IX

Im Frühjahr tauchte Sol wieder auf, mager, narbenbedeckt und ernst. Er zog seinen Waffenkarren hinter sich her. Mehr als zweihundert Mann begrüßten ihn, hart und kampfbegierig. Sie wussten, daß seine Rückkehr jetzt den Anfang ernsthafter Waffenduelle bedeutete.

Sol hörte sich Tyls Bericht an und nickte sachlich. »Wir marschieren morgen los«, sagte er.

In dieser Nacht kam Sav wieder zu Sos ins Zelt. Sos fiel auf, daß Savs Wegbleiben und Wiederkommen bemerkenswert gut eingeteilt gewesen war, doch machte er keine direkte Anspielung.

»Dein Armreif ist also müde geworden?« »Ich bleibe gern in Bewegung. Jetzt bin ich müde.« »Auf diese Art kann man keine Familie gründen.« »Natürlich nicht. Jetzt brauche ich meine Kräfte. Ich bin zweiter Stabkämpfer geworden.«

Der Stamm hatte sich in Marsch gesetzt. Die Schwerter, fünfzig an der Zahl, gingen voran, und behaupteten ihren Vorrang als Gewinner des Lagerturniers. Dann folgten die Dolche, Gewinner nach Punkten, dann Stangen, Stäbe und Keulen. Der Morgenstern kam als letzter. Er rangierte tief unten, wurde aber nicht ausgeschieden. »Meine Waffe ist kein Spielzeug«, sagte er, nicht ohne Berechtigung.

Sol kämpfte nicht mehr. Er blieb bei Sola, zeigte ungewöhnlich Besorgtheit um ihr Wohlergehen und versuchte nicht, die tadellose Militärmaschine, die Sos ihm geschaffen hatte, zu beeinflussen. wusste er, was sein Weib den Winter über getrieben hatte? Es mußte wohl so sein, denn Sola war schwanger.

Tyl führte den Stamm. Wenn sie einem Einzelgänger begegneten, der einwilligte, sich mit ihnen zu messen, ließ Tyl den Führer der entsprechenden Waffengattung einen Vertreter auswählen, der den Ring betrat. Der Vorteil des erweiterten Trainings zeigte sich sofort. Die ausgewählten Krieger waren meist in besserer Verfassung als ihre Gegner. Sie waren die überlegenen Strategen und gingen meist als Sieger aus der Begegnung hervor. Und wenn sie unterlagen, kam es meistens so, daß der Sieger, der die Größe und Macht des Stammes erfaßte, anschließend den Gruppenführer herausforderte, um in den Stamm aufgenommen zu werden.

Nur Sos blieb unabhängig. Er wünschte, es wäre anders gewesen.

Nach einer Woche holten sie einen anderen Stamm ein. Er umfaßte an die vierzig Mann. Der Führer war der typische alte Haudegen, wie Sos sie von früher her kannte. Der Haudegen übersah sofort die Lage und war einverstanden, nur vier Krieger für den Ring zu bestimmen: Ein Schwert, einen Stab, eine Stange und eine Keule. Mehr wollte er nicht riskieren.

Verdrossen zog sich Tyl zu einer Beratung mit Sol zurück.

»Es ist nur ein kleiner Stamm, er besitzt aber viele gute Männer. Aus ihren Bewegungen und der Art ihrer Narben ersehe ich, daß es erfahrene und tüchtige Krieger sind.«

»Das sagen auch die Berichte unserer Späher«, murmelte Sos.

»Er will nicht einmal seinen Besten gegen uns antreten lassen«, sagte Tyl indigniert.

»Stelle fünfzig Mann auf und fordere ihn selbst um den Preis seiner ganzen Gruppe heraus. Er soll unsere Leute besichtigen und sich überzeugen, daß sich das Risiko lohnt.«

Tyl lächelte und holte Sols offizielle Zustimmung ein - eine reine Formalität. Gleich darauf waren fünfundvierzig Krieger versammelt.

»Das wird nicht klappen«, murmelte Tor.

Der schlaue Stammesführer sah sich das Angebot an und brummte zustimmend. »Gute Männer«, mußte er anerkennen. Dann faßte er Tyl ins Auge. »Seid Ihr nicht ein Kämpfer zweier Waffen?«

»Schwert und Stock.«

»Ihr seid früher allein gewandert, und jetzt seit Ihr der Zweite Befehlshaber eines Stammes von zweihundert!«

»Richtig.«

»Gegen Euch werde ich nicht kämpfen!«

»Ihr besteht also auf einer Begegnung mit Sol?«

»Ganz und gar nicht.«

Tyl bewahrte nur mit äußerster Beherrschung seine Ruhe und wandte sich an Sos.

