I

Die beiden auf der Wanderschaft befindlichen Krieger näherten sich der Herberge aus entgegengesetzten Richtungen. Beide waren nach herkömmlicher Art gekleidet: Dunkle Beinkleider, um die Taille und die Knie zusammengebunden; eine lose, weiße, hüftlange Jacke, die bis zu den Ellbogen reichte und vorn offenstand. Dazu elastische, leichte Schuhe. Beide trugen das Haar mittellang - vorn über den Brauen gekürzt, über Ohren und Hals ungekämmt. Die Bärte waren kurz und knapp gehalten.

Der Mann aus dem Osten trug das übliche gerade Schwert. Die Plastikscheide hatte er auf den breiten Rücken geschnallt. Er war jung und groß, nicht eben hübsch. Die schwarzen Brauen und Haare verliehen ihm ein abweisendes Aussehen, das seiner Natur nicht entsprach. Er war muskulös und trug sein Gewicht mit dem Selbstbewusstsein eines aktiven Kämpfers.

Der Krieger aus dem Westen war kleiner und schlanker, doch ebenfalls von kräftigem Körperbau. Blaue Augen und helles Haar umrahmten ein feingezeichnetes Gesicht, das ohne Bart fast weiblich gewirkt hätte, obwohl in seiner Haltung sonst nichts Weibisches war. Er schob eine einrädrige Karre vor sich her, aus dem glänzende Metallstangen ragten.

Der Dunkelhaarige traf als erster vor dem runden Bau ein und wartete höflich, bis der andere angekommen war. Sie musterten einander flüchtig, bevor sie zum Sprechen ansetzten. Eine junge Frau kam jetzt heraus, bekleidet mit einem attraktiven Wickelgewand aus einem Stück. Sie sah von einem Besucher zum anderen. Ihr Blick blieb kurz an den schönen Goldreifen hängen, welche beide um das linke Handgelenk trugen. Sie verharrte in Schweigen.

Der Schwertkämpfer warf ihr einen Blick zu. Er bewunderte ihre für die Nacht offenen Flechten und die bewusst zur Schau getragene Üppigkeit ihrer Figur. Dann sprach er den Mann mit dem Karren an: »Wollt Ihr heute mit mir die Unterkunft teilen, Freund? Mein Sinn steht jetzt nicht danach, Männer im Zweikampf zu besiegen.«

»Mein Sinn steht nach dem Sieg im Ring«, gab der andere zurück, »doch ich teile gerne mit Euch die Herberge.«

Sie lächelten und tauschten einen Händedruck.

Der Blonde sah das Mädchen an. »Ich brauche keine Frau.«

Sie senkte enttäuscht den Blick, wandte sich aber sofort dem Schwertkämpfer zu. Nach schicklicher Pause sagte dieser:

»Willst du es heute Nacht mit mir versuchen, Mädchen?«

Das Mädchen errötete vor Freude. »Ich werde heute Nacht zu dir kommen, Schwertkämpfer.«

Der Krieger lächelte und zog mit der Rechten den Armreif herunter. »Ich bin Sol, der Schwertkämpfer mit dem Hang zur Philosophie. Kannst du kochen?« Sie nickte. Er reichte ihr den Armreif. »Du wirst also auch für meinen Freund das Abendbrot bereiten und seine Uniform reinigen.«

Das Lächeln des anderen erstarb. »Habe ich Euren Namen etwa falsch verstanden, Herr? Sol - so heiße ich!«

Der Größere drehte sich stirnrunzelnd um. »Ich fürchte, Ihr habt Euch nicht verhört! Ich trage diesen Namen, seit ich im Frühjahr mit dem Schwert geübt und gekämpft habe! Vielleicht führt Ihr noch eine andere Waffe? Deswegen müssen wir uns doch nicht streiten.«

Das Mädchen ließ den Blick zwischen den beiden hin- und herwandern. »Eure Waffe ist sicher der Stab, Krieger«, sagte sie rasch und wies auf den Karren.

