VII

Sol traf vierzehn Tage später mit fünfzig Männern im Lager ein. Jetzt hatte er einen verhältnismäßig großen Stamm von fünfundsechzig Kriegern, der allerdings zum Großteil aus unerfahrenen und ungeübten Jünglingen bestand. Wie Sos schon bei ihrem ersten Gespräch hervorgehoben hatte, waren die besten Krieger bereits an alteingesessene Stämme gebunden. Doch diese Situation würde sich mit den Jahren ändern.

Sos ließ die Zeugen von Nars Hinrichtung vortreten. Sie mußten berichten, was sie beobachtet hatten. Es waren nur noch zwei Zeugen am Leben. Der dritte war am Tag der »Mäuseschlacht« auf der Jagd gewesen. Sos war nicht sicher, wie der Stammesherr seinen Lagebericht aufnehmen würde, da die Talgruppe unter seiner Leitung fünf Männer eingebüßt hatte. Das war immerhin ein Viertel seiner Mannschaft, die Sol in seiner Obhut zurückgelassen hatte.

»Es waren nachts also zwei Wachen für das Lager eingeteilt?« fragte Sol.

Die Zeugen nickten. »Immer.«

»Und der zweite Posten hat damals nicht gemeldet, daß sein Kollege geschlafen hat?«

Sos schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. Als Mann, der auf seinen Verstand so stolz war, hatte er sich einen groben Schnitzer geleistet. Zwei waren also schuldig gewesen, nicht nur einer.

Tyl mußte mit zwei Stockrapieren in den Ring treten, während Sos und Sol sich zu einer Privatunterhaltung zurückzogen. Sos beschrieb in allen Einzelheiten die Ereignisse der vergangenen fünf Wochen. Diesmal hörte Sol sehr aufmerksam zu, geschichtliche oder biologische Probleme überging er, doch die praktischen Belange seiner Reichsgründung interessierten ihn um so mehr. Sos hätte gern gewusst, ob Sol ebenfalls mit disziplinären Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt hatte. Möglich war das ja.

»Und du kannst diese neuen Männer zu einer Truppe verschmelzen, die sich gegen andere Stämme behaupten kann?« fragte Sol.

»Ich denke ja. Ein halbes Jahr wird es dauern, weil wir viele Männer zu einer schlagkräftigen Truppe zusammenschweißen müssen. Vorausgesetzt, daß sie mir bedingungslos gehorchen.«

»Sie gehorchen Tyl.«

Sos sah Sol beunruhigt an. Er hatte mit Sols direkter Unterstützung für diese Aufgabe gerechnet. »Wollt Ihr denn nicht dableiben?«

»Ich mache mich morgen wieder auf den Weg, um neue Leute zu gewinnen. Die Ausbildung überlasse ich dir.«

»Fünfundsechzig Krieger! Das wird Ärger geben!«

»Wegen Tyl, meinst du? Möchte er denn selbst Führer werden?«

Wenn es um sein Reich ging, wurde Sol hellhörig.

»Er hat nie etwas davon gesagt und bisher immer zu mir gehalten«, mußte Sol zugeben, weil er fair sein wollte. »Doch wäre er kein hervorragender Krieger, wenn er nicht solche Überlegungen anstellen würde.«

