22. Kapitel

Es fiel Beate nicht leicht, aber in den kommenden Wochen zog sie sich von Cornelia langsam zurück. Anfangs schlug sie nur die eine oder andere Einladung aus. Das steigerte sich nach und nach. Sie fuhr seltener gemeinsam mit Cornelia heim, ließ sich statt dessen von Jana abholen.

Cornelia ging es deutlich gegen den Strich, dass Beate mehr und mehr Zeit mit Jana verbrachte. Sie war oft übellaunig und wortkarg. Auch wenn Cornelia ihre Eifersucht zu unterdrücken versuchte, kam es doch immer wieder zu kleineren Streitereien.

Beate, die spät vom Fitness zurückkam, ahnte schon, dass auch heute etwas in der Luft lag. Sie stellte ihre Sporttasche an der Treppe ab und ging in die Küche, weil sie Durst hatte. Auf dem Weg dorthin musste sie durchs Wohnzimmer, wo Cornelia auf dem Sofa lag und fernsah.

»Hallo«, grüßte Beate fröhlich.

»Welch seltener Besuch«, erwiderte Cornelia brummend.

Beate hielt inne. »Schlechte Laune?« fragte sie, wohl wissend, dass es so war.

»Warum sollte ich?« Cornelias Stimme klang bissig.

»Keine Ahnung. Ich frage ja.« Beate grinste in sich hinein.

»Keine Sorge. Mir geht es bestens. Und dir?« Drei spitze Sätze aus einem spitzen Mund.

»Oh, danke der Nachfrage. Auch prima.« Jetzt musste Beate schon schmunzeln.

»Schön.« Kurz angebunden beendete Cornelia den Dialog.

Beate ging in die Küche, nahm eine Cola aus dem Kühlschrank und ein Glas und ging zurück zu Cornelia.

Die war inzwischen aufgestanden, hatte den Fernseher ausgeschaltet und sich ermahnt, nicht schon wieder zu streiten.

»Entschuldige«, sagte sie zu Beate. »Ich bin . . . wohl etwas mürrisch gewesen. Tut mir leid. Es liegt wahrscheinlich daran, dass ich auch gern einmal wieder etwas Zeit mit dir verbringen würde. Ich meine: nach der Arbeit.«

»Aber das können wir doch«, meinte Beate unschuldig.

»Es ist dir vielleicht nicht aufgefallen, aber die letzten Tage wies dein Terminkalender leider keine Lücke für mich auf. Ich habe dich außerhalb des Büros kaum zu Gesicht bekommen.«

Beate zog die Augenbrauen hoch und tat erstaunt. »Oh.«

Cornelia trat näher an Beate heran. »Ich vermisse dich.«

»Jetzt übertreibst du aber«, meinte Beate.

Cornelia seufzte. »Ja, vielleicht. Ich fühle mich aber irgendwie so . . . so . . .« Sie brach ab.

»Wie?« fragte Beate sanft. Würde Cornelia zugeben, dass sie nicht damit zurechtkam, wenn nicht sie es war, die die Distanz zwischen ihnen bestimmte?

Cornelia kämpfte mit sich. »Ist . . . ist zwischen dir und Jana etwas?« fragte sie.

Beate zögerte. Das war eigentlich der Moment, auf den sie gewartet hatte. Ihr Plan ging auf. Sie brauchte jetzt nur noch eine entsprechende Bemerkung fallenzulassen, um Cornelias quälende Ungewissheit in eine noch quälendere Gewissheit zu verwandeln. Und dann musste Cornelia sich bekennen. Tu es, Beate. Was hindert dich daran? Beate schaute in Cornelias Gesicht. Cornelia litt seelische Tantalusqualen. Es tat Beate schon weh, diesen Schmerz zu sehen. Sollte sie da auch noch Öl ins Feuer gießen? Leicht fiel ihr das nicht. »Wir sind nur Freundinnen«, sagte sie. Mach dir einen Reim darauf.

Cornelia wusste, das konnte alles mögliche heißen. Ihr anhaltend gequälter Gesichtsausdruck zeigte es. »Ich dachte, ich wäre deine Freundin«, sagte sie leise.

»Und ich hoffte, du willst mehr sein.«

Cornelia seufzte. »Verstehe. Das ist eine Art . . . Erpressung.«

»Wenn du es so interpretierst.«

»Wie nennst du es?«

Beate schüttelte resigniert den Kopf. »Ich mache mir keine Sorgen um die Bezeichnung. Ich mache mir Sorgen um uns.«

»Aber mein Gefühl für dich hat sich nicht geändert. Ich . . . mag dich.« Cornelia quälte sich mit jedem Wort.