»Ich bin Sol«, sagte der Mann bestimmt. »Mit dem Stab und mit dem Schwert! Kein anderer darf meinen Namen tragen!«

Der Schwertkämpfer machte ein verdrossenes Gesicht. »Wollt Ihr wirklich mit mir streiten? Mir wäre eine Verständigung lieber.«

»Ich streite nur um Euren Namen. Wählt einen anderen - und es soll zwischen uns keine Fehde geben.«

»Den Namen habe ich mit meiner Klinge verdient. Ich kann ihn nicht aufgeben.«

»Dann muß ich ihn Euch im Ring rauben.«

»Ach, bitte«, bettelte das Mädchen, »wartet bis morgen! Drinnen gibt es Fernsehen und ein warmes Bad. Ich werde Euch ein köstliches Mahl zubereiten.«

»Willst du den Armreif eines Mannes haben, dessen Name in Frage gestellt wird?« fragte der Schwertträger leise. »Es muß jetzt sein, hübsches Kind. Du sollst dem Sieger dienen!«

Das Mädchen biß sich verlegen auf die roten Lippen und gab den Armreif zurück. »Gestattet ihr, daß ich zusehe?«

Achselzuckend wechselten die Männer einen Blick. »Schau nur zu, wenn du den Anblick ertragen kannst«, sagte der Blonde. Er ging auf einem ausgetretenen, rot markierten Seitenpfad voraus.

Hundert Meter unterhalb des Rundbaus war ein Ring von fünf Metern Durchmesser angelegt, mit einem hellgelben Plastikrand und einer äußeren Kiesumrahmung. In diesem Kreis wuchs dunkelgrüner, glattgeschorener Rasen. Ein grüner Rasenkreis - das war der Kampfring, das kulturelle Herzstück dieser Welt.

Der Schwarzhaarige legte Gürtel und Jacke ab und enthüllte dabei den muskulösen Körper eines Riesen. Muskelstränge zogen sich über Schultern, Brustkasten und Bauch. Der Nacken und die Taille waren dicke Wulste. Er zog sein Schwert, eine schimmernde Länge aus gehärtetem Stahl mit gehämmertem Silbergriff. Er ließ es mehrmals durch die Luft sausen und erprobte die Schärfe an einem in der Nähe stehenden Bäumchen. Ein einziger Streich, und der Baum fiel, knapp über dem Boden abgeschnitten, um.

Der blonde Krieger öffnete den Deckel seines Karrens und zog eine ähnliche Waffe heraus. In den Fächern steckten noch Dolche, Stockrapiere, eine Keule, die Metallkugel eines Morgensterns und die lange Kampfstange. »Ihr führt alle diese Waffen?« fragte das Mädchen erstaunt. Er nickte nur.

Die zwei Männer näherten sich dem Ring und standen sich am Plastikrand gegenüber, wobei ihre Zehen die Begrenzung berührten. »Ich kämpfe um den Namen«, erklärte der Blonde, »mit Schwert, Rapier, Stock, Stern, Messer und Keule. Wählt Euch einen anderen Namen, und wir trennen uns in Frieden.«

»Bis zur Entscheidung bleibe ich namenlos«, erwiderte der Dunkle. »Mit dem Schwert verteidige ich den Anspruch auf meinen Namen. Und falls ich je eine andere Waffe führen sollte, dann nur, um mir den Namen zu bewahren. Wählt Eure beste Waffe! Ich werde Euch mit meinem Schwert entgegentreten.«

»Dann also um Name und Waffe«, sagte der Blonde ungeduldig. »Dem Sieger soll alles gehören. Da ich Euch nicht ans Leben will, trete ich mit der Stange in den Ring.«

»Einverstanden!« Jetzt war der andere Krieger an der Reihe, finster dreinzuschauen. »Der Unterlegene liefert seinen Namen und seine sechs Waffen ab und wird keinen Anspruch mehr darauf erheben!«

Das Mädchen erschrak, als es hörte, daß die Einsätze so maßlos erhöht wurden. Es wagte aber keinen Einspruch.

Die beiden betraten den Kampfring und waren sogleich in Bewegung- ein unentwirrbares Knäuel. Das Mädchen erwartete einen ungleichen Kampf; denn gewöhnlich fochten die kleineren Männer mit den leichteren oder schärferen Waffen, während die schwere Keule und die lange Fechtstange von den schwergewichtigen Männern bevorzugt wurden. Beide Kämpfer waren jedoch so erfahren, daß man von ihrer ungleichen Größe gar nichts merkte. Das Mädchen bemühte sich, Stoß und Gegenstoß zu verfolgen, wurde aber bald hoffnungslos verwirrt. Die Gestalten bewegten sich blitzschnell, hieben, duckten sich und parierten. Die Metallklinge prallte von der Metallstange ab und wurde ihrerseits wieder zur Abwehr benutzt.

