XIX

Zwei Männer verließen das Lager. Der eine trug den Arm in der Schlinge. Sie gingen an diesem Tag so weit, wie es der gebrochene Arm und der Blutverlust des Verletzten erlaubten, und kehrten über Nacht in einer Herberge ein.

»Warum?« fragte Sav, als Sos das Abendbrot zubereitete.

»Der Arm?«

»Nein. Das kann ich verstehen. Warum aber du?«

»Man hat mich dazu bestimmt, Sols Reich zu übernehmen. Er wird sich mit mir wohl kaum im Ring messen, wenn ich ihm nicht zuerst einen seiner Unterführer besiegt vorführe.«

Sav lehnte sich vorsichtig zurück. Er mußte auf seinen Arm achtgeben. »Ich meine, warum ausgerechnet du, Sos?«

Der erste Mann, der zweite Tag. Und schon war er, ohne es zu merken, erkannt worden!

»Du kannst mir vertrauen«, sagte Sav. »Ich habe niemandem von deinen Nächten mit Sola erzählt, obwohl ich damals nicht durch den Ehrenkodex des Ringes gebunden war. Jedenfalls nicht dir gegenüber. Ich werde es auch jetzt niemandem erzählen. Diese Information hätte nur mir allein gehört, wenn ich sie von dir bekommen hätte. Das war aber nicht der Fall.«

»Woher hast du es erfahren?«

»Wir haben doch eine ganze Weile das Zelt geteilt. Dabei habe ich dich ganz gut kennengelernt. Ich weiß, was du denkst und wie du riechst. Gestern konnte ich wegen der Schmerzen im Arm nicht einschlafen und ging an deinem Zelt vorbei.«

»Wie hast du mich im Schlaf erkannt?«

Sav lächelte. »An deinem Schnarchen.«

»Ich . . .« Er hatte nicht einmal gewusst, daß er schnarchte.

»Und noch an ein oder zwei Dingen«, fuhr Sav fort. »Wie du auf die Stelle hingestarrt hast, wo unser kleines Zelt gestanden hatte. Dabei hast du aber nicht an mich gedacht! Und wie du RedRiver Valley heute unterwegs gesummt hast. Wie du dich bemüht hast, mich im Ring nicht zu jämmerlich abschneiden zu lassen, damit ich ehrenhaft verliere. Das hättest du alles gar nicht nötig gehabt. Du hast auf mich Rücksicht genommen, wie ich auf dich Rücksicht genommen habe.«

»Rücksicht auf mich?«

»Du weißt schon - ich habe dir den ganzen Winter über die Mädchen vom Hals gehalten, auch wenn ich selbst dafür einspringen mußte. Ich habe einen Mann zu Sol geschickt, als es Zeit wurde. Und dergleichen mehr.«

Also war Sol weggeblieben, bis Sola schwanger geworden war! »Du hast über Sol - Bescheid gewusst?«

»Ich bin von Natur aus neugierig. Aber ich kann den Mund halten.«

»Das ist wahr!« Sos brauchte einen Augenblick, um sich an die veränderte Situation zu gewöhnen. Der Stabkämpfer war viel verständiger und diskreter, als er jemals angenommen hatte. »Na gut, Sav, ich werde dir alles erzählen. Und du wirst mir sagen, wie ich meine Geheimnisse bewahren kann, ohne daß jemand anderer Verdacht schöpft. Einverstanden?«

»Ja. Außer . . .«

»Keine Ausnahmen! Ich kann es außer dir niemandem sagen!«

»Einige werden dich auf jeden Fall wiedererkennen. Sol erkennt dich schon auf einige Meter Entfernung. So ist er eben. Auch Sola kannst du nicht lange hinters Licht führen. Die anderen - na ja, wenn wir es bei Tor schaffen, werden die anderen kein Problem sein.«

Sav hatte wahrscheinlich recht. Sos machte sich darüber keine

besonderen Gedanken. Wenn er ehrlich sein Bestes tat, seine Identität zu verbergen, und dann trotzdem von den ihm Nahestehenden erkannt wurde, konnte man ihm deswegen kaum die Schuld geben. Seine wahre Identität würde sich auch nicht so rasch herumsprechen.

»Du hast gefragt, warum ich das alles tue. Diese Frage habe ich mir selbst gestellt. Man hat mich unter Druck gesetzt, doch hätte das nicht ausgereicht, wenn ich nicht selbst innere Zweifel gehabt hätte. Warum gerade ich? Weil ich das Reich aufgebaut habe, obwohl die das dort nicht gewusst haben. Ich habe damit angefangen, ich habe alles organisiert, ich habe die Ausbildung geleitet, ich habe Männer eingesetzt, die diese Aufgaben dann übernommen haben. Wenn das alles schlecht war, dann habe ich die moralische Verpflichtung, das Reich wieder aufzulösen. Und ich bin vielleicht der einzige, der das ohne unheilvolles Blutvergießen machen kann. Ich bin der einzige, der die Natur dieser Organisation und die Schlüsselfiguren wirklich versteht - und der Sol im Ring gewachsen ist!«

»Fange lieber von Anfang an«, sagte Sav. »Du bist weggegangen, und dann bist du mit dem Lasso wiedergekommen. Sol hat dich besiegt, und du bist zum Berg . . .«

Es wurde spät nachts, bevor Sos die ganze Geschichte erzählt hatte.

Tyls Lager war viel größer als das von Sav. Es war ein auf die Rekrutierung ausgerichteter Stamm, der sich nicht mehr mit der Ausbildung befaßte, und zählte fast fünfhundert Krieger. Diesmal gab es beim Lagereingang keinerlei Behinderung. Sav war ein hochgestelltes Mitglied der Hierarchie. Seine sonst so ruhige Stimme enthielt unmißverständlich Kommandotöne. Zehn Minuten nach ihrer Ankunft standen sie vor Tyl selbst.

»Kamerad, was führt dich her?« fragte Tyl vorsichtig und ließ den verwundeten Arm unerwähnt. Er sah älter, aber nicht weniger selbstsicher aus als früher.

