24. Kapitel

Beate verließ das Gebäude des Personalservice. Es war die vierte Firma dieser Art, bei der sie ihre Unterlagen abgegeben hatte. In zwei Stunden stand ihr erstes Vorstellungsgespräch bei einem Ingenieurbüro an. Die verbleibende Zeit nutzte sie für den Kauf diverser Zeitungen und suchte sich ein Bistro, in dem sie bei einem Kaffee und einem Imbiss die Stellenanzeigen lesen konnte.

Die Anzeige fiel Beate durch den Fettdruck ins Auge. Sie schüttelte den Kopf. Unseriös, stellte sie automatisch fest. Wer bot heutzutage noch unkündbare Stellungen an? Da war garantiert was faul. Beate las gar nicht erst genauer, wollte zur nächsten Anzeige übergehen. Doch etwas hielt ihren Blick fest. Es dauerte einen Moment, bis Beate bewusst wurde, was es war. Da stand ihr Name! Oder nicht? Was war das für eine merkwürdige Anzeige?

Beate schaute nun doch genauer hin und las den Text. Nach und nach erfasste sie den Sinn der wenigen Zeilen. Ihr Blick verschwamm. Es hatte sie große Willenskraft gekostet, Cornelias Nachrichten unbeantwortet zu lassen. Bewusst hatte sie alle Brücken hinter sich abgebrochen. Nur auf die Art war es ihr möglich gewesen, mit der Enttäuschung fertigzuwerden. Sie wollte durch nichts an Cornelia erinnert werden. Keine Anrufe, keine Treffen, keinerlei Kontakt.

Bisher war auch alles ganz gut gelaufen. Was man weitläufig gut nannte. Beate konzentrierte all ihre Energie auf die Jobsuche, lenkte sich auf die Art von ihren Gedanken an Cornelia ab. Mit mäßigem Erfolg bei beidem.

Diese Anzeige warf Beate aus ihrer ohnehin nicht sehr stabilen Bahn. Cornelia bat sie zurückzukommen. Nicht nur das. Nein. Cornelia bat sie ganz klar, zu bleiben, mit ihr zu leben. Und sie hatte sich wirklich etwas einfallen lassen, ihr diese Nachricht zukommen zu lassen, statt sich wie sonst mit der Situation abzufinden. Stand damit nicht alles zum besten? Sie brauchte sich eigentlich nur noch ein Taxi zu nehmen und zu Cornelia zu fahren. Warum saß sie immer noch hier und zögerte?

Die Antwort war einfach. Sie zweifelte. Nach all ihren Versuchen, Cornelia zu genau dieser Aussage zu bewegen, wohlgemerkt nach all ihren gescheiterten Versuchen, zweifelte Beate daran, dass Cornelia ihren Antrag aufrechterhielt, wenn sie erst einmal bei ihr war. Und Beate wusste: Eine weitere Trennung verkraftete sie nicht.

Bei diesem Gedanken geriet Beate ins Stutzen. Was ist das denn? Du hast Angst! Angst vor erneutem Verlust? Dieselbe Angst, wie Cornelia sie die ganze Zeit empfunden hat. Von der du sagtest, man dürfe sich durch sie nicht in seinen Entscheidungen leiten lassen. Nachdenklich trank Beate einen Schluck Kaffee. Leicht gesagt!

Beate betrat zögernd das Vorzimmer. Die Tür zu Cornelias Büro stand offen. Ein Blick auf die Uhr erinnerte Beate, dass Cornelia in ihrer morgendlichen Besprechung war.

Beate sah sich um, nahm die Atmosphäre des Zimmers in sich auf. Wie hatte sie all das hier vermisst. Die tägliche Geschäftigkeit – und natürlich die Nähe zu Cornelia. Sie ging langsam zu ihrem Schreibtisch, betrachtete das Chaos auf ihm, schüttelte den Kopf. »Was hat sie die letzten Tage nur gemacht?«

Sie schichtete automatisch ein paar der Unterlagen zusammen, legte sie vorsichtig auf den überquellenden Eingangskorb, setzte sich in den Sessel, schaltete den Computer an. In gewohnter Manier begann sie die Post zu ordnen. Zehn Minuten später hatte Beate die Umgebung völlig vergessen, war nur darauf konzentriert, Ordnung in das heillose Durcheinander zu bringen.

So merkte sie nicht, dass Cornelia zurückkam. Erst als die direkt vor dem Schreibtisch stand, schaute Beate erschrocken auf.

»Hallo«, sagte sie leise.

»Hallo.« Cornelia stand immer noch reglos da.

»Ich . . . ich . . . habe gehört, hier ist eine Stelle frei«, stotterte Beate. Sie erhob sich, schluckte nervös. »Das Angebot hörte sich gut an. Ich dachte, wenn ich mich gleich mal etwas nützlich mache, verbessern sich meine Chancen.«

Cornelia ging langsam um den Schreibtisch herum zu Beate. »Heißt das, du kommst zurück?« fragte sie atemlos.