Allmählich gelang es dem Mädchen doch, dem Verlauf des Kampfes zu folgen.

Das Schwert war eine ziemlich plumpe Waffe. Obwohl man einen Schwertstreich nicht leicht parieren konnte, war das Schwert nur langsam zu handhaben. Für den Gegner war es daher nicht schwierig, Abwehrbewegungen zu vollführen. Die lange Stange hingegen war leichter zu führen, als es auf den ersten Blick aussah, da sie mit beiden Händen gehalten wurde und man nicht so rasch aus dem Gleichgewicht kam. Doch konnte damit ein wirksamer Hieb nur gegen eine ungeschützte Stelle geführt werden. Das Schwert war in erster Linie eine Angriffswaffe, die Stange eine Verteidigungswaffe. Immer wieder pfiff das Schwert grausam auf den Nacken, die Beine oder den Leib zu, wurde aber von der Stange gerade noch rechtzeitig abgefangen.

Zuerst hatte es danach ausgesehen, als suchten die Männer eine rasche, tödliche Entscheidung. Dann wurde klar, daß jeder mit einer Erwiderung seiner Angriffsfinten rechnete und nicht so sehr einen blutigen Sieg als vielmehr eine taktische Initiative zu erreichen suchte. Zum Schluß sah es nach einem unentschiedenen Kampf zwischen zwei außergewöhnlich begabten Kämpfern aus.

Dann wechselte das Tempo. Der blonde Sol ging zum Angriff über, drängte durch wiederholte Hiebe auf Arme, Beine und Kopf seinen Gegner zurück und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Der Schwertkämpfer sprang öfter zur Seite, als die Hiebe mit dem Eisen aufzufangen. Offenbar machte ihm das Gewicht seiner Waffe Schwierigkeiten, je länger der Kampf andauerte. Schwerter waren für längere Duelle ungeeignet. Der Stangenkämpfer hingegen hatte seine Kraft klug aufgespart und war jetzt entschieden im Vorteil. Bald würde der schwertführende Arm langsamer werden und den Körper nicht mehr decken können. Aber noch war es nicht soweit. Sogar sie, als unerfahrene Beobachterin, spürte, daß der große Mann, gemessen an seinen Muskelpaketen, zu rasch ermüdete. Es war also offensichtlich eine List, deren er sich bediente, um den Gegner zu täuschen. Auch der Stangenkämpfer hatte Verdacht geschöpft und wurde um so vorsichtiger, je langsamer die Bewegungen des anderen wurden. Er wollte sich keinesfalls eine Blöße geben.

Und dann griff der Schwertkämpfer zu einer erstaunlichen Kriegslist: Als sich ihm das Stangenende in raschem, horizontalem Schwung näherte, wich er weder aus, noch parierte er. Er warf sich einfach zu Boden, und die Stange sauste über ihn hinweg. Dann rollte er zur Seite und zielte mit einem mächtigen Rückhandschlag mit dem Schwert auf die Fußknöchel des Gegners. Der Stangenkämpfer sprang in die Höhe. Das unkonventionelle und gefährliche Manöver hatte ihn überrascht. Als er die Füße über der Klinge anzog, bewegte sich die Schneide schon wieder in entgegengesetzter Richtung. Dem Stangenkämpfer glückte kein zweiter Sprung mehr, es ging alles viel zu schnell. Aber so leicht ließ er sich nicht fangen. Er hatte sein Gleichgewicht halten und seine Waffe in der Gewalt behalten können. Er rammte das Stangenende in den Boden, als der Schwertstreich kam. Blut spritzte auf, als die Klinge in eine Wade schnitt - aber das Metall der Stange hatte die Wucht des Schwertstreiches abgefangen und ihn vor einem Sehnenschnitt oder noch Ärgerem bewahrt. Er war verwundet, aber noch kampffähig.

