XIII

Sol war ein wenig schmaler geworden, ein wenig ernster, hatte sich aber seine geschmeidige Anmut bewahrt. »Du bist also gekommen!« rief er aus und ergriff Sos' Hand mit offensichtlich außergewöhnlicher Freude.

»Schon gestern«, sagte Sos verlegen. »Ich habe mit Vit gesprochen. Er wollte nicht, daß ich mit deiner Frau spreche, und andere kenne ich hier kaum.«

Was hätte er sonst sagen sollen?

»Sie hätte trotzdem zu dir kommen sollen! Vit hat ja keine Ahnung . . .« Sol hielt nachdenklich inne. »Wir kommen miteinander nicht gut aus. Sie bleibt meist für sich.«

Also machte sich Sol noch immer nichts aus Sola. Er hatte sie um des kommenden Erben willen beschützt und machte sich jetzt nicht einmal die Mühe eines Vorwandes. Aber warum hielt er sie dann streng isoliert? Es war nie Sols Art gewesen, sinnlos selbstsüchtig zu sein.

»Ich habe jetzt wieder eine Waffe«, sagte Sos. Als ihn der andere ansah, fügte er hinzu: »Das Lasso.«

»Darüber bin ich aber froh.«

Mehr gab es anscheinend nicht zu sagen. Ihre Wiederbegegnung war ebenso merkwürdig, wie es ihre Trennung gewesen war.

»Komm«, sagte Sol unvermittelt. »Ich zeige sie dir!«

Sos folgte ihm unbehaglich ins Hauptzelt. Er hätte zugeben sollen, daß er sich mit Sola bereits unterhalten hatte. Damit hätte er diese unechte Begrüßungszeremonie verhindern können. Er war in einer Sache gekommen, bei der es um Ehre ging - und machte sich bereits selbst zum Lügner.

Alles verlief so ganz anders, als Sos es erwartet hatte, ohne daß er sagen konnte, was er sich eigentlich vorgestellt hatte. Alles wirkte auf ihn so, als sei er im Ring dem Netz zum Opfer gefallen.

Sie blieben vor einer selbstgebastelten Wiege in einem kleinen Zeltabteil stehen. Sol bückte sich und hob ein lächelndes Baby heraus. »Das ist meine Tochter«, sagte er. »Diese Woche wird sie ein halbes Jahr alt.«

Sprachlos starrte Sos das kleine schwarzhaarige Ding an. Eine Tochter! Aus irgendeinem Grunde war ihm diese Möglichkeit nie in den Sinn gekommen.

»Sie wird ebenso schön werden wie ihre Mutter«, sagte Sol stolz. »Sieh mal, wie sie lächelt!«

»Ja«, sagte Sol und fühlte sich so dumm, wie Sola ihn gestern gescholten hatte.

»Komm«, wiederholte Sol. »Wir nehmen sie auf einen Spaziergang mit!« Er hob das Baby auf seine Schulter und ging voraus. Das war also das weibliche Wesen, zu dessen Besuch er von

Sol aufgefordert worden war, und nicht die Mutter! Hätte er es nur gewusst oder geahnt, oder hätte er besser hingehört, letzte Nacht!

Sola trat ihnen im Eingang entgegen. »Ich möchte mit«, sagte sie sanft.

Sol sagte gelangweilt: »Dann komm mit, Weib. Wir gehen nur spazieren.«

Die kleine Gruppe verließ das Lager und ging in den Wald. Es war wie in den alten Zeiten, als sie ins Ödland gewandert waren. Und doch wieder anders. Welch unglaubliche Ereignisse hatten sich doch aus der früheren Namensgleichheit entwickelt. Das lief alles nicht richtig ab. Er war ja gekommen, um die Frau zu verlangen, die er liebte, und um Sol, wenn nötig, im Ring herauszufordern. Doch er brachte die richtigen Worte nicht über die Lippen. Er liebte Sola und sie liebte ihn, und ihr nomineller Gatte gab zu, daß die Ehe nichtig war. Trotzdem fühlte sich Sos wie ein unerwünschter Eindringling.

Dummerchen flog ihnen voraus, glücklich, sich zwischen den Bäumen austoben zu können. Oder vielleicht waren es die Insekten, die ihn lockten.

So konnte es nicht weitergehen. »Ich bin Solas wegen gekommen«, sagte Sos freimütig.

Sol zögerte keinen Moment. »Nimm sie«, sagte er, als wäre die Frau gar nicht anwesend.