»Und was rätst du mir in diesem Fall?«

Jetzt lag die Entscheidung wieder bei ihm. Manchmal war Sols Vertrauen direkt peinlich. Sos konnte nicht verlangen, daß der Herr bei seinem Stamm blieb. Sol liebte es, neue Krieger im Kampf anzuwerben. Er konnte Sol höchstens bitten, Tyl mitzunehmen. Doch würde Sos dann einen anderen Krieger brauchen, der für Disziplin sorgte, und dieser würde ihn dann vor die gleichen Probleme stellen wie Tyl. »Ich habe keinen Beweis dafür, daß Tyl gegen seine Ehre verstößt«, sagt er. »Am besten ist es, man bindet ihn fest an den Stamm. Man muß ihm zeigen, daß er mehr dadurch gewinnt, daß er hierbleibt, als wenn er auf eigene Faust loszieht und Mitglieder unseres Stammes abwirbt!« »Er riskiert seinen Kopf, wenn er sich gegen mich erhebt!« »Trotzdem. Ihr könnt ihn zum obersten Krieger ernennen, solange Ihr abwesend seid und ihm eine eigene Gruppe geben. Verleiht ihm einen Titel, der seinen Ehrgeiz befriedigt.« »Ich möchte, daß du meine Leute ausbildest, Sos.« »Stellt ihn über mich und erteilt ihm die Befehle.« Sol überlegte. »Gut. Und was muß ich dir dafür geben?« »Mir?« Sos war überrascht. »Ich habe eingewilligt, Euch ein Jahr lang zu dienen, um mir einen Namen zu verdienen. Mehr braucht Ihr mir nicht zu geben.« Doch er sah jetzt Sols Standpunkt ein. Wenn Tyls Treue Stützpfeiler verlangte, wie stand es dann mit seiner eigenen Treue? Sol war sich bewusst, daß, auf lange Sicht gesehen, die Ausbildung der Truppe wichtiger war als der Auftrag, für Disziplin zu sorgen. Und über Sos hatte Sol weniger Gewalt als über die ändern Mitglieder des Stammes. Theoretisch konnte Sos auf den Namen verzichten und jederzeit gehen.

»Mir gefällt dein Vogel«, sagte Sol plötzlich. »Würdest du ihn mir geben?«

Sos schielte nach dem kleinen Kerl auf seiner Schulter. Der Vogel war so sehr zu einem Teil seines Lebens geworden, daß er kaum noch an ihn dachte. »Dummerchen gehört niemandem. Ihr habt gewiß denselben Anspruch auf ihn wie ich. Ihr habt schließlich den Falken erlegt und ihn gerettet. Der Vogel hat sich zufällig für mich entschieden, obwohl ich nichts für ihn getan habe und ihn sogar verscheuchen wollte. Ich kann ihn Euch deshalb nicht geben.«

»Auf diese Art habe ich auch meinen Armreif verloren«, sagte Sol und faßte nach seinem leeren Gelenk.

Sos blickte unbehaglich beiseite.

»Wenn ich mir deinen Vogel borge und er sich paart und fortpflanzt, würde ich dir das Ei geben«, murmelte Sol.

Sos ging nicht darauf ein. Er war wütend über die versteckte Anspielung.

Sie sprachen nicht mehr miteinander. Am nächsten Morgen brach Sol allein auf, und Sola blieb im Lager.

Tyl schien mit seiner Beförderung recht zufrieden. Sobald der

Herr außer Sicht war, ließ er Sos zu sich kommen. »Ich möchte, daß Ihr diesen Haufen zur besten Streitmacht dieses Gebietes macht« sagte er. »Wer sich drücken will, wird mir Rede und

Antwort stehen müssen.«

Sos nickte und fuhr mit seinem ursprünglichen Plan fort.

Zunächst beobachtete er jeden Mann bei der Arbeit im Ring, schätzte dessen Stil, seine Stärken und Schwächen ab und machte sich auf einem Blatt Papier in der Schrift der alten Texte Notizen. Dann stufte er die Krieger nach ihrer Waffe ein: Erstes Schwert, Zweites Schwert; Erster Stab, Zweiter Stab, und so weiter. In seiner Aufstellung hatte er zwanzig Schwerter. Es war die beliebteste Waffe, obwohl die Ausfallquote durch Tote und Verletzte sehr hoch war. Außerdem notierte er sich sechzehn» Keulen, zwölf Stäbe, zehn Stöcke, fünf Dolche und einen einzigen Morgenstern.

Im ersten Monat wurde nur innerhalb der einzelnen Waffengruppen gedrillt und geübt. Das Training war viel härter, als es die Krieger bisher gewohnt gewesen waren. Da Partner immer ausreichend zur Verfügung standen, gab es zwischen den einzelnen Waffengängen keine Verzögerungen oder lange Anreisen.