»Warum sagst du nicht gleich, du findest mich nett?« schlug Beate bitter vor. »Das wäre noch weniger verbindlich.«

»O bitte. Fang nicht wieder damit an!«

»Schon gut. Ich behellige dich nicht weiter. Gute Nacht.« Beate verließ den Raum, nahm ihre Sporttasche am Fuß der Treppe auf und ging hinauf in ihr Zimmer. Na, dann eben doch das volle Programm. Du willst es ja nicht anders!

»Du willst was?« Jana traute ihren Ohren nicht.

»Du besuchst mich am Samstag, und wir machen uns einen netten Nachmittag – in ihrem Haus. Es gibt einen schönen Garten mit Minigolfanlage. Hat Arthur, ihr Gärtner, entworfen und gebaut.«

»Cornelia wird ausflippen.«

»Na hoffentlich.«

»Findest du nicht, das geht zu weit?« fragte Jana.

»Nein. Cornelia braucht eine Schocktherapie. Anders ist ihr nicht zu helfen.«

»Wenn du meinst. Du kennst sie schließlich besser als ich. Apropos. Cornelia neigt doch hoffentlich unter Stress nicht zu Überreaktionen? Ich stehe nämlich nicht auf ausgekratzte Augen. Das gibt so hässliche Löcher im Gesicht.«

»Keine Angst. In Cornelias Fall gilt: Hunde, die bellen, beißen nicht«, beruhigte Beate Jana.

»Sollte das mit euch beiden jemals klappen, werde ich nicht zu den Gartenpartys eingeladen«, beklagte Jana sich.

»Jammere nicht. Einer muss die undankbare Rolle der Rivalin nun mal spielen. Und ich kenne niemand, der besser dafür geeignet wäre. Was die Partys betrifft: Ich werde dich durch die Hintertür reinschmuggeln.« Beate grinste breit.

»Versprochen?«

»Versprochen.«

Cornelia öffnete die Tür – und blickte erstaunt auf Jana, die draußen stand.

»Hallo«, grüßte Jana fröhlich. »Ich bin mit Beate verabredet.«

Beate kam wie auf Stichwort die Treppe herunter, begrüßte Jana mit einem Kuss auf die Wange und zog sie in die Halle. »Wir wollen eine Runde Minigolf spielen«, wandte Beate sich an Cornelia. »Du hast doch nichts dagegen?«

Cornelia war so überrumpelt, dass sie nur mit dem Kopf schütteln konnte. Beate hakte sich bei Jana unter. Sie gingen in den Garten.

»Sie tut mir irgendwie leid«, sagte Jana draußen zu Beate. »Frag sie wenigstens, ob sie mitkommen will.«

»Nein.«

»Dann tu ich es.« Noch bevor Beate Jana davon abhalten konnte, drehte Jana sich um und rief Cornelia, die in der Tür stand und hinter ihnen hersah, zu: »Wollen Sie da Wurzeln schlagen? Kommen Sie mit!«

Cornelia zögerte. Sollte sie das dritte Rad am Wagen spielen? Danach stand ihr eigentlich nicht der Sinn. Aber noch weniger gefiel es ihr, Beate und Jana alleinzulassen. Lustlos setzte sie sich in Bewegung.

Bei den Bahnen angekommen holte Cornelia aus dem kleinen Geräteschuppen drei Sätze Bälle samt Schläger, verteilte sie und klemmte den Punktezettel an einer Handschreibtafel fest. »Wer will anfangen?« fragte sie in die Runde.

»Ich«, sagte Beate.

Cornelia schrieb Beates Namen in die erste Spalte der Punktetabelle, daneben Janas und zum Schluss ihren eigenen. »Gut. Ich mache das Schlusslicht«, sagte sie dabei, immer noch ziemlich ohne Elan.

Beate legte sich schon einmal den Ball auf der ersten Bahn zurecht. »Aufgepasst! Es geht los«, rief sie, stellte sich zurecht und schwang den Schläger leicht.

»Bekomme ich eigentlich einen kleinen Vorsprung?« fragte Jana. »Ich meine, ihr beide habt eindeutig Heimvorteil.«

»Nichts da«, lachte Beate. »Keine Vergünstigungen. Wir wissen ja nicht, wo du heimlich übst. Vielleicht habt ihr im Segelclub ja auch eine Anlage.«

»Haben wir nicht. Ich bin absolute Anfängerin.«

»Da hast du deinen Vorteil. Bekanntlich steht dem Anfänger das Glück zur Seite. Wir würden uns jeder Chance berauben, wenn wir dir noch einen Vorsprung einräumen.« Beate grinste.