Die List war fehlgeschlagen. Das bedeutete für den Schwertkämpfer das Ende. Jetzt traf ihn die Stange seitlich am Kopf. Sich überschlagend rollte er aus dem Ring. Er fiel in den Kies und wollte benommen nach der Waffe greifen, war aber nicht mehr imstande, sie einzusetzen. Nach einem kurzen Augenblick bemerkte er, wo er sich befand, stieß ein enttäuschtes Stöhnen aus und ließ das Schwert fallen. Er hatte verloren.

Sol, der jetzt der allein berechtigte Träger dieses Namens war, stieß die Stange in den Boden neben seinem Karren und trat über die Plastikumrahmung des Ringes. Er packte den Arm des Verlierers und half ihm auf die Beine. »Kommt - wir müssen essen«, sagte er.

Das Mädchen schrak aus seiner Versunkenheit. »Ja, ich werde eure Wunden pflegen«, sagte es. Es ging zu der Unterkunft voraus. Jetzt versuchte es nicht mehr, Eindruck zu machen. Seine Ungezwungenheit machte es noch hübscher.

Der Rundbau war ein glatter Zylinder von neun Meter Durchmesser und drei Meter Höhe. Die Außenwand aus hartem Plastik wirkte wie ein glatter Überzug. Obenauf befand sich ein durchsichtiger Kegel mit einer Kaminöffnung. Durch den Kegel konnte man schon aus einiger Entfernung in den Raum mit seinen schimmernden Apparaturen blicken, die dazu bestimmt waren, das Sonnenlicht einzufangen, umzuwandeln und Energie für den Betrieb der Aggregate zu liefern.

Es gab keine Fenster, nur eine Tür nach Süden hinaus. Es war eine Glasdrehtür, durch die man nur einzeln eintreten konnte und die keine kalte Luft einströmen ließ. Drinnen war es kühl und hell. Der große Innenraum wurde von diffusem Licht aus dem Boden und der Decke erleuchtet.

Das Mädchen klappte die mit Matratzen ausgerüsteten Schlafkojen von der gebogenen Innenwand herab und bedeutete den Kriegern, auf den Nylonpolstern Platz zu nehmen. Es ließ Wasser in die vor der Mittelsäule des Raumes angebrachte Spüle laufen und brachte gleich darauf eine Schüssel voll heißen Wassers. Es wusch damit das Blut von Sols Bein ab und verband ihm dann die Wunde. Während es anschließend auch die Wunde am Kopf des Unterlegenen versorgte, begannen die beiden Männer sich zu unterhalten. Jetzt war der Streit beigelegt, sie hegten keinerlei Groll mehr gegeneinander.

»Wo habt Ihr diese Art, mit dem Schwert zu kämpfen gelernt?« fragte Sol und tat, als ob er die Handreichungen des Mädchens nicht bemerkte, obwohl es ihn mit mehr als bloß oberflächlicher Aufmerksamkeit bedachte. »Diese Finte - sie hätte mich fast erledigt.«

»Die herkömmliche Art, zu kämpfen, befriedigt mich nicht«, erwiderte der nunmehr Namenlose, als das Mädchen ihm die Wunde versorgte. »Ich fragte mich immer: >Warum muß das sein?< - >Wie kann man es verbessern?< und >welche Bedeutung kommt dieser oder jener Handlung zu?< Ich studiere die Schriften der Alten und stoße dort manchmal auf die Lösung, wenn ich selbst keine Antwort auf meine Fragen finden kann.«

»Ich bin beeindruckt! Noch nie habe ich einen Krieger getroffen, der lesen kann. Und Ihr seid dazu noch ein Krieger, der sich wacker geschlagen hat!«

»Nicht gut genug«, antwortete der andere tonlos. »Jetzt muß ich den Weg auf den Berg antreten.«

»Es tut mir leid«, meinte Sol aufrichtig.