Jeder übte mit seiner Waffe, bis er müde wurde, lief dann eine Runde durch das Lager und übte weiter. Der beste Mann der Waffengruppe wurde ihr Führer und durfte die anderen in den Feinheiten seiner Kunst unterweisen. Diese Rangordnung konnte durch eine Herausforderung innerhalb der Gruppe geändert werden, so daß jeder, der zur Meisterschaft heranreifte, in einen höheren Rang aufsteigen konnte. Als die Männer daran Geschmack gefunden hatten, kam es zu lebhaftem Wettstreit. Zuschauer aus anderen Waffengattungen spendeten Beifall, feuerten die Krieger durch Zurufe an und gaben acht, daß keine unerlaubten Tricks angewandt wurden.

Der Morgenstern mußte, weil er allein war, mit den Keulen kämpfen. Als Waffe war der Morgenstern eine Rarität. Sie bestand aus einem kurzen, plumpen Griff, an dem an einer Kette eine schwere stachelbewehrte Kugel hing. Der Morgenstern war ein besonders gefährliches Ding. Da man die Kugel nur schwer beeinflussen konnte, war es auch unmöglich, damit einen leichten Schlag auszuführen. Der Stachelstern traf entweder sein Ziel und riss Fleisch und Knochen heraus, oder er traf nicht. Als Verteidigungswaffe war er nicht zu verwenden. Der Unterlegene in einem Morgensternduell wurde oft tödlich getroffen oder schwer verletzt, auch in »freundschaftlichen« Duellen. Sogar erfahrene Krieger maßen sich nur ungern mit einem wütenden Sternkämpfer. Die Verletzungen waren zu häufig.

So gingen die Tage dahin. Die Leute merkten kaum, daß sie Fortschritte machten, doch Sos registrierte ihn sehr genau. Eine Reihe von Kriegern hatte sich zu wahren Künstlern im Zweikampf entwickelt.

Zu zweit und zu dritt kamen neue Männer mit ihren Familien und gesellten sich dem Stamm zu. Sol hatte sie hierhergeschickt. Sie wurden in die einzelnen Waffengruppen eingegliedert und nach ihrer Befähigung eingestuft. Die Altgedienten waren der Meinung, daß die Qualität der Rekruten anscheinend im Sinken war. Am Ende des ersten Monats war der Stamm auf über hundert Kämpfer angewachsen.

Zuerst kamen viele Jünglinge, die nur aufgenommen wurden, weil erfahrene Männer nicht verfügbar waren. Sos hatte Sol gewarnt, sich nicht durch das Ungeschick oder das Aussehen der Anfänger irreführen zu lassen. Mit fortschreitendem Training lernten die jungen Leute die lebenswichtigen Feinheiten der Waffentechnik. Sie durchliefen rasch die Rangstufen ihrer Waffengattungen. Einige seiner besten Krieger wären auf der Wanderschaft bestimmt nicht lange genug am Leben geblieben, um ihr Talent voll entfalten zu können, vermutete Sos. Die Eingliederung in Sols Stamm war für sie ein großes Glück.

Allmählich begriffen diese Zusammengewürfelten und manchmal aufsässigen Einzelgänger, die der Zufall hierhergeführt hatte, den Geist dieser Gruppe. Sie spürten, daß dieser Stamm offensichtlich zu Höherem berufen war. Sos wählte die intelligentesten Leute aus und erteilte ihnen Unterricht in Gruppentaktik: Wann man kämpfen und wann man nicht kämpfen soll. Wie man es anstellt, zu siegen, wenn die Chancen gleich zu sein scheinen.

»Wir haben eine Gruppe, die aus sechs Leuten besteht - nach Fähigkeiten abgestuft. Dann stoßen wir plötzlich auf eine Gruppe von sechs Leuten, von denen jeder ein wenig besser ist als unsere eigenen Leute. Für welche Kampfordnung entscheiden wir uns?« fragte Sos seine Schüler eines Tages.