»Was nun, Ratgeber?« fragte er ironisch.

»Richte dich nach Tors Rat.« Sos wusste zwar nicht, was der Bartträger im Sinn hatte, vermutete aber, daß es klappen würde.

»Ich glaube, sein Stolz ist sein schwacher Punkt«, sagte Tor im Verschwörerton. »Er wird nicht kämpfen, wenn er fürchtet, zu verlieren, und er wird nur wenige Kämpfer auf einmal aufstellen, damit er sofort aufhören kann, wenn ihm das Schicksal nicht gewogen ist. So haben wir keinen Gewinn zu erwarten. Wenn es uns aber glückt, ihn lächerlich zu machen . . .«

»Wunderbar!« rief Sos aus. »Wir suchen Witzbolde aus und lassen ihn gegen sie antreten!«

»Außerdem ein paar Lästermäuler. Die lautesten, die wir haben.«

»Davon haben wir genug«, murmelte Sos. Er dachte an das boshafte Wortgeplänkel, das jeden Gruppenwettkampf begleitete.

Tyl zuckte die Achseln. »Du übernimmst die Sache. Ich möchte nichts damit zu tun haben.« Er ging zu seinem Zelt.

»Er wollte wirklich selbst antreten«, bemerkte Tor. »Doch hat er gar keine Chance. Er lacht ja nie.«

Sie verglichen die Qualifikationen und wählten ein passendes Quartett für den Ring aus. Dann stellten sie einen Spezialtrupp von Zuschauern zusammen, der in der ersten Reihe Aufstellung nehmen sollte.

Die erste Begegnung begann am Mittag. Der gegnerische Schwertkämpfer näherte sich dem Ring - ein großer, ernster Mann jenseits der ersten Jugendblüte. Aus Sols Reihen kam Dal, der zweite Dolchkämpfer, ein rundgesichtiger, stämmiger Kerl, dessen fortwährendes Lachen eher wie ein Kichern klang. Er war kein überragender Kämpfer. Das intensive Training hatte jedoch seine beste Eigenschaft klar aufgezeigt: Er war noch nie von einem Schwert besiegt worden. Den Grund dafür hatte noch niemand definieren können, da untersetzte Männer im Kampf mit geschliffenen Waffen im allgemeinen sehr gefährdet waren.

Der Schwertkämpfer starrte seinen Gegner düster an, trat in den Ring und warf sich in Positur. Dal zog eine seiner Klingen, stellte sich dem Gegner gegenüber auf - und imitierte gekonnt mit seiner zwanzig Zentimeter langen Klinge die steife Haltung des anderen. Die ausgesuchten Zuschauer lachten.

Mehr verblüfft als wütend, versuchte der Schwertkämpfer eine Finte. Dal konterte mit dem kleinen Messer, als wäre es ein Schwert in voller Größe. Wieder lachten die Zuschauer, lauter als unbedingt nötig.

Sos warf einen heimlichen Blick auf den fremden Stammesführer. Dem Mann war bestimmt nicht zum Lachen zumute.

Jetzt griff der Schwertkämpfer ernsthaft an. Dal mußte seinen zweiten Dolch ziehen und die schwerere Waffe mit raschen Finten und Manövern abwehren. Zwei Dolche wurden im allgemeinen einem Schwert gegenüber nicht als gleichwertig angesehen, wenn der Dolchkämpfer nicht ausgesprochen beweglich war. Dal wirkte gar nicht agil. Doch sein rundlicher Körper konnte immer im letzten Moment dem Schwert ausweichen. Er zog blitzschnellen Nutzen aus der Trägheit des Schwertes. Wer die zwei Klingen im Ring beobachtete, vergaß keinen Augenblick, daß es eben zwei waren. Es war zwecklos, ein Messer allein zu blockieren, wenn das zweite bereits auf einen verwundbaren Punkt zielte.