»Mein Armreif um ihr Gelenk«, sagte Sos und fragte sich, ob er richtig verstanden worden war. »Kinder von ihr! Und sie soll Sola heißen!« - »Sicher.«

Das war unglaublich! »Du stellst keine Bedingungen?«

»Ich will nur deine Freundschaft.«

Sos sprudelte heraus: »Das ist aber doch keine Angelegenheit, die sehr freundschaftlich ist.«

»Warum nicht? Ich habe sie nur für dich bewahrt.«

»Du hast sie ... durch Vit?«

War also diese übertriebene Wachsamkeit mit zu seinem, Sos' Nutzen, angeordnet worden?

»Warum . . .?«

»Ich will nicht, daß sie einen geringeren Namen trägt«, sagte Sol ruhig.

Wie passte das alles zusammen? Einem freundschaftlichen Wechsel stand zwar kein sittliches Hindernis entgegen. Trotzdem. Es war irgendwie nicht in Ordnung. Es konnte so nicht gutgehen. Er würde zwar den Finger nicht genau auf den wunden Punkt der Angelegenheit legen können; aber er wusste, daß etwas faul daran war. »Gib mir Soli«, bat Sola.

Sol reichte ihr das Baby. Sie öffnete ihr Kleid und hielt Soli zum Stillen an die Brust, während sie weitergingen. Das war es! Das Kind!

»Kann es denn schon ohne Mutter sein?« fragte Sos.

»Nein«, antwortete Sola.

»Meine Tochter wirst du mir nicht nehmen«, sagte Sol. Zum erstenmal hatte er die Stimme erhoben.

»Nein, natürlich nicht. Aber solange sie nicht — entwöhnt ist . . .«

»Oberhaupt nicht«, sagte Sola fest. »Sie ist auch meine Tochter. Sie bleibt bei mir!«

»Soli gehört mir!« sagte Sol nachdrücklich. »Du, Weib, bleibe oder gehe, wie du willst. Trag den Armreif, den du willst; aber Soli gehört mir!«

Das Baby blickte auf und fing zu weinen an. Sol nahm das kleine Mädchen wieder auf den Arm. Sofort war es zufrieden und still. Sola verzog das Gesicht, sagte aber nichts.

»Auf deine Tochter erhebe ich keinen Anspruch«, sagte Sos vorsichtig »Wenn sie aber ihre Mutter nicht entbehren kann . . .«.

Sol setzte sich auf einen umgestürzten Baum und schaukelte Soli auf seinen Knien. »Betrübnis hat sich über unser Lager gesenkt, als du fortzogst. Jetzt bist du zurück und führst eine Waffe. Herrsche über meinen Stamm, über mein Reich so wie früher. Ich möchte dich wieder an meiner Seite haben!«

»Ich bin aber gekommen, um Sola mitzunehmen! Sie kann nicht hier bleiben, wenn sie den Armreif gewechselt hat. Das würde Schmach über uns beide bringen.«

»Warum? - »Sola, die Sols Kind nährt!«

Sol überlegte. »Dann soll sie weiter meinen Armreif tragen. Sie ist trotzdem dein.«

»Du möchtest Hörner tragen?«

Sol ließ Soli auf den Knien hüpfen. Er summte eine Melodie und fiel dann mit dem Text ein. Es war Red River Valley. Sos unterbrach ihn erschrocken: »Du hast es also mitangehört!«

»Ich habe gehört, wer mein wahrer Freund war, als ich fieberkrank da lag und mich nicht rühren konnte. Ich weiß, wer mich auf der Schulter getragen hat, damit ich nicht sterbe! Wenn ich schon Hörner tragen muß, dann möchte ich solche Hörner tragen. Und alle dürfen es sehen!«

»Nein!« rief Sos erschrocken.

»Laß mir nur meine Tochter! Sonst gehört alles dir.«

»Nicht auf unehrenhafte Weise!« Doch für diesen Protest schien es zu spät.

»Und Schmach werde ich nicht akzeptieren, ob es nun meine oder deine wäre.«

»Ich auch nicht«, sagte Sola leise. »Jetzt nicht mehr.«

»Kann zwischen uns Ehre sein?« sagte Sol zu ihr mit Nachdruck. »Es kann doch nur Freundschaft zwischen uns geben.«

Sie sahen einander schweigend an und suchten nach einer Lösung

Sos ließ im Geist alle Möglichkeiten an sich vorüberziehen. Doch an der Lage änderte sich nichts. Er konnte wieder gehen -und alle seine Träume von einer Vereinigung mit der Frau, die er liebte, aufgeben, während sie bei dem Mann bleiben würde, den sie nicht liebte und der sich nichts aus ihr machte. Konnte er sich mit einer blonden Miß Smith trösten? Er konnte natürlich auch bleiben und die unehrenhafte Verbindung akzeptieren, die sich unweigerlich ergeben würde. Das war eine Situation, die seiner Stellung und Waffe unwürdig war. Er konnte auch kämpfen, um die Frau und die Ehre. Alles oder nichts!