»Um wieviel besser sind die Leute der anderen Gruppe?« wollte Tun wissen. Er war ein Keulenkämpfer im niederen Rang, weil er für rasche Bewegungen zu schwerfällig gebaut war.

»Der beste Mann kann deinen Besten erledigen. Der Zweite deinen Zweiten, nicht aber den Ersten. Der Dritte kann deinen Dritten besiegen, aber nicht den Zweiten oder Ersten, und so weiter.«

»Ich habe also niemanden, der den Ersten schlagen kann?«

»Niemanden - und er besteht auf einem Kampf, so wie die ändern auch.«

»Doch der fremde Erste wird doch sicherlich nicht abseits stehen und zulassen, daß mein Erster einen Krieger geringerer Stufe besiegt. Er wird meinen besten Mann herausfordern und ihn mir wegnehmen. Dann wird der Zweite dasselbe mit dem Zweiten machen . . .«

»Richtig.«

Tun überlegte. »Das Kriegsglück könnte mir einen Sieg, vielleicht sogar zwei bescheren. Besser wäre es allerdings, wenn ich diesem Stamm gar nicht erst begegnete.«

Tors Miene hellte sich auf. »Ich könnte fünf der anderen erledigen und büße dabei nur meinen Schlechtesten ein«, rief er eifrig.

»Wie denn?« fragte Tun. »Die anderen sind doch alle besser als . . .«

»Ich schicke meinen Sechsten gegen den fremden Anführer los, als wäre er mein bester Mann, und lasse dann erst die fünf besten Krieger antreten.«

»Dein Erster würde doch nie einwilligen, nach deinem Sechsten in den Ring zu treten!«

»Mein Bester wird meinen Befehlen folgen, auch wenn er sich dabei beleidigt fühlt«, sagte Tor. »Er wird sich mit dem fremden Zweiten messen, ihn besiegen, dann wird mein Zweiter den fremden Dritten übernehmen, und zuletzt tritt mein Fünfter gegen den fremden Sechsten an.«

»Doch der fremde Erste . . .«

»Wird nur meinen Sechsten besiegen, den ich wahrscheinlich ohnehin verloren hätte.«

»Und dann hast du zehn Mann, während der andere nur mehr zwei hat«, beendete Sos die Debatte. »Doch vor dem Kampf war das andere Team besser als deines.«

Tun staunte und lachte dann. Er hatte jetzt begriffen; denn dumm war er ganz bestimmt nicht. »Ich werde daran denken!« rief er aus. Dann wurde er wieder ernst. »Nur - was ist, wenn der andere Beste nur gegen meinen Besten kämpfen will?«

»Woher soll er wissen, wer der Beste ist?« fragte Tor. »Woran erkennst du seinen Rang?«

Sie kamen überein, daß diese Strategie nur wirksam war, wenn man vorher einen Kundschafter ausgeschickt hatte - am besten einen erfahrenen Krieger im Ruhestand. Es dauerte nicht lange, und sie knobelten eifrig ähnliche Probleme aus und forderten sieh gegenseitig zur Lösung auf. Sie holten sich aus der Spielabteilung der Herberge Brettspiele und verwendeten sie zu taktischen Übungen, wobei die höheren Werte größere Fähigkeiten anzeigten. Dabei erwies sich Tor bald als der Klügste und wurde mit der Zeit so gut, daß er fast jede beliebige Partie gewinnen konnte. Sos hatte diese Art von Wettkampf angeregt, war aber manchmal dabei seinen eigenen Schülern nicht mehr gewachsen.

Doch hatte er ihnen gezeigt, wie man mit Intelligenz siegen kann, wenn man mit brutaler Gewalt nichts mehr ausrichtet. Das befriedigte ihn ungemein.