Der Namenlose nickte kurz. Eine Zeitlang fiel kein Wort. Sie benutzten nacheinander die ebenfalls in der Mittelsäule des Raumes untergebrachte Duschkabine, trockneten sich ab und zogen sich um, ohne sich um die Anwesenheit des Mädchens zu kümmern. An Kopf und Bein verbunden, verzehrten sie gemeinsam das von dem Mädchen bereitete Abendbrot. Inzwischen hatte das Mädchen an der Nordwand den Eßtisch heruntergeklappt und Stühle aufgestellt, dann aus Herd und Kühlschrank den weiteren Einrichtungen der Mittelsäule - die Speisen herausgeholt. Nach der Herkunft des würzigen weißen Fleisches und des köstlichen Weines fragten die Männer nicht. Diese Dinge wurden als selbstverständlich hingenommen. Als Krieger sah man auf dergleichen, wie auf die Herberge selbst, ein wenig von oben herab.

»Was ist Euer Ziel im Leben?« fragte der Namenlose, als sie beim Nachtisch angelangt waren und das Mädchen das Geschirr spülte.

»Ich habe die Absicht, ein großes Reich zu gründen.«

»Einen eigenen Stamm? Ich bezweifle nicht, daß Ihr dazu imstande seid!«

»Ein Reich! Viele Stämme. Ich bin ein geübter Krieger. Im Ring bin ich besser als jeder andere, den ich bisher gesehen habe. Ich nehme mir, was mein Arm mir einbringt. Aber ich bin - außer Euch - noch niemandem begegnet, den ich behalten möchte. Und wir beide haben nicht um die Herrschaft gekämpft. Hätte ich gewusst, wie gut Ihr seid, hätte ich andere Kampfbedingungen gestellt.«

Der andere überhörte das Kompliment geflissentlich, obwohl es ihn freute. »Zum Aufbau eines Stammes braucht man ehrenhafte Männer, die auf ihrem Gebiet Meister sind, die für einen kämpfen und andere Männer als Gefolgsleute nachziehen. Ihr braucht junge Leute, jung wie Ihr selbst, die auf Euren Rat hören und daraus Nutzen ziehen. Um ein Reich aufzubauen, braucht man aber noch mehr.«

»Mehr? Ich habe nicht einmal junge Krieger gefunden, um die es sich zu kämpfen lohnt. Nur unfähige Anfänger und schwache Alte.«

»Ich weiß. Auch im Osten habe ich wenig gute Kämpfer gesehen. Und hättet Ihr im Westen welche gefunden, wäret Ihr nicht allein unterwegs. Ich habe bisher noch nie einen Kampf verloren.«

Er verfiel in Schweigen. Ihm war jetzt eingefallen, daß er selbst gar kein Krieger mehr war. Um seinen Schmerz darüber zu verbergen, sprach er weiter: »Ist Euch aufgefallen, wie alt und wie vorsichtig die Meister sind? Wenn sie des Sieges nicht sicher sind, kämpfen sie überhaupt nicht. Dabei beweisen sie eine untrügliche Urteilskraft. Und die besten Krieger haben sie schon in ihrem Gefolge.«

»Ja«, pflichtete ihm Sol unwillig bei. »Die Guten kämpfen nicht um die Herrschaft, sondern nur zum Vergnügen. Das ärgert mich!«

»Warum sollen sie etwas riskieren? Warum soll ein alteingesessener Meister sein Lebenswerk aufs Spiel setzen, während Ihr nur Euren Körper anzubieten habt? Ihr müßt Euch einen Rang zulegen. Ihr müßt einen eigenen Stamm haben, der sich mit den anderen messen kann. Erst dann wird sich ein Stammesherr mit Euch im Ring messen.«

»Wie soll ich einen Stamm bilden, wenn kein erprobter Mann

mit mir kämpfen will?« fragte Sol, in dem wieder der Zorn emporstieg. »Wissen Eure Bücher darauf eine Antwort?«

»Ich habe nie nach Herrschaft gestrebt. Wenn ich jedoch einen Stamm - oder ein Reich - aufbauen wollte, dann würde ich mir vielversprechende Jünglinge aussuchen und sie an mich binden, auch wenn sie im Kampfring noch nicht geübt sind. Ich würde sie an einen abgeschiedenen Ort bringen, ihnen alles Wissenswerte über den Kampf beibringen und sie gegeneinander und gegen mich antreten lassen, bis sie völlig durchtrainiert sind. Dann hätte ich einen ordentlichen Stamm, mit dem ich gegen andere alteingesessene Stämme antreten könnte.«

»Und wenn die anderen Stammesherren sich trotzdem weigern, in den Ring zu treten?« Sol war an dieser Wendung des Gespräches sehr interessiert.