Während des Spiels alberten Beate und Jana herum. Cornelia sah den beiden zu, wie sie sich amüsierten. Es entging ihr nicht, wie Beate immer wieder wie zufällig Jana berührte und umgekehrt. Hier eine Berührung der Hand, da eine flüchtige Umarmung. Cornelia ermahnte sich selbst zur Ruhe. Es ist doch alles ganz harmlos! sagte sie sich immer wieder. Doch als Jana auch noch das erste Spiel wie von Beate prophezeit gewann und in Siegerlaune Beate küsste, konnte Cornelia ihre Gereiztheit kaum noch beherrschen.

»Das gibt es ja gar nicht«, freute Jana sich. »Machen wir noch ein Spiel?«

Beate stimmte sofort zu.

»Danke, ich habe genug«, sagte Cornelia. Sie ging einfach. In ihr kochte es. Das ging zu weit! Jetzt sollte sie noch in ihrem eigenen Haus zusehen, wie die beiden flirteten!

Dementsprechend hart fiel auch der Vorwurf aus, den Cornelia Beate machte, als Jana gegangen war. »Findest du es nicht geschmacklos, deine Freundin in mein Haus einzuladen und vor mir mit ihr zu flirten?«

»Aber ich wohne hier«, stellte Beate fest.

»Du streitest es also gar nicht ab?« fragte Cornelia fassungslos.

»Wir können ja das nächste Mal woanders hingehen«, schlug Beate vor. »Ich dachte nur, wo du so einen tollen Garten hast, warum nicht hier?«

Cornelia fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Beate stritt den Flirt nicht ab. Der ganze Vorwurf scherte sie scheinbar nicht im Geringsten. »Ich hätte nicht gedacht, dass du so kalt sein kannst«, sagte sie enttäuscht.

»Und ich dachte, das kommt dir entgegen. Das enthebt dich dem Stress, weitere Ausreden zu suchen, warum du nicht mit mir zusammen sein kannst.« Cornelia tat Beate leid, aber . . .

»Willst du das denn überhaupt?« fragte Cornelia traurig. »Ich habe nicht den Eindruck.«

Beate seufzte erschöpft. Ich will es mehr, als du dir vorstellen kannst. Aber du benutzt die Situation mal wieder nur, um dich zurückzuziehen, statt für deine Gefühle einzustehen. Dir kommt nicht einmal der Gedanke, mich in die Arme zu nehmen, mir zu sagen, dass es dich rasend macht, wenn eine andere Frau mich anfasst. Das würde ja bedeuten, du müsstest zugeben, mich zu lieben. Langsam weiß ich wirklich nicht mehr, was ich noch machen soll.

Das Verhältnis zwischen ihnen hatte einen Riss bekommen. Beate wusste es, denn sie war diejenige, die diesen Riss verursacht hatte. Mit Absicht. Und auch wieder nicht. Ja, sie gaukelte Cornelia vor, Jana wäre eine Rivalin für sie. Aber Beate hatte es sich nicht so schwierig vorgestellt, Cornelia zu ›heilen‹.

Auch Cornelia spürte die Veränderung. Sie wusste, noch war der Augenblick nicht verpasst, alles in Ordnung zu bringen. Sie wusste, es lag an ihr, das zu tun. Denn sie wusste, was Beate von ihr erwartete. Aber sie brachte es nicht fertig. Die Enttäuschung darüber, dass Beate sich von ihr immer mehr entfernte, überspielte sie. Nicht nur vor Beate, auch vor sich selbst. Sie gab nicht zu, dass sie sich todunglücklich fühlte und bereits an dem Punkt war, dem sie eigentlich hatte entkommen wollen.

Cornelia schaute erstaunt auf den Urlaubsantrag, den ihr Beate auf den Schreibtisch gelegt hatte. »Du willst Urlaub nehmen?«

»Ja.«

»Davon hast du gar nichts erzählt. Hast du etwas Bestimmtes vor?« Cornelia kramte nach einem Kugelschreiber.

»Wir haben ein Ferienhaus in Norwegen gemietet.«

»Hört sich gut an«, meinte Cornelia, stutzte dann aber. »Wir?«

»Ich fahre mit Jana.«

Cornelia hielt in ihrer Bewegung inne, fühlte, wie ihr Magen rebellierte. Sie kramte geschäftig in einigen Papieren, räusperte sich. »Du kannst jetzt nicht in den Urlaub fahren. Ich brauche dich hier. Es gibt viel zu tun.«

»Jetzt?« fragte Beate ungläubig. »Wo alle sich über die Sommerpause schleppen und kaum etwas anliegt?«

»Ich plane eine Umstrukturierung der Abteilungen. Dabei brauche ich dich.« Cornelia kehrte die Chefin heraus.