Bei einem besseren Schwertkämpfer wäre diese Taktik geradezu tollkühn gewesen. Doch glückte es Dal immer wieder, den Gegner zurückzudrängen und ungedeckt zu stellen. Dal stach jedoch nicht zu. Statt dessen schnitt er eine Locke vom Haar des Schwertkämpfers und schwenkte sie wie eine Quaste. Die Zuschauer grölten. Er schlitzte die Hosen des Schwertkämpfers auf und zwang ihn so, hastig nach hinten zu fassen, während Sols Leute sich vor Lachen auf dem Boden wälzten, ihre eigenen Hosen aufrissen und sich gegenseitig auf Schulter und Rücken klopften.

Schließlich stolperte der Mann über Dals Fuß und fiel schändlich geschlagen aus dem Ring. Doch Dal blieb im Ring. Er focht mit seinen Waffen weiter, als hätte er nicht bemerkt, daß sein Gegner schon außer Gefecht war.

Der gegnerische Stammesherr sah mit eisiger Miene zu.

Als nächster trat der Stabkämpfer in den Ring. Gegen ihn hatte Tor die Stöcke aufgestellt. Das gleiche Schauspiel wiederholte sich. Kin, der Stockkämpfer, kämpfte possenhaft mit einer Hand, während er den zweiten Stock zum Gaudium der Gaffer unter seinem Arm trug, zwischen den Zähnen oder Beinen. Damit bewirkte er, daß der Stabkämpfer unfähig und untrainiert wirkte, obwohl das nicht der Fall war. Sogar einige Krieger des gegnerischen Stammes lachten, aber nicht ihr Anführer.

Beim dritten Treffen war es umgekehrt: Sav trat gegen den Stockkämpfer an. Er summte ein fröhliches Volkslied, als er mit dem Stabende den etwas ausladenden Bauch seines Gegners berührte und dessen Annäherung verhinderte. Der Mann mußte beide Stöcke in eine Hand nehmen, um mit der anderen nach dem Stab greifen zu können. »Nein, Jon, nein, nein, nein!« jubilierte Sav, als er dem Gegner beide Stöcke aus der Hand schlug.

Obwohl das nicht sein wirklicher Name war, wurde der Mann von nun an immer Jon genannt.

Gegen die Keule trat Mok, der Morgenstern an. Er trat in den Ring und ließ die stachelbewehrte Kugel über dem Kopf kreisen, so daß der Wind durch die Stacheln pfiff. Als die Keule ihn blockieren wollte, wickelte sich die Kette um den Griff, bis die kreisende Kugel die Hand des Keulenkämpfers zerquetschte. Mok riss die Waffe zurück, während der Mann seine blutenden Finger anstarrte.

Mok erwischte die Keule, drehte sie um und bot seinem Gegner den Griff mit der Verbeugung an. »Ihr habt noch eine zweite Hand«, sagte er ritterlich. »Warum wollt Ihr sie nutzlos vergeuden?« Der Mann sah ihn an und trat völlig gedemütigt rücklings aus dem Ring. Der letzte Kampf war vorbei.

Der fremde Stammesführer war fast von Sinnen. »Noch nie habe ich so - so . . .!«

»Was habt Ihr denn von den Possenreißern erwartet, die Ihr gegen uns aufgestellt habt?« entgegnete ein schlanker Jüngling mit Babygesicht, der sich auf sein Schwert stützte. Er war unter den Spöttern der erste gewesen, obwohl er aussah, als könne er kaum seine Waffe heben. »Wir wollten kämpfen; aber Eure hüpfenden Clowns . . .«

»Du!« rief der Führer wütend, »dann kämpfe gefälligst gegen meinen ersten Schwertkämpfer!«

Der Junge schien erschrocken. »Aber Ihr wolltet doch nur vier . . .«

»Nein. Alle meine Leute werden kämpfen! Zuerst möchte ich dich - und diesen komischen Bart neben dir! Und diese zwei großmäuligen Keulenkämpfer!«

»Gemacht!» rief der Junge, stand auf und lief zum Ring. Es war Neq, trotz seiner Jugend und zarten Gestalt der vierte Schwertkämpfer unter fünfzig.

Der Bärtige war natürlich der kluge Tor selbst, jetzt dritter Schwertkämpfer. Die zwei Keulenkämpfer waren Nummer eins und zwei in ihrer Gruppe von siebenunddreißig Mann.

Bei Tagesende war Sols Stamm um zirka dreißig Mann stärker.