»Ich diene einem neuen Herrn. Das ist der Namenlose, der mich ausgewählt und im Ring besiegt hat. Jetzt bietet er mich und meinen Stamm gegen dich und deinen Stamm.«

Tyl studierte Sos' Gewand und versuchte, die Gestalt darunter abzuschätzen. »Mit allem schuldigen Respekt, Exkamerad - mein Stamm ist mächtiger als deiner. Er muß sich zuerst mit meinen Unterführern messen.«

»Natürlich. Bestimme ein Drittel deines Stammes. Das entspricht etwa meiner - ehemaligen Mannschaftsstärke. Wenn der Namenlose deinen Mann besiegt hat, wird er sich mit beiden Abteilungen gegen den Rest messen. Du kannst ihn heute beobachten und morgen mit ihm kämpfen.«

»Du scheinst Vertrauen in ihn zu setzen«, bemerkte Tyl.

Sav wandte sich an Sos. »Wollt Ihr Euer Gewand ablegen?«

Sos kam der Aufforderung nach. Es war viel einfacher, Sav die Führung der Situation zu überlassen. Der Mann hatte Talent dafür. Dieser erste Erwerb war äußerst glücklich für ihn gewesen.

Tyl sah Sos an. »Ich verstehe«, sagte er beeindruckt. »Und welche Waffe führt er?« Dann wieder: »Ich verstehe.«

An diesem Nachmittag schlug Sos einen der Unterführer, einen Schwertkämpfer, mit einem einzigen Hammerschlag seiner Faust in dessen Leib. Er hatte das Schwert einfach an der Klinge gepackt und es festgehalten. Ein feiner Streifen auf seinen Schwielen zeigte an, wo die Waffe eingedrungen war. Das war alles. Er hatte die Hand fest um die Klinge geschlossen gehalten, doch das hatten die Zuschauer nicht bemerkt. Sie hatten angenommen, daß er der vollen Wucht des Schwertstreiches mit der ungeschützten Hand entgegengetreten war. Tyl war - wie Sav - rasch von Begriff. Auch er führte das Schwert. Er focht gegen Sos' Hände, als wären sie Dolche, und gegen dessen Kopf, als wäre er eine Keule, und hielt dabei immer vorsichtig Abstand. Das war eine kluge Strategie. Die sausende Klinge war eine ausgezeichnete Verteidigung, und Tyl wollte kein Risiko eingehen.

Eines hatte er jedoch vergessen: Sos hatte neben seinen Händen und seinem Kopf auch noch Füße. Ein fester Tritt gegen die Kniescheibe lahmte Tyl momentan. Doch er kämpfte weiter. Er war alles andere als ein Feigling. Erst als beide Knie aus den Gelenken gesprungen waren, versuchte er einen selbstmörderischen Angriff.

Sos ließ die Klinge in seinem Unterarm stecken und faßte dann mit den Fingern nach Tyls Nacken. Der Kampf war vorbei.

Dann zog Sos die Klinge heraus und versorgte selbst seine Wunde. Es war ein Stich, kein Schnitt gewesen. Die Metallverstärkung im Knochen hatte ein weiteres Eindringen verhindert. Der Arm würde rasch heilen.

Als Tyl wieder gehen konnte, machte sich Sos mit ihm und Sav auf den Weg zum nächsten großen Stamm, der Sols eigenem Lager schon beträchtlich näher lag. Tyl reiste mit seiner Familie, weil Sos keine rasche Rückkehr garantiert hatte. Tyla übernahm die Haushaltspflichten. Die Kinder starrten sprachlos den Mann an, der ihren Vater besiegt hatte. Sie konnten das kaum glauben. Um den Kampf selbst würdigen zu können, waren sie noch zu klein. Sie hatten nicht begriffen, daß Tyl bereits besiegt gewesen war, als er sich Sols wachsender Gruppe angeschlossen hatte.

Unterwegs konnte man sich nicht frei unterhalten. Tyl hatte den Namenlosen nicht erkannt, und Sav unterließ klug alle gefährlichen Bemerkungen.

Nach drei Wochen hatten sie Tors Stamm eingeholt. Sos hatte beschlossen, daß er einen weiteren Anführer in seinem Gefolge brauchte, ehe er Sol in den Ring zwingen konnte. Jetzt hatte er Gewalt über mehr als sechshundert Mann. Doch Sol waren noch acht Stämme, zum Teil sehr große Stämme, geblieben. Sol konnte sein Reich immer noch retten, wenn er diesen Stämmen nicht gestattete, Sos' Herausforderung anzunehmen, und wenn er sich selbst vom Kampf im Ring zurückhielt. Doch wenn Sos noch einen dritten Stamm dazugewann, konnte Sol einen solchen Verlust nicht mehr widerspruchslos hinnehmen.

Tors Stamm war kleiner als der Tyls und auch lockerer organisiert. Tor empfing Sos zu vertraulicher Beratung. Sav und Tyl blieben inzwischen draußen.

»Ich sehe, daß Ihr Familie habt«, sagte er.

Sos blickte auf sein bloßes Handgelenk. »Das war einmal.«

»Ach, ich verstehe.«

Tor, der nach einer Schwäche gesucht hatte, hatte sein Ziel verfehlt. »Soweit ich begriffen habe, seid Ihr aus dem Nichts gekommen, habt Sav und Tyl besiegt und wollt Sol um sein Reich herausfordern. Und Ihr betretet den Ring ohne Waffe.«

»Ja.«

»Für mich wäre es unsinnig, Euch persönlich entgegenzutreten, da Tyl der bessere Kämpfer ist.«

Sos sagte nichts darauf.

»Doch liegt es nicht in meiner Natur, einer Herausforderung auszuweichen. Nehmen wir folgendes an: Ich stelle meinen Stamm gegen Euren auf, wenn Ihr gegen meinen Vertreter antretet.«

»Einen Eurer Unterführer? Ich werde doch nicht sechshundert Mann gegen einen Untergebenen aufstellen!« Dabei blieb es Sos' einzige Sorge, daß Tor ihn nicht erkannte.

»Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, mein Repräsentant, der nicht Mitglied meiner Gruppe ist, gegen Euch allein. Wenn er Euch schlägt, werdet Ihr Eure Leute freilassen und Eurer Wege gehen. Sol wird sie rechtzeitig wieder zurückgewinnen. Wenn Ihr ihn besiegt, übergebe ich Euch meine Gruppe, bleibe aber im Dienste Sols. Momentan möchte ich keinem anderen Herrn dienen.«

»Das ist eine merkwürdige Sache!« Sicher steckte auch etwas Besonderes dahinter, denn Tor war immer schon ein schlauer Fuchs gewesen. »Freund, Ihr selbst seid merkwürdig.«

Sos überdachte die Angelegenheit, konnte aber nichts Unfaires in den Bedingungen erkennen. Wenn er gewann, bekam er den Stamm. Verlor er, stand es ihm frei, sich später mit Sol zu messen. Es spielte keine Rolle, mit wem er kämpfte. Früher oder später mußte er den Mann ohnehin besiegen, um ein Wiedererstarken des Reiches unter einem neuen Herrn zu verhindern.