»Eine was? – Seit wann?«

»Schon länger.« Cornelia machte ein undurchdringliches Gesicht.

»Du willst nicht, dass ich mit Jana wegfahre«, stellte Beate fest.

»Das hat damit gar nichts zu tun. Es ist eine rein geschäftliche Entscheidung. Hast du etwa erwartet, ich mache dir eine Szene?« Cornelia zog die Augenbrauen hoch, als ob das das letzte wäre, was sie sich vorstellen könnte.

»Verdammt, Cornelia! Wenn du es nur tätest!« rief Beate ärgerlich.

»Wozu sollte das gut sein?« Cornelias Gesicht nahm den Beate bekannten maskenhaften Ausdruck an. Ein typisches Zeichen, dass Cornelia ein Thema nicht behagte.

»Ich hätte dir entgegnet, dass ich nur mit Jana fahre, weil du es ja noch nicht einmal zu dem versprochenen Wochenende geschafft hast.«

Cornelia spielte nervös mit ihrem Kugelschreiber. »Ich weiß«, sagte sie bedrückt und senkte den Blick. »Tut mir leid.«

»Ist das alles?« Das ist doch nicht zu fassen! ärgerte Beate sich. Cornelia musste doch klar sein, dass jetzt der Moment gekommen war, etwas mehr zu sagen. Statt dessen saß sie nur stumm da. »Cornelia?«

Cornelia griff zu ihrem Kugelschreiber, setzte ihre Unterschrift auf den Urlaubsschein und reichte ihn Beate.

Beate nahm den Schein resigniert entgegen. »Ich werde heute abend ausziehen«, sagte sie leise und verließ den Raum.

Cornelia hörte, wie Beate die Tür hinter sich zuzog. Erst jetzt sah sie auf. Keine Panik, Cornelia! sprach sie sich Mut zu. Beate wird nicht gehen. Sie hat das schon oft gesagt, aber nie getan. Sie tut es auch diesmal nicht. Ich weiß es.

Und was, wenn doch? Cornelia fühlte Unruhe in sich aufsteigen. Sie ging zur Tür, wollte mit Beate reden. Ihre Hand lag schon auf der Klinke, da hielt sie inne. Das einzige, was Beate in diesem Fall umstimmen könnte, wäre, dass sie ihr klar sagte, dass sie sie liebte. Die Betonung lag auf ›klar‹. Kannst du das?

Cornelias Hand sank nach unten. Reglos stand sie vor der geschlossenen Tür, starrte auf sie. Wenn du es nämlich nicht kannst, brauchst du gar nicht erst durch diese Tür zu gehen. Zögernd fasste Cornelia erneut nach der Türklinke. Eine Weile stand sie so, die Hand auf den Griff gelegt. Schließlich ging sie langsam zurück zu ihrem Schreibtisch.

Beates Auszug verlief ganz unspektakulär. Viel hatte sie nicht zu packen.

»Willst du nicht wenigstens noch zum Abendessen bleiben?« fragte Cornelia hilflos. Beate hatte ihren Entschluss, wie befürchtet, diesmal nicht rückgängig gemacht.

»Nein. Danke.«

Cornelia folgte Beate zur Tür. »Wo willst du denn jetzt hin?«

»Da meine alte Wohnung aufgelöst ist, habe ich mir vorübergehend eine Pension gesucht.« Beate grinste schief. »Während der Arbeitszeit. Entschuldige.«

Cornelia lächelte schwach zurück. Das Taxi hupte draußen vor der Tür.

Beate umarmte Cornelia. »Danke für alles.«

Cornelia schluckte. »Du bedankst dich? Wofür?« Sie wartete die Antwort nicht ab und riss Beate in ihre Arme. »Geh nicht«, bat sie.

Beate machte sich vorsichtig los, nahm ihre Taschen, öffnete die Haustür.

»Beate!« rief Cornelia verzweifelt.

Beate eilte zum Taxi. Cornelia sollte ihre aufsteigenden Tränen nicht sehen. Der Fahrer nahm Beate die Taschen ab, verstaute sie im Kofferraum.

Sie stieg ein, ließ sich in die Polster sinken. Sie sah Cornelia in der Tür stehen.

Cornelia stand dort noch, als das Taxi längst abgefahren war.