Im zweiten Monat, als die Rangordnung in den einzelnen Gruppen festgelegt war, begannen Wettkämpfe zwischen den einzelnen Waffengattungen. Die Ausbilder wurden wieder Mitglieder ihrer Truppe und schworen, alle Feinde dank ihrer jetzt verfeinerten Waffentechnik zu besiegen. Jede Untergruppe besaß ihren eigenen Corpsgeist und war begierig, ihre Überlegenheit zu beweisen.

Sos lehrte sie zählen: Einen Punkt für jeden Sieg, für eine Niederlage nichts. Einige lachten, als sie sahen, daß erwachsene Männer Papier und Bleistift bei sich trugen und die Schreiber der Irren nachahmten. Bald übernahmen die Frauen diese Aufgabe. Sos lehrte sie, wie man für jede Gruppe ein Zeichen einsetzt und auf einer öffentlichen Anschlagtafel die Punkte notiert. Er schlug vor, sie sollten Symbole erlernen - stilisierte Schwerter, Keulen und andere Waffen, gefolgt von Strichen, die Siege bedeuteten. Täglich sah man die Männer zu der Tafel pilgern und Siege bejubeln oder Tabellenverluste beklagen. Als die Striche nicht mehr ausreichten, weil es sich um höhere Zahlen handelte, lernten die Frauen arabische Ziffern. Die Männer wollten den Frauen nicht nachstehen.

Dieses Ergebnis hatte Sos nicht vorausgesehen. Der Stamm lernte rechnen! Er beobachtete eines Tages ein kleines Mädchen, das sich an den Fingern das Tagesergebnis ihrer Gruppe abzählte. Dann nahm sie den Bleistift und schrieb 56 neben das Schwertsymbol.

Da merkte er, wie einfach es war, einen Kursus für Mathematik anzuregen. Vielleicht konnte er auch die Leute im Lesen und Schreiben unterrichten. Die Nomaden waren Analphabeten, weil sie keinen Grund sahen, sich mit der Schrift zu beschäftigen. Sollte sich jedoch herausstellen, daß man auch als Krieger lesen lernen mußte, konnte sich die Lage rasch ändern. Doch Sos war viel zu beschäftigt, um sich im Augenblick mit diesem Problem abzugeben.

Die Dolchkämpfer waren, da sie die kleinste Gruppe bildeten, im Nachteil. Ihr Führer beklagte sich bei Sos, daß sie - selbst wenn alle fünf Mitglieder jedes Duell gewannen - kaum mit den Schwertkämpfern mithalten konnten. Auch wenn diese ein paar Kämpfe verloren, konnten sie trotzdem am Tag oft mehr Punkte buchen als die Dolchkämpfer. Sos entschied, daß dieser Einwand berechtigt war, und zeigte seinen Leuten, wie man mit Prozentzahlen arbeiten konnte: die Anzahl der Punkte pro Mann. Jetzt mußte er doch mit Mathematikkursen beginnen, weil er den Frauen zuerst beibringen mußte, wie man Durchschnittswerte berechnete.

Sola beteiligte sich am Unterricht. Sie war zwar nicht die intelligenteste Frau im Lager, aber da sie allein war, hatte sie viel Zeit. Um die anderen Frauen zu unterrichten, reichte ihre Intelligenz aus.

Sos wusste ihre Hilfe zu schätzen. Doch beunruhigte ihn das nahe Zusammensein mit ihr. Sie war viel zu schön und rückte ihm viel zu nahe, wenn er etwas erklärte.

Im Ring geschahen merkwürdige Dinge. Man entdeckte, daß die hervorragendsten Schwertkämpfer sich oft nicht gegen die Keulen behaupten konnten. Und dann verloren die Kämpfer, die die Keulen besiegen konnten, wieder gegen die Stangen. Die Ausbilder erkannten bald die Notwendigkeit, die Rangordnung vor jedem Kampf zu ändern und sich nach der Waffentype des Gegners zu richten.

