9. Kapitel

Am Montagmorgen begrüßte Cornelia Beate in gewohnter Manier. Freundlich, kühl. Nichts in ihrem Verhalten erinnerte daran, dass sie noch vor ein paar Tagen Beate wie eine Glucke umsorgt hatte. Beate war es recht. Mit dieser Cornelia Mertens konnte sie umgehen. Die andere, rücksichtsvolle Cornelia verunsicherte sie.

Du wirst dich doch nicht in sie verlieben? fragte Beate sich in einem Anfall von Selbstironie. Um sich gleich darauf auch sofort zu bestätigen: Nein! Ganz gewiss nicht. Ich bin ja nicht verrückt! Cornelia Mertens war ganz gewiss nicht die Frau, in die man sich verliebte. Sicher, sie war eine schöne, elegante Frau. Aber ihr Charme, falls man überhaupt einen solchen erkennen wollte, war eher zweifelhaft. Ihr Humor mehr als gewöhnungsbedürftig. Und nicht zuletzt: ihre Einstellung zu Beziehungen fatal. Kurzum Beate, alles was du nicht brauchst.

»Beate?«

Beate sah erschrocken auf. »Entschuldigung. Was sagten Sie?«

Cornelia stand in der Tür zu ihrem Büro und schaute Beate prüfend an. »Sie sind wirklich wieder auf dem Damm?«

»Ja. Ja. Keine Sorge.«

»Ich sagte, ich brauche bis morgen unbedingt die Zahlen für den aktuellen Monatsbericht.«

»Ja, geht klar.«

Cornelia ging ins Büro. Beate schüttelte den Kopf über sich selbst. Was für absurde Gedanken!

»Was hältst du von einem Faulenzerabend im Bett?« schlug Cornelia vor. »Eine Flasche Wein, ein Videofilm. Ich möchte mich einfach nur entspannen.«

»Da gibt es aber andere Möglichkeiten«, erinnerte Ramona sie.

»Ja, ganz sicher«, erwiderte Cornelia schmunzelnd. Sie nahm Ramona in die Arme und küsste sie. »Sei mir nicht böse«, bat sie dabei. »Ich brauche heute etwas anderes. Wenn du mich einfach nur hältst, ginge das?«

Ramona runzelte verwundert die Stirn. Dann lächelte sie. »Aber sicher geht das.«

»Danke«, sagte Cornelia. Es war ihr klar, dass Ramona über ihre Bitte erstaunt sein musste. Genau genommen war sie es selbst. Es entsprach nicht ihrem Naturell, Zeit mit Halbheiten zu verschwenden. Und neben einer schönen Frau im Bett zu liegen und Videos anzuschauen, statt diese Frau zu verwöhnen, war eindeutig eine solche Halbheit. Um nicht zu sagen eine Dummheit. Du hättest sagen sollen, dass du müde bist und zeitig ins Bett gehen willst. Das wäre weniger peinlich gewesen! Ramona wäre einfach gegangen.

Cornelia ging in die Küche, um eine Flasche Wein und Gläser zu holen.

»Eigentlich eine nette Idee«, sagte Ramona, als Cornelia aus der Küche zurückkam. »Solange es nicht zur Gewohnheit wird.« Sie musterte Cornelia. »Oder muss ich mir Sorgen in diese Richtung machen?«

»Ganz bestimmt nicht«, versicherte Cornelia. »Ich fühle mich heute nur furchtbar zerschlagen.«

Cornelia lag wach.

Ramona war gegangen. Sie war nicht der Typ zum Kuscheln. Sie hatte einen ganzen Film lang ausgehalten. Danach war sie aufgestanden und hatte sich verabschiedet. »Connie, ich mag dich. Aber heute bist du mir zu . . . melancholisch. Rührselige Filme sind wirklich nicht meine Passion. Woher hast du so was überhaupt? Na, auch egal. Einen zweiten halte ich jedenfalls nicht aus. Und du bist in der Stimmung dazu. Also denke ich, es ist besser, wir verbringen den Rest des Abends jede für sich.«

Cornelia hatte nur genickt.

Und das Merkwürdige war, sie vermisste Ramona nicht. Sicher. Eine Nacht mit ihr wäre mit Leidenschaft erfüllt gewesen. Wie sie es immer war. Seit fast einem halben Jahr. Sie schliefen miteinander, ohne jedoch so etwas wie Nähe zuzulassen. Was absolut in Ordnung war, wie Cornelia fand.

So blieb alles einfach und unkompliziert. Keine erwartete von der anderen, dass sie ihr Leben änderte oder andere Zugeständnisse. Sie blieben, was sie sein wollten: unabhängig. Frei von Illusionen über Liebe und gegenseitige Aufopferung. Das war etwas für Träumer. Liebe stellte doch in Wirklichkeit nichts weiter dar als eine besonders wirksame Form der Unterdrückung mit der Formel: Wenn du mich liebst . . . dann . . .

Und dennoch war sie heute in der Stimmung für diese Filme gewesen. Kein Wunder, dass sie Ramona damit vergrault hatte. Im umgekehrten Fall wäre es ihr nicht anders ergangen. Auch sie hätte nichts mit einer sentimentalen Ramona anfangen können. Deshalb passten sie beide so perfekt zueinander.

Andere meinten, diese Art Verhältnis sei oberflächlich. Sie verstanden nicht, wie sie sich damit zufriedengeben konnte. Versuchten ihr einzureden, das wäre nicht normal. Wenn schon kein Heim mit Mann und Kindern, dann doch wenigsten eine partnerschaftliche Beziehung. Auch gut, wenn es eine Frau war. Aber doch etwas Stabiles, Solides. Etwas, das Sicherheit implizierte. Die früher oder später aufkommende emotionale Monotonie leugneten sie hartnäckig. Fanden Worte wie harmonisches Miteinander oder seelischer Einklang dafür.

Nein, dachte Cornelia zufrieden. Sie vermisste Ramona nicht. So schön, wie es war, mit ihr einen Abend zu verbringen, es war ebenso gut, jetzt hier allein zu liegen. Und das war in Ordnung so. Denn wäre es anders, würde sie sich jetzt schlecht fühlen. Wem wäre damit geholfen?