Tor schien ihn nicht zu erkennen, was Sos insgeheim Genugtuung bereitete. Vielleicht hatte er sich diesbezüglich zuviel Sorgen gemacht.

»Geht in Ordnung! Ich werde mit diesem Mann kämpfen.«

»Er wird in einigen Tagen hier sein. Ich habe bereits einen Boten nach ihm ausgeschickt. In der Zwischenzeit nehmt unsere Gastfreundschaft an.«

Sos stand auf. »Noch etwas«, sagte er. »Wer ist dieser Mann?«

»Er heißt Bog. Bog, die Keule.«

Also hatte Tor doch eine Arglist ausgeheckt. Ausgerechnet Bog, der einzige Krieger, den nicht einmal Sol hatte besiegen können!

Es dauerte drei Tage, bis Bog aufkreuzte, massig und fröhlich wie eh und je. Er hatte sich in den zwei Jahren überhaupt nicht verändert. Sos wäre am liebsten hinausgelaufen und hätte ihm die Hand gedrückt. Aber er war ja jetzt ein namenloser Fremder, mußte Bog anonym entgegentreten und ihn besiegen.

Bogs Erscheinen machte Sos klar, warum Tor die Bedingungen so gestellt hatte. Bog stand jedem Machtstreben völlig gleichgültig gegenüber. Er kämpfte aus purer Freude am Kampf und beanspruchte keinen Unterlegenen für sich. Tors Bote hatte nur zu flüstern brauchen: »Guter Kampf«, und Bog war schon unterwegs.

Auch in anderer Hinsicht hatte Tor eine gute Wahl getroffen: Bog war der einzige, der wirklich fast unverletzbar war.

Der Tag war bereits im Schwinden, und Tor wollte Bog bewegen, mit dem Kampf bis morgen zu warten.

»Starker Mann, langer Kampf«, erklärte er. »Dauert den ganzen Tag!« Bogs Grinsen wurde breiter. »Gut!«

Sos beobachtete, wie der Riese für drei aß und sich genießerisch die Lippen leckte, als sich eine Schar hübscher Mädchen um ihn scharte. Das war der Mann, der das Rezept für immerwährende Freuden gefunden hätte: Bärenkraft, starke Begierden und keine Gedanken an die Zukunft. Welches Vergnügen, wieder mit ihm zu wandern und sich in der Reflexion dieses Glückszustandes zu aalen! Die Wirklichkeit mochte andere beunruhigen - Bog niemals.

Sos mußte kämpfen, damit das, was an dem augenblicklichen System so gut war, auch erhalten blieb. Wenn er Bog besiegte, blieb gewährleistet, daß es immer freie Krieger geben würde, mit denen ein Mann wie Bog kämpfen konnte. Das Reich würde sie nie alle schlucken können.

Sie warteten nur den Sonnenaufgang ab. Um die Arena hatten sich die Zuschauer so dicht geschart, daß sich Tor nur mit Mühe einen Weg zum Ring bahnen konnte.

Nur zweimal, so berichtete die Legende, war Bog besiegt worden: Einmal war es vor dem Ende des Kampfes dunkel geworden, ein andermal hatte er seine Waffe durch einen unglücklichen Zufall verloren.

Er hatte jedoch nie wieder gegen das Netz oder eine unbekannte Waffe gekämpft.

Bog sprang in den Ring und schwang enthusiastisch seine Keule, während sich Sos außerhalb des Ringes seiner Kleider entledigte. Die zwei Männer begutachteten einander eingehend, während die Zuschauer die beiden abschätzten.

»Die sind ja beide gleich groß!« rief ein Krieger entsetzt aus.

Sos war erstaunt. Er - mit diesem Riesen gleich groß? Unmöglich!

Trotzdem war es Tatsache. Bog war zwar etwas größer und in den Schultern breiter, doch Sos war kräftiger gebaut. Er war jetzt beträchtlich größer als früher, aber immer noch schlank, obwohl er doppelt soviel wog wie damals als Schwertkämpfer - bei seiner ersten Wanderung. Sos trat in den Ring.

Bog kam wie üblich mit schwingender Keule auf ihn zu. Sos duckte sich und wich zunächst aus. Bog konnte ihm gefährlich werden. Einen Hieb mit der Keule hätte seine verstärkte Schädeldecke zwar ausgehalten, doch sein Hirn hätte gewackelt wie ein Pudding.

Sos wich also der Keule aus und blockierte mit einem Arm den Rückschwung. Mit der ändern Faust hieb er in Bogs Magen - so kraftvoll, daß der Riese zurückwich. Das war ein Hieb, mit dem man Steine spalten konnte. Doch Bog hatte ihn kaum gespürt.

Sos merkte jetzt, daß Bog mit mehr Finessen kämpfen konnte, als er das früher für möglich gehalten hatte. Hinter seinem auffallenden Getue verbarg er ein ausgezeichnetes Selbstverteidigungssystem. Merkwürdig, daß ihm das früher nie aufgefallen war! War Bogs offen zur Schau getragene Dummheit nur gespielt? Hatte Sos - der es eigentlich hätte besser wissen müssen - einfach von vornherein angenommen, einem Mann dieser Größe und Kraft müsse es an geistigen Qualitäten mangeln?

Oder war Bog wie Sol eine Naturbegabung, die alles unbewusst machte und gewann, weil seine Instinkte intakt waren?

Doch selbst Bog mußte wunde Punkte haben. Der Kampf wogte hin und her. Es war offensichtlich, daß man Bog nicht mit simplen Kniffen beikommen konnte. Solange Bog bei Bewusstsein war, würde er weiterkämpfen, und er war so gebaut, daß man ihn nicht so leicht bewusstlos schlagen konnte. Ein Würgegriff von hinten? Bogs Keule würde, nach hinten oder seitlich gewirbelt, den Gegner zerschmettern, lange ehe Bog bewusstlos umfiel. Und wie sollte ein Unterarm zuwege bringen, was nicht einmal das Lasso fertig gebracht hatte!