»Da würde ich eben einen Weg finden, sie dazu zu überreden. Dabei muß man eine bestimmte Strategie anwenden. Die Bedingungen müssen entweder gleich oder ein wenig zugunsten der anderen Partei ausfallen. Ich würde den Stammesherren Gefolgsmänner zeigen, die sie gut gebrauchen können, und mit ihnen so lange feilschen, bis sie sich schämen würden, mir nicht zu solchen Bedingungen gegenüberzutreten.«

»Im Feilschen bin ich nicht gut«, sagte Sol.

»Damit könnt Ihr einen klugen Stammesgenossen betrauen. Ihr könnt ja auch andere für Euch kämpfen lassen. Ein Stammesherr braucht nicht alles selbst tun. Er teilt anderen ihre Aufgaben zu, während er über alle herrscht.«

Sol war nachdenklich geworden. »Darauf wäre ich nie gekommen. Kämpfer mit Waffen . . . und Kämpfer mit dem Geist.« Er überlegte. »Wie lange würde es dauern, einen solchen Stamm auszubilden, wenn man die Leute beisammen hat?«

»Das hängt davon ab, wie gut man als Ausbilder ist und wie gut die Männer sind, mit denen man zusammenarbeiten muß, und wie die Männer miteinander auskommen. Es sind da viele Faktoren zu berücksichtigen.«

»Wenn man zum Beispiel Euch mit jenen Männern, die Ihr auf Euren Wanderungen getroffen habt, diese Aufgaben stellen würde?« - »Ein Jahr.«

»Ein ganzes Jahr!« Sol war erschrocken.

»Für sorgfältige Vorbereitung gibt es keinen Ersatz. Einen mittelmäßigen Stamm kann man vielleicht in einigen Monaten herausbilden, aber keine Organisation, mit der man ein Reich erobern will. Man muß sich auf alle Möglichkeiten vorbereiten. Das braucht eben seine Zeit, ständiges Bemühen und - Geduld.«

»Geduld habe ich nicht.«

Das Mädchen war inzwischen mit der Arbeit fertig und hörte ihnen wieder zu. Innerhalb der Behausung gab es keine abgeteilten Räume. Sie hatte sich hinter der Duschkabine umgezogen und trug jetzt ein aufreizendes Gewand, das Brust und Taille vorteilhaft betonte.

Sol blieb in Gedanken versunken und schien das Mädchen nicht zu bemerken, obwohl es näher gerückt war. »Wo gäbe es einen geeigneten Ort für eine Ausbildung, wo andere nicht spionieren und sich einmengen können?«

»Im Ödland.«

»Das Ödland! Kein Mensch geht ins Ödland!«

»Genau. Dort kann einem niemand in die Quere kommen oder Verdacht schöpfen. Könnt Ihr Euch etwas Besseres vorstellen?«

»Das bedeutet den Tod«, sagte das Mädchen, ihre mindere Stellung vergessend.

»Nicht unbedingt. Ich habe erfahren, daß die Todesgeister des Weltbrandes im Rückzug begriffen sind. Die alten Schriften nennen sie Strahlung. Sie vergeht mit der Zeit. Die Intensität wird in Röntgen gemessen und ist im Zentrum am stärksten. Es müßte also möglich sein, an Hand der Pflanzen und Tiere festzustellen, ob ein bestimmtes Gebiet innerhalb der Markierung bereits sicher ist. Man muß natürlich vorsichtig sein und nicht zu tief in das Gebiet eindringen. Doch am Rande . . .«

»Ich will nicht, daß Ihr den Weg zum Berg antretet«, unterbrach ihn Sol. »Einen Mann wie Euch brauche ich.«

»Namenlos und waffenlos?« Der Schwarzhaarige lachte verbittert. »Geht Euren Weg, baut Euer Reich, Sol, Meister aller Waffen! Ich habe doch nur meine Ideen vorgebracht . . .«

Sol beharrte: »Dient mir ein Jahr lang, und ich werde Euch einen Teil des Namens zurückgeben. Ich brauche Euren Verstand, denn er ist viel schärfer als meiner.«

»Meinen Verstand!« Der Schwarzhaarige zeigte Interesse. Er hatte vom Berg gesprochen, wollte aber nicht sterben. Es gab ja noch so viele merkwürdige Dinge auszuloten, viele Bücher zu studieren, viele Gedanken zu denken. Er hatte seine Waffe im Ring erprobt, weil das die althergebrachte Art war, Männlichkeit zu beweisen. Doch ungeachtet seines Mutes und Körperbaues war er in seinem Herzen ein Gelehrter und Experimentierer.

