21. Kapitel

Ramona hatte sich zu Besuch angemeldet. Anna deckte den Tisch. Cornelia und Beate warteten auf Ramonas Erscheinen.

Beate sah nicht sehr glücklich aus. Sie fühlte sich unwohl bei dem Gedanken, den Abend in Gesellschaft von Cornelias früherer Geliebten zu verbringen. Sie erinnerte sich an das Gespräch zwischen den beiden, dass sie zufällig mitangehört hatte, als sie von dem Segelausflug mit Jana zurückgekommen war. Deshalb nahm Beate an, dass Ramona sich im stillen über sie beide amüsierte. Aber sie konnte Cornelia schließlich nicht vorschreiben, wen sie in ihr Haus einlud und wen nicht.

Zu allem Überfluss war sich Beate nur allzu klar darüber, dass sie, ganz egal, was sie anzog und wie sie sich zurechtmachte, Ramona niemals das Wasser reichen konnte. Am liebsten wäre sie unter einem Vorwand dem Essen ferngeblieben, sagte sich aber, dass das kindisch gewesen wäre.

Ramona kam und begrüßte Cornelia mit einem freundschaftlichen Kuss auf die Wange. »Wie geht es dir, Schatz?«

»Danke, bestens.« Cornelia wies auf Beate. »Ich brauche euch ja nicht mehr miteinander bekanntzumachen.«

Ramona reichte Beate die Hand und lachte. »Nein. Nicht nötig. Auch wenn wir bisher kaum ein Wort miteinander gewechselt haben.«

Beim Essen gab Ramona den neuesten Klatsch zum besten. Wer mit wem und wer nicht mehr. Irgendwann meinte sie wie nebenbei: »Nachdem ihr nun schon wochenlang zusammen wohnt, wann wollt ihr euch endlich mal als Paar zu erkennen geben?«

Cornelia verschluckte sich fast an ihrem Bissen und hustete. Ein verlegendes Räuspern folgte. »Ähm, na ja . . .«

Beate schaute sie abwartend an.

Cornelia blickte konzentriert auf ihren Teller. »Also . . . äh . . . ich weiß nicht, ob das die richtige Bezeichnung ist.«

Ramona blickte Cornelia fragend an. »Wie bitte?«

Cornelia warf einen schnellen Blick zu Beate, sah die aufkommende Enttäuschung in ihren Augen und wandte sich deshalb ebenso schnell wieder ab.

Ramona kicherte. »Ihr wollt doch wohl nicht behaupten, dass ihr nur eine WG bildet?«

»Sie schon«, sagte Beate.

Ramona sah Beate an. »Ist nicht dein Ernst.«

»Warum hängt ihr euch nur alle so an Wörtern auf? Paar, Beziehung und was weiß ich«, erwiderte Cornelia gereizt.

»Warum tust du es?« fragte Ramona lakonisch zurück.

»Beate und ich – wir sind uns einig, dass es auch so geht. Ist doch so, oder?« Cornelia schaute Beate nach Bestätigung suchend an.

Doch Beate senkte den Blick.

Cornelias Mundwinkel zuckten. Sie legte das Besteck neben ihren Teller, stand auf und verließ das Zimmer.

Beate wollte ihr nachgehen, doch Ramona sagte: »Ich würde das nicht tun. Das gäbe nur Streit. Lass sie sich beruhigen.«

Beate setzte sich und nickte. »Ja, ist wohl besser.«

»War anscheinend das falsche Thema, was ich da angeschnitten habe«, meinte Ramona leicht zerknirscht. »Aber woher sollte ich wissen, dass Connie so empfindlich darauf reagiert? Ich verstehe sie langsam nicht mehr. Von dem Tag an, da du ihr Büro zum ersten Mal betreten hast, hat sie ständig über dich gesprochen. Ich war es ehrlich gesagt schließlich leid. Deshalb habe ich mich anderweitig umgesehen.«

Beate schaute sie an. Es war merkwürdig, sich mit Ramona zu unterhalten. Und dann noch über dieses Thema. »Ich erinnere mich an den Tag, als ihr . . . äh – kann man sagen: euch getrennt habt?« sagte Beate vorsichtig.

»Hat sie dir erzählt, wie das vor sich gegangen ist?« Ramona schmunzelte ein wenig.

»Von der Entweder-Oder-Entscheidung? Ja.« Beate nickte. »Ich hatte sie gewarnt, dass es dir nicht gefallen würde, wenn ich in ihrem Haus wohne.«

»Ach.« Ramona winkte lässig ab. »Das war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Wäre es das nicht gewesen, wäre etwas anderes passiert. Es ging immer nur um dich.«

Beate zog die Augenbrauen hoch. »Davon habe ich nie etwas gemerkt.«

»Connie kann ihre Gefühle nicht besonders gut zeigen«, sagte Ramona lächelnd.

»Das habe ich allerdings gemerkt«, bestätigte Beate etwas säuerlich.