Ein Hammerschlag auf die Schädelbasis? Wie Bog gebaut war, würde er ihn damit eher töten als zum Stehen bringen. Doch er hatte wunde Punkte: Ein Schlag in den Schritt, ein steifer Finger ins Auge: Jeder schnelle Schlag auf ein oberflächliches Organ würde ihn sicher erledigen!

Sos fuhr fort, sich zu ducken und Hiebe zu parieren. Sollte er es tun? War die absichtliche und dauernde Verwundung eines Freundes durch irgendeinen Zweck zu rechtfertigen?

Er überlegte nicht lange. Er wollte einfach weiterkämpfen, wie er mußte, nämlich fair!

Er mußte den Kampf rasch und entschieden beenden. Das bedeutete, daß er wenigstens einen vollen Hieb mit der Keule in Kauf nehmen mußte, während er seine Angriffsposition aufbaute. Das war ein notwendiges Risiko.

Sos teilte den nächsten Stoß zeitlich genau ein, zog den Kopf an und zielte mit dem Fuß nach Bogs Kinn. Bogs Keule traf ihn am Schenkel, lahmte den Muskel und warf ihn seitlich um, doch seine Ferse hatte gleichzeitig Bog getroffen.

Zu hoch allerdings. Er hatte Bogs Stirn getroffen und den Kopf mit großer Wucht nach hinten geschleudert, die durch Bogs keulenschwingenden Hieb noch verstärkt worden war. Ein viel stärkerer Schlag also, als er beabsichtigt hatte.

Sos ließ sich zu Boden fallen, rollte weg und sprang wieder auf, um sich zu einem Knöchelangriff auf den Nacken bereitzumachen. Bog konnte nicht ausholen, solange er auf dem Boden lag.

Sos hielt inne. Plötzlich erkannte er, was geschehen war.

Der etwas danebengegangene Hieb, Bogs Vorwärtsschwingen, der Rückstoßeffekt der Keule auf dem Bein, die Muskulatur, die den Nacken des Keulenkämpfers umspannte: All das hatte verhängnisvoll zusammengewirkt und hatte zur Folge, was Sos unbedingt hatte vermeiden wollen.

Bogs Genick war gebrochen.

Er war nicht tot; doch der Schaden war irreparabel. Falls er überlebte, würde er gelähmt bleiben. Bog würde nie wieder kämpfen können.

Sos sah auf und bemerkte erst jetzt wieder das Publikum, das er ganz vergessen hatte. Er begegnete Tors Blick. Tor nickte.

Sos nahm Bogs Keule und hieb mit aller Kraft auf das ihn anstarrende Haupt.

»Komm mit«, sagte Sav.

Sos folgte ihm in den Wald, ohne sich um die Richtung zu kümmern. Er fühlte sich so wie damals, als Dummerchen im Schnee verendet war. Bog war ein großer, glücklicher Kerl gewesen, schwer von Begriff vielleicht - und jetzt war er plötzlich auf eine Weise ums Leben gekommen, die niemand gewollt oder erwartet hatte, am allerwenigsten Sos selbst.

Wenigstens hatte er dafür gesorgt, daß der Mann so umgekommen war, wie er sich das sicher selbst gewünscht hätte. Durch einen Keulenschlag.

Ein schwacher Trost.

Sav blieb stehen. Sie befanden sich auf einer Waldlichtung, auf der sich eine kleine, rohe Steinpyramide erhob. Das war eine der Begräbnis- und Gedenkstätten, die von Stammesangehörigen unterhalten wurden, welche die Leichen der Freunde nicht den Irren zur Verbrennung übergeben wollten.

»Hätte man ihn in der Unterwelt retten können?« fragte Sav.

»Ich glaube, ja.«

»Wenn du versucht hättest, ihn hinzuschaffen?«

»Man hätte uns beide mit dem Flammenwerfer ausgelöscht. Ich darf nie zurückkehren.«

»Dann war es so am besten.«

Die Zeit schien stillzustehen, doch es war inzwischen ein Monat der Wanderung und Heilung vergangen. Jetzt stand er wieder an einer Andachtsstätte.

Sol kam, um dort zu beten.

Sol kniete am Fuß der Pyramide nieder. Sos ließ sich neben ihm nieder. So verharrten sie schweigend, eine ganze Weile.

»Ich hatte einen Freund«, sagte Sos schließlich. »Ich mußte ihm im Ring gegenübertreten, obwohl ich es lieber nicht getan hätte. Jetzt liegt er hier begraben.«

»Ich hatte auch einen Freund«, sagte Sol. »Mein Freund ist zum Berg gegangen.«

»Jetzt muß ich um ein Reich kämpfen, das ich nicht will, und muß vielleicht wieder töten. Dabei suche ich nur Freundschaft.«

»Ich habe den ganzen Tag um Freundschaft gebetet«, sagte

Sol. »Als ich ins Lager zurückkehrte, dachte ich schon, mein Gebet wäre erhört worden. Doch er hat verlangt, was ich nicht geben konnte.« Er machte eine Pause. »Ich würde mein Reich hergeben, wenn ich den Freund wieder hätte.«

»Warum können wir zwei nicht einfach weggehen und nie wieder den Ring betreten?«

»Ich möchte nur meine Tochter mitnehmen.«

Er sah Sos an, zum ersten mal, seit Stab und Lasso sich getrennt hatten. Falls er in ihm mehr erkannt hatte als den namenlosen Herausforderer, so verriet er es jedenfalls mit keinem Wort.

»Ich würde Euch die Mutter meiner Tochter geben, da Euer Armreif tot ist.«

»Ich würde sie im Namen der Freundschaft annehmen.«

»Im Namen der Freundschaft!«

Sie standen auf und wechselten einen Händedruck. Das war das Äußerste. Es kam einem Wiedererkennen fast gleich.

Sols Lager war riesig. Fünf der restlichen Stämme hatten sich mit dem Herrn vereint, weil sie von der Ankunft des Herausforderers erfahren hatten. Zweitausend Mann mit Familien lagen im Wald und auf dem Feld, schliefen in Gemeinschaftszelten und verpflegten sich aus Gemeinschaftsküchen. Des Schreibens Kundige überwachten die Verteilung von Lebensmitteln und erteilten Unterricht im Lesen und Rechnen. Andere Gruppen gingen in die Berge und schürften nach Erzvorkommen, während andere den Boden bearbeiteten. Die Frauen webten und strickten in Gruppen. Eine Gruppe hatte sogar einen primitiven, selbstverfertigten Webstuhl. Das Reich war schon zu groß geworden, um sich aus den Herbergen eines Gebietes erhalten zu können, zu unabhängig, um sich auf eine fremde Quelle für Waffen und Bekleidung zu verlassen.