»Wenn ich es nicht tue, gehst du ja völlig unter im Chaos. Wie das hier aussieht. Wie auf einem Schlachtfeld«, plapperte Beate drauflos und versuchte so, ihre Unsicherheit zu überspielen.

Ihr Redeschwall wurde abrupt durch Cornelia unterbrochen, die sie in ihre Arme riss.

Beate fühlte etwas Nasses an ihrer Wange. Sie trat einen kleinen Schritt zurück. »Ich dachte, du freust dich«, flüsterte sie und wischte zärtlich die Tränen aus Cornelias Gesicht.

»Tu ich doch«, schluchzte Cornelia kläglich. »Ich bin nur halb wahnsinnig geworden vor Verzweiflung. Ich hatte solche Angst, du kommst nicht mehr zurück.«

»Jetzt bin ich ja da.«

»Ja.« Cornelia umarmte Beate erneut.

»Ich hoffte irgendwie, du würdest mich küssen«, beschwerte Beate sich.

Cornelia war dermaßen außer Fassung, dass sie daran nicht zu denken schien. Sie hielt Beate regelrecht umklammert. »Lass mich dich erst noch etwas halten«, bat sie schwach. »Nur ein oder zwei Stunden. Höchstens drei.«

Beate lächelte in sich hinein. »Das hört sich wirklich an, als hättest du mich vermisst.«

»Du wirst dich wundern, wie viele Menschen dir in den nächsten Tagen dankbar die Hand werden schütteln wollen. Alles Opfer meiner schlechten Laune«, gestand Cornelia zerknirscht.

»Demnach kann es ebensogut sein, dass sie mit Tomaten nach mir werfen, weil ich Schuld an deiner Laune war«, stellte Beate lakonisch fest. »Kannst du mich nicht, nur aus Sicherheitsgründen, eine Weile verstecken?«

»Verstecken?« Cornelia verstand nicht. Sie löste sich etwas von Beate, um sie anschauen zu können.

»Ja. Vielleicht – bei dir?« Beate zwinkerte verschmitzt.

Cornelia horchte auf. Der Groschen fiel. »Schon wieder?« fragte sie gedehnt. »Nicht, dass das zur Gewohnheit wird.«

»Und wenn doch?« Beate küsste Cornelia vorwitzig auf die Nase.

»Schlage ich mein Schlafzimmer vor.« Cornelia zog Beate wieder in ihre Arme, küsste sie. »Da gibt es die meisten Möglichkeiten, sich zu verstecken. Im Schrank, unterm Bett . . .«

»Was ist mit im Bett?« unterbrach Beate sie schelmisch.

»Wenn du es eng magst«, lächelte Cornelia.

»Ich liebe es eng – mit dir.«

»Und ich liebe dich«, sagte Cornelia.

»Was?« fragte Beate überrascht. Auf dieses Geständnis war sie trotz allem nicht vorbereitet.

Cornelia hielt Beate eine halbe Armlänge von sich und schaute sie an. »Ich liebe dich«, wiederholte sie. »Das meine ich ernst. Ich verspreche dir –«

»Nein, warte!« Beate hob die Hand. »Du musst mir nichts versprechen. Deshalb bin ich nicht zurückgekommen. Im Gegenteil. Ich . . . ich wollte mich bei dir entschuldigen.«

»Du bei mir?« fragte Cornelia erstaunt.

»Ja. Weil ich so egoistisch war.«

Cornelia schüttelte den Kopf. »Wenn überhaupt jemand, dann warst du diejenige, die versucht hat, mich zu verstehen«, widersprach sie.

»Versucht. Ja. Aber eine ungefähre Ahnung habe ich erst bekommen, als ich deine Anzeige gelesen und mich gefragt habe, ob ich eine zweite Enttäuschung verkraften könnte«, gestand Beate. »Ich wusste es nicht. Ich wollte mir diese Situation auch nicht vorstellen.«

Cornelia lächelte und nahm Beates Gesicht in ihre Hände. »Das brauchst du auch nicht.«

»Ich weiß«, flüsterte Beate. »Ich sehe es in deinen Augen. In ihnen schimmert dieses warme Lächeln, wenn du mich ansiehst. Solange dieser Schimmer in deinen Augen ist, weiß ich, was ich wissen muss.«

»Dass ich dich liebe.« Cornelia küsste zärtlich Beates Hals.

»Das auch.« Beate streichelte Cornelias Wange. »Aber vor allem, dass ich alles tun werde, um dieses Lächeln in deinem Gesicht zu halten.« Sie schmunzelte. »Und zufällig weiß ich, dass das am besten funktioniert, wenn ich bei dir bin. Was sich ausgezeichnet trifft, denn das ist genau der Ort, wo ich mich am liebsten aufhalte.«

ENDE