Ramona schüttelte den Kopf. »Aber ich dachte wirklich, ihr währt mittlerweile ein Paar.« Sie zuckte ratlos mit den Schultern. »So wie sie sich immer angestellt hat, wenn es um dich ging. Das klang für mich nie, als suche sie nur eine lose Affäre mit dir. Und jetzt wohnt ihr zusammen, und sie ziert sich wie die Zicke am Strick wegen einer Formulierung. Was bedeutet das?«

Beate zögerte. Sollte sie Ramona erzählen, was hinter der Sache steckte? Cornelia hatte ihr von sich aus nichts erzählt. Natürlich nicht. Cornelia redete mit niemand über ihre Gefühle. Auch ein Grund, warum sie jetzt dort stand, wo sie stand. Vielleicht würde Ramona nicht alles verstehen können, was in Cornelia vorging. Aber so unsensibel war sie sicher nicht, dass sie das Problem als belanglos abtun würde.

»Ich weiß nicht, ob sie dir vom Unfall ihrer Eltern erzählt hat«, begann Beate zögernd zu erzählen. »Ich bin keine Therapeutin, aber ich würde sagen, nach dem Unfall hat sich in ihr eine tiefsitzende Verlustangst aufgebaut. Sie versucht seitdem, einen erneuten Verlust zu vermeiden, in dem sie jeglicher tieferen Bindung aus dem Weg geht. Damit sichert sie sich in ihrer Vorstellung ab.«

Ramona sah sie an und nickte. »Aber dann verstehe ich nicht, dass du hier wohnst. Nach dieser Theorie müsste das Cornelia doch auch verängstigen, weil ihr euch zwangsweise immer näher kommt.«

»Tut es ja auch.« Beate lächelte. »Ich glaube, hätte Cornelia gewusst, was sie auslöst, wenn sie mich bei sich aufnimmt, hätte sie es nie getan. Am Anfang war es ja wirklich nur eine Notlösung. Und als ich wieder gehen wollte – war es Höflichkeit oder schon die erste Angstreaktion, ich weiß es nicht – jedenfalls bat sie mich zu bleiben. Und jetzt will sie unbedingt, dass ich bleibe. Mittlerweile ist ihr wohl klar, in welcher Zwickmühle sie sich befindet. Wahrscheinlich deshalb auch ihre Gereiztheit eben.«

Ramona zuckte erneut die Schultern. »Vielleicht sollte sie eine Therapie machen.«

Beate atmete tief durch. »Ich hoffe, ich kann ihr auch ohne das beibringen, dass sie ihre Angst nicht dadurch besiegt, dass sie Gefühle verdrängt. Verluste gehören nun mal zum Leben dazu. Davor kann man sich nicht immer schützen.«

»Was willst du tun?« Ramona sah Beate fragend an. Dann schien sie zu begreifen. »Du sagst ihr, du ziehst aus?« Ramona nickte bestätigend. »Warum nicht? Du schaffst eine Situation, in der Connie einsehen muss, dass sie dich genauso verlieren kann, wenn sie an ihrer Position festhält. Das ist gar nicht so dumm.«

Beate schüttelte den Kopf. »Das wäre eine Möglichkeit. Aber ich fürchte, das reicht nicht, Cornelia dazu zu bringen, ihre Gefühle zuzulassen. Sie würde damit vorliebnehmen, dass wir uns ja im Büro sehen, und denken, alles ginge mit uns trotzdem irgendwie weiter. Ich muss leider zu einem anderen Mittel greifen.« Sie seufzte. »Cornelia war schon immer sehr eifersüchtig auf eine Freundin von mir. Ich glaube, wenn ich bei Cornelia durchblicken lasse, dass ich keine Lust mehr habe, auf sie zu warten, und so tue, als würde sich zwischen mir und Jana etwas entwickeln, bringt sie das in echten Handlungszwang.«

»Und wenn Connie nichts unternimmt?« warf Ramona ein. »Dann musst du einen Rückzieher machen.«

»Nein.« Beate schüttelte erneut den Kopf. Diesmal sehr rigoros. »Es mag Frauen geben, die ewig an der Seite der Geliebten leben, ohne dass die sich zu ihnen bekennt. Aber ich gehöre nicht dazu.«

Beate trank einen Schluck von ihrem Kaffee. Gerade hatte sie Jana in ihr Vorhaben eingeweiht.

»Also, an mir soll es ja nicht liegen«, meinte Jana. »Aber in meinen Ohren klingt dein Plan – entschuldige – nicht gerade sehr feinfühlig.«

»In meinen auch nicht«, gab Beate zu. »Aber ich warte jetzt seit vier Wochen darauf, dass Cornelia sich endlich mehr öffnet. Wie lange braucht sie, um sich an ihre Gefühle zu gewöhnen, wie sie sagt? Ich denke, dieser Prozess kann sich noch sehr, sehr lange hinziehen, wenn ich nicht ein wenig nachhelfe. Da können aus vier Wochen schnell vier Monate werden oder auch ein Jahr. Solange wollte ich eigentlich nicht warten. Das heißt, ich würde selbst das tun, wenn ich nur wüsste, dass es hilft. Was aber leider sehr unsicher ist.« Sie seufzte.