»Das ist Sola«, sagte Sol und stellte die schöne, üppige Frau vor. Zu ihr gewendet, sagte er: »Ich möchte dich dem Namenlosen geben. Er ist ein großer Krieger, obwohl er keine Waffe trägt.«

»Wie du willst«, sagte sie gleichgültig. Sie blickte durch Sos hindurch. »Wo ist sein Armreif? Wie soll ich mich nennen?«

»Behalte meinen Reif. Ich suche mir einen anderen.«

»Behalte den Namen, den du trägst«, sagte Sos. »Ich habe keinen besseren.«

»Ihr seid verrückt«, sagte Sola, an beide gewandt.

»Das ist Soli«, sagte Sol, als die Kleine das Zeltabteil betrat. Er hob sie hoch. Sie faßte nach einem kleinen Stab und schwang ihn wild.

»Ich bin eine Amazone«, rief sie aus und stieß mit dem Stab nach Sos. »Ich kämpfe im Ring!«

Sie gingen auf den Platz, wo sich die Unterführer versammelt hatten: Sav, Tyl, Tor und Tun, Neq und drei andere, die Sos nicht kannte. Als Sol und Sos sich näherten, bildeten sie einen Kreis.

»Wir haben uns provisorisch über die Bedingungen geeinigt«, sagte Sav, »die Zustimmung der beiden Herren natürlich vorausgesetzt.«

»Die Bedingungen sind folgende«, sagte Sol und nahm ihm die Gelegenheit, fortzufahren. »Das Reich wird aufgelöst. Jeder von Euch wird den Stamm, den er jetzt hat, in unser beider Namen regieren. Aber ihr werdet euch nie wieder im Ring messen!«

Sie starrten Sol verständnislos an. »Ihr habt bereits gekämpft?« fragte Tun.

»Ich habe den Ring aufgegeben.«

»Dann müssen wir dem Namenlosen dienen!«

»Ich habe ebenfalls dem Ring entsagt«, sagte Sos.

»Das Reich wird zerfallen, wenn es keinen von Euch beiden zum Herrn hat! Niemand anderer ist stark genug dazu!«

Sol wandte ihnen den Rücken zu. »Wir sind fertig! Nehmen wir unsere Sachen und gehen wir!«

»Eine Minute!« rief Tyl aus und lief ihnen steifbeinig nach. »Ihr schuldet uns eine Erklärung!«

Sol zuckte die Achseln und sagte gar nichts. Sos drehte sich um und sagte: »Vor vier Jahren habt ihr alle nur kleinen Stämmen gedient oder seid allein gewandert. Ihr habt in Herbergen geschlafen oder in kleinen Zelten und habt nichts gebraucht, was man euch nicht geliefert hat. Damals habt ihr tun und lassen können, was ihr wolltet. Jetzt wandert ihr in großen Stämmen umher und kämpft für andere. Ihr bebaut das Land und arbeitet, weil eure Zahl schon zu groß geworden ist. Ihr schürft nach Metallen, weil ihr das den Irren nicht mehr überlassen wollt, obwohl sie euer Vertrauen nie mißbraucht haben. Ihr lernt aus Büchern, weil ihr nach jenen Dingen strebt, die euch nur die Zivilisation bieten kann! So sollte es nicht sein! Wir wissen, wohin die Zivilisation führt. Sie zerstört alle Werte des Kampfringes. Sie bringt Kampf um materielle Güter, die ihr nicht braucht. Ihr werdet die Erde überfluten und eine Plage werden wie die Mäuse, die ihre Brutstätten verlassen haben. Die Berichte beweisen, daß das Endresultat eines Reiches - der Weltbrand ist.«

Er hatte nicht gut gesprochen.

Außer Sav sahen ihn alle ungläubig an. »Ihr behauptet also«, sagte Tor langsam, »es wird einen zweiten Brand geben, wenn wir nicht primitive, von den Irren abhängige Nomaden bleiben, höherer Dinge unkundig?«

»Mit der Zeit, ja. Das ist schon einmal geschehen. Unsere Pflicht ist es, dafür zu sorgen, daß es nie wieder geschieht.«

»Und ihr glaubt, man solle alles so belassen, wie es war - nämlich unorganisiert?«

»Ja.«

»Damit noch mehr Männer wie Bog im Ring sterben können?«

Sos war wie vor den Kopf geschlagen. Stand er überhaupt auf der richtigen Seite?

»Besser so, als daß wir alle im Weltenbrand umkommen«, warf Sol überraschend ein. »Im Moment sind wir noch zu wenige. Wir könnten uns nicht wieder erholen.«

Unbeabsichtigt hatte er Sos' Argument widersprochen, da das Hauptproblem des Reiches gerade die Übervölkerung war.

Neq wandte sich an Sol. »Und Ihr wollt den Ring retten, indem Ihr ihn verlaßt?«

Schließlich sprach Sav, der für beide Seiten Verständnis hatte.

»Mitunter muß man etwas, das man liebt und schätzt, aufgeben, um es zu erhalten. Das finde ich sehr vernünftig.«

»Ich nenne es Feigheit!« sagte Tyl.

Sol und Sos sprangen wütend auf ihn los.

Tyl blieb ruhig stehen. »Jeder von Euch beiden hat mich im Ring besiegt. Ich hätte beiden zu dienen. Wenn ihr beide aber nicht um die Vorherrschaft kämpfen wollt, muß ich Euch nennen, was Ihr seid.«

»Ihr habt kein Recht, ein Reich aufzubauen und es dann einfach wegzuwerfen«, sagte Tor. »Führerschaft bedeutet Verantwortung!«

»Wo habt Ihr denn so viel Geschichte gelernt?« fragte Neq. »Ich glaube nicht daran.«

»Wir hatten doch erst jetzt angefangen, wie Menschen zusammenzuarbeiten, anstatt wie Kinder zu spielen«, murmelte Tun.

