.«

Die junge Frau hörte abrupt auf zu lächeln.

»Ohne Scheiß?«, sagte sie ziemlich drastisch.

»Ja, Diantha«, erwiderte der Rechtsanwalt. »Ohne Scheiß.«

Diantha setzte sich auf die Verandastufen und zog die Stiefeletten und die gestreiften Strümpfe aus. Es schien sie nicht zu stören, dass unter dem durchscheinenden Rock ohne die Strümpfe kaum noch etwas der Fantasie überlassen blieb. Weil Mr Cataliades nicht ansatzweise die Miene verzog, beschloss ich, dass auch ich abgeklärt genug war, es zu ignorieren.

Sie hatte ihre Sachen kaum abgelegt, da machte sich Diantha auch schon auf den Weg, dicht über dem Boden kriechend und in einer Weise schnüffelnd, die mir deutlich zeigte, dass sie noch viel weniger ein Mensch war, als ich vermutet hatte. Doch sie bewegte sich nicht wie ein Werwolf oder wie andere Gestaltwandler, etwa die Werpanther. Ihr Körper drehte und wand sich in einer Art und Weise, die nicht mehr einem Säugetier entsprach.

Mr Cataliades sah ihr zu, die Hände vor dem Bauch gefaltet. Er schwieg, und so tat ich es auch. Die junge Frau schoss auf dem ganzen Grundstück von hier nach dort, wie ein durchgedrehtes Reptil, und vibrierte geradezu sichtbar von innen heraus von einer unheimlichen Energie.

Trotz all der Bewegung konnte ich nicht hören, dass sie auch nur das kleinste Geräusch verursachte.

Es dauerte nicht lange, da hielt sie vor den dichten Sträuchern am Rand des Waldes inne. Ganz still verharrte sie davor und starrte den Erdboden an. Dann hob sie, noch immer ohne aufzusehen und wie ein Schulmädchen, das die richtige Antwort weiß, eine Hand.

»Gehen wir mal nachsehen«, schlug Mr Cataliades vor und überquerte entschlossen die Auffahrt, dann den Rasen und ging bis an den Wald zu den Wachsmyrtensträuchern. Diantha sah nicht auf, als wir uns näherten, sondern fixierte weiterhin etwas, das auf dem Boden hinter den Sträuchern lag. Tränen liefen ihr die Wangen hinunter. Ich holte tief Luft und sah mir an, was dort lag.

Dieses Mädchen war noch jünger gewesen als Diantha, aber genauso schlank und zierlich. Sie hatte die Haare goldgelb gefärbt, was einen seltsamen Kontrast zu ihrer milchschokoladenbraunen Haut bildete. Ihre Lippen hatten sich im Tod zurückgezogen, so dass es aussah, als würde sie die Zähne fletschen, die genauso scharf und weiß wie Dianthas waren. Seltsamerweise wirkte sie gar nicht so arg mitgenommen, wie ich erwartet hätte, da sie ja bereits seit einigen Tagen hier draußen lag. Nur ein paar Ameisen krochen über sie hinweg, nirgends ein Anzeichen des üblichen gefräßigen Getiers ... und sie sah wirklich nicht übel aus für jemanden, dessen Körper in zwei Hälften zerhauen worden war.

Eine Minute lang dröhnte es in meinem Kopf, und ich fürchtete schon, dass ich in die Knie gehen würde. Ich hatte bereits einige furchtbare Sachen gesehen, darunter zwei richtiggehende Massaker, aber noch nie jemanden, der so in zwei Hälften zerteilt war wie dieses Mädchen. Ich konnte ihre Eingeweide erkennen, sie sahen nicht wie menschliche Eingeweide aus. Und anscheinend waren die beiden Hälften jede für sich irgendwie versiegelt, denn es war nur sehr wenig Blut geflossen.

»Zerteilt mit einem Stahlschwert«, sagte Mr Cataliades. »Mit einem sehr guten Schwert.«

»Was sollen wir mit ihren sterblichen Überresten machen?«, fragte ich. »Ich kann eine alte Decke holen.« Ohne zu fragen, wusste ich, dass wir natürlich nicht die Polizei rufen würden.