Sol begegnete seinem Blick. Er war zu derselben Lösung gekommen. »Bildet einen Kreis!« sagte er.

»Nein!« rief Sola, die merkte, was sich zusammenbraute. »Dieser Ausweg ist falsch!«

»Deswegen muß die Sache trotzdem im Ring ausgetragen werden«, sagte Sos bedauernd. »Du und deine Tochter, ihr müßt zusammen bleiben!«

»Ich verlasse Soli«, sagte sie mit Überwindung. »Laß dich nicht wieder auf einen Kampf ein!«

Sol saß noch immer mit dem Baby da und sah dem Herrn eines Reiches gar nicht ähnlich. »Nein, es ist für eine Mutter ärger, wenn sie ihr Kind verläßt, als für einen Anführer, der seinen Stamm aufgibt. Daran habe ich vorhin gar nicht gedacht. Jetzt weiß ich es.«

»Du hast keine Waffe mitgebracht«, sagte Sola und versuchte damit, den Kampf aufzuschieben.

Sol beachtete sie nicht und blickte Sos an. »Ich möchte dich nicht töten. Wenn du willst, kannst du mir dienen. Du darfst tun und lassen, was du willst. Aber nie wieder sollst du die Waffe gegen mich erheben«, schloß er mit Mühe.

»Ich möchte dich nicht töten. Du magst Waffen und Reich behalten, aber Mutter und Kind kommen zu mir.«

Und dabei blieb es. Wenn Sol gewann, war Sos aller ehrenhaften Mittel beraubt, sein Ziel noch länger zu verfolgen. Gewann Sos, mußte Sol das Kind aufgeben und Sola freilassen, die dann mit Sos fortziehen konnte. Der Gewinner würde sein Verlangen erfüllt haben, dem Verlierer würde der Rest bleiben.

Und der Rest war, trotz der theoretischen Großzügigkeit der Bedingungen, der Berg! Sos würde nicht bleiben, um Solas Armreif durch Ehebruch zu entweihen, oder schmachvoll zu den Irren zurückkehren. Sol würde das Reich zurückweisen, wenn er einmal den Kampf verloren hatte. Das war schon immer klar gewesen. Keine schöne Lage. Der Sieger würde Sorgen haben. Aber es war immerhin eine faire Lösung - eine Entscheidung durch den Kampf.

»Bildet den Ring«, sagte Sol zum zweiten mal.

»Aber deine Waffe . . .« Sie wiederholten sich. Keiner wollte wirklich kämpfen. Gab es denn keine andere Lösung?

Sol reichte Sola das Kind und spähte zwischen den Bäumen hindurch. Er erblickte einen passenden jungen Baum und streifte ihm mit der Hand Äste und Blätter ab. Als er Sols Absicht sah, machte sich Sos daran, auf dem Waldboden eine Fläche in passender Größe frei zu machen. Die Umstände waren primitiv, doch handelte es sich um eine Angelegenheit, die keiner vor dem Stamm austragen wollte.

Sie traten an den Rand der provisorischen Arena. Sola stand verängstigt daneben. Bis auf das Kind in Solas Arm erinnerte die Szenerie Sos an ihre erste Begegnung.

Sos übertraf seinen Gegner immer noch an Gewicht. Er führte eine Waffe, die, wie er sicher war, Sol noch nie gesehen hatte. Sol hatte jetzt zwar nur eine improvisierte Waffe; aber er war der beste Kämpfer, den man jemals in der Arena erlebt hatte. Und die Waffe, die er sich hergerichtet hatte, war eine Stange!

Die einzige Waffe, gegen die das Lasso im Nachteil war.

Wäre Sols Waffenkarren in der Nähe gewesen, hätte er vielleicht das Schwert, die Keule oder einen anderen Standardtyp gewählt. Doch er hatte sich selbstsicher darauf verlassen, etwas in der Natur vorzufinden, womit er einen Sieg erringen konnte. »Danach werden wir Freunde sein«, sagte Sol.

»Wir werden Freunde sein.« Das war wichtiger als alles andere. Sie traten in den Ring.

Das Kind schrie.