Sol sah Sos an. »Sie haben keine Macht über uns. Sollen sie nur reden!«

Sos blieb unschlüssig stehen. Was diese plötzlich so energisch auftretenden Männer sagten, ergab einen bedrückenden Sinn. Wie konnte er sicher sein, daß der Herr der Unterwelt die Wahrheit gesagt hatte? Zivilisation hatte so viele offensichtliche Vorteile, und es hatte Tausende von Jahren gedauert, bis es zum Weltenbrand gekommen war. Und war wirklich die Zivilisation daran schuld gewesen, oder hatten dabei Faktoren eine Rolle gespielt, von denen er keine Ahnung hatte? Faktoren, die vielleicht gar nicht mehr existierten?

Die kleine Soli tauchte auf und lief auf Sol zu. »Wirst du jetzt kämpfen, Vater?«

Tyl versuchte sie abzuwehren. Er kauerte sich mühsam nieder. Seine Knie waren noch nicht ganz verheilt. »Soli, was würdest du tun, wenn dein Vater nicht mehr kämpfen will?«

Sie sah ihn erstaunt an. »Nicht kämpfen?«

Keiner sagte ein Wort.

»Wenn er sagt, er will nicht mehr in den Ring«, half ihr Tyl weiter. ». . . wenn er wegginge und nie wieder kämpfte?«

Soli brach in Schluchzen aus.

Tyl ließ sie los. Sie lief auf Sol zu. »Geh in den Ring, Vater«, rief sie. »Zeig's ihm!«

Wieder war es soweit. Niedergeschlagen blickte Sol auf Sos. »Ich muß für meine Tochter kämpfen.«

Sos kämpfte mit sich, aber er wusste bereits, daß eine friedliche Lösung jetzt nicht mehr möglich war. Das war eine schreckliche Entdeckung, daß nicht der Name, die Frau oder das Reich die Wurzel all ihrer Kämpfe gewesen war, sondern das Kind. Immer war es das »Soli« genannte Kind gewesen! Der Ring hatte bestimmt, wer den Namen und das Privileg der Vaterschaft für sich in Anspruch nehmen durfte.

Sol konnte nicht mehr zurück. Sos auch nicht. Bob aus der Unterwelt hatte klargemacht, was geschehen würde, wenn Sos das Reich bestehen ließ.

»Also dann morgen«, sagte Sos niedergeschlagen.

»Morgen - Freund!«

»Und der Sieger regiert das Reich - alles« rief Tyl, und die anderen stimmten zu. Warum wirkte ihr Lächeln so gierig?

Die beiden aßen zusammen mit Sola und Soli.

»Du wirst dich meiner Tochter annehmen«, sagte Sol. Er brauchte die Umstände nicht näher zu umreißen.

Sos nickte bloß.

Sola war direkter. »Möchtet Ihr mich heute nach?«

War das die Frau, nach der er sich gesehnt hatte? Sos sah sie an, sah die üppige Figur, die edlen Züge. Sie hatte ihn nicht erkannt, dessen war er sicher. Sie war in der Zwischenzeit sehr selbstbewusst geworden.

»Sie - sie hat einen anderen geliebt«, sagte Sol. »Jetzt ist das Streben nach Macht ihr ein und alles. Es ist nicht ihre Schuld.«

»Ich liebe ihn immer noch«, sagte sie. »Mag sein Leib tot sein - die Erinnerung an ihn lebt. Mein eigener Körper spielt keine Rolle mehr.«

Sos sah sie an, doch vor sich sah er auch das Bild der kleinen Sosa aus der Unterwelt - des Mädchens, das seinen Armreif trug. Des Mädchens, welches Bob zu schicken gedroht hatte, falls Sos sich geweigert hätte, die Mission zu übernehmen. Das Mädchen wäre in Sols Lager gekommen, wie irgendeine, und hätte ihn mit einem vergifteten Stachel erstochen. Und dann sich selbst. Der Herr des Reiches wäre tot und entehrt gewesen. Und dieses Mädchen würde man sicher noch schicken, falls Sos versagen sollte.

Zuerst war es Sols Schicksal gewesen, das Sos Sorge bereitet hatte, obwohl Bob das nie vermutet hatte. Nur indem er die Mission auf sich nahm, konnte Sos den damit verbundenen Verrat umgehen. Aber mit der Zeit wurde ihm Sosas Wohl ebenso wichtig. Wenn er die Unterwelt hinterging, mußte Sosa dafür büßen.

Sol und Sosa - die zwei waren einander nie begegnet. Doch hatten sie sein Schicksal bestimmt. Er mußte so vorgehen, daß beide geschützt waren. Und keinem wagte er zu sagen, warum.

»Nimm sie im Namen der Freundschaft!« rief Sol aus. »Sonst habe ich nichts anzubieten.«

»Im Namen der Freundschaft«, murmelte Sos. Diese mit Opfer und Unehre belastete Affäre machte ihn seelisch krank. Er wusste, daß der Mann, den Sola in Gedanken umarmte, zum Berg gegangen war. Sie würde die Wahrheit nie erfahren.

Und die Frau, die er in Gedanken umarmte, würde Sosa sein. Auch sie würde es nie erfahren. Erst als er sie verlassen mußte, hatte er erkannt, wie sehr er sie liebte.

Am nächsten Tag trafen sie gegen Mittag beim Ring zusammen. Sos hätte sich am liebsten gewünscht, besiegt zu werden, obzwar er wusste, daß das keine Lösung bedeuten würde. Sols Sieg würde dessen Tod bedeuten. So hatte es die Unterwelt bestimmt.

Zweimal war er Sol im Kampf begegnet, hatte um den Sieg gekämpft und war unterlegen. Diesmal würde er insgeheim verlieren, nach außen aber mußte er gewinnen. Besser einer gedemütigt als zwei tot.

Sol hatte die Dolche gewählt. Sein schöner Körper glänzte in der Sonne. Sos stellte sich vor, wie dieser Körper aussehen würde, wenn erst der Namenlose Hand an ihn gelegt hatte. Er suchte krampfhaft nach einem Vorwand zur Verzögerung, fand aber keinen. Die Zuschauer waren in Massen herbeigeströmt und warteten.

Die Verpflichtung war bindend. Die Herren mußten sich messen. Im Ring hörte die Freundschaft auf. Sos hätte seinen Freund gern geschont, doch er mußte siegen.

Sie betraten gemeinsam den Ring und sahen einander einen Augenblick lang an. Vielleicht hofften sie auch jetzt noch auf eine Wendung. Sie waren die Herren und Meister, paradoxerweise aber nicht mehr Herr ihrer selbst.