Jana grinste frech. »Jetzt bist aber eindeutig du diejenige, die Angst hat.«

»Ja. Angst, Spinnweben anzusetzen, während ich warte.« Beate lachte ein wenig über ihren eigenen Galgenhumor.

»Also gut. Wann fangen wir an?« wollte Jana wissen.

»Haben wir schon. Heute abend eröffne ich Cornelia, dass ich dich getroffen habe und dass wir zusammen im Fitnesscenter waren. Das hat uns so gut gefallen, dass wir verabredet haben, jetzt regelmäßig zweimal die Woche zu gehen.«

»Das klingt gut. Und was machen wir wirklich?«

»Wir gehen ins Fitnesscenter«, lachte Beate. Sie holte eine Karte aus ihrer Tasche, die sie Jana gab. »Das ist dein Halbjahresabonnement.«

»Oje.«

»Muss leider sein. Ich gehe davon aus, dass Cornelia es sich antun wird, mal zu schauen, was wir da so treiben.«

»Und was treiben wir?« fragte Jana anzüglich.

»Sport«, erwiderte Beate lächelnd.

»Fitness?« fragte Cornelia ungläubig. »Das hast du doch nun wirklich nicht nötig.«

»Es ergab sich eben so.« Beate tat harmlos. Innerlich triumphierte sie. Es war offensichtlich: Cornelia war entsetzt darüber, was sie wie nebenbei eröffnet bekam.

»Es ergab sich so?« fragte die skeptisch.

»Ja.« Beate versuchte das Zucken ihrer Mundwinkel zu beherrschen.

»Wessen Idee war es denn?« Cornelia hatte etwas Gewitterwolkenmäßiges an sich.

»Janas«, log Beate.

»Aha.« Cornelia schaute in eine andere Ecke des Raumes.

»Es gefällt dir nicht.« Beate war ganz zufrieden mit dem ersten Ergebnis ihres Plans.

»Hm. Begeistert bin ich nicht gerade«, sagte Cornelia. »Aber du kannst natürlich machen, was du willst.«

»Danke, dass du mir die Erlaubnis erteilst«, meinte Beate absichtlich spöttisch.

»Ist es wegen gestern abend? Willst du dich dafür revanchieren, dass ich einfach verschwunden bin und dich mit Ramona alleingelassen habe?« Cornelias Backenzähne mahlten.

»Aber nein. Wir haben uns prächtig unterhalten.« Beate öffnete in kindlicher Unschuld die Augen.

Cornelia schaute Beate skeptisch an. »Ach ja? Worüber denn?«

»Dies und das«, erwiderte Beate gutgelaunt.

Cornelia fühlte sich sichtbar unbehaglich. Hilflos fragte sie: »Wollen wir noch einen Spaziergang im Garten machen?«

Beate hätte nichts lieber getan, hielt es aber für schlauer – im Sinne der ›Therapie‹ – sich unter einem Vorwand herauszureden. Unter einem möglichst fadenscheinigen Vorwand! »Ach, weißt du, ich bin heute sehr müde. Ich gehe lieber hoch, lese noch ein paar Seiten und lege mich schlafen.« Na, wie ist es, wenn man auf Distanz gehalten wird?

»Ja dann«, meinte Cornelia sichtlich irritiert. »Gute Nacht.«

»Danke, dir auch.« Beate ließ Cornelia allein mit ihrer Verwunderung zurück.

Kopfschüttelnd stand Cornelia auf. Was war denn mit Beate auf einmal los? Woher kam dieser Unternehmungsdrang? Und warum fragte Beate nicht sie, ob sie mit ihr zum Fitness ging, wenn es denn nun schon sein sollte? Na ja, vielleicht will sie auch mal mit jemand anderem etwas unternehmen, nicht immer nur mit dir. Gut, aber musste es ausgerechnet Jana Kamp sein? Und wenn schon Jana, musste es ausgerechnet Fitness sein?! Das hieß schwitzende Körper in engen Bodys. Was die beiden betraf: gut gebaute Körper. Nach dem Training eine Dusche, anschließend ein kühler Drink. Man plant die nächste gemeinsame Unternehmung. Vielleicht Kino, bald kam mehr hinzu. Cornelia sah es deutlich vor sich. Die Zeit, die Beate mit ihr verbrachte, würde immer weniger werden. Aber wenn es nur das wäre. Viel schlimmer war, Jana Kamp würde bei alldem todsicher Annäherungsversuche in Beates Richtung machen. Beate sagte zwar immer, sie sei nicht an Jana interessiert, aber das konnte sich ändern, wenn sie merkte, dass Jana kein Problem damit hatte, eine Beziehung einzugehen. Vielleicht wurde Beate des Wartens überdrüssig. Wer wollte es ihr verübeln?

Cornelia ging zur Bar, mixte sich einen Gin Tonic, trat hinaus auf die Terrasse und stierte in ihr Glas. Das alles gefiel ihr überhaupt nicht.