Sol beobachtete ihn. »Ich biete Euch den Namen - Sos.«

»Sos - der Waffenlose«, sagte der andere leise und überlegte. Ihm gefiel der Klang des Namens gar nicht; doch er war eine brauchbare Alternative und kam seinem ursprünglichen Namen nahe. »Und welche Gegenleistung soll ich für den Namen erbringen?«

»Die Ausbildung, das Lager, den Aufbau des Reiches, wie Ihr ihn mir beschrieben habt. Ich möchte, daß Ihr mit Eurem Verstand für mich kämpft. Als mein Ratgeber!«

»Sos - der Ratgeber.« Die Vorstellung hatte von ihm Besitz ergriffen. Der Name klang jetzt schon viel besser. »Die Männer würden nicht auf mich hören. Wenn ich keine Autorität habe, führt es zu gar nichts. Falls es zu einer Meinungsverschiedenheit kommt, bin ich ohne Waffe . . .«

»Wer Streit anfängt, wird sterben«, sagte Sol mit Entschiedenheit. »Durch meine Hand.«

»Ein Jahr - und ich behalte dann den Namen?«

»Ja.«

Er dachte an die Herausforderung, an die Möglichkeit, seine Theorien in der Praxis zu erproben. »Ich nehme das Angebot an.«

Sie tauschten über den Tisch hinweg einen Händedruck. »Morgen fangen wir an«, sagte Sol.

Das Mädchen sah auf. »Ich möchte mitkommen«, sagte es.

Sol lächelte, ohne es anzusehen. »Sos, sie möchte wieder deinen .Armreif!«

»Nein.« Besorgt merkte das Mädchen, daß ihre Andeutungen nichts nützten. »Nicht ohne -«

»Mädchen«, mahnte Sol ernst, »ich will keine Frau. Dieser Mann hat gut gekämpft. Er ist stärker als viele, die noch Waffen tragen, und er ist überdies ein Gelehrter. Das bin ich nicht.

Wenn du seine Insignien trägst, brauchst du dich nicht zu schämen.«

Sie schürzte die Lippen. »Dann komme ich einfach so mit.«

Sol zuckte die Achseln. »Wie du willst! Du wirst für uns kochen und waschen, bis du einen Mann nimmst. Wir werden nicht immer in einer Hütte Unterkunft finden.« Er hielt inne und dachte nach. »Sos, mein Ratgeber - ist das klug gehandelt?«

Sos studierte die Frau, die jetzt verdrossen, aber noch immer hübsch wirkte. Er versuchte, sich von ihrem Ausschnitt nicht beeindrucken zu lassen. »Ich glaube nicht. Sie ist gut gebaut, eine talentierte Köchin, aber halsstarrig. Wenn sie zu niemandem gehört, würde sie bloß ein Störenfried sein.«

Sie starrte Sos an. »Ich möchte einen Namen«, fuhr sie ihn scharf an, »einen ehrenhaften Namen!«

Sol ließ die Faust auf den Tisch sausen, daß die Kunststoffplatte sich durchbog. »Mädchen, du erweckst meinen Zorn. Willst du behaupten, daß es dem Namen, den ich zu vergeben habe, an Ehre gebricht?«

Das Mädchen trat hastig den Rückzug an. »Nein, Meister aller Waffen, aber Ihr habt mir Euren Namen nicht angeboten.«

»Dann nimm den Reifen eben!« Er warf ihr seinen goldenen Armreif hin. »Aber ich brauche eigentlich keine Frau.«

Verwirrt, aber überglücklich, hob sie das schwere Stück auf und bog es für ihr Handgelenk zurecht. Sos sah ihr voller Unbehagen zu.