Sos machte die erste Bewegung. Er sprang auf Sol zu. Er ließ seine Hand wie einen Schmiedehammer gegen dessen Leib vorschnellen - und mußte sofort um sein Gleichgewicht kämpfen, da der Schlag ins Leere gegangen war. Sol war ausgewichen,

schneller, als es Sos möglich schien. Über dem Unterarm des Angreifers verlief ein oberflächlicher Schnitt. Die Faust hatte ihr Ziel verfehlt, das Messer keine ernsthafte Verletzung zugefügt. Die erste Geschicklichkeitsprobe war vorüber.

Sos unterließ einen zweiten Hieb. Er wusste es jetzt besser. Man konnte Sol nicht überrumpeln. Sol hatte das zweite Messer gar nicht eingesetzt. Er wusste, daß die scheinbare Schwerfälligkeit von Sos' Hand täuschte. Dahinter verbargen sich Taktik, Strategie und Geschicklichkeit. Sos wirkte nur deswegen plump, weil er nicht voreilig zuschlagen durfte. Das konnte sich als selbstmörderisch erweisen.

Sie umkreisten einander, beobachteten Fußstellung und Balance mehr als das Gesicht und die Hände. Der Gesichtsausdruck konnte täuschen, eine Handbewegung abrupt geändert werden- nicht aber eine Fußbewegung. Ohne Vorbereitung und Reaktion war da kein größeres Manöver möglich.

Sol bewegte sich hin und her, die beiden Dolchspitzen auf den Körper des Gegners gerichtet. Die eine zielte hoch, die andere tief. Sos packte Sols Gelenke. Jetzt war Sol wie gefesselt, obgleich Sos nur einen leichten Druck anwendete.

Sol war stark, doch mit der Kraft des Gegners konnte er sich nicht messen. Allmählich gaben seine Arme nach. Die Finger schienen schon die Dolche loszulassen. Doch dann drehte Sol die beiden, von den gegnerischen Händen umklammerten Gelenke. Kein Wunder - er hatte sich vorher eingeölt. Sein ganzer Körper glänzte.

Jetzt wurden die Dolche wieder lebendig und zielten auf die Handfesseln von Sos. Die Spitzen gruben sich in die geballten Hände und suchten die verwundbaren Sehnen.

Sos mußte ihn freigeben: Seine gehärtete Haut konnte leichtere Stiche verkraften, nicht aber gezielte Stiche, denen er hier ausgesetzt war. Er ließ nur ein Gelenk frei und zerrte mit aller Kraft an dem anderen. Er wollte es brechen, während sein Fuß gegen die Innenseite des gegnerischen Schenkels trat. Doch Sols zweite Klinge grub sich in Sos' anderen Unterarm, während Sos nicht den Schenkel, sondern nur den Hüftknochen mit dem Fußtritt getroffen hatte.

Die zweite Runde war beendet. Jetzt wusste man, daß der Namenlose die Dolche zwar packen, sie aber nicht festhalten konnte. Die erfahrenen Zuschauer nickten bedeutsam. Der eine war stärker, der andere schneller. Momentan lag der Vorteil bei Sol.

Der Kampf ging weiter. Sols Körper wies Wunden auf, Sos' Körper unzählige Schnitte. Doch keiner konnte sich entscheidend durchsetzen. Der Zweikampf war jetzt in ein Zermürbungsstadium getreten.

Das konnte unter Umständen sehr lange dauern - und das wünschte niemand. Man brauchte eine klare Entscheidung.

Sol zielte jetzt nicht mehr nach dem fast unverwundbar scheinenden Leib, sondern nach den Oberflächenmuskeln und Sehnen der Beine. Wäre ihm ein Schnitt geglückt, hätte er Sos zum Krüppel gemacht, und Sos wäre in hoffnungslosen Nachteil geraten. Sos sprang beiseite, aber die zwei Klingen folgten ihm. Jetzt hatte sich Sol wie eine Schlange gewunden, lag auf dem Rücken, die Füße in der Luft - bereit, den Angreifer zu treffen. Er war einigen Angriffen so geschickt begegnet, daß Sos sich fragte, ob Sol mit den Praktiken waffenloser Verteidigung nicht fast so gut vertraut war wie er.

Sos' einziger Vorteil lag in seiner Kraft.

Diese Kraft setzte er jetzt ein. Er ließ sich schwer auf Sol fallen und umklammerte dessen Kehle mit beiden Händen. Sol wiederum stach mit beiden Klingen seitwärts in Sos' Genick. Der Hals war bei Sos zwar der am besten geschützte Körperteil, konnte aber solchen Attacken nicht lange standhalten.

Sos richtete sich ein wenig auf und rollte den Gegner von einer Seite zur anderen, ohne seinen grausamen Griff zu lockern. Sein Kopf schien in Flammen zu stehen, während die Klingen die empfindlichen Nervenstränge trafen. Er wusste, daß er die Partie verloren hatte. Die Klingen würden ihn töten, ehe Sol wirklich das Bewusstsein verlor.

Diesen Waffengang auf unblutige Art zu beenden, war nicht mehr möglich.

Sos griff nach Sols Haar, presste dessen Kopf nieder und hämmerte gegen dessen Luftröhre.

Sol vermochte kaum mehr zu atmen und litt grausame Schmerzen. Noch immer zielten seine Dolche nach Sos' Gesicht.

Noch einmal setzte Sos seine ganze Kraft ein. Mit einer Hand faßte er eine Dolchklinge. Mit der anderen griff er nach Sols Haaren. Er stand auf und zerrte Sols Körper mit sich. Dann holte er aus und schleuderte den Freund aus dem Ring.

Er stürzte dem zu Boden gefallenen Gegner nach. Sol griff sich an den Hals. Sos grub seine Finger seitlich in Sols Nacken und massierte ihn. Dabei tropfte sein Blut auf Sols Brust, während er über Sol kauerte.

»Es ist aus!« rief jemand. »Ihr seid nicht mehr im Ring! Aufhören!«

Sos ließ nicht locker. Er hob einen Dolch auf und machte einen Schnitt in Sols Kehle.

Jemand versuchte, ihn wegzuzerren. Er wehrte ihn ab und erweiterte den Einschnitt in Sols Luftröhre bis zu einem kleinen Loch. Dann preßte er den Mund auf die Wunde und blies Luft hinein. Jetzt strömte Luft in die Lungen des bewusstlosen Sol. Sein Freund konnte wieder atmen!