»Wir müssen sie verbrennen«, sagte Mr Cataliades. »Dort drüben, auf dem Kiesgrund Ihres Parkplatzes, Miss Stackhouse. Das wäre am sichersten. Sie erwarten doch keinen Besuch?«

»Nein«, erwiderte ich, in vielerlei Hinsicht schockiert. »Entschuldigung, aber warum muss sie denn ... verbrannt werden?«

»Kein Lebewesen frisst einen Dämon, nicht mal einen Halbdämon wie Gladiola oder Diantha«, sagte er so sachlich, als würde er mir erklären, dass die Sonne im Osten aufgeht. »Nicht mal die Ameisen, wie Sie sehen. Der Erdboden wird sie nicht verschlingen, wie er es mit den Menschen macht.«

»Sie wollen sie nicht mit nach Hause nehmen? Zu ihrer Familie?«

»Diantha und ich sind ihre Familie. Bei uns ist es nicht Brauch, die Toten dorthin zurückzubringen, wo sie gewohnt haben.«

»Und was hat sie getötet?«

Mr Cataliades hob eine Augenbraue.

»Nein, nein. Natürlich hat dieser Hieb durch den Leib sie getötet, das sehe ich auch! Aber was hat das Schwert geführt?«

»Was glaubst du, Diantha?«, fragte Mr Cataliades, als würde er eine Schülerin abhören.

»Was sehr, sehr Starkes und Heimtückisches«, sagte Diantha. »Es ist nah an Gladiola rangekommen, und sie war echt nicht blöd. Wir sind nicht so leicht totzukriegen.«

»Ich sehe den Brief, den sie bei sich hatte, nirgends.« Mr Cataliades beugte sich vor und spähte über die Sträucher. Dann richtete er sich wieder auf. »Haben Sie Brennholz, Miss Stackhouse?«

»Ja, hinter dem Geräteschuppen sind noch genug Eichenholzscheite aufgestapelt.« Jason hatte nach dem letzten Eissturm einige Bäume fällen müssen.

»Müssen Sie nicht noch packen, meine Liebe?«

»Ja«, sagte ich, fast zu überwältigt, um zu antworten. »Aber wofür? Wofür eigentlich?«

»Für die Reise nach New Orleans. Sie können doch mitkommen, nicht wahr?«

»Ich ... ich glaube schon. Ich muss nur meinen Boss fragen.«

»Diantha und ich kümmern uns um das hier, während Sie um Erlaubnis fragen und packen«, sagte Mr Cataliades.

Ich musste blinzeln. »Okay«, erwiderte ich. Irgendwie schien es unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen.

»Und dann müssen wir nach New Orleans aufbrechen«, sagte er. »Ich glaubte, ich würde Sie reisefertig antreffen. Ich dachte, Gladiola wäre geblieben und hätte Ihnen geholfen.«

Ich zwang mich, meinen Blick von der Leiche abzuwenden, und sah den Rechtsanwalt an. »Ich verstehe das alles nicht.« Aber dann erinnerte ich mich doch an etwas. »Mein Freund Bill wollte mit nach New Orleans, wenn ich hinfahre, um Hadleys Wohnung aufzulösen«, sagte ich. »Falls er... falls er das einrichten kann, hätten Sie was dagegen, wenn er mitfährt?«

»Sie möchten also, dass Bill Compton mitfährt.« Ein Anflug von Überraschung lag in seiner Stimme. »Bill steht in der Gunst der Königin, ich hätte also nichts dagegen.«

»Okay, sobald es ganz dunkel ist, werde ich mich mit ihm in Verbindung setzen. Hoffentlich ist er in der Stadt.«

Ich hätte Sam natürlich anrufen können, aber ich wollte weg von dieser seltsamen Beerdigung auf meiner Auffahrt. Als ich abfuhr, trug Mr Cataliades gerade die schlaffe kleine Leiche vom Waldrand herüber. Die untere Hälfte.

Diantha füllte schweigend die Schubkarre mit Brennholz.