Tyl ertappte Tor dabei, wie er in seinem Zelt Dominosteine aufstellte. Er lachte darüber. Dann sah er, daß Tor sich Notizen machte und eine herrlich erfolgreiche Schlachtordnung durchexerzierte. Da verging Tyl das Lachen. Tyl, der sich zunächst von diesem Treiben ferngehalten hatte, weil er glaubte, das seiner Stellung schuldig zu sein, beobachtete die taktischen Fortschritte und entschloß sich, mitzumachen. Keiner im Stamm konnte sich erlauben, auf seinen Lorbeeren auszuruhen. Es gab bereits Schwertkämpfer, die mit Tyl rivalisieren wollten. Bald sah man auch Tyl in seinem Zelt über Dominosteinen brüten.

Im dritten Monat begann der Drill im paarweisen Zweikampf. Je zwei Kämpfer mußten im Ring gegeneinander antreten und als Team siegen.

»Vier Mann im Ring?« fragte Tyl befremdet, »was soll das denn?«

»Schon was vom Stamm des Pit gehört?«

»Nein.«

»Eine sehr mächtige Organisation im Osten. Die haben ihre Schwerter, Keulen und Stäbe paarweise aufgestellt. Sie betreten den Ring nie als Einzelkämpfer. Möchtest du, daß wir wegen eines Versäumnisses gegen sie unterliegen?«

»Nein!« Und die Ausbildung ging planmäßig weiter.

Dolche und Stöcke zusammen hatten keine Schwierigkeiten. Aber die Stäbe kamen sich gegenseitig ins Gehege, und die freischwingenden Schwerter und Keulen konnten die Partner ebenso verletzen wie die Gegner.

Der erste Tag des paarweisen Trainings war verlustreich. Wieder geriet die Rangordnung durcheinander, als die zusammengespannten Ersten und Zweiten Schwerter vom Zehnten und Fünfzehnten als Paar schmählich besiegt wurden. Warum wohl? Weil die Klassekämpfer Individualisten waren, während bei den unteren Rängen sich klugerweise ergänzende Stile gepaart hatten. Der angriffslustige, aber tollkühne Angreifer wurde vom gesetzten, aber sicheren Verteidiger unterstützt. Während die zwei Klasseschwertkämpfer einander im Stich ließen und mit den Hieben geizten, weil sie Freund und Feind manchmal nicht unterscheiden konnten, gewann die reibungslose Zusammenarbeit der schlechteren Kämpfer die Oberhand.

Dann folgten wieder Wettkämpfe der verschiedenen Gruppen untereinander mit verschobener Rangordnung und schließlich das gemischte Doppel. Das Schwert wurde gepaart mit der Keule, der Dolch mit dem Stab, bis jeder Kämpfer imstande war, zusammen mit jeder beliebigen Waffe gegen jede andere Kombination anzutreten und sie erfolgreich zu bekämpfen.

Die Zählung mußte ebenfalls geändert werden. Die Frauen lernten das Bruchrechnen und teilten den Siegern die entsprechenden Punkte zu.

Die Monate vergingen wie im Flug, während man die unendlichen Variationsmöglichkeiten durchprobierte. Es entwickelte sich ein erprobter Kampfkader, der die Neuankömmlinge, die zunächst verwirrt waren, in die Mangel nahm und ihnen zeigte, wie man sich verbesserte und in der Rangordnung höher stieg.

Die Blätter fielen von den Bäumen. Dann kam der Schnee. Falter und Mäuse verschwanden aus dem Ödland, obwohl die Wachsamkeit und die Gegenmaßnahmen des Stammes sie schon seit einiger Zeit verhältnismäßig unschädlich gemacht hatten. Tatsächlich war Mäusestew zu einer Lieblingsspeise aufgerückt. Es fiel den Kriegern nicht leicht, bei Einbruch des Winters auf diese überreiche Fleischquelle verzichten zu müssen.

Jeden Tag wurden die Kampfringe saubergefegt, und der Drill ging weiter, bei Schnee und Sonnenschein. Ständig stießen neue Krieger zum Stamm.

Doch Sol war noch immer nicht zurückgekehrt.