Sol überlegte die Sache einen Tag lang. Er unterhielt sich mit Tyl und überlegte weiter. Schließlich ließ er Sos und Tor kommen. »Wir haben den Ring entweiht«, sagte er. »Wir kämpfen, um zu gewinnen oder zu verlieren, nicht um zu lachen.«

Dann schickte er Sos dem anderen Anführer nach. Er sollte sich entschuldigen und ein ernstes Revancheturnier anbieten. Doch der Mann hatte genug. »Wäret Ihr nicht waffenlos, würde ich Euch den Schädel im Ring spalten«, sagte er.

So ging es weiter. Die im Ödland verbrachten Monate hatten die Gruppe zu einer erstklassigen Streitmacht gemacht. Die auf verschiedenen Waffentypen basierende Rangordnung hatte die ; Krieger genau auf den ihnen zustehenden Platz verwiesen, wo sie gewinnen konnten. Natürlich hatten sie auch einige Verluste, die aber durch den Zuwachs reichlich wettgemacht wurden. Zufällig bot sich Tyl die Chance, im Ring gegen einen Anführer anzutreten. Er gewann zweimal und brachte zu seinem Stolz Sols Stamm siebzig Krieger ein.

Nur einmal trat dem Stamm ein ernsthaftes Hindernis in den i Weg, doch nicht in Gestalt eines anderen Stammes. Eines Tages i kam ein riesiger muskelbepackter Mann einen Hügel herabgeschlendert. Er schwang seine Keule, als wäre sie ein Stockschläger. Sos war einer der größten Männer des Stammes, doch der Fremde war erheblich größer und in den Schultern breiter als er. Der Fremde war Bog, von angenehmem Naturell und spärlichem Verstand. Sein größtes Vergnügen war es, Gegner im Ring zu besiegen.

»Kämpfen? Gut, gut!« rief er mit breitem Lächeln aus. »Einer, zwei, drei auf einmal! Geht in Ordnung!« Er sprang erwartungsvoll in den Ring. Sos hatte den Eindruck, der Mann könne höchstens bis drei zählen.

Tyl, dessen Neugier erwacht war, schickte den ersten Keulenkämpfer in den Ring. Bog stürzte sich ohne höhere Taktik in den Kampf. Er schwang die Keule mit Wildheit auf und nieder. Ob Treffer oder nicht, Bog fuhr ungestüm fort und prügelte den anderen aus dem Ring, ehe dieser wieder einen festen Stand gewonnen hatte.

Bog grinste triumphierend. »Mehr!« rief er.

Stirnrunzelnd sah Tyl den ehemaligen ersten Keulenkämpfer des Stammes an, einen Mann, der schon des öfteren im Ring gewonnen hatte. Er schickte den zweiten Mann in den Ring.

Der Vorgang wiederholte sich. Zwei Männer lagen betäubt und völlig geschlagen am Boden.

Das gleiche Schicksal erlitten die zwei besten Schwerter, Stöcke und ein Stab in rascher Folge.

»Mehr!« rief Bog selig, doch Tyl hatte genug. Fünf Klassekämpfer waren verloren, und das im Verlauf von nur zehn Minuten. Dabei schien der Sieger kaum ermattet.

»Morgen«, sagte er zu dem riesigen Keulenschwinger.

»Gut«, stimmte Bog enttäuscht zu und nahm die Gastlichkeit des Stammes für den Abend in Anspruch. Er vertilgte zum Abendbrot zwei komplette Portionen und beschlief drei willige Frauen, bevor er sich für die Nacht zurückzog. Männlein und Weiblein bestaunten seine diversen Unersättlichkeiten und konnten sie kaum fassen. Doch waren die Tatsachen nicht zu widerlegen. Bog eroberte alle - eine, zwei, drei auf einmal.

Am nächsten Tag war er so gut wie am Tag zuvor. Diesmal sah Sol zu, als Bog Keulen, Stöcke und Dolche mit gleicher Fertigkeit außer Gefecht setzte und sogar den schrecklichen Morgenstern erledigte. Wenn er einen Treffer abbekam, achtete er nicht weiter darauf, obwohl manche Hiebe ihn grausam verwundeten. Er leckte das Blut wie ein Tiger und lachte nur. Ihn abzuwehren nützte nichts. Er war so stark, daß es für ihn keine wirksame Behinderung gab. »Mehr!« rief er unermüdlich nach jedem Debakel.

»Diesen Mann müssen wir haben!« sagte Sol.