Erst als Sav ihm etwas ins Ohr brüllte, hob Sos seine blutbefleckten Lippen und sank jetzt ohnmächtig zusammen.

Die Schmerzen im Nacken weckten ihn. Sein Hals war bandagiert. Über ihm stand Sola gebeugt und wischte ihm den Schweiß mit einem kühlen Schwamm aus dem Gesicht. »Ich erkenne dich«, murmelte sie, als sie in seine offenen Augen sah. »Ich werde dich nie verlassen, du Namenloser!«

Sos Wollte sprechen, brachte aber kaum ein Krächzen hervor.

»Ja, du hast ihn gerettet«, sagte sie. »Wieder einmal. Er kann zwar nicht sprechen, ist aber in besserer Verfassung als du, obwohl du gewonnen hast.« Sie beugte sich über ihn und küsste ihn zart. »Es war wunderbar, ihn so zu retten. Aber es hat sich nichts geändert.«

Sos setzte sich auf. Er lag im Hauptzelt, offenbar in Solas Abteil. Sie waren allein.

Sola nahm seinen Arm. »Ich werde dich wecken, ehe er geht. Das verspreche ich. Leg dich hin, du holst dir sonst den Tod.«

Alles schien sich zu wiederholen. Schon einmal hatte sie ihn gepflegt, und er hatte sich in sie verliebt. Immer wenn er Hilfe gebraucht hatte, war sie dagewesen.

Dann kam der nächste Tag.

»Es ist Zeit«, sagte sie, nachdem sie ihn mit einem Kuß geweckt hatte. Sie hatte sich ihre besten Sachen angezogen und war so schön wie immer. Sos hatte seine Liebe für sie voreilig abgeschrieben. Sie war noch nicht verstorben.

Sol stand mit seinem Töchterchen draußen. Sein Hals war verbunden, sein Körper immer noch verfärbt. Sonst aber war er fit und stark. Er lächelte, als er Sos' ansichtig wurde, und schüttelte ihm die Hand. Worte waren überflüssig. Dann legte er Solis kleine Hand in die Hand von Sos und wandte sich um.

Schweigend standen die Männer des Lagers da, als Sol an ihnen vorbeiging. Er trug zwar Gepäck, aber keine Waffen.

»Vater!« rief Soli, riss sich von Sos los und lief Sol nach.

Sav sprang vor und packte sie. »Er geht zum Berg«, erklärte er leise. »Du mußt bei deiner Mutter und deinem neuen Vater bleiben!«

Soli machte sich wieder los und holte Sol ein. »Vater!«

Sol drehte sich um, kniete hin, küsste sie und wandte ihr Gesichtchen in die Richtung, aus der sie gekommen war. Er stand rasch auf und ging weiter. Sos mußte jetzt an Dummerchen denken, den er vergeblich zurückzuschicken versucht hatte.

»Vater!« rief sie wieder und wollte nicht von ihm lassen. »Ich komme mit!« Und um zu zeigen, daß sie alles begriffen hatte, fügte sie hinzu: »Ich werde mit dir sterben!«

Wieder wandte sich Sol um und sah die versammelten Männer beschwörend an. Keiner rührte sich.

Schließlich hob er Soli hoch und verließ das Lager.

Sola legte ihr Gesicht an Sos' Schulter und schluchzte lautlos. Sie holte ihre Tochter nicht zurück. »Sie gehört ihm. Sie hat ihm immer gehört«, sagte sie unter Tränen.

Während er den sich entfernenden einsamen Gestalten nachsah, stellte sich Sos vor, was die beiden erwartete. Sol würde mit der Kleinen den Berg ersteigen. Weder Schnee noch Todesangst würden ihn zurückhalten. Er würde weitergehen, bis ihn die Kälte überwältigte, und würde schließlich mit seinem eigenen Leib das Kind schützen - bis zum Ende.

Sos wusste auch, was dann geschehen würde und wer einen tapferen Gatten und eine kleine Tochter nur zu gern aufnehmen würde. In der Erholungsstation würde man sich um ihn reißen, und Soli würde vielleicht eine Spezialausbildung erhalten.

Das mußte so kommen, denn Sosa würde das Kind erkennen. Das Kind, das sie selbst so gern geboren hätte . . .

Nimm sie, dachte er. Nimm sie - im Namen der Liebe!

Sos blieb und leitete die Auflösung des Reiches, wobei er sich nie sicher war, ob er richtig handeln würde. Er hatte das alles im Namen eines anderen aufgebaut. Jetzt richtete er es zugrunde im Namen einer selbstsüchtigen Machtgruppe, deren Absicht es war, das Entstehen einer neuen Zivilisation zu verhindern. Zu verhindern, daß sich Macht entfaltete.

In seinen wichtigsten Entscheidungen war Sos immer von den Handlungen anderer Menschen beeinflusst worden, so wie seine Liebe von jenen Frauen gelenkt worden war, die danach verlangt hatten.

Sol hatte ihm seinen Namen und die erste Aufgabe gegeben. Dr. Jones hatte ihm seine Waffe gegeben. Sol hatte ihn zum Berg geschickt. Bob hatte ihn zurückgeschickt. Sols Unterführer hatten ihm die Führerschaft aufgezwungen, ohne zu merken, daß er der eigentliche Feind des Reiches war.

Würde die Zeit kommen, wo er seine eigenen Entscheidungen traf?

Die Bedrohung, die gegen Sol bestanden hatte, traf nun Sos. Wenn er das Reich nicht auflöste, würde man jemanden nach ihm ausschicken - jemanden, den er nicht kannte, nicht erkennen konnte und gegen den er sich nicht würde schützen können. Geiseln würden dafür büßen, drei an der Zahl, eines davon ein Kind . . .

Er sah Sola an. Sie war in ihrer Trauer noch schöner geworden. Gleichzeitig war sich Sos auch bewusst, daß die Frau, die er noch mehr liebte, Sol gehören würde. Also hatte sich nichts geändert. Liebe, kleine Sosa . . .

Sos sah die Männer seines Reiches um sich versammelt. Tausende waren es nun. Sie hielten ihn jetzt für ihren Herrn. War er ein Held oder ein Schurke?

Wie würde er das Erbe verwalten . . .?