»Wir haben niemanden, der ihn besiegen kann«, erwiderte Tyl. »Er hat ja schon neun unserer Besten erledigt und spürt noch immer keine Müdigkeit. Ich könnte ihn zwar mit dem Schwert töten; doch ohne Blutvergießen kann ich ihm nicht beikommen. Tot nützt er uns nichts.«

»Man müßte ihm mit der Keule entgegentreten«, sagte Sos. »Das ist die einzige Waffe, die genügend Masse hat, um ihn zu bremsen. Eine starke, agile und ausdauernde Keule.«

Tyl starrte vielsagend die drei besten Keulenkämpfer an, die sich auf Bogs Seite beim Ring aufgestellt hatten. Alle trugen Verbände. »Wenn unsere Spitzenkämpfer so aussehen, dann nehmen wir einen unqualifizierten Krieger«, bemerkte er.

»Ja«, sagte Sol und stand auf.

»Einen Moment«, riefen beide Männer. »Riskiert es nicht selbst«, fügte Sos hinzu. »Für Euch steht zuviel auf dem Spiel.«

»Der Tag, an dem mich ein Mann mit irgendeiner Waffe besiegt«, sagte Sol ernst, »ist der Tag, an dem ich zum Berg gehe.« Er nahm seine Keule und trat in den Ring.

»Der Herr selbst!« rief Bog, als er ihn erkannte. »Guter Kampf?«

»Er hat nicht mal Bedingungen gestellt«, knurrte Tyl. »Das wird bloß ein Kampf Mann gegen Mann!«

»Guter Kampf«, sagte Sol und trat in den Ring.

Sos stimmte ihm bei. Es war eine sträfliche Verschwendung, Sol in dem ungestümen Streben nach einem Reich in den Ring zu lassen, wenn es um weniger als einen ganzen Stamm ging. Ein Unfall war ja nicht auszuschließen. Doch hatten sie schon länger merken müssen, daß ihr Anführer jetzt andere Dinge im Kopf hatte als sein Reich. Sol wollte seine Männlichkeit durch Kampfkraft unter Beweis stellen. In diesem Punkt durfte er nicht den leisesten Zweifel aufkommen lassen, auch nicht bei sich selbst. Er hatte sein Training regelmäßig betrieben und seine Körper in Form gehalten.

Vielleicht konnte ihm nur ein Waffenloser wie Sos nachfühlen, wie tief die Narben jenes anderen Mangels reichten.

Bog stürzte sich mit seinem typischen Windmühlenangriff auf den Gegner. Sol parierte und wich gekonnt aus. Bog war weitaus größer, doch Sol war flinker und parierte die gefährliche Schwünge, bevor sie zu voller Wucht gediehen waren. Er duckte sich unter einem Hieb und erwischte mit jedem kurzen präzisen Schlag, den Sos bei ihm schon kannte, Bog seitlich am Kopf. In Sols Hand war die Keule keine plumpe oder gar langsame Waffe.

Der Riese nahm den Schlag hin, ohne ihn zu bemerken. Er holte, ohne zu zögern, wieder aus und lächelte dabei. Sol mußte rücklings ausweichen und sehr geschickt agieren, um nicht aus dem Ring gedrängt zu werden. Bog setzte ihm hart zu.

Sols Strategie war denkbar einfach. Er sparte Kraft und ließ den anderen nutzlos Energie verschwenden. Wenn sich eine Blöße in der Deckung bot, schlug er mit der Keule zu, traf Kopf, Schulter oder Bauch und schwächte den Gegner damit noch mehr. Das war eine gute Taktik - nur ließ Bog sich eben nicht schwächen. »Gut!« grunzte er, wenn Sol getroffen hatte, und holte von neuem aus.

Eine halbe Stunde verging, während der ganze Stamm sich staunend um die Arena sammelte. Sie alle kannten Sols Können. Bogs nicht erlahmende Kraft war ihnen ein Rätsel. Die Keule war eine massive Waffe und schien mit jedem Schwung schwerer zu werden. Längere Handhabung ließ den Arm unweigerlich ermatten, doch Bog wurde weder langsamer noch zeigte er Ermüdung. Woher kam seine Ausdauer?

Sol hatte die Abwartemethode satt. Er ging zum Angriff über. Jetzt schlug er ähnlich wie Bog um sich und zwang den Größeren zu Defensivmaßnahmen. Diese sah man bei Bog jetzt zum erstenmal. Bis jetzt hatte man nur gesehen, daß Bog keine Verteidigung kannte, weil er sie nie gebraucht hatte. Es zeigte sich, daß er in der Verteidigung ungeübt war und mit voller Wucht einen Schlag seitlich an den Hals bekam.

Sos rieb sich mitfühlend den Nacken, als er sah, daß Bog vor Schmerz zusammenzuckte. Der Schlag hätte ihn für den Rest des Tages außer Gefecht setzen können. Das war jedoch nicht der Fall. Bog zögerte momentan, schüttelte den Kopf und grinste. »Gut!« sagte er und schwang mächtig seine eigene Waffe.

Sol kam ins Schwitzen und mußte wieder Verteidigungsstellung beziehen. Erneut wehrte er Bog mit intelligenten Manövern ab, während der Riese den Angriff so wild vorantrieb wie vorhin. Sol hatte am Kopf und am Rumpf noch nichts abbekommen. Seine Verteidigung war viel zu gekonnt, als daß der Gegner sie hätte durchdringen können. Doch war er nicht imstande, Bog ins Wanken zu bringen oder in die Knie zu zwingen.

Nach einer weiteren halben Stunde versuchte er es noch einmal, ohne Erfolg. Bog schienen Verletzungen nichts auszumachen. Jetzt mußte sich Sol mit einer Hinhaltetaktik zufriedengeben.

»Was ist der Rekord für Keule gegen Keule?« fragte einer.

»Vierunddreißig Minuten«, antwortete ein anderer.

Der Zeitnehmer, den Tor aus der Herberge entliehen hatte, zeigte auf hundertvier Minuten. »Unmöglich, dieses Tempo unbegrenzt beizubehalten«, sagte er.

Die Schatten wurden länger. Der Kampf dauerte an.

Sos, Tyl und Tor besprachen sich mit den anderen Ausbildern. »Die machen womöglich weiter, bis es dunkel wird!« rief Tor ungläubig aus. »Sol wird nicht aufgeben wollen, und Bog weiß gar nicht, wie man aufgibt!«

»Wir müssen den Kampf abbrechen, bevor beide tot umfallen«, sagte Sos.

»Wie?«

Das war eben das Problem. Keiner der Teilnehmer würde freiwillig aufgeben wollen. So viel stand fest. Ein Ende war nicht abzusehen.

Bogs Kraft schien unbegrenzt, doch Sols Entschlossenheit und; Fertigkeit war ihr gewachsen. Je dunkler es wurde, desto größer wurde das Risiko für einen lebensgefährlichen Höhepunkt. Man mußte dem Kampf ein Ende machen.

Es war eine Situation, mit der sich kein Mensch bisher befaßt hatte. Niemand kannte einen ethisch gerechtfertigten Ausweg. Schließlich entschloß man sich, den Kampfkodex etwas freier auszulegen.

Die Stabmannschaft übernahm diese Aufgabe. Eine Abteilung betrat den Ring, trennte die Kombattanten und schleppte sie weg. »Zurück!« rief Sav. »Ausgleich! Keine Entscheidung!«

Bog mußte sich erst fassen.

»Essen!« brüllte Sos ihn an. »Schlaf! Frauen!«

Das wirkte. »Schon gut!« Der ungeheure Keulenkämpfer war einverstanden.

Sol überlegte. Er sah, daß die Schatten schon sehr lang waren.

»Gut«, sagte er schließlich.

Bog kam auf ihn zu und schüttelte ihm die Hand. »Ihr sehr gut für kleinen Mann«, sagte er höflich. »Nächstes Mal fangen wir in der Früh an, ja? Längerer Tag!«

»Gut!« erwiderte Sol. Alles lachte.

In dieser Nacht massierte Sola Sols Arme, Beine und Rücken mit einer Salbe und behütete ganze zwölf Stunden lang seinen Erschöpfungsschlaf. Bog gab sich mit einer einzigen überreichlichen Mahlzeit zufrieden und mit einer strammen, gutgepolsterten Maid. Eine Versorgung seiner Verletzungen lehnte er ab. »Guter Kampf«, sagte er befriedigt.

Am nächsten Tag zog er seiner Wege und ließ die Krieger, die er besiegt hatte, zurück. »Nur zum Spaß«, erklärte er. »Gut, gut!«

Sie sahen ihm nach, wie er den Pfad entlang ging, unmelodiös vor sich hinsummte und seine Keule durch die Luft